Morbus Wilson, auch bekannt als Kupferspeicherkrankheit, ist eine seltene, autosomal-rezessiv vererbte Stoffwechselstörung des Kupferstoffwechsels. Sie führt zu einer vermehrten Ansammlung von Kupfer vor allem in der Leber und bestimmten Bereichen des Gehirns. Unbehandelt verläuft Morbus Wilson fast immer tödlich. Wird Morbus Wilson rechtzeitig diagnostiziert, ist die Lebenserwartung jedoch nicht verkürzt und die Erkrankung ist gut medikamentös behandelbar.
Was ist Morbus Wilson?
Als Morbus Wilson wird eine krankhafte Störung des Kupferstoffwechsels bezeichnet. Durch einen Gendefekt scheiden Betroffene zu wenig Kupfer aus, sodass sich das Spurenelement im Körper anlagert, vorwiegend in der Leber und im Gehirn. Morbus Wilson wird daher auch als Kupferspeicherkrankheit bezeichnet. Die Erkrankung tritt mit einer Häufigkeit von etwa 1:30.000 Personen auf.
Kupfer: Ein lebenswichtiges Spurenelement
Kupfer ist ein essentielles Spurenelement, das für zahlreiche Körperfunktionen benötigt wird. Es kommt vor allem in Schokolade, Kakao, Schalentieren, Leber, Getreide, Hülsenfrüchten, Soja und Nüssen vor. Durch die Nahrung aufgenommenes Kupfer gelangt in die Leber und wird über die Galle wieder ausgeschieden.
Die Ursache: Ein Gendefekt
Die Ursache für Morbus Wilson ist ein Gendefekt auf dem langen Arm des Chromosoms 13. Dieses Gen kodiert ein ATP-abhängiges Kupfertransportprotein namens ATP7B, auch Wilson-Krankheitsprotein genannt, das im Golgi-Apparat, insbesondere der Hepatozyten, lokalisiert ist. Mehr als 370 verschiedene Mutationen sind bekannt.
Die Funktion dieses Proteins besteht darin, den Transport von Kupfer in das Golgi-System zum Einbau in das noch Kupfer-freie-Apocoeruloplasmin zu gewährleisten und zum anderen darin, die biliäre Exkretion des überschüssigen, freien, toxischen Kupfers zu ermöglichen. Bei niedriger Kupfermenge in den Hepatozyten wird das mit Kupfer beladene Coeruloplasmin (Holocoeruloplasmin) über Vesikel aus der Leber ausgeschleust. Bei einer hohen Kupferkonzentration wird Kupfer zu dem Wilson-Protein ATP7B, das sich auch an den Mikrotubuli der Gallekanaculi befindet, zur biliären Exkretion transportiert.
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Morbus Wilson tritt nur auf, wenn beide Erbanlagen einen entsprechenden Defekt aufweisen. Liegen eine defekte und eine intakte Anlage vor, ist die Person gesund, kann den Gendefekt aber an ihre Kinder weitergeben, wenn beide Elternteile jeweils eine defekte Erbanlage haben.
Symptome des Morbus Wilson
Die Symptome des Morbus Wilson sind vielfältig und können sich in verschiedenen Organen manifestieren. Sie treten meist im Kindes- oder frühen Erwachsenenalter (5 bis 35 Jahre) auf. Die Art und der Schweregrad der Symptome hängen davon ab, wo sich das Kupfer im Körper ablagert.
Hepatische Symptome
Bei Kindern und Jugendlichen äußert sich der Morbus Wilson häufig als Leberentzündung (Hepatitis) mit erhöhten Leberwerten (GOT und GPT). Ein Teil der Betroffenen hat bereits bei der Erstdiagnose eine Zirrhose, und bei 5% kann Morbus Wilson sogar zum akuten Leberversagen führen. Durch den erhöhten Kupfergehalt wird die Leber mit der Zeit geschädigt, sodass Hepatitis, Leberzirrhose oder Leberversagen auftreten können. Die Leberschädigungen machen sich nicht immer unmittelbar durch Beschwerden bemerkbar.
Neurologische Symptome
Im späteren Alter wird Morbus Wilson oft zuerst durch Störungen des zentralen Nervensystems auffällig. Die neurologischen Manifestationen sind vorwiegend extrapyramidaler Natur aufgrund von Kupferüberladung der Basalganglien. Zu den neurologischen Symptomen gehören:
- Unkontrolliertes Zittern (Tremor)
- Sprach- und Schreibstörungen
- Schluckbeschwerden
- Gestörter Gang (Ataxie)
- Muskelsteifheit
- Dyskinesie
- Dysarthrie
- Mikrographie
- Epilepsien (heutzutage bei adäquater Therapie deutlich seltener)
Die neurologische Symptomatik kann sich ohne adäquate Therapie zu einer deutlichen Intelligenzminderung und deutlichen Bewegungseinschränkungen durch Ataxie, Spastiken und schwerer Rigidität entwickeln.
