Morbus Wilson: Neurologische Symptome, Diagnose und Behandlung

Morbus Wilson, auch bekannt als hepatolentikuläre Degeneration oder Kupferspeicherkrankheit, ist eine seltene, autosomal-rezessiv vererbte Stoffwechselstörung. Sie führt zu einer toxischen Ansammlung von Kupfer im Körper, insbesondere in der Leber und im zentralen Nervensystem. Unbehandelt kann Morbus Wilson zu irreversiblen Schäden und sogar zum Tod führen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sind daher entscheidend.

Kupfer: Ein essentielles Spurenelement mit potenziellen Risiken

Kupfer ist ein chemisches Element, das der Körper in sehr geringen Mengen benötigt. Es spielt eine wichtige Rolle bei der Bildung roter Blutkörperchen, der Unterstützung des Immunsystems, der Funktion von Enzymen sowie der Gesundheit von Nerven, Knochen und Bindegewebe. Normalerweise nimmt der Körper Kupfer über die Ernährung auf, beispielsweise durch Nüsse, Samen, Meeresfrüchte und Vollkornprodukte. Die Leber verarbeitet das Kupfer und scheidet den Überschuss über die Galle mit dem Stuhl aus. Bei Morbus Wilson ist dieser Mechanismus gestört, was zu einer Anreicherung von Kupfer in Leber, Gehirn und anderen Organen führt.

Ursachen und Vererbung von Morbus Wilson

Die Ursache von Morbus Wilson liegt in Mutationen des ATP7B-Gens auf Chromosom 13q14.3. Dieses Gen kodiert für eine ATPase vom P-Typ, die für den Kupfertransport über zelluläre Membranen verantwortlich ist. Die Mutationen beeinträchtigen die Kupferausscheidung aus der Leber und den Einbau von Kupfer in das Transportprotein Coeruloplasmin. Da es sich um eine autosomal-rezessive Erkrankung handelt, müssen zwei mutierte Gene (je eines von jedem Elternteil) vorhanden sein, damit die Krankheit ausbricht. Träger mit nur einem mutierten Gen sind in der Regel asymptomatisch. Es sind bereits mehr als 500 verschiedene Mutationen des ATP7B-Gens bekannt. In Europa ist die H1069Q-Mutation am häufigsten.

Symptome von Morbus Wilson

Die Symptome von Morbus Wilson sind vielfältig und können sich in verschiedenen Organen manifestieren. Das Erkrankungsalter ist variabel, wobei die meisten Fälle vor dem 40. Lebensjahr auftreten, selten auch später. Die klinische Präsentation hängt vom Alter und Geschlecht ab.

Leberprobleme

Bei Kindern (durchschnittlich etwa 10 Jahre alt) treten häufig zuerst Leberprobleme auf. Dazu gehören:

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  • Lebervergrößerung (Hepatomegalie)
  • Leberentzündung (Hepatitis), die akut oder chronisch verlaufen kann
  • Leberzirrhose
  • Leberversagen
  • Gelbsucht (Ikterus)
  • Aszites (Flüssigkeitsansammlung im Bauchraum)

Neurologische Symptome

Neurologische Symptome können zusammen mit Leberzeichen auftreten oder die erste Manifestation der Erkrankung darstellen. Sie treten meist in der zweiten und dritten Lebensdekade auf und sind vielfältig:

  • Ungeschicklichkeit
  • Zittern (Tremor), oft bizarr und unregelmäßig
  • Gehschwierigkeiten, ataktischer Gang
  • Sprachprobleme (Dysarthrie), hypophone Sprache, langsame Zungenbewegungen
  • Schluckbeschwerden (Dysphagie)
  • Dystonie (Muskelverkrampfungen und -verspannungen)
  • Parkinsonoid (ähnliche Symptome wie bei Parkinson-Krankheit)
  • Störungen der langsamen Augenfolgebewegungen
  • Veränderungen im Verhalten, Antriebslosigkeit, Depressionen, Psychosen
  • Lernschwierigkeiten
  • Gedächtnisstörungen

