Die Corona-Impfung hat sich als ein entscheidender Faktor im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie erwiesen und Leben gerettet. Dennoch gibt es in sehr seltenen Fällen Berichte über andauernde Krankheitssymptome nach der Impfung, die unter dem Begriff Post-Vac-Syndrom bekannt geworden sind. Dieser Artikel beleuchtet die möglichen Nervensymptome im Zusammenhang mit dem Post-Vac-Syndrom, die aktuellen Erkenntnisse zu Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten sowie die Bedeutung der Forschung auf diesem Gebiet.
Was ist das Post-Vac-Syndrom?
Das Post-Vac-Syndrom bezeichnet Beschwerden, die nach einer Impfung auftreten können. Obwohl der Begriff hauptsächlich im Zusammenhang mit COVID-19-Impfungen verwendet wird, können ähnliche Symptome auch nach anderen Impfungen auftreten, wie beispielsweise der Grippeschutzimpfung. Nach bisherigem Kenntnisstand tritt ein Post-Vac-Syndrom nur nach 0,01 bis 0,02 Prozent aller Impfungen auf. Das entspricht bei 176 Millionen verabreichten Impfdosen etwa 25.000 Post-Vac-Syndromen. Das Risiko für ein Post-Vac-Syndrom ist also sehr gering.
Nervensymptome im Fokus
Einige der beunruhigendsten Symptome im Zusammenhang mit dem Post-Vac-Syndrom betreffen das Nervensystem. Dazu gehören:
- Kribbeln und Taubheit in Armen und Beinen
- Muskelschwäche
- Lähmungserscheinungen
- Nervenschmerzen
Diese Symptome können das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) hervorrufen, eine seltene Nervenerkrankung, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Nerven angreift.
Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS)
Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine Nervenerkrankung, die in seltenen Fällen nach einer Virus- oder Bakterieninfektion auftreten kann. Mediziner gehen davon aus, dass es sich dabei um eine Autoimmunerkrankung handelt, bei der sich das Immunsystem irrtümlich gegen den eigenen Körper richtet. Im Fall des Guillain-Barré-Syndroms sind die Nerven betroffen, ein erstes Warnzeichen sind Kribbeln und ein Taubheitsgefühl in den Beinen, Armen oder im Gesicht. Es kann auch zu Lähmungserscheinungen führen, die sich von den Beinen nach oben hin ausbreiten. In schlimmen Fällen ist davon auch die Atmung betroffen, was die Erkrankung lebensbedrohlich macht. Die Betroffenen erhalten zur Therapie entweder hochdosiert intravenös Immunglobuline oder es erfolgt ein Blutreinigungsverfahren, bei dem die krankheitsauslösenden Autoantikörper herausgefiltert werden.
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Interessanterweise zeigt eine israelische Studie, dass nach einer SARS-CoV-2-Infektion das Risiko für die Nervenkrankheit um über das Sechsfache erhöht ist. Eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff kann es hingegen sogar senken. Auswertungen der Daten aus dem Zeitraum zwischen dem 27.12.2020 bis 31.8.2021 zeigen: Ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS) nach der Impfung gegen Covid-19 kann vorkommen, allerdings nur selten. Auch wurde es nur im Zusammenhang mit der Verwendung Vektor-basierter Vakzinen häufiger beobachtet als erwartet. Eine Impfung mit mRNA-Impfstoffen scheint das Risiko für GBS hingegen um mehr als die Hälfte zu verringern, wie eine israelische Studie aus dem Jahr 2023 zeigt.
Neuro-COVID: Wenn das Virus die Nerven angreift
SARS-CoV-2 kann auch neurologische Erkrankungen auslösen. Schon zu Beginn der Corona-Pandemie kamen Infizierte mit Symptomen in die München Klinik, die nichts mit der Atmung zu tun hatten. Schnell wurde klar, dass das Virus mehrere Organe und vor allem das Nervensystem in Mitleidenschaft ziehen kann.
