Die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine komplexe neurologische Entwicklungsstörung, die sich durch Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität auszeichnet. Während ADHS traditionell als eine Erkrankung des Kindesalters angesehen wurde, ist heute bekannt, dass sie bei einem erheblichen Prozentsatz der Betroffenen bis ins Erwachsenenalter fortbesteht. Die medikamentöse Therapie stellt eine wichtige Säule in der Behandlung von ADHS dar, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Sie zielt darauf ab, die Kernsymptome der Störung zu reduzieren und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Wann ist eine medikamentöse Therapie bei ADHS indiziert?
Die Leitlinien der Fachgesellschaften empfehlen einen medikamentösen Behandlungsversuch bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS ab dem Alter von sechs Jahren unter bestimmten Bedingungen:
- Stark ausgeprägte ADHS-Symptomatik: Wenn die ADHS-Symptome die schulische Leistungsfähigkeit, die Freizeitaktivitäten oder das soziale Zusammenleben in erheblichem Maße beeinträchtigen.
- Unzureichende Verbesserung durch Verhaltenstherapie: Wenn eine Verhaltenstherapie nicht zu einer hinreichenden Verbesserung der ADHS-Symptomatik führt und weiterhin beeinträchtigende Symptome bestehen.
Bei Patienten mit weniger stark ausgeprägter Symptomatik wird in der Regel zunächst eine Verhaltenstherapie empfohlen. Die medikamentöse Therapie von Kindern mit ADHS kann eine wichtige Ergänzung zu anderen Behandlungsformen darstellen; manchmal ist sie sogar eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass andere Behandlungsformen erfolgreich eingesetzt werden können.
Auch bei Erwachsenen mit ADHS kann eine medikamentöse Therapie in Erwägung gezogen werden, insbesondere wenn die Symptome zu erheblichem Leidensdruck führen und das berufliche oder soziale Leben beeinträchtigen.
Welche Medikamente werden zur Behandlung von ADHS eingesetzt?
Die deutschen Leitlinien empfehlen für die medikamentöse Behandlung sogenannte Psychostimulanzien als Mittel der ersten Wahl. Am häufigsten wird Methylphenidat eingesetzt, das als Goldstandard in der ADHS-Therapie gilt. Alternativ steht der Wirkstoff Atomoxetin zur Verfügung.
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Psychostimulanzien (z.B. Methylphenidat)
Methylphenidat reguliert das Ungleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn und führt bei 70 bis 80 % der Kinder mit ADHS zur Minderung der Unaufmerksamkeit und der Ruhelosigkeit bei gleichzeitig deutlicher Steigerung der Konzentrationsleistung. Die Wirkung tritt in der Regel nach 30 bis 45 Minuten ein und hält bei Medikamenten mit kurzer Wirkdauer etwa vier Stunden an.
Wirkmechanismus: Methylphenidat erhöht die Konzentration der Nervenbotenstoffe Dopamin und Noradrenalin im Gehirn. Diese Botenstoffe spielen eine wichtige Rolle für die Gedächtnisfunktion, das Lernen und die Aufmerksamkeit. Sie sorgen dafür, dass das Gehirn Reize von außen besser filtern kann.
Dosierung und Verabreichung: Die Dosierung von Methylphenidat wird individuell auf das Kind oder den Erwachsenen abgestimmt, wobei das Körpergewicht eine wichtige Rolle spielt. Es gibt sowohl Medikamente mit kurzer als auch mit verzögerter Wirkstofffreisetzung. Medikamente mit kurzer Wirkdauer müssen mehrmals täglich eingenommen werden, während Medikamente mit verzögerter Freisetzung eine einmal tägliche Einnahme ermöglichen. Die Dosierung wird gewichtsadaptiert auf das Kind abgestimmt, am Wochenende und in den Ferien werden in Einzelfällen Therapiepausen eingelegt. Alternativ steht Methylphenidat auch zur täglichen Einmalgabe zur Verfügung. Bei diesen Medikamenten wird der Wirkstoff in den Tabletten oder Kapseln im Körper verzögert freigesetzt. Betroffene, die eine ganztägige Symptom-Kontrolle benötigen, müssen hiermit nicht mehr auf die meist lästige und unangenehme regelmäßige Einnahme des Medikaments während der Schul- und Freizeit achten. Die besondere Wirkstoff-Aufbereitung versorgt sie über den ganzen Tag mit einer ausreichenden Stimulanzienmenge.
Handelsnamen: Medikinet®, Ritalin®, Concerta®, Equasym®, Elvanse.
Atomoxetin
Atomoxetin ist ein selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, der nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Im Gegensatz zu Methylphenidat tritt die Wirkung von Atomoxetin nicht sofort ein, sondern in der Regel erst nach etwa sechs Wochen.
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Wirkmechanismus: Atomoxetin erhöht ebenfalls die Konzentration von Noradrenalin im Gehirn, jedoch auf eine andere Art und Weise als Methylphenidat.
