Morbus Behçet: Neurologische Symptome und Ursachen

Das Behçet-Syndrom ist eine seltene, chronisch-entzündliche Systemerkrankung, die durch eine Vaskulitis variabler Größe gekennzeichnet ist und mehrere Organsysteme betreffen kann. Die Erkrankung manifestiert sich aufgrund genetischer Prädisposition vor allem in den Regionen entlang der Seidenstrasse und weist eine heterogene Krankheitsausprägung auf, was die Diagnose komplex gestaltet.

Epidemiologie und Pathophysiologie

Das Behçet-Syndrom ist in wesentlichen Industrienationen eine seltene Erkrankung. In der Schweiz beträgt die Prävalenz 4,03/100000 Einwohner:innen in der Gesamtbevölkerung. Betrachtet man jedoch ausschliesslich Bevölkerungsgruppen, deren Herkunftsland mit hohen Prävalenzzahlen assoziiert ist, wie bspw. die Türkei oder den Iran, so steigt diese Zahl auf 19,5/100000. Es handelt sich vornehmlich um eine Erkrankung des jungen Erwachsenen, allerdings können auch Kinder und seltener ältere Menschen jenseits des 65. Lebensjahres erkranken. Männer sind in den meisten Ländern häufiger (und oft auch mit schwereren Organbeteiligungen) betroffen als Frauen.

«Bis dato ist das Behçet-Syndrom pathophysiologisch noch nicht gut verstanden», erläuterte PD Dr. med. Christof Iking-Konert. Es ist an genetische und umweltspezifische Faktoren geknüpft, die zu den regionalen Schwankungen der Prävalenz und der Krankheitsausprägung beitragen. Neben Schadstoffbelastung sind möglicherweise Infektionserreger wie das Herpes-simplex-Virus sowie Streptococcus sanguinis mit dem Ausbruch der Erkrankung assoziiert. Es wird vermutet, dass genetische Faktoren und eine Herabsetzung der Funktion regulatorischer T-Zellen eine wichtige Rolle spielen.

Genetische Prädisposition

Mit HLA-B51 haben wir einen genetischen Marker, der zwar prädisponierend für das Behçet-Syndrom ist, aber aufgrund seiner Häufigkeit in den Hochprävalenzregionen nicht für die Diagnose geeignet ist. Weder der Nachweis von HLA-B51 noch das Fehlen beweisen ein Behçet-Syndrom bzw. nicht.

Klinische Manifestationen

Das Behçet-Syndrom kann den gesamten Gefäßbaum betreffen - von der Aorta über die kleinen Gefäße bis hin zu den größten Venen. Da beim Behçet-Syndrom eine generalisierte (systemische) Gefäßentzündung vorliegt, können prinzipiell alle (mit Gefäßen versorgte) Organsysteme des Körpers betroffen werden. Allerdings lassen sich häufige von weniger häufigen Organbeteiligungen unterscheiden.

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Klinisch stehen die Entzündung von Haut und Schleimhaut sowie die Manifestation an den Augen im Vordergrund. Gelenk und/oder Muskelbeschwerden führen die Patienten häufig das erste Mal zum Rheumatologen.

Kardinalsymptome

Die Dermatologie ist eine prädestinierte Disziplin, um die Erkrankung zu diagnostizieren: In nahezu 100% der Fälle weisen die Betroffenen rezidivierende orale Ulzera in Form von Aphthen auf, in 80% genitale Ulzera. Damit gelten diese als die Kardinalsymptome des Behçet-Syndroms. Die Ursachen oraler Ulzerationen sind jedoch vielfältig und das Behçet-Syndrom ist selten.

Hauptmerkmal der Erkrankung ist die Bildung von Geschwüren im Mund (=orale Aphthen), an der praktisch alle Patienten leiden. Das sind häufig wiederkehrende, schmerzhafte offene Stellen im Mund, z.B. auf der Innenseite der Lippen und Wangen, aber auch auf und unter der Zunge und im Rachen. Bei oralen Aphthen handelt es sich um glatt begrenzte, zumeist querovale Geschwüre der Mundschleimhaut. Typischerweise finden sich Aphthen nicht nur im Bereich der Unterlippe, an den Wangenschleimhäuten und an der Zunge, sondern auch in den hinteren Abschnitten der Mundhöhle, sowie an Rachen und Gaumen.