Einige Menschen leiden in den Monaten nach einer Covid-Erkrankung selbst bei leichtem Verlauf noch unter neurologischen Problemen. Etwa 80% der Patientinnen, die mit einer Coronaviruserkrankung im Krankenhaus behandelt werden, haben neurologische Beschwerden. Viele Covid-19-Patientinnen entwickeln neurologische Beschwerden, die unter dem Begriff "Neuro-Covid" zusammengefasst werden. Anhaltende Erschöpfung, Schmerzen, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisprobleme und Schlafstörungen - nicht nur viele Intensivpatient*innen, sondern auch leicht Erkrankte leiden während und noch Monate nach einer Covid-19-Erkrankung unter Neuro-Covid. In extremen Fällen kommt es sogar zu demenzähnlichen Symptomen oder Psychosen.
Das Coronavirus Sars-CoV-2 kann auch das Nervensystem befallen. Riechstörungen, Erschöpfung und kognitiven Defiziten können die Folge sein. Covid-19 erhöht das Schlaganfallrisiko. Schwere neurologische Komplikationen wie Schlaganfälle und Hirnblutungen haben ihre Ursache in der Blutgerinnung. Störungen der Gerinnung sind bei Covid-19-Pneumonie eher die Regel als die Ausnahme und bilden eine eigene Entität der Covid-19-Erkrankung. Es bilden sich in der Folge Gerinnsel, die ischämische Schlaganfälle oder Embolien auslösen können.
Ursachenforschung: Was passiert im Körper?
Warum es nach der Corona-Impfung zu langandauernden Beschwerden kommt, ist noch nicht vollständig geklärt. Es gibt mehrere Theorien dazu, was bei einem Post-Vac-Syndrom im Körper passiert:
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- ACE2-Rezeptor: Forschende haben ein Molekül im Visier, das eine wichtige Rolle bei der Blutdruckregulierung spielt: ACE2. Dieses Protein ist außerdem ein Rezeptor für Coronaviren - darüber gelangen die Viren in die Zellen. Besonders viel ACE2 haben jüngere, sportliche Frauen - also diejenigen, die am häufigsten ein Post-Vac-Syndrom bekommen.
- Immunsystem: Das Immunsystem wird durch die Infektion, aber auch durch die Impfung, stark aktiviert. Dabei kann es zu überschießenden Reaktionen kommen. Es entstehen Autoantikörper, die körpereigenes Gewebe angreifen und so Autoimmunkrankheiten auslösen.
- Gestörte Immuntoleranz und Autoimmunität: Die Auslösung einer gestörten Immuntoleranz und damit einhergehender Autoimmunität nach der akuten Virusinfektion (Post-Covid) bzw. durch die Auseinandersetzung mit dem Impfantigen (Post- Vac). Dieser Mechanismus ist nicht spezifisch für SARS-CoV-2. Für viele Viren ist beschrieben, dass sie Trigger von Autoimmunerkrankungen sein können. Gleiches gilt für andere Vaccine.
- Mikro-/und makrovaskuläre thromboembolische Ereignisse und nicht reparierte Gewebeschäden
- Dysbiose des intestinalen Mikrobioms
- Reaktivierte Virusinfektionen, wie z.B. CMV, EBV oder andere Herpesviren
- Persistierende SARS-CoV-2-Viren oder freie Spike-Proteine in Geweben oder im Blut. Bisher ist unklar, inwieweit diese an der chronischen Entzündung oder der T-Zellaktivierung beteiligt sind.
Autoantikörper im Visier
Die Bildung von Autoantikörpern ist meist Folge einer gestörten Regulationsfunktion der T-Lymphozyten, v.a. der regulatorischen T-Zellen (Treg), in Kombination mit lokalen und systemischen Entzündungsprozessen. Verschiedene Autoantikörper (AAk), insbesondere aber antinukleäre Autonatikörper (ANA), wurden bei akuter COVID-19-Erkrankung nachgewiesen. Es gibt viele Hinweise darauf, dass das Vorhandensein von Autoantikörpern zum Zeitpunkt der COVID-19-Diagnose mit dem Auftreten von Post-COVID-Syndrom assoziiert ist.
