Myasthenia gravis, oft auch nur Myasthenie genannt, ist eine Autoimmunerkrankung, die durch eine Störung der Impulsübertragung an der Kontaktstelle zwischen Nerv und Muskel verursacht wird. Diese Störung führt zu einer belastungsabhängigen Muskelschwäche, die sich im Laufe des Tages verstärkt. Schätzungen zufolge sind in Deutschland etwa 15 von 100.000 Menschen betroffen.
Was ist Myasthenia gravis?
Myasthenia gravis bedeutet "schwere Muskelschwäche". Es handelt sich um eine neuromuskuläre Störung, bei der fehlgesteuerte Antikörper die Signalübertragung von der Nervenzelle zum Muskel blockieren. Bei gesunden Menschen steuert der Botenstoff Acetylcholin die Impulse zwischen den Nerven und Muskeln. Bei der Myasthenie wird diese Kommunikation jedoch blockiert, was zu einer schnelleren Ermüdung verschiedener Muskeln im Körper bei Belastung führt.
Neben der durch eine fehlgeleitete Immunreaktion verursachten Myasthenia gravis gibt es auch genetisch bedingte Muskelschwächen, die als kongenitale myasthene Syndrome (CMS) bezeichnet werden. Die Myasthenia gravis tritt am häufigsten bei Menschen zwischen 60 und 80 Jahren auf, kann aber in etwa zehn Prozent der Fälle auch Kinder und Jugendliche unter 17 Jahren betreffen.
Die MGFA-Klassifikation (Myasthenia Gravis Foundation of America) teilt Myasthenia gravis in fünf Klassen ein:
- Klasse I: Rein okuläre Myasthenie, die sich auf die äußeren Augenmuskeln und den Lidschluss beschränkt.
- Klasse II: Leichte generalisierte Myasthenie, bei der zusätzlich zu den Augenmuskeln auch andere Muskelgruppen betroffen sind.
- Klasse III: Mäßiggradige generalisierte Myasthenie, wobei auch hier andere Muskelgruppen als die Augenmuskeln betroffen sind.
- Klasse IV: Schwere generalisierte Myasthenie.
- Klasse V: Intubationsbedürftigkeit mit oder ohne künstliche Beatmung.
Die Klassen II bis IV werden weiterhin in Subgruppen A und B unterteilt, wobei A die Betonung auf die Muskulatur der Extremitäten bzw. des Rumpfs legt und B eine besondere Beteiligung der Mundrachenmuskulatur und/oder Atemmuskulatur beschreibt.
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Ursachen der Myasthenia gravis
Ursache der Myasthenia gravis ist eine gestörte Impulsübertragung an der neuromuskulären Endplatte. Der Grund dafür ist eine fehlgesteuerte Reaktion des Immunsystems, bei der Abwehrstoffe (Antikörper) gegen Bestandteile der neuromuskulären Endplatte gebildet werden. Diese Antikörper blockieren oder verändern Andockstellen (Rezeptoren) für den Botenstoff Acetylcholin, der für die Steuerung der Muskulatur wesentlich ist. Acetylcholin kann seine Wirkung folglich nicht mehr voll entfalten.
Die Erkrankung entsteht oft bei Menschen mit einer gewissen Veranlagung. Eine zentrale Rolle für die Ausbildung der Antikörper spielt die Thymusdrüse, die hinter dem oberen Teil des Brustbeins sitzt und zu den Organen des Immunsystems gehört.
Sehr ähnlich zur Myasthenia gravis ist das Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS), bei dem sich Autoantikörper gegen die Calcium-Kanäle der Nervenzellen richten.
Symptome der Myasthenia gravis
Ein auffälliges Symptom der Myasthenia gravis ist eine Ermüdung der Muskulatur, die im Laufe des Tages zunimmt. Zunächst sind vor allem kleinere Muskelgruppen betroffen, wie etwa die Augenmuskulatur. Den Betroffenen fällt es schwer, die Augenlider zu öffnen, oder es entstehen Doppelbilder nach längerem Lesen. Auch ein zunehmend herabhängendes Augenlid - auf einer Seite ausgeprägter als auf der anderen - kann auffallen. Bei etwa 70 bis 80 Prozent der Betroffenen breitet sich die Schwäche meist innerhalb von zwei bis drei Jahren auch auf andere Muskelgruppen aus, man spricht dann von der Generalisierung der MG.
