Demenz ist eine fortschreitende Erkrankung, die das Gedächtnis, das Denkvermögen und die Orientierung beeinträchtigt. Allein in Deutschland sind über 1,55 Millionen Menschen an Demenz erkrankt, weltweit sogar mehr als 46,8 Millionen. Die Diagnose Demenz stellt Betroffene und Angehörige vor enorme Herausforderungen. Umso wichtiger ist es, therapeutische Ansätze zu finden, die den Alltag von Demenzkranken erleichtern und ihre Lebensqualität verbessern. Ein vielversprechender Ansatz ist die Kunsttherapie, insbesondere das Malen nach Zahlen.
Die heilende Kraft der Kunst bei Demenz
Die Begegnung mit Kunst im Alltag kann verborgene Erinnerungen wecken und der Vergesslichkeit entgegenwirken. Seniorenheime und Betreuungseinrichtungen bieten daher vermehrt kreative Kurse an, in denen Kunsttherapeuten speziell für den Umgang mit Demenzkranken geschult sind. Doch auch Angehörige können gemeinsam mit Betroffenen zum Pinsel greifen und die positiven Effekte der Kunst nutzen.
Kunst hat nicht nur für Menschen mit Demenz positive Eigenschaften wie Entspannung, Meditation und Konzentration. Studien belegen, dass auch zurückgezogene Senioren durch Kunstkurse ihre Antriebslosigkeit und Schwermut ablegen und sich wieder öffnen. Das Gefühl, nützlich zu sein und etwas Kreatives geschaffen zu haben, stärkt ihr Selbstbewusstsein und erfüllt sie mit Stolz.
Ein weiterer Vorteil der Kunsttherapie ist die Aktivierung der motorischen Fähigkeiten. Teils werden sie neu erlernt, teils kommen längst vergessene Fähigkeiten wieder zurück - und mit ihnen auch die Erinnerung. Farben und Formen können ebenfalls als "Erinnerungswecker" dienen. Die Farbe Blau kann beispielsweise die Erinnerung an einen Urlaub am Meer hervorrufen, ein Kreis die Erinnerung an das Ballspiel in der Kindheit. Öffnet sich ein solches Erinnerungsfenster, erzählen die meisten Betroffenen von ihren Erinnerungen und lassen ihre dabei ausgelösten Empfindungen und Gefühle in ihr Bild einfließen.
Gerade bei der Arbeit mit Demenzkranken ist die Kunst ein Schlüssel zum Erfolg. Besonders bei Patienten mit herausforderndem Verhalten kann auf diesem Wege eine emotionale Bindung geschaffen werden. Zusätzlich erfahren Sie mehr über das Leben der Betroffenen, lernen sie besser kennen - und verstehen.
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Malen nach Zahlen: Eine einfache und effektive Methode
Malen nach Zahlen ist eine besonders geeignete Methode für Menschen mit Demenz, da sie klare Strukturen und Anleitungen bietet. Die vorgegebenen Felder mit den entsprechenden Zahlen helfen den Betroffenen, sich zu orientieren und die richtige Farbe auszuwählen. Dies fördert die Konzentration und Feinmotorik, ohne zu überfordern.
Studien und Forschungen deuten darauf hin, dass die Verwendung von Malen nach Zahlen für Alzheimer-Patienten potenzielle Vorteile bietet:
- Fokus: Beim Malen konzentrieren wir uns darauf, die richtige Farbe und die richtigen Pinselstriche zu erzielen.
- Ausdruck: Wie bereits erwähnt, fällt es Demenzpatienten schwer, sich auszudrücken, was sie bei kleinen Dingen irritieren und wütend machen könnte.
- Aktivität: Da Demenz zu Sprach- und Mobilitätsproblemen führt, ist Malen eine gute Möglichkeit, aktiv zu bleiben und das Gehirn zu trainieren.
- Motivation: Nach Fertigstellung des Malen nach Zahlen Kunstwerks ist das Gefühl der Zufriedenheit über die erbrachte Leistung groß. Das Gemälde wird den Patienten helfen, sich motiviert zu fühlen, das Endergebnis zu sehen und dann stolz auf ihre Kreation zu sein.