Interessant sind Studien an Patienten mit verschiedenen Post-COVID-Symptomen, einschließlich neurologischer und kardiovaskulärer Symptome, die zeigten, dass bei allen Patienten AAk gegen verschiedene G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR) nachweisbar waren. Diese wirken als Rezeptoragonisten, v.a. im vegetativen Nervensystem. Einige dieser regulatorischen GPCR-AAk aktivierten ihre Zielrezeptoren und verursachten einen positiv chronotropen Effekt, wie es die natürlichen Liganden z.B. Angiotensin-2 oder Endothelin-1 tun würden. Andere wiederum verursachten einen negativen chronotropen Effekt. GPCR-AAk wurden mit zahlreichen Symptomen des kardiovaskulären, pulmonalen, intestinalen und zentralen Nervensystems sowie mit Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht und könnten auch bei der Entstehung von Post-COVID-Symptomen eine kausale Rolle spielen.
Ebenso wurde untersucht, ob ACE2-AAk dazu beitragen, Post-COVID auszulösen. ACE2, ein membrangebundenes Protein, ist der molekulare Rezeptor für das SARS-CoV-2-Virus. Interessant ist, dass die Konzentration des löslichen ACE2, aber auch der ACE2-AAk mit dem Schweregrad des Post-COVID-Syndroms korrelieren.
Persistierendes SARS-CoV-2 Spike-Protein
Frei zirkulierendes Spike-Protein steht im Verdacht, für die Entwicklung einer Myokarditis nach SARS-CoV-2 mRNA-Impfung mit ursächlich zu sein. Der Verdacht gründet auf einer Studie, die im Blut von geimpften Myokarditis-Patienten, nicht aber der ebenfalls geimpften Kontrollgruppe, freies Spike-Protein nachweisen konnte (Yonker LM. Circulation. 2023;147:867-876). Inwieweit sich diese Beobachtung auf die Infektion mit SARS-CoV-2 übertragen lässt und ob eine Assoziation mit dem Post-COVID-Syndrom hergestellt werden kann, ist bislang unklar.
Dysbiose des intestinalen Mikrobioms
Die Auswertung der in unserem Mikrobiomlabor untersuchten Stuhlproben bestätigt die wissenschaftliche Literatur, dass Patienten mit Post-Covid sehr häufig auffällige Erregerbefunde haben und zum Teil deutliche labordiagnostische Hinweise auf eine gestörte Darmpermeablität und intestinale Entzündung. Es ist bisher nicht klar, ob eine vorbestehende Dysbiose für ein Post-COVID prädisponiert oder ob die Veränderungen sekundär bzw. parallel zur Krankheitsentwicklung eintreten. In jedem Fall ist es aber so, dass die verminderte Diversität, das Ungleichgewicht zwischen pro- und antientzündlichen Erregern und eine gestörte Darmbarriere zur Persistenz der systemischen Inflammation und der Störung der Immuntoleranz führen.
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Diagnose des Long-Covid-Syndroms
Nach einer durchgemachten Covid-19-Infektion kann es zu anhaltenden und z.T. dauerhaften neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen kommen. Wenn diese über einen Zeitraum von mehr als 3 Monaten nach der Akutinfektion bestehen spricht man von einem Long-Covid-Syndrom oder Post-Covid-Syndrom. Auch im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung gegen Covid-19 wurde das Auftreten von verschiedenen neurologischen Erkrankungen wie z.B. Hirnnervenausfällen, Nervenentzündungen (Polyneuritis) und Muskelerkrankungen (Myopathien) beschrieben. Die genauen Zusammenhänge sind Gegenstand aktueller Forschung.