Bei der generalisierten Myasthenie können potenziell alle Muskeln beteiligt sein, typischerweise sind aber die Muskeln von Armen und Beinen betroffen. Erkrankte haben daher zum Beispiel Schwierigkeiten, Wäsche aufzuhängen oder Dinge über Kopf einzuräumen. Auch die Muskulatur des Gesichts kann betroffen sein, wodurch die Ausdrucksfähigkeit abnimmt und die Mimik erstarrt. Ungünstiger wird es, wenn die Muskeln von Zunge, Schlund oder Kehlkopf betroffen sind. Betroffene haben Schwierigkeiten beim Kauen von harten Speisen, verschlucken sich häufig oder haben eine verwaschene Sprache.
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Ist die Atemmuskulatur gestört, äußert sich das durch eine schwache, tonlose Stimme, einen schwachen Hustenstoß oder häufiges Zwischenatmen beim Sprechen. Bei dieser Erkrankungsform besteht ein erhöhtes Risiko für eine sogenannte myasthene Krise, die Betroffene durch eine Atemlähmung und schwere Schluckstörungen gefährdet. Dabei kommt es zu einer schweren allgemeinen Muskelschwäche mit Schluckstörungen und unzureichender Atemarbeit. Zur Behandlung ist eine rasche Aufnahme auf einer Intensivstation notwendig.
Weitere Symptome
- Lähmungen der äußeren Augenmuskeln und Lidheberschwäche
- Doppeltsehen (Diplopie)
- Schwächung der Muskeln, bspw. im Gesicht, der Arme und Beine, aber auch der Atemmuskulatur
- Taubheitsgefühle bis hin zu Lähmungserscheinungen
- Muskelschwäche verstärkt sich im Verlauf des Tages
- Sprech-, Schluck- und Kauschwierigkeiten
- Atembeschwerden durch eine Schwächung der Atemmuskulatur
Zusätzlich zu diesen Symptomen kann durch akute Infekte, eine fehlende oder falsche Behandlung oder durch Medikamente eine sogenannte myasthene Krise ausgelöst werden.
Diagnose der Myasthenia gravis
Die Diagnose einer Myasthenia gravis erfolgt durch verschiedene Verfahren. Insbesondere muss diese von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen abgegrenzt werden, etwa dem Lambert-Eaton-Syndrom, der Multiple Sklerose, dem Muskelschwund und Muskelschmerzen, einem Schlaganfall oder einem Hirntumor. Auch Medikamente können Symptome einer Myasthenia gravis auslösen.
Zu den Untersuchungsmethoden gehören:
- Eine körperliche Untersuchung mit bspw. dem Simpson-, Pyridostigmin- und Tensilon-Test
- Elektrophysiologische Untersuchung, bei der bestimmte Nerven mit niedrigen Frequenzen stimuliert werden
- Labortests zum Nachweisen spezifischer Antikörper im Blut
- Bildgebende Verfahren wie die Computertomographie (CT) zur Abklärung einer veränderten Thymusdrüse oder eines Tumors
- Eine Muskelbiopsie, um andere Krankheiten auszuschließen
- Der quantitative-Myasthenia-gravis-Test (QMG) zur Bestimmung des vorliegenden Schweregrades
- Der Myasthenia-gravis-Activities-of-Daily-Living-Test (MG-ADL), der eine Aussage darüber zulässt, in welchem Grad der Alltag des Patienten bzw. der Patientin beeinträchtigt ist.
Bereits die Krankengeschichte mit charakteristischen Beschwerden lenkt den Verdacht auf eine Myasthenie. Zur näheren Differenzierung können spezielle Tests, die zur Ermüdung der Muskulatur führen, herangezogen werden. Neurophysiologische Tests zur Messung und Bestimmung der Muskelerregung (Elektromyografie, EMG) ergänzen die Diagnostik. Mithilfe von Blutanalysen wird nach Antikörpern gesucht.
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Patientinnen und Patienten mit der Diagnose Myasthenia gravis sollten mit bildgebenden Verfahren (CT- oder MRT-Untersuchung) untersucht werden. Bei 15 Prozent der Betroffenen sind bösartige Tumoren der Thymusdrüse nachweisbar.