Psychiatrische Symptome

Isolierte psychiatrische Symptome sind möglich, aber seltener und treten häufiger zusammen mit Leber- oder neurologischer Erkrankung auf:

  • Depression
  • Angst
  • Aggression
  • Stimmungsschwankungen

Weitere Symptome

Neben den Hauptsymptomen können weitere Anzeichen auftreten:

  • Muskuloskelettale Schmerzen: Gelenkschmerzen, Knochenschmerzen, Entzündung
  • Milzvergrößerung (Splenomegalie)
  • Leichte Blutergüsse
  • Müdigkeit, Leistungsschwäche
  • Kayser-Fleischer-Kornealring: Eine bräunlich-grüne Verfärbung der Hornhaut am Übergang zur Sklera
  • Akute hämolytische Episoden (Zerstörung roter Blutkörperchen)
  • Verspätete Pubertät
  • Wiederholte Fehlgeburten
  • Knochenschmerzen, Arthritis, Osteoporose
  • Herzrhythmusstörungen (Arrhythmien), Kardiomyopathie
  • Blut im Urin (Hämaturie)
  • Nephrotisches Syndrom und Nierensteine

Diagnose von Morbus Wilson

Die Diagnose von Morbus Wilson kann aufgrund der Variabilität der Symptome schwierig sein. Sie basiert auf klinischen Merkmalen in Kombination mit auffälligen Laborwerten und weiteren Untersuchungen.

Klinische Untersuchung

Der Arzt erfragt die Krankengeschichte und Beschwerden des Patienten (Anamnese) und führt eine körperliche Untersuchung durch. Dabei achtet er auf Anzeichen von Lebererkrankungen, neurologische Auffälligkeiten und den Kayser-Fleischer-Kornealring.

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Laboruntersuchungen

  • Coeruloplasmin: Der Coeruloplasmin-Spiegel im Serum ist bei etwa 85 % der Patienten mit Morbus Wilson erniedrigt (<20 mg/dl). Allerdings kann er auch bei heterozygoten Genträgern oder aufgrund anderer Ursachen (z. B. Entzündungen) erniedrigt sein.
  • Kupfer im Serum: Das Gesamt-Kupfer im Serum ist meist erniedrigt (<20 µg/dl). Allerdings ist der Spiegel nicht immer aussagekräftig. Wichtiger ist die Bestimmung des freien Kupfers.
  • Kupfer im Urin: Die Kupferausscheidung im 24-Stunden-Urin ist erhöht (meist >100 µg/Tag). Nach Gabe eines Chelatbildners steigt die Kupferausscheidung deutlich an (>80 µg/24h, bis >1000 µg/24h möglich).
  • Leberwerte: Die Leberwerte (GOT, GPT, GGT, Bilirubin, alkalische Phosphatase) können erhöht sein, was auf eine Leberschädigung hinweist.
  • Weitere Blutwerte: Es werden weitere Blutwerte bestimmt, um den allgemeinen Gesundheitszustand zu beurteilen und andere Ursachen für die Symptome auszuschließen.

Leberbiopsie

Eine Leberbiopsie kann durchgeführt werden, um den Kupfergehalt in der Leber zu bestimmen. Bei Morbus Wilson ist der Kupfergehalt in der Leber deutlich erhöht (>250 µg/g Trockengewicht). Die Leberbiopsie ist in der Regel nur notwendig, wenn die anderen Untersuchungen kein eindeutiges Ergebnis liefern.

Augenärztliche Untersuchung

Ein Augenarzt untersucht das Auge mit einer Spaltlampe, um den Kayser-Fleischer-Kornealring nachzuweisen. Dieser Ring ist bei Patienten mit neurologischen Symptomen in etwa 95 % der Fälle nachweisbar, ohne neurologische Auffälligkeiten in etwa 50 % der Fälle.

