Magnetische Kristalle im Gehirn: Ein sechster Sinn?

Viele Tiere nutzen das Erdmagnetfeld zur Orientierung. Doch wie sieht es beim Menschen aus? Gibt es auch im menschlichen Gehirn magnetische Kristalle, die uns einen sechsten Sinn verleihen könnten? Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass dies tatsächlich der Fall sein könnte, auch wenn die Funktion dieses potenziellen Magnetsinns noch weitgehend unbekannt ist.

Die Navigation der Graumulle im Dunkeln

Afrikanische Graumulle verbringen ihr gesamtes Leben in unterirdischen Gangsystemen, die sich über mehrere Kilometer erstrecken können. Trotz absoluter Dunkelheit finden sich die kleinen Nagetiere in diesem Labyrinth bestens zurecht. Unterstützt werden sie dabei von der außergewöhnlichen Fähigkeit, sich am Magnetfeld der Erde zu orientieren.

Graumulle sind sozial lebende Nagetiere, die in Afrika endemisch sind und ihr ganzes Leben in unterirdischen Tunnelsystemen verbringen. Jeden Tag navigieren sie durch ein dreidimensionales und sich dynamisch veränderndes Tunnelsystem, das sich über mehrere Kilometer erstrecken kann. Effiziente Orientierung in diesem Tunnel-Labyrinth mit seinen Futtergründen, Futterkammern, Latrinenkammern und Schlafkammern ist für das Überleben unerlässlich. Aber wie schaffen es die Tiere, sich in völliger Dunkelheit zurechtzufinden?

Graumulle besitzen eine besondere Sinnesmodalität, den Magnetsinn, welcher es ihnen erlaubt, sich am Erdmagnetfeld zu orientieren. Um zu verstehen, wie Graumulle das Magnetfeld der Erde wahrnehmen, untersuchen wir die Verarbeitung der Sinneseindrücke in deren Gehirn. Zunächst möchten wir verstehen, wo im Gehirn magnetische Informationen verarbeitet werden.

Üblicherweise wäre die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI) die Methode der Wahl für eine derartige Fragestellung, aber ein MRT-Scanner erzeugt Magnetfelder, die 70.000 Mal stärker sind als das schwache Erdmagnetfeld. Aus diesem Grund verfolgen wir einen anderen Ansatz, bei welchem wir die Expression bestimmter Gene (immediate early genes, IEGs) als Indikator neuronaler Aktivität heranziehen. IEGs (z.B. C-FOS) sind eine Klasse von Genen, deren Expression in vielen Neuronen aktivitäts-abhängig reguliert wird. Die Kartierung von Neuronen mit hoher IEG-Expression erzeugt somit Schnappschüsse erhöhter neuronaler Aktivität. Traditionell werden diese Experimente an Gehirnschnitten durchgeführt, was bedeutet, dass tausende Schnitte gleichzeitig verarbeitet und analysiert werden müssen, um die Aktivität zwischen gesamten Gehirnen zu vergleichen. Als Konsequenz waren diese Ansätze stark hypothesengetrieben - das heißt, sie konzentrierten sich auf wenige ausgewählte Gehirnregionen.

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Für unsere Experimente haben wir einen abgeschirmten Raum errichtet, der visuelle, akustische und somatosensorische Stimulationen minimiert und durch 3D-Magnetspulen eine kontrollierte magnetische Umgebung erzeugt (Abb. 1). In einem Experiment erkunden Graumulle eine runde Arena, während wir die Richtung des umgebenden Magnetfeldes kontinuierlich ändern. Anschließend analysieren wir die Gehirne mit einer Clearing-Technologie namens iDISCO+ [1]. Hierbei werden alle IEG-positiven Neuronen im Graumullgehirn fluoreszent markiert und das Gehirn anschließend optisch transparent gemacht. Lightsheet-Mikroskopie ermöglicht die anschließende Visualisierung aller markierten Neurone im intakten Gehirn (Abb. 2, [2]). Die Software ClearMap [1] kartiert alle gefärbten Zellen und ordnet sie Regionen in einem von uns erstelltem Graumull-Standardgehirn zu. Die resultierenden Hirnkarten von magnetisch stimulierten und Kontrolltieren enthalten gemittelte aktivierte Neuronenanzahlen und Standardabweichungen und ermöglichen es uns, magnetisch aktivierte Hirnbereiche durch Voxel-Vergleiche zu identifizieren. Die Identifikation der Hirnregionen wird durch einen Graumull-Gehirnatlas unterstützt, den wir kürzlich veröffentlicht haben [3]. Um die Abdeckung zu maximieren, markieren wir verschiedene IEGs gleichzeitig mit Fluoreszenz verschiedener Wellenlängen im Rot- und Infrarotbereich.