Tipps und Anregungen für die Maltherapie mit Demenzkranken
Es gibt viele verschiedene Herangehensweisen bei der Arbeit mit Senioren und mit demenzkranken Menschen. Finden Sie für sich den besten und richtigen Weg. Wichtig ist, vor Ort die jeweilige Situation individuell einzuschätzen und stets all Ihre gesammelten Erfahrungen mit einfließen zu lassen.
Hier sind einige Tipps und Anregungen, die Sie gerne in Ihre Arbeit mit einbeziehen können:
- Teilnehmeranalysen: Die Gesundheit der einzelnen Teilnehmer steht immer im Vordergrund. Bei dem ersten Aufeinandertreffen hilft ein Orientierungsbogen. Gibt es gesundheitliche Einschränkungen? Wie motorisch kann noch gehandelt werden? Welche Farben/Maltechniken werden bevorzugt? Sind Vorkenntnisse vorhanden?
- Realistische Stundenziele: Setzen Sie sich realistische Stundenziele und nehmen Sie sich ausreichend Zeit. Vermeiden Sie es, den Teilnehmern ein Gefühl von Stress zu vermitteln. Berücksichtigen Sie die Vorlieben und Abneigungen eines jeden Patienten. Schließlich sollen die Malstunden in erster Linie Spaß und Freude bereiten. Möchte ein Demenzkranker einmal vom Konzept abweichen, so lassen Sie diese kreativen Freiräume zu.
- Abwechslungsreiche Projekte: Ziel sind abwechslungsreiche und auf die Patienten abgestimmte Projekte. Beziehen Sie die Teilnehmer daher in die Ideensammlung mit ein. So fühlen sie sich noch nützlicher! Werfen Sie ein Thema in den Raum - wie z.B. "Frühling" - und notieren Sie, was daraufhin genannt wird.
- Akzeptanz von Ideen: Manche Ideen sind vielleicht nicht umsetzbar. Oder unrealistisch. Trotzdem soll sich keiner benachteiligt fühlen, wenn seine Idee nicht angenommen wird.
- Materialauswahl: Nutzen Sie hierfür den Orientierungsbogen. Ist der Patient körperlich beeinträchtigt? Dann verwenden Sie nur gut greifbare Materialien, Hilfsmittel und Werkzeuge. Braucht der Patient verbale Unterstützung?
- Kennenlernen: Wenn Patienten in dieser Konstellation das erste Mal aufeinander treffen, beginnen Sie mit einer Begrüßungsrunde. Jeder Patient stellt sich selbst vor - ggf. mit Ihrer Unterstützung. Ein gegenseitiges Kennenlernen ist für die Befriedigung der sozialen Bedürfnisse besonders wichtig. Eine Idee: Bauen Sie einen Bezug zum Thema auf. Lassen Sie die einzelnen Teilnehmer z.B. erzählen, welchen Künstler oder welche Kunstrichtung sie besonders mögen. So aktivieren Sie direkt zu Beginn Erinnerungen und regen das Gedächtnis an. Und mit Humor bei der Kennenlernphase sinken die Hemmschwellen.
- Rituale: Geben sie ihrem Kurs einen festen Rahmen: Beginnen Sie jede Stunde mit einem Ritual. Lesen Sie ein Gedicht, Vers oder Spruch vor. Oder singen sie mit Ihrer Gruppe gemeinsam ein kleines Lied. Das unterstützt einen hemmungsfreien Einstieg. Zusätzlich hilft das Ritual den Patienten, sich zu Erinnern. Es dient als Signal, gleich kreativ werden zu dürfen. Schöne Rituale steigern darüber hinaus die Vorfreude auf die nächste Stunde.
- Lob: Jeder wird gerne gelobt! Grade bei der Arbeit mit Demenzkranken ist es besonders wichtig, immer wieder zu loben. Betonen Sie, dass etwas gut gemacht wird oder besonders schön ist. Das motiviert und steigert das Selbstwertgefühl. Weisen Sie nicht auf „Fehler“ hin. Jeder hat mal einen schlechten Tag und es wird sicher auch mal jemand mit schlechter Laune an Ihrem Kurs teilnehmen. Ein paar aufbauende Worte und Akzeptanz wirken hier wahre Wunder. Hat ein Patient jedoch wirklich einmal keine Lust, dann zwingen Sie ihn nicht.
