Die menschliche Sexualität, oft vereinfacht dargestellt, ist ein komplexes Zusammenspiel von Gehirn, Rückenmark und peripherem Nervensystem. Dieser Artikel beleuchtet die neurowissenschaftlichen Aspekte von Sex und Lust, von den beteiligten Hirnregionen bis hin zu den chemischen Prozessen, die diese Erfahrungen beeinflussen.
Der somatosensorische Cortex: Eine Landkarte des Körpers im Gehirn
Alle sensorischen Informationen, wie Berührungen oder Temperatur, werden zunächst von Sinneszellen in der Haut erfasst. Diese Signale werden über Nerven und das Rückenmark zum somatosensorischen Cortex geleitet, dem Teil der Hirnrinde, der für die Verarbeitung von Empfindungen aus der Körperperipherie zuständig ist.
Im somatosensorischen Cortex ist jede Körperregion in einem eigenen Areal repräsentiert. Dies ermöglicht dem Gehirn, genau zu unterscheiden, woher eine Berührung kommt. Regionen mit einer hohen Dichte an Sinneszellen, wie Finger und Zunge, nehmen im Cortex einen größeren Bereich ein als beispielsweise Arme oder Beine.
Die Anordnung der Körperregionen im somatosensorischen Cortex folgt dem Prinzip der Somatotopie: Benachbarte Körperregionen werden in benachbarten Arealen im Cortex dargestellt. Eine Ausnahme bildete lange Zeit die Darstellung des Genitalbereichs, der traditionell unter den Füßen verortet wurde. Neuere MRT-Studien legen jedoch nahe, dass die Empfindungen von den Genitalien wohl neben den Cortex-Arealen des Beckens verarbeitet werden, was wiederum dem Prinzip der Somatotopie entsprechen würde.
Die Rolle des Rückenmarks im sexuellen Reaktionszyklus
Das Rückenmark spielt eine entscheidende Rolle bei Reflexen und auch beim Geschlechtsverkehr. Der sexuelle Reaktionszyklus, bestehend aus Erregungsphase, Plateauphase, Orgasmus und Rückbildungsphase, wird maßgeblich durch das Rückenmark beeinflusst.
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Berührungen erogener Zonen lösen den Eintritt in die Erregungsphase und die darauffolgende Plateauphase aus. Erogene Zonen können individuell variieren, aber im Allgemeinen kann jeder Teil der Körperoberfläche und natürlich die Körperöffnungen als erogene Zonen empfunden werden. Spezifische erogene Zonen, wie die Eichel und der Penisschaft beim Mann oder die Klitorisspitze bei der Frau, weisen eine besonders hohe Dichte an Nervenendigungen auf.
Berührungen der erogenen Zonen werden über Nerven zum Erektionszentrum im unteren Rückenmark weitergeleitet. Dort werden die ankommenden Signale auf vom zentralen Nervensystem ausgehende Signale umgeschaltet. Diese ausgehenden Signale führen unter anderem zu einer Ausschüttung von Stickstoffmonoxid (NO) in den Genitalorganen, was zu einer Erweiterung der Gefäße und somit zur Erektion führt. Bei Frauen wird durch das vasoaktive intestinale Peptid (VIP) die Sekretproduktion der Geschlechtsdrüsen angeregt, was zur Lubrikation führt.
Hält die Reizung der erogenen Zonen an, steigen die Nervenerregungen im Rückenmark bis zum Ejakulationszentrum auf. Diese Aktivierung führt dazu, dass sich Muskeln zusammenziehen und das Ejakulat heraus befördert wird. Beim Mann geht dieser Vorgang häufig mit einem Orgasmus einher, bei Frauen hingegen seltener. Zeitgleich kommt es zu rhythmischen Muskelkontraktionen der Beckenmuskulatur und manchmal auch der Skelettmuskulatur.
Ein wichtiger Unterschied zwischen Männern und Frauen ist die Refraktärphase, die Männer nach einem Orgasmus erleben. Während dieser Zeit ist es für sie schwierig, eine erneute sexuelle Erregung zu erlangen. Frauen hingegen kennen solch eine Hemmphase meist nicht und können auch mehrmals direkt hintereinander Orgasmen erleben.
Sympathikus und Parasympathikus: Ein harmonisches Zusammenspiel für die Sexualfunktion
Das Erektionszentrum und das Ejakulationszentrum gehören zum autonomen Nervensystem, das wir größtenteils nicht willentlich beeinflussen können. Innerhalb dieses Systems gibt es zwei Gegenspieler: den Sympathikus und den Parasympathikus.
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Der Sympathikus wirkt eher aktivierend auf den Körper, während der Parasympathikus zur Erholung beiträgt. Für die Sexualfunktion ist es jedoch wichtig, dass beide Systeme gut zusammen harmonieren. Das Erektionszentrum nutzt parasympathische Nervenstränge und das Ejakulationszentrum sympathische Nervenstränge. Für die erste Hälfte des sexuellen Zyklus ist demnach der Parasympathikus zuständig, während für Orgasmus und Ejakulation der Sympathikus übernimmt.