Es kann im Rahmen der Covid-19-Infektion zu einer Gehirnentzündung (Enzephalitis) mit nachfolgender Verminderung der Hirnleistungsfähigkeit kommen. Dies äußert sich in verstärkter Müdigkeit (Fatigue), Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Verminderung des Antriebs, aber auch Depressionen sowie Schlafstörungen, neurologischen Ausfällen am Körper und selten auch epileptischen Anfällen. Im Bereich der peripheren Nerven kann es zu einer Entzündung vieler Nerven (Polyneuritis) mit Taubheitsgefühlen, Lähmungen überwiegend an den Extremitäten und Schmerzen (Burning-Hands- und Burning-Feet-Syndrom) überwiegend nächtlich und seltener zu einem Guillain-Barré-Syndrom mit schnell aufsteigenden Taubheitsgefühlen und Lähmungen kommen. Sehr häufig ist auch das Auftreten von Riechstörungen (bei mehr als 85% der Patienten). Auch Lähmungen einzelner Hirnnerven (wie z.B. Gesichtslähmung), Lähmungen der Nervengeflechte (Plexopathien), Muskelentzündungen (Myositis) und Muskelschwund (Rhabdomyolyse) wurden beschrieben. Auch können Polyneuropathien (siehe Kapitel auf dieser Webseite zu Polyneuropathien) im Rahmen einer Covid-19-Infektion erstmalig auftreten und z.T. dauerhaft bestehen bleiben. Vorbestehende Polyneuropathien können sich nach einer Covid-19-Infektion auch verschlechtern.
Notwendig ist eine umfassende neurologische und psychiatrische Untersuchung auch unter Anwendung der diagnostischen Methoden EEG, Kernspintomografie des Schädels und/oder der Wirbelsäule, Messung der Nervenleitgeschwindigkeiten und Elektromyografie (EMG) sowie neuropsychologischer Testung und umfangreicher laborchemischer Untersuchungen.
Behandlungsmöglichkeiten
Laut Medizinern sind die Beschwerden nach der Impfung heilbar - man muss aber Geduld aufbringen. Es gibt ein Therapieverfahren, das krankmachende Bestandteile des Immunsystems aus dem Blut fischen kann: die Immunapherese, eine Art Blutwäsche. Diese Therapie wird mancherorts durchgeführt, obwohl es dafür bislang keinen wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis gibt.
Nervenentzündungen und Nervenausfälle können mit Cortisonstoß-Therapie oder Anwendung von Immunglobulinen oder in schweren Fällen auch durch Plasmaaustausch behandelt werden und werden zusätzlich physiotherapeutisch und mittels Akupunktur oder auch medikamentöser Schmerztherapie, falls notwendig, behandelt. Depressionen, Antriebsstörungen, Schlafstörungen können psychotherapeutisch, medikamentös oder mittels Elektrostimulationen (rTMS und TDCS) am Gehirn gebessert werden. Müdigkeitssyndrome und Konzentrationsstörungen können mittels psychologischer Therapie (kognitives Training), medikamentös oder zusätzlich mittels Elektrostimulationen am Gehirn (rTMS oder TDCS) gebessert werden.
Die Rolle der Forschung
Die Erforschung des Post-Vac-Syndroms steht noch am Anfang. Um die Ursachen besser zu verstehen und wirksame Therapien zu entwickeln, sind weitere Studien unerlässlich. Die Universität Marburg bereitet mit dem PEI eine deutschlandweite Erhebung vor, mit dem Ziel, „die Menschen mit einem erhöhten Risiko für Post-Vac vor der nächsten Impfkampagne im Herbst herauszufiltern und diese Menschen dann zu schützen“. Auch das PEI bestätigte, dass eine Studie geplant sei, in der lang andauernde Beschwerden nach COVID-19-Impfung, die mit chronischer Müdigkeit einhergehen, charakterisiert werden sollen. Zudem sind Forschende auf der Suche nach pathophysiologischen Mechanismen, analog zum Post-COVID-19-Syndrom.
Wichtig zu betonen
Die Impfungen sind hochwirksame medizinische Maßnahmen, die in sehr seltenen Fällen krank machen können. Dennoch ist die Corona-Impfung viel ungefährlicher als eine Infektion mit Sars-CoV-2 ohne Impfschutz. Das Risiko für starke Nebenwirkungen ist nach einer durchgemachten Covid 19-Erkrankung sehr viel höher als nach der Impfung - das belegt auch eine Studie aus Israel.
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