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In der bildgebenden Diagnostik sieht man insbesondere Veränderungen im Bereich des Ncl. dentatus, im Thalamus, in der Capsula interna und in der grauen Substanz. In der zerebralen MRT finden sich Zeichen der Atrophie des Striatums mit konsekutiver Erweiterung der Seitenventrikel sowie Zeichen einer Atrophie des Kortex, Cerebellums und Hirnstammes. In T2-gewichteten Aufnahmen kommen abnorme Signalintensitäten im Striatum, Globus pallidus, Cerebellum und Hirnstamm (Tectum) sowie Veränderungen wie bei einer pontinen Myelinolyse zur Darstellung. Das als typisch angesehene „Gesicht des Riesen-Pandas“ ist nur in ca. 15 % der Patienten nachzuweisen. In der neurophysiologischen Zusatzdiagnostik findet man Latenzverzögerungen und Amplitudenreduktionen.
Psychiatrische Symptome
Neben den neurologischen Symptomen können auch psychiatrische Symptome auftreten, darunter:
- Verhaltensauffälligkeiten
- Lernschwierigkeiten
- Depressionen
- Psychosen
- Störung der Impulskontrolle
- Persönlichkeitsveränderungen wie Stimmungsschwankungen (z.B. Wutanfälle, Reizbarkeit) und Konzentrationsschwäche
Der Kayser-Fleischer-Ring
Bei neurologischen Symptomen zeigt sich Morbus Wilson im Auge, denn sie treten immer zusammen mit dem Kayser-Fleischer-Kornealring auf. Dabei handelt es sich um grünliche bis goldene Kupferablagerungen an der Hornhaut des Auges. Der Kayser-Fleischer-Ring findet sich bei bis zu 90% der erwachsenen Wilson-Patienten mit neurologischen Symptomen. Bei Patienten ohne neurologische Symptome wird der Kayser-Fleischer-Ring nur in etwa der Hälfte der Fälle beobachtet. Kinder mit Morbus Wilson haben bisweilen keine typischen Augenveränderungen.
Weitere Symptome
Zudem kann Morbus Wilson eine verringerte Anzahl roter Blutkörperchen (Anämie) zur Folge haben, die zur sogenannten hämolytischen Krise eskalieren kann. Hier sinkt die Zahl der roten Blutkörperchen so rapide, dass der Körper nicht mehr in der Lage ist, diesen Verlust zu kompensieren. Auch Nierenfunktionsstörungen können auftreten.
Diagnose des Morbus Wilson
Die Diagnose des Morbus Wilson kann schwierig sein und sollte in einem Zentrum mit Wilson-Erfahrung erfolgen. Ist die Diagnose nach den Beschwerden und Befunden möglich, können alle Untersuchungsergebnisse im „Leipzig-Score“ zusammenführt werden. Um Morbus Wilson zu diagnostizieren, sind folgende Untersuchungen notwendig:
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- Anamnese: Der Arzt befragt den Patienten ausführlich nach der Krankheitsgeschichte und den Beschwerden.
- Körperliche Untersuchung: Der Arzt achtet auf Zeichen der Leberzirrhose oder neurologische Auffälligkeiten.
- Spaltlampenuntersuchung des Auges: zur Feststellung eines Kayser-Fleischer-Kornealrings
- Magnetresonanztomographie (MRT): des Gehirns, um Veränderungen in den Basalganglien zu erkennen
- Blutuntersuchungen: zur Bestimmung von Serum-Kupfer, -Caeruloplasmin und Leberwerten
- 24h-Sammelurin-Analyse: zur Messung der Kupferausscheidung im Urin
- Leberbiopsie: bei der mit einer Nadel eine Gewebeprobe aus der Leber entnommen wird; bei einem Kupfergehalt von mehr als 250 µg/g Trockengewicht liegt ein eindeutiger Nachweis von Morbus Wilson vor.
- Genetische Analyse: ist bei begründetem Wilson-Verdacht heute ein wesentlicher Teil der Diagnostik. Heute kann man mit vertretbarem Aufwand bei mehr als 90% der Wilson-Patienten eindeutige Genveränderungen finden.
- Relative Exchangeable Copper (REC): Heute sollte man besser das Relative Exchangeable Copper im Serum (REC) direkt messen, also das relative austauschbare Kupfer: Es handelt sich dabei um den Anteil des Kupfers, der locker an Albumin gebunden ist. Bezogen auf die Gesamtkupferkonzentration im Serum (Quotient aus austauschbarem Kupfer/Gesamtkupfer) ergibt sich die Ratio des REC.