Magnetresonanztomographie (MRT) des Kopfes

Eine MRT des Kopfes kann durchgeführt werden, um Veränderungen im Gehirn darzustellen. Typische Befunde sind Hyperintensitäten oder gemischte symmetrische Intensitäten im Putamen, Thalamus, Nucleus caudatus und Globus pallidum in der T2-Wichtung. In einigen Fällen kann das "Face of the giant Panda"-Zeichen im Mittelhirn sichtbar sein.

Genetische Tests

Genetische Tests können durchgeführt werden, um Mutationen im ATP7B-Gen nachzuweisen. Dies kann die Diagnose bestätigen und bei der Familienuntersuchung helfen.

Familienscreening

Bei einer diagnostizierten Person mit Morbus Wilson wird ein Familienscreening durchgeführt, um andere Familienangehörige zu identifizieren, die möglicherweise ebenfalls das mutierte Gen tragen.

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Leipzig-Score

Der "Leipzig-Score" kann verwendet werden, um die Wahrscheinlichkeit für Morbus Wilson anhand der klinischen Befunde und Untersuchungsergebnisse zu bewerten.

Behandlung von Morbus Wilson

Es gibt derzeit keine Heilung für Morbus Wilson, aber die Symptome können kontrolliert werden. Das Hauptziel der Behandlung ist es, die Kupferspeicherung im Körper zu reduzieren und eine negative Kupferbilanz zu erreichen. Die Behandlung muss lebenslang durchgeführt werden.

Medikamentöse Therapie

  • Chelatbildner: Chelatbildner (z. B. D-Penicillamin, Trientin) binden das Kupfer im Körper und fördern dessen Ausscheidung über den Urin. D-Penicillamin ist seit langem die Standardtherapie, kann aber erhebliche Nebenwirkungen verursachen. Trientin wird oft als Alternative eingesetzt, da es in der Regel besser vertragen wird.
  • Zink: Zink (z. B. Zinkacetat, Zinksulfat) hemmt die Kupferaufnahme aus dem Darm. Es wird oft als Ergänzung zu Chelatbildnern oder als Erhaltungstherapie eingesetzt.

Kupferarme Ernährung

Eine kupferarme Ernährung kann die medikamentöse Behandlung unterstützen. Es sollten stark kupferhaltige Lebensmittel wie Krustentiere, Innereien, Rosinen, Nüsse und Kakao vermieden werden. Auch der Kupfergehalt des Leitungswassers sollte überprüft werden.

Lebertransplantation

Bei akutem Leberversagen oder dekompensierter Zirrhose, die nicht auf medikamentöse Therapie anspricht, kann eine Lebertransplantation lebensrettend sein. Durch die Transplantation wird der Gendefekt korrigiert, da die neue Leber ein intaktes Wilson-Gen besitzt.

Gentherapie

Im Jahr 2024 wurde in den USA die erste Gentherapie bei einem Wilson-Patienten durchgeführt. Die Gentherapie ist ein vielversprechender Ansatz, um den Gendefekt direkt zu korrigieren. Es gibt verschiedene Forschungsansätze, darunter der In-vivo-Gentransfer mittels viraler Vektoren und die Transplantation von autologen Hepatozyten, die zuvor gentechnisch verändert wurden.

Therapie in Schwangerschaft und Stillzeit

Während der Schwangerschaft und Stillzeit ist eine sorgfältige Anpassung der medikamentösen Therapie erforderlich. Zink wird oft bevorzugt, da es als sicherer gilt.

Verlauf und Prognose

Der Verlauf von Morbus Wilson hängt von der rechtzeitigen Diagnose, dem frühen Therapiebeginn und der konsequenten Durchführung der Behandlung ab. Unbehandelt schreitet Morbus Wilson zu einer lebensbedrohlichen Erkrankung fort. Mit der richtigen Behandlung ist die Langzeitprognose jedoch ausgezeichnet. Viele Patienten können ein beschwerdefreies Leben führen.

Selbsthilfegruppen und Informationen

Es gibt verschiedene Selbsthilfegruppen und Organisationen, die Informationen und Unterstützung für Patienten und ihre Familien anbieten, wie z.B. Morbus Wilson e.V.

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