- Strukturierung: Gliedern Sie die Projekte in einzelne Schritte und Sinneinheiten. Gestalten Sie z.B. erst einmal nur den Hintergrund. In der nächsten Stunde widmen Sie sich dann einem Motiv. Während des Malens hilft eine detaillierte Schritt-für-Schritt-Anleitung. Sagen Sie die einzelnen Schritte immer wieder laut an. Löst sich jemand aus diesem Diktat, lassen Sie ihn gewähren. Richten Sie die Anforderungen nach den Teilnehmern und vermeiden Sie Überforderung. Greifen Sie ggf. auf Vorzeichnungen oder Ausmalbilder zurück. Arbeiten sie nicht mit zu vielen Farben gleichzeitig. Fragen Sie lieber gezielt danach, welche Farbe gewünscht wird. Das steigert die Entscheidungsfreiheit des Demenzkranken. Er hat die Chance, sich aktiv zu beteiligen und das Bild wird persönlicher.
- Reflexion: Nehmen Sie sich Zeit und reflektieren Sie über die einzelnen Gruppenmitglieder. Wie war die Körperhaltung in der Stunde? War der Gesichtsausdruck entspannt oder angespannt? Haben Sie Freude wahrgenommen? Waren die Bewegungen flüssiger als beim letzten Mal? Diese Informationen zeigen Fortschritte auf und tragen dazu bei, in der nächste Stunde noch individueller auf die Teilnehmer eingehen zu können.
- Materialien: Bitte berücksichtigen Sie, dass Ihre Teilnehmer Farben und Malutensilien eventuell in den Mund nehmen. Nutzen Sie daher ausschließlich gesundheitlich unbedenkliche Materialien, wie sie auch bei der Arbeit mit Kindern verwendet werden. Stimmen Sie das Material individuell auf jeden einzelnen Teilnehmer ab. Berücksichtigen Sie dabei besonders die motorischen Einschränkungen. Verzichten sie auf filigrane Bastelarbeiten. Greifen Sie stattdessen zum großen Pinsel. Hat dieser einen langen Stiel, können Sie daran auch Hilfestellungen oder Bewegungsanregungen geben. Besonders gut für die Arbeit mit Demenzkranken eignen sich Spritz- und Stempeltechniken sowie großflächige Mal- und Zeichentechniken.
- Musik: Musik lockert, beruhigt und entspannt. Eigenschaften, die der Kunst und Kreativität zu Gute kommen. Natürlich ist es abhängig von den Teilnehmern, der Stimmung und den Launen. Beziehen Sie die Demenzpatienten in die Projektfindung mit ein. Geben Sie ein Thema vor und brainstormen Sie dann gemeinsam. Sehr beliebte Themen und realistische Projekte sind an Jahreszeiten und die Natur geknüpft. Bunte Blätter St. Wenn sie mit Senioren in Heimen arbeiten, dann greifen Sie gerne auch Heimthemen auf. Nehmen Sie z.B.
Weitere kreative Beschäftigungen für Menschen mit Demenz
Neben dem Malen nach Zahlen gibt es eine Vielzahl weiterer kreativer Beschäftigungen, die für Menschen mit Demenz geeignet sind:
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- Basteln mit Naturmaterialien: Nehmen Sie den Wechsel der Jahreszeiten als Anlass, um passende Dekoration zu basteln. Bringen Sie dafür ein paar Dinge aus der Natur mit (Tannenzapfen, Blumen, Kastanien, usw.). So stellen Sie beim Basteln einen Bezug zur Außenwelt her und fördern gleichzeitig die biografische Erinnerung.