Bei den genitalen Aphthen handelt es sich um Geschwüre der genitalen Schleimhäute. Die Geschwüre sind nicht ansteckend. Es handelt sich weder um eine Geschlechtserkrankung, noch ist eine ungenügende Hygiene dafür verantwortlich.

Weitere häufige Symptome

Rund die Hälfte der Behçet-Patient:innen entwickelt daneben eine Augenbeteiligung. Diese tritt bei den meisten Betroffenen innerhalb von zwei Jahren nach der Erstuntersuchung ein. Vor allem bei Männern kann diese okuläre Manifestation gravierend verlaufen, bis hin zum Verlust der Sehkraft. Meist handelt es sich dabei um eine Uveitis posterior (also des hinteren Augenabschnitts), oder eine retinale Vaskulitis. Eine Kombination aus beidem ist ebenfalls häufig.

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Das dritthäufigste Symptom sind Hautveränderungen, die äußerst unterschiedlich aussehen können. Dabei am häufigsten sind die sogenannten „Papulopusteln“, akne-ähnliche Veränderungen, die aber an für Akne untypischen Stellen (also ausserhalb von Gesicht, Brust und Rücken) und in einem für Akne untypischen Alter (außerhalb der Pubertät) auftreten. Der Inhalt dieser eitrig aussehenden Pusteln ist steril (er enthält keine krankheitserregenden Keime). Hierbei handelt es sich um eitrige Bläschen an der Haut. Typischerweise sind die Bläschen steril (d.h. frei von Bakterien). Oft bilden sich derartige Papulopusteln nach mechanischen Reizen (das nennt man dann „Pathergie-Phänomen“, das ist bei ca. 30% aller Patienten positiv und wird oft gezielt mit einem Nadelstich in die Unterarm-Innenseite überprüft).

Ausserdem kommt relativ häufig ein sogenanntes Erythema nodosum vor, hierbei handelt es sich um gerötete, verhärtete, überwärmte Hautareale, die äußerst druckschmerzhaft sind. Das Erythema nodosum beim Behçet-Syndrom tritt zumeist an den unteren Extremitäten (Beine) auf und ist meist multipel (das heisst, es treten viele Herde gleichzeitig auf). Das Behçet‑typische Erythema nodosum ist eher klein im Durchmesser (2-4 cm) und tritt bevorzugt im Bereich der streckseitigen Unterschenkel auf. Die rötlich‑violetten, erhoben tastbaren Verhärtungen sind in der Regel deutlich (druck‑) schmerzhaft und heilen zumeist spontan nach etwa 3 Wochen aus.

Relativ häufig (ca. 70% aller Patienten) ist auch eine Gelenkbeteiligung in Form einer Oligoarthritis (Oligo heisst, es sind maximal 5 Gelenke betroffen), die meist die Füße oder Knie betrifft und im Röntgenbild keine Veränderungen hinterlässt (nicht-erosiv). Die Gelenkbeteiligung kann ebenfalls sehr unterschiedliche Formen annehmen. Am häufigsten finden sich unspezifische Arthralgien (Gelenkschmerzen). Liegt eine Arthritis (Gelenkentzündung) vor, dann handelt es sich zumeist um eine nicht erosive (die knorpeligen und knöchernen Strukturen nicht zerstörende) Oligoarthritis (d.h. weniger als 4 Gelenke erfassend, zumeist asymmetrisch verteilt) vor. Daneben existieren aber auch Tenosynovitiden (Entzündungen der Sehnenscheiden) und Enthesitiden (Entzündungen der Sehnenansätze). Verhältnismässig selten kommt es zu einer Sacroiliitis, einer Entzündung am Kreuzbein-Darmbein-Gelenk.

Schließlich gibt es Gefäßbeteiligungen in Form von Thrombophlebitiden, das sind oberflächliche Venenentzündungen, die sich als druckschmerzhafter, tastbarer Strang äußern, Thrombosen (auch Lungenembolien) und arteriellen Gefäßverschlüssen sowie Aneurysmen. Hierbei kommt es zu einer Entzündung oberflächig verlaufender Venen. Ein Aneurysma ist eine Gefäßaussackung, die sich aufgrund der Entzündung und daraus folgenden Schädigung der Gefäßwand ausbildet. Aneurysmen kommen bevorzugt an Beingefäßen oder Lungengefäßen vor. Das größte Problem ist hierbei die Blutung, wenn das Aneurysma, das eine sehr schwache Wand hat, reißt („Ruptur“).