In einem weiteren Projekt verfolgen wir das Ziel, die Magnetrezeptoren, also diejenigen Zellen zu identifizieren, die Magnetfelder in neuronale Signale umwandeln. Verhaltensexperimente stützen die Hypothese, dass die Magnetrezeptorzellen der Graumulle Nanokristalle des stark magnetischen Eisenoxids Magnetit enthalten [4]. Wir suchen daher gezielt nach Zellen, die einerseits Magnetit enthalten und andererseits mit dem Nervensystem verbunden sind. Die entsprechenden Analysen gleichen der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen, da bereits wenige 30-50 nm Magnetitkristalle gekoppelt an einen mechanosensitiven Ionenkanal als effektiver Magnetorezeptor fungieren könnten - wie können wir derart winzige Strukturen in den Millionen Zellen eines Graumulls ausfindig machen? Erkenntnisse aus Verhaltensversuchen und das Wissen um die beteiligten Hirnregionen dienen uns als Orientierungshilfe.

Mithilfe neuronaler Tracer möchten wir die Verbindungen zwischen magnetisch aktivierten Hirnbereichen und Zielgeweben in der Peripherie darstellen. Um nanometergroße Magnetitkristalle in diesen Zielgeweben zu finden, verwenden wir verschiedene Techniken, um magnetische Strukturen oder Eisen zu detektieren: (i) Quantitative Magnetresonanztomographie (ii) Synchrotron-Röntgenfluoreszenzmikroskopie [5], (iii) Elektronen-Paramagnetresonanzmikroskopie und (iv) Elektronenmikroskopie.

Zusammengefasst möchten wir mit unserer Forschung Erkenntnisse darüber gewinnen, wie ein Säugetier das Erdmagnetfeld wahrnimmt und für die Orientierung nutzt. Dieses Verständnis wird es uns erlauben, genauere Vorhersagen über die Wirkung anthroprogener Magnetfelder auf Lebewesen zu treffen. Zusätzlich erhoffen wir uns, die Rezeptortechnik kopieren und auf andere Organismen übertragen zu können, um die Aktivität von Nervenzellen mithilfe von Magnetfeldern gezielt beeinflussen zu können.

Magnetische Kristalle im menschlichen Gehirn: Ein versteckter Kompass?

Die Entdeckung magnetischer Kristalle im Gehirn von Tieren wirft die Frage auf, ob auch der Mensch über einen solchen Magnetsinn verfügt. Wissenschaftler haben tatsächlich magnetische Kristalle im menschlichen Gehirn nachgewiesen, insbesondere im Kleinhirn und im Hirnstamm. Interessanterweise sind diese Kristalle asymmetrisch zwischen der linken und rechten Gehirnhälfte verteilt.

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Asymmetrische Verteilung und Orientierung

"Das menschliche Gehirn nutzt Asymmetrien für die räumliche Orientierung, beispielsweise auch beim Hören", erläutert Christoph Schmitz. Die asymmetrische Verteilung der magnetischen Kristalle scheint daher dafür zu sprechen, dass der Mensch über einen potenziellen magnetischen Sensor verfügt. "Doch aller Wahrscheinlichkeit nach ist dieser Sensor viel zu schwach, um eine relevante biologische Funktion zu haben", sagt Christoph Schmitz. Welcher Art die magnetischen Kristalle sind, ist noch nicht klar: "Wir nehmen an, dass es sich um Magnetite handelt, können das zum derzeitigen Zeitpunkt aber noch nicht sicher sagen", sagt Stuart Gilder.

Frühere Studien und neue Erkenntnisse

Bereits in den 1980er Jahren diskutierten Neurowissenschaftler die Möglichkeit eines menschlichen Magnetsinns. Frühere Studien mit EEG-Messungen zeigten jedoch keine eindeutigen Ergebnisse. Mittlerweile stehen aber bessere Methoden zur Datenanalyse zur Verfügung, die neue Erkenntnisse ermöglichen.