- Musizieren und Singen: Musikhören ist für viele Menschen mit Demenz ideal, denn bekannte Schlager aus der Jugendzeit stimulieren fröhliche Erinnerungen und können die Stimmung aufhellen. Bekannte Lieder zu singen, dazu zu musizieren oder den Takt zu schlagen funktioniert selbst dann, wenn der Betroffene nicht mehr sprechen kann. Außerdem stellt sich beim Tanzen und gemeinsamen Singen schnell ein Gemeinschaftsgefühl ein. Der Isolation und dem Rückzug wird so Einhalt geboten.
- Erinnerungsalben: Wenn sich Menschen mit Demenz an Beziehungen mit lieben Menschen oder lebensgeschichtliche Ereignisse erinnern, trägt dies zu ihrem Wohlbefinden bei und sie fühlen sich wieder stärker in ihrer Identität. Besonders gut funktioniert das Wecken von Erinnerungen mit Erinnerungsalben. Darin sammeln Sie Fotos und andere Erinnerungsstücke aus dem Leben der demenzerkrankten Person. Stellen Sie als Pflegender oder Angehöriger konkrete Fragen zur Kindheit oder Jugend des Demenzerkrankten. Zum Beispiel zu wichtigen historischen Ereignissen aus dieser Zeit.
- Vorlesen: Gerade bei fortschreitender Demenz fällt es vielen Betroffenen schwer, noch selbst zu lesen. Zuhören fördert die Durchblutung im Gehirn. Vorlesen kann für Menschen mit Demenz genauso aktivierend sein wie Kopfrechnen für einen gesunden Menschen.
- Bewegung: Bewegung regt den Kreislauf an, fördert Sinneserfahrungen und bringt Freude. Deshalb sind Spaziergänge und Ausflüge immer eine sinnvolle Beschäftigung. Chaotische, laute Umgebungen sind ungeeignet, weil sie zu Verwirrung und Stress führen. Ideal sind hingegen Orte, die dem Demenzerkrankten immer schon gefallen haben oder einen biografischen Bezug bieten.
- Snoezelen: Sehr bekannt ist auch das „Snoezelen“. Dabei werden gezielt unterschiedliche Sinne aktiviert und stimuliert. Oft haben Demenzerkrankte unruhige Hände, die ständig nach etwas zum Befühlen suchen.
- Spiele: Es gibt Spiele, die speziell für Demenzerkrankte entwickelt wurden. Sie sollen gezielt motorische Fähigkeiten trainieren oder den Spaß am Raten und am Gedächtnistraining bei Demenz wecken. Daneben können Sie Ihren demenzerkrankten Angehörigen aber auch mit herkömmlichen Spielen herausfordern und beschäftigen. Am besten eignen sich dazu Spiele, die von Kindheit an vertraut sind, wie Würfelspiele oder Mensch ärgere Dich nicht. Achten Sie darauf, dass das Spielen nicht zu Leistungsdruck führt. Variieren Sie die Spielregeln lieber, als zu konsequent auf deren Einhaltung zu achten und Ihren demenzerkrankten Spielpartner damit zu verunsichern.
Wichtige Aspekte im Umgang mit Demenzkranken
- Beachten Sie das Stadium der Demenz: Überforderung bewirkt negative Reaktionen.
- Gehen Sie auf persönliche Vorlieben und Abneigungen ein: Die Beschäftigung sollte Spaß machen.
- Respektieren Sie die Entscheidung des Demenzerkrankten: Lassen Sie es zu, wenn der Erkrankte nicht selbst aktiv werden möchte, sondern lieber beobachtet.
- Tolerieren Sie „Fehler“: Schimpfen Sie auf keinen Fall, wenn etwas nicht funktioniert.
- Vermeiden Sie Leistungsdruck: Es sollte nicht Ihr Ziel sein, Menschen mit Demenz durch die Beschäftigung herauszufordern und sie vor schwierige Aufgaben zu stellen. Demenz lässt sich nicht „wegtrainieren“. Deshalb muss ein Demenzerkrankter auch nichts unter Beweis stellen.
- Schaffen Sie eine positive Atmosphäre: Dinge zu entdecken, sich zu erinnern und kleine Herausforderungen zu meistern ist wichtiger als der Wettbewerb um den Sieg.
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