Seltenere Symptome

Weitere, seltenere Symptome des Behçet-Syndroms sind:

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  • eine gastrointestinale Beteiligung mit aphthösen Ulzerationen ähnlich wie bei M. Crohn
  • eine neurologische Beteiligung vor allem mit Zeichen einer (sterilen) Hirnhautentzündung (Meningitis) und verschiedenen durch arterielle und venöse Gefäßverschlüsse bedingten Durchblutungsstörungen mit den Symptomen eines Schlaganfalls
  • Nebenhodenentzündungen (Epididymitis)
  • und extrem selten Herzbeteiligung (Herzinfarkte) und Nierenbeteiligung (Nierenentzündung = Glomerulonephritis).

Diese Symptome treten bei maximal 10 % der Patienten meist im späteren Verlauf der Erkrankung auf.

Neurologische Manifestationen

Bei etwa 5 bis 10 % der Patienten entwickeln sich einige Jahre nach Beginn der Erkrankung auch Manifestationen des zentralen Nervensystems. Unterschieden wird die mit etwa 72 % der Fälle häufigere parenchymale Manifestationsform und die nicht parenchymale Erscheinungsform in etwa 11,7 % der Fälle. Interessanterweise kommen beide Formen offenbar nie gemeinsam vor. Chronische Kopfschmerzen sind das häufigste ZNS-Symptom. Unspezifische Symptome wie migräneartige Kopfschmerzen kommen zwar relativ häufig vor, sind allerdings meist schwierig einzuordnen. Verhaltensauffälligkeiten, psychotische Syndrome und Beteiligung des peripheren Nervensystems werden eher selten beobachtet.

Im Zusammenhang mit parenchymalen ZNS-Manifestationen ist in der Regel ein subakut auftretendes Hirnstammsyndrom mit einer sehr vielfältigen Symptomatik zu beobachten. Dies kann sich darstellen als partieller oder vollständiger Funktionsverlust einzelner oder mehrerer Hirnnerven, Dysarthrie, Stammgangliensymptomatik, Pyramidenbahnzeichen oder Kleinhirnzeichen. Ist die Großhirnhemisphäre betroffen, finden wir auch Hemiparesen, sensorische Störungen und Krampfanfälle. Wenn das Rückenmark betroffen ist, kommt es häufig zu Paraplegien auf dem Boden einer akuten transversen Myelitis oder eines Brown-Séquard-Syndroms. Zu beobachten sind eine ipsilateral gestörte Sensomotorik, kontralaterale Schmerz- und Temperaturmissempfindungen oder auch komplex vegetative Störungen, unter anderem Sphinkterstörungen mit Inkontinenz oder Potenzproblemen.

Diagnose

Die mittlere Dauer vom ersten Auftreten der Symptome bis zur Diagnosestellung beträgt 5,3 Jahre - die Diagnose ist tendenziell langwieriger bei Patient:innen mit ausschliesslich mukokutanen Läsionen (1,13±2,4 Jahre) als bei denen mit schwererwiegender Organbeteiligung (0,88±1,9 Jahre).

Da es sich beim Behçet-Syndrom um eine Systemerkrankung handelt, die potenziell jedes Organ betreffen kann, ist das klinische Bild sehr variabel. Nach wie vor erfolgt die Diagnosestellung des Behçet-Syndroms in Ermangelung pathognomonischer Laborparameter anhand der klinischen Manifestationsform, daher ist deren Kenntnis außerordentlich wichtig. Die Diagnose des Morbus Behçet erfolgt ausschließlich klinisch anhand charakteristischer Symptomkonstellationen, da spezifische Laborparameter oder bildgebende Verfahren fehlen.

Zur Diagnosefindung können unter anderem die Klassifikationskriterien der Internationalen Studiengruppe (ISG) hilfreich sein. Demnach müssen neben rezidivierenden oralen Ulzera mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllt sein: rezidivierende genitale Ulzera, Augenläsionen, Hautläsionen oder ein positives Ergebnis im Pathergietest. Seit 2014 bieten die ICBD (International Criteria for Behçet’s Disease) mit einem Punktesystem Unterstützung bei der Diagnosestellung.