Dosierung und Verabreichung: Atomoxetin muss einschleichend dosiert werden. Die Wirksamkeit entfaltet sich meist über den ganzen Tag. Atomoxetin muss nicht auf einem besonderen Rezept verordnet werden, weil keine Missbrauchsgefahr besteht.
Handelsname: Strattera®.
Weitere Medikamente
In einigen Fällen können auch andere Medikamente zur Behandlung von ADHS eingesetzt werden, wie z.B. Guanfacin oder Antidepressiva. Diese Medikamente werden jedoch in der Regel erst dann in Betracht gezogen, wenn Psychostimulanzien und Atomoxetin nicht ausreichend wirksam sind oder nicht vertragen werden.
Was sind die möglichen Nebenwirkungen von ADHS-Medikamenten?
Wie alle Medikamente können auch ADHS-Medikamente Nebenwirkungen verursachen. In den meisten Fällen sind diese jedoch geringfügig und vorübergehend.
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Häufige Nebenwirkungen von Psychostimulanzien:
- Appetitminderung
- Schlafstörungen
- Kopfschmerzen
- Magenschmerzen
- Nervosität
- Reizbarkeit
- Puls- und Blutdrucksteigerungen
Häufige Nebenwirkungen von Atomoxetin:
- Appetitlosigkeit
- Übelkeit
- Müdigkeit
- Schwindel
- Mundtrockenheit
- Verstopfung
- Sexuelle Funktionsstörungen
In seltenen Fällen können schwerwiegendere Nebenwirkungen auftreten, wie z.B. Herzprobleme oder psychische Veränderungen. Es ist daher wichtig, dass Patienten, die ADHS-Medikamente einnehmen, regelmäßig von einem Arzt überwacht werden.
Eine regelmäßige ärztliche Kontrolle der Medikation, vor allem der Dosierung (z.B. auch Dosisanpassung bei Größen- und Gewichtszunahme), ist unabhängig von möglichen Nebenwirkungen bei allen Patienten erforderlich. Körpergewicht und Körpergröße müssen bei einer Dauertherapie regelmäßig ärztlich kontrolliert werden, weil die Entwicklung der Gewichtes und der Körpergröße beeinträchtigt werden können. Außerdem müssen Blutdruck und Puls in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden.
Wie läuft ein Behandlungsversuch mit ADHS-Medikamenten ab?
Zu Beginn einer medikamentösen Therapie muss überprüft werden, ob beim individuellen Patienten die medikamentöse Therapie die gewünschten Besserungen zeigt und welches Medikament in welcher Dosierung für diesen Patienten optimal ist. Eine genaue Überprüfung der Wirksamkeit und möglicher Nebenwirkungen muss daher im Rahmen eines kontrollierten Behandlungsversuches vorgenommen werden. Die medikamentöse Behandlung lässt sich nur dann rechtfertigen, wenn Effekte eindeutig nachgewiesen werden können.
Da sich bei Methylphenidat die Wirkung schon mit der ersten Gabe einstellt, kann der Behandlungsversuch und die optimale Dosiseinstellung innerhalb weniger Wochen erfolgen. Bei Atomoxetin ist ein längerer Behandlungsversuch von mindestens sechs bis acht Wochen notwendig, da sich die Wirkung erst nach dieser Zeit voll entfaltet.
Wenn sich die medikamentöse Behandlung als wirkungsvoll erwiesen hat, dann sollte die Behandlung zunächst für einen längeren Zeitraum als Dauertherapie durchgeführt werden. In dieser Zeit sind regelmäßige Kontrollen und Beratungsgespräche auf jeden Fall nötig. Danach kann die Notwendigkeit zur Weiterführung der Behandlung in einem Auslassversuch überprüft werden.
Gültigkeit des Rezepts und Höchstmenge
Es ist zu beachten, dass BTM-Rezepte (Betäubungsmittelrezepte) lediglich eine Gültigkeit von sieben Tagen haben. Zudem dürfen bestimmte Monatsmengen der einzelnen Substanzen bei einem BTM-Rezept nicht überschritten werden. Daher ist es in der Regel nicht möglich, ein Rezept über mehrere Monate auszustellen. Es ist uns nicht erlaubt, die BTM Rezepte per Post zu verschicken.
Multimodale Therapie bei ADHS
Die Diagnose einer ADHS/ADS bedeutet nicht automatisch, dass es eine Notwendigkeit für eine medikamentöse Therapie gibt. Im Gegenteil spricht sich die Leitlinie deutlich für ein multimodales Therapiekonzept aus. Hierbei können einzelne therapeutische Möglichkeiten wie bsp. Säulen in einem Tempel angesehen werden. Neben einer möglichen (und manchmal auch notwendigen) Medikation sollte in einer Therapie immer eine Psychoedukation erfolgen, des Weiteren sollten Kontakte zu einer Selbsthilfegruppe aufgenommen werden. Eine ambulante Psychotherapie kann ebenfalls eine recht sinnvolle Unterstützung darstellen, ebenso wie eine Ergotherapie, ggf. Neurofeedbackverfahren oder auch ein Coaching.