Behandlung der Myasthenia gravis
Myasthenie ist nicht heilbar, aber meist sehr gut medikamentös unter Kontrolle zu bringen. Therapieziel ist es daher, die Lebensqualität der Betroffenen wiederherzustellen oder zumindest deutlich zu verbessern.
Die Therapie muss an die individuelle Krankengeschichte der Betroffenen angepasst sein. Dabei richtet sich die Entscheidung einerseits nach dem Vorhandensein von Antikörpern und nach dem Krankheitsverlauf.
Symptomatische Therapie
Die symptomatische Therapie lindert die Beschwerden, ohne die Ursache zu beseitigen. Hierzu wird meist ein Acetylcholinesterase-Hemmer (AChE-I) verwendet. Diese Medikamente verbessern die Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel. AChE-I sind beim Lambert-Eaton-Syndrom weniger wirksam als bei einer Myasthenie.
Ursächliche Therapie
Als sogenannte ursächliche Therapie kommen Medikamente infrage, die das überaktive Abwehrsystem unterdrücken. Sie können verhindern, dass das Abwehrsystem die krankmachenden Autoantikörper bildet. Die größte Bedeutung haben hier Corticoide wie Prednison, Prednisolon oder Methylprednisolon. Auch andere Präparate wie Mycophenolat-Mofetil, Ciclosporin A, Tacrolimus oder Methotrexat können versucht werden.
Oft werden verschiedene Wirkstoffe kombiniert, um eine gute Wirkung bei optimaler Verträglichkeit zu erreichen. Mit ihnen ist bei korrekter Anwendung ein fast unbeeinträchtigtes Leben möglich, sofern die Diagnose frühzeitig gestellt worden ist.
Ist ein stabiler Gesundheitszustand erreicht, kann nach einiger Zeit versucht werden, die Medikamente abzusetzen. Dies darf nie plötzlich erfolgen, sondern nur in engmaschiger Absprache mit der Ärztin odre dem Arzt durch eine langsame Reduzierung der Dosis.
Weitere Behandlungsoptionen
- Thymektomie: Ist eine Erkrankung des Thymus ursächlich für die Myasthenia gravis, sollte die Thymusdrüse in einer Operation entfernt werden. Vor allem bei Patientinnen und Patienten im Alter zwischen 18 und 65 Jahren mit Autoantikörpern gegen den Acetylcholinrezeptor wird der Eingriff empfohlen.
- Intensivtherapie: Befinden sich Betroffene in einer myasthenen Krise, ist eine Intensivtherapie nötig, oft auch künstliche Beatmung. Zusätzlich werden Verfahren wie die Plasmapherese - eine Art „Blutwäsche“ - oder Immunadsorption angewandt, um Antikörper aus dem Blut zu entfernen.
- Mechanische Hilfsmittel und operative Maßnahmen: Bei der Form der Myasthenia gravis, bei der die Augenmuskeln betroffen sind, können auch mechanische Hilfsmittel - Lidhalter an der Brille, durchsichtiges Klebeband - oder operative Maßnahmen wie eine Lidraffung zur Korrektur des herabhängenden Augenlids helfen, wenn die medikamentöse Therapie nicht zufriedenstellend wirkt.
- Bewegungstherapie: Erwiesen ist inzwischen auch, dass sich Bewegung positiv auf den Krankheitsverlauf auswirkt und eine vergrößerte Muskelkraft zu einer besseren Lebensqualität führt. Neben Bewegungs- und Trainingstherapien können auch ergänzende Maßnahmen wie Physio- oder Ergotherapie, Logopädie, neuropsychologische Therapie und Entspannungsmaßnahmen zu einem positiven Krankheitsverlauf beitragen.
Selbsthilfeorganisationen wie die Deutsche Myasthenie-Gesellschaft können Betroffene unterstützen.
Was müssen Menschen mit einer Myasthenie beachten?
Es gibt viele Medikamente, die die Symptome einer Myasthenie verstärken können. Dazu gehören einige Antibiotika wie etwa Makrolide, Fluorchinolone und Aminoglykoside. Auch Mittel zur Blockade der neuromuskulären Übertragung wie Botulinumtoxin und Betablocker können eine Myasthenie verschlechtern, ebenso bestimmte Mittel in der Anästhesie.
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