Bei den Laboruntersuchungen fallen erhöhte Entzündungswerte auf (Blutsenkungsgeschwindigkeit, CRP). Erkrankungsspezifische Laborwerte existieren nicht.

Differenzialdiagnose

Klinisch ist besonders die Abgrenzung zur einfachen rezidivierenden Aphthose wichtig: Bei Morbus Behçet sind die Läsionen typischerweise schwerer, schmerzhafter und treten häufiger auf.

Therapie

Die Behandlung des Behçet-Syndroms sollte sich an den Empfehlungen der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR) von 2018 orientieren. Ein grosses Problem ist, dass die verfügbare klinische Evidenz zu den verschiedenen Manifestationen des Behçet-Syndroms sehr lückenhaft ist. Die Therapie richtet sich vor allem nach der im Vordergrund stehenden Symptomatik und muss im guten Zusammenspiel verschiedener Fachärzte erfolgen, insbesondere Internisten, Augenärzten, Hautärzten usw.

Die Therapieempfehlungen nach EULAR orientieren sich eng an den Organmanifestationen: Bei kutanen Manifestationen kommen in der Erstlinie Colchicin und lokale Steroide zum Einsatz. Bei okulärer Beteiligung werden Steroide, Azathioprin, Cyclosporin A sowie TNFα-Inhibitoren - Letztere vor allem bei der retinalen Vaskulitis - empfohlen. Bei den gastrointestinalen Manifestationen behandeln wir an unserem Zentrum analog zu einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung. Liegen neurologische Symptome vor, kommen im Stadtspital Zürich bei älteren Patient:innen häufig Cylophosphamid, bei jüngeren TNFα-Inhibitoren - bevorzugt Infliximab - zum Einsatz. Bei einer Gelenkmanifestation wie bei polyartikulärer Arthritis wird analog zu rheumatoiden Arthritis mit Methotrexat (MTX), Sulfasalazin (SSZ) oder auch TNFα-Inhibitoren therapiert, in Anlehnung an diese Erkrankung und mangels besserer randomisierter Studien für das Behçet-Syndrom.

In der Regel sind anfangs eine antientzündliche Therapie mit Kortisonpräparaten und manchmal auch traditionelle Basistherapien Biologika erforderlich. Colchicin wird traditionell oft zusätzlich eingesetzt. Eine Lokalbehandlung der Schleimhautveränderungen erfolgt mit schmerzlindernden und antientzündlichen Salben. Bei hoher Krankheitsaktivität und bedrohlichem Organbefall kommen neben Kortison auch Immunsuppressiva wie Azathioprin, eventuell auch TNF-alpha-Hemmer in Frage, bei Augenerkrankungen auch Ciclosporin A.

Hinsichtlich des Phosphodiesterase-4-Inhibitors Apremilast (Otezla®) wies der Experte auf die recht strengen Limitationen in der Schweiz in dessen Anwendung hin, die nicht einfach zu einzuhalten sind: Das Medikament ist nur für kutane und explizit nicht für neurologische oder andere organbedrohliche Manifestationen oder in Kombinationen mit Biologika erstattungsfähig.

Therapie des Neuro-Behçet

Bei der Therapie des Neuro-Behçet ist es wichtig, die Auswirkungen des Morbus Behçet zu minimieren und das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern. In der Akutphase kann eine hochdosierte Kortikosteroidtherapie, z. B. mit 1 g pro Tag Methylprednisolon i. v., gefolgt von oralem Prednisolon für bis zu vier Wochen, zur klinischen Besserung führen. Bei Steroidresponsivität und Krankheitsaktivität kann eine immunsuppressive Therapie in Betracht gezogen werden. Hier wird Azathioprin empfohlen. In schweren Fällen kann Cyclophosphamid in Frage kommen. TNF-α-Inhibitoren, insbesondere Infliximab, können bei unzureichendem Ansprechen auf andere Therapien oder bei einem besonders aggressiven Krankheitsverlauf eingesetzt werden.

Prognose

Die Prognose ist stark von den betroffenen Organsystemen abhängig. Patienten mit ausschließlich mukokutanen Manifestationen haben eine gute Lebenserwartung. Schwere Verläufe mit okulären, vaskulären oder neurologischen Manifestationen können jedoch zu bleibenden Schäden führen.

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