Wenn gleichzeitig ein Kayser-Fleischer-Ring und im Blutbild ein vermindertes Caeruloplasmin vorliegt, ist die Diagnose schon sehr wahrscheinlich. Schwieriger ist die Diagnose, wenn kein Kayser-Fleischer-Ring zu sehen ist.
Therapie des Morbus Wilson
Die Behandlung des Morbus Wilson erfolgt unmittelbar nach der Diagnose und dauert bisher lebenslang. Unbehandelt verläuft Morbus Wilson praktisch immer tödlich. Ziel der Therapie ist die Entfernung des überschüssigen Kupfers aus den Kupfer-speichernden Organen und die Verhinderung einer weiteren Anreicherung. Hierzu stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung:
- Chelatbildner: D-Penicillamin oder Trientin binden das überschüssige Kupfer im Körper und fördern dessen Ausscheidung über den Urin.
- Zinksalze: verhindern, dass sich Kupfer in den Geweben anlagert, indem sie die Aufnahme von Kupfer im Darm hemmen.
Bei schweren Leberschädigungen ist eine Lebertransplantation angezeigt. Das ist die einzige Heilungsmöglichkeit für Morbus Wilson, weil die transplantierte Leber den zugrundeliegenden Gendefekt nicht aufweist.
Zusätzlich zur medikamentösen Therapie sollten Wilson-Patienten Lebensmittel mit hohem Kupfergehalt meiden. Eine kupferarme Diät ist aber als alleinige Maßnahme niemals ausreichend.
In jedem Fall müssen Wilson-Patienten und ihre Therapie dauerhaft eng überwacht werden.
Im Jahr 2024 wurde in den USA die erste Gentherapie bei einem Wilson-Patienten durchgeführt.
Medikamentöse Therapie im Detail
Bei Patienten mit Beschwerden und Befunden wird die Therapie in der Regel mit dem Medikament D-Penicillamin eingeleitet. Diese Chelat-Therapien können das überschüssige Kupfer allmählich reduzieren und die Beschwerden und den Zustand der Leber günstig beeinflussen, insbesondere wenn die Therapie im frühen Stadium einer Lebererkrankung eingesetzt wird.
Penicillamin sollte in einer initialen Dosis von täglich 1g verteilt auf ein bis zwei Dosen verabreicht werden. Die Therapie gilt als erfolgreich bei einer normwertigen Kupferkonzentration im Serum und einer Kupferausscheidung im Urin von weniger als 500 µg/24h. Die Gabe von Penicillamin kann jedoch mit einer ganzen Reihe von Nebenwirkungen einhergehen: Es kann unter anderem zu Hautausschlägen, Fieber, Lymphadenopathien aber auch zur Ausbildung eines nephrotischen Syndroms oder zu Autoimmunphänomene wie Lupus erythematodes kommen. Diese Nebenwirkungen können auch Jahre nach Therapiebeginn noch auftreten; so dass gelegentlich ein Wechsel der Therapie notwendig ist. Man kann dann den Chelatbildner wechseln und mit Trientine, welches nebenwirkungsärmer ist, beginnen. Aber auch hier muss auf Nebenwirkungen wie Eisenmangelanämie und Kontaktdermatitis geachtet werden. Die Dosis von Trientine liegt zwischen 750 bis 1250 mg täglich und sollte auf 2 - 4 Einnahmen oral täglich verteilt werden.
Eine weitere Therapieoption ist die Gabe von Zink. Zink wirkt zum einen über die Hemmung der Kupferabsorption durch kompetitive Hemmung der Kupfer-aufnehmenden Transporter an den Darmmukosa-Zellen und zum anderen über die Induktion des Kupfer-aufnehmenden Proteins Metallothionein, das Kupfer in den Mukosazellen des Darms speichern und unwirksam machen kann.
Therapie in Schwangerschaft & Stillzeit
Zink kann in Kombination mit den genannten Chelatoren bzw. nach weitgehendem Abbau der Kupferspeicher eingesetzt werden. Die Dosis muss eventuell angepasst werden. Auch während der Schwangerschaft und Stillzeit ist eine Therapie möglich.
Was Patienten selbst tun können
Betroffene sollten zudem darauf achten, wenig Kupfer mit der Nahrung aufzunehmen. Empfohlen wird neben der Vermeidung bestimmter kupferreicher Speisen, wie Pilzen, Leber, Bier, Käse und Nüssen, die Einnahme von Zinkacetat oder Zinksulfat zur Verminderung der Kupferaufnahme.
Lebenserwartung und Verlauf
Morbus Wilson ist bei rechtzeitiger Diagnose gut behandelbar, sodass die Lebenserwartung dann nicht verkürzt ist. Unbehandelt verläuft die Kupferspeicherkrankheit innerhalb einiger Monate bis weniger Jahre tödlich. Zeigen sich bereits neurologische oder psychiatrische Symptome, kann das Fortschreiten der Erkrankung noch verhindert werden.
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