Eine Studie von Joseph Kirschvink vom California Institute of Technology (Caltech) untersuchte die Auswirkungen wechselnder Magnetfelder auf die Gehirnaktivität von Probanden. Die Probanden wurden in einer abgedunkelten Aluminiumkammer platziert, die vor elektromagnetischer Strahlung abschirmte. Im Inneren der Kammer erzeugten Spulen schwache Magnetfelder, die dem Erdmagnetfeld ähnelten. Die Forscher maßen die Hirnaktivität der Probanden per Elektroenzephalografie (EEG).

Die Ergebnisse zeigten, dass bei einigen Probanden die Alpha-Wellen im Gehirn schwächer wurden, wenn sich das Magnetfeld änderte. Diese Alpha-Wellen stehen im Zusammenhang mit der Informationsverarbeitung im Gehirn. Die Forscher interpretierten dies als einen Beweis dafür, dass Menschen Veränderungen des elektromagnetischen Umfelds wahrnehmen können. Es zeigte sich jedoch auch, dass die Wahrnehmung dieser Veränderungen je nach Proband unterschiedlich ausfallen kann.

Mögliche Mechanismen des Magnetsinns

Noch ist unklar, auf welchen biochemischen Mechanismen der Magnetsinn beruht. Bei magnetotaktischen Bakterien bestehen die Magnetosomen aus winzigen Kristallen des magnetischen Eisenminerals Magnetit. In Schnäbeln von Vögeln und Fischmäulern fand sich ebenfalls Magnetit - und auch im menschlichen Gehirn.

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Die Wissenschaftler vermuten, dass sich im Menschen bestimmte Zellen befinden, die über Eisenkristalle verfügen. Diese Kristalle funktionieren wie eine Kompassnadel und weisen somit nach Norden oder Süden. Ähnliche magnetische Kristalle wurden bereits von Wissenschaftlern um Prof. Stuart A. Gilder und Prof. Christopf Schmitz von der Ludwig-Maximillian-Universität München nachgewiesen. Sie befinden sich ungleich verteilt zwischen den linken und rechten Gehirnhälften.

Forschungsprojekte und zukünftige Perspektiven

Die Erforschung des Magnetsinns beim Menschen steht noch am Anfang. Zukünftige Studien sollen klären, wie Drehungen des künstlichen Magnetfelds die Richtungserinnerung von Probanden beeinflussen. Andere Versuche sollen zeigen, ob sich magnetische Empfindungen nicht doch ins Bewusstsein rufen lassen.

Ein Forschungsprojekt am Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik IAF entwickelt neuartige Magnetfeldsensoren auf Basis von Stickstoff-Vakanz-Zentren (NV-Zentren) in Diamant. Mit dieser Technik sollen kleinste Magnetfelder, wie sie z.B. in neuronalen Netzen oder durch Gehirnströme entstehen, gemessen werden und so der medizinischen Diagnostik neue Türen öffnen.

Die Laserschwellen-Magnetometrie (LSM) ist ein weltweit neuer Forschungsansatz. Das Neue daran: Für die Entwicklung von hochpräzisen Laserschwellen-Magnetfeldsensoren soll mit Stickstoff-Vakanzen- (NV-) dotierter Diamant als Lasermedium eingesetzt werden. Die Stickstoff-Vakanz-Zentren sind atomare Systeme aus einem Stickstoff-Atom und einer Kohlenstoff-Fehlstelle in Diamant. Sie absorbieren grünes Licht und emittieren rotes Licht. Da die Leuchtkraft dieser NV-Zentren von der Stärke eines äußeren Magnetfeldes abhängt und die Zentren atomar klein sind, können sie genutzt werden, um Magnetfelder mit hoher lokaler Auflösung aber auch guter Empfindlichkeit zu messen.

Fazit: Ein sechster Sinn mit Potenzial

Die Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass der Mensch möglicherweise über einen rudimentären Magnetsinn verfügt, der auf magnetischen Kristallen im Gehirn basiert. Die genaue Funktionsweise und Bedeutung dieses Sinns sind jedoch noch weitgehend unbekannt. Zukünftige Studien und technologische Fortschritte werden hoffentlich weitere Einblicke in diesen faszinierenden Bereich der Neurowissenschaften ermöglichen. Sollte sich der Magnetsinn tatsächlich als relevant für den Menschen erweisen, könnten sich daraus in Zukunft vielfältige Anwendungen ergeben, beispielsweise in der Navigation, der Medizin oder der Therapie.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Forschung zu diesem Thema noch in einem frühen Stadium ist und viele Fragen offen bleiben. Die Ergebnisse sind jedoch vielversprechend und regen zu weiteren Untersuchungen an, um das volle Potenzial des menschlichen Magnetsinns zu verstehen.

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