Die Rolle des Gehirns bei sexueller Erregung und Lust
Obwohl das Rückenmark der Hauptakteur für Erektion und Ejakulation ist, darf die Rolle des Gehirns nicht vernachlässigt werden. Die sexuelle Erregung ist ein Zusammenspiel aus autonomen, emotionalen und kognitiven Faktoren.
Das Ansehen oder Riechen des Partners/der Partnerin, aber auch die eigene Vorstellungskraft im Sinne sexueller Fantasien kann ebenfalls zu einer Aktivierung des Erektionszentrums führen. Absteigende Bahnen aus dem Gehirn können aber auch einen hemmenden Einfluss auf die sexuelle Erregung ausüben, beispielsweise aufgrund sozialer Normen, Ängste oder Stress.
Während des Geschlechtsverkehrs sind mehrere Zentren im Gehirn aktiv. Im Belohnungszentrum wird Dopamin ausgeschüttet, was zu einem positiven Gefühl führt. Die Hirnanhangdrüse bildet Prolaktin, was ebenfalls ein positives Gefühl auslöst, aber vor allem bei Männern auch für die Hemmphase nach dem Orgasmus verantwortlich zu sein scheint. Gleich mehrere Zentren im Gehirn hemmen sexuelle Erregungen, um unter anderem sozialen Normen zu entsprechen. Der Hypothalamus bildet außerdem das als Kuschelhormon bekannte Oxytocin, das aktivierend auf das Erektionszentrum wirkt und bei Frauen wohl die rhythmischen Muskelkontraktionen der Gebärmutter unterstützt.
Das Belohnungssystem im Gehirn: Der Nucleus accumbens als Lustzentrum
Das Belohnungssystem im Gehirn, insbesondere der Nucleus accumbens, spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Lust und Motivation. Der Nucleus accumbens wird durch den Botenstoff Dopamin stimuliert, was zu einem Gefühl von Zufriedenheit und Freude führt. Dieses System wird durch verschiedene Reize aktiviert, wie ein gutes Essen, Sex oder auch Drogen.
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Dopamin dient als Belohnungsmarker und verstärkt Verhalten, das zu positiven Erlebnissen führt. Das Gehirn lernt, ähnliche Situationen in Zukunft selbst zu suchen. Das Belohnungssystem beeinflusst unser Verhalten, unsere Entscheidungen und unsere Motivation.
Dopamin und Sucht: Wenn Belohnung zur Abhängigkeit wird
Das Belohnungssystem kann auch zur Entstehung von Sucht beitragen. Drogen aktivieren das Belohnungssystem besonders intensiv und verlocken uns deshalb besonders stark. Sie greifen auf unterschiedliche Weise in die komplexen Mechanismen des Lustzentrums ein und führen zu einer gesteigerten Dopamin-Ausschüttung.
Die Zellen im Nucleus accumbens, die Dopamin-Rezeptoren auf ihrer Oberfläche haben, werden stärker und länger aktiviert - und das Gehirn signalisiert: Belohnung. Weil Drogen unser Lustzentrum auf diese Art und Weise bis zu zehn Mal intensiver stimulieren als etwa Essen, sind sie ein mächtiger Motivator.
Die Sucht hat auch auf neuronaler Ebene einen hohen Preis. Der Rest des Gehirns ordnet sich dem veränderten Belohnungssystem unter und der Abhängige beschäftigt sich nur noch damit, wie er die nächste Dosis seiner Droge beschafft. Gleichzeitig stellt sich ein fataler Nebeneffekt ein: Die Dosis muss häufig weiter erhöht werden, um denselben Effekt zu erzielen. Der Grund: Das Belohnungssystem stumpft ab und muss mit immer größeren Mengen der jeweiligen Substanz wieder wachgerüttelt werden.
Drogen sind aber bei weitem nicht die einzigen Suchterreger. Zwanghafte Glücksspieler, denen Bilder eines einarmigen Banditen gezeigt werden, zeigen dieselbe Aktivierung im Nucleus accumbens. Und auch Arbeit, Sport, Computerspiele und das Internet haben Suchtpotential. Denn was im Gehirn eine Belohnung auslösen kann, birgt stets auch die Gefahr, abhängig zu machen.
Sex als Therapie: Stressreduktion und besserer Schlaf
Ein erhöhtes Oxytocin in Kombination mit einem erniedrigten Stresshormon Cortisol kann zu einer Stressreduktion und zu einem besseren Ein- und Durchschlafen führen. Geschlechtsverkehr vor dem Schlafengehen kann somit bei Frauen mit Schlafproblemen eine positive Wirkung haben.
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