Psychotherapie
Eine Psychotherapie, insbesondere die Verhaltenstherapie, kann eine wertvolle Ergänzung zur medikamentösen Behandlung von ADHS darstellen. Sie hilft den Betroffenen, Strategien zu entwickeln, um mit ihren Symptomen im Alltag besser umzugehen und ihre Lebensqualität zu verbessern.
Ziele der Verhaltenstherapie bei ADHS:
- Verbesserung des Zeitmanagements
- Erstellen eines Ordnungs- und Ablagesystems
- Verhinderung von Prokrastination
- Schaffung und Beibehaltung einer Alltagsstruktur
- Behandlung von Selbstwertproblemen und Minderwertigkeitserleben
Coaching und Achtsamkeitstraining
Sofern keine krankheitswertigen Symptome wie Depression, Zwänge, Ängste etc. vorliegen, kann ein Personal Coaching in Kombination mit einem Achtsamkeitstraining in Frage kommen. Beim ADHS Coaching helfen wir Ihnen das Chaos in Ihrem Leben zu verstehen und zu ordnen, Ihre Stärken zu erkennen, Ihre Schwächen zu akzeptieren, Ihr Leben lebenswert und selbst bestimmt zu gestalten. Wir werden konkrete Pläne, Strategien und Rituale für ein ganz persönliches Selbstmanagement entwickeln. Mit Hilfe klarer Regeln können wir konsequent prüfen, ob und wie sie eingehalten werden. Um eine anhaltende Verbesserung der Lebensqualität zu erreichen, gehören ständiges Üben (z.B. in Form von Hausaufgaben) und eine regelmäßige Kontrolle.
Neurofeedback
Neurofeedback ist eine neue Behandlungsmethode, bei der die Patienten lernen, ihre Gehirnaktivität selbst zu regulieren. Es wird schwerpunktmäßig bei ADHS, Depressionen, Schlafstörungen und Angsterkrankungen eingesetzt.
ADHS im Erwachsenenalter
Lange Zeit dachten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ADHS trete nur im Kindesalter auf und klinge während der Pubertät von allein wieder ab. Heute ist klar: 30 bis 50 Prozent der betroffenen Kinder weisen auch im Erwachsenenalter deutliche Symptome auf. Bleibt die Störung unerkannt, kann dies die Lebensqualität der Betroffenen immens reduzieren und das Risiko für weitere psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen steigt.
Symptome von ADHS bei Erwachsenen
Die Hauptsymptome von ADHS bei Erwachsenen sind - wie bei Kindern - Konzentrationsstörungen, Hyperaktivität und Impulsivität. Die Symptome können allerdings in unterschiedlicher Ausprägung vorkommen und müssen nicht alle gleichzeitig auftreten. Hinzu kommt, dass viele Erwachsene mit ADHS eigene Strategien entwickeln, die ihnen den Umgang mit der Erkrankung erleichtern.
Konzentrationsstörungen:
- Flüchtigkeitsfehler bei der Arbeit
- Reduzierte Aufmerksamkeitsspanne
- Nicht vollständig ausgeführte Anweisungen
- Schwierigkeiten, Aufgaben zu organisieren
- Vermeiden längerer geistiger Anstrengungen
- Häufiges Verlegen von Gegenständen
- Schnell abgelenkt sein
- Auffallend vergesslich
Hyperaktivität:
- Zappeln mit Händen und Füßen oder rutschen auf dem Stuhl herum
- Stehen und laufen herum in Situationen, in denen dies unpassend scheint
- Schwierigkeiten, sich mit ruhigeren Freizeitaktivitäten zu beschäftigen
- Wirken kommunikationsfreudig
Impulsivität:
- Platzen mit der Antwort heraus, bevor eine Frage zu Ende gestellt wurde
- Unterbrechen andere
- Haben den Eindruck vermitteln, nur schwer warten zu können, bis sie bei etwas an der Reihe sind
Diagnose von ADHS bei Erwachsenen
Bei Erwachsenen gelten im Wesentlichen die gleichen Diagnosekriterien für ADHS wie bei Kindern, jedoch müssen laut der American Psychiatric Association (APA) ab einem Alter von 17 Jahren nicht mehr sechs oder mehr, sondern nur fünf Symptome von Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität/Impulsivität erfüllt sein.
Eine Diagnose wird gestellt, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
- Die Auffälligkeiten begannen bereits in der Kindheit.
- Es liegen Symptome von Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität oder Impulsivität vor.
- Die Probleme bestehen in mehreren Lebensbereichen.
- Das Sozial- oder Berufsleben ist deutlich beeinträchtigt.
Behandlung von ADHS bei Erwachsenen
Die Behandlung von ADHS bei Erwachsenen umfasst in der Regel eine Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie.
Medikamentöse Behandlung:
Für die medikamentöse Behandlung von ADHS bei Erwachsenen sind Präparate mit dem Stimulans Methylphenidat zugelassen. Auch eine Behandlung mit dem Wirkstoff Lisdexamfetamin ist möglich - vorausgesetzt, dieser wurde auch schon vor dem 18. Geburtstag im Rahmen der ADHS-Therapie eingenommen. Alternativ ist auch die Verwendung des Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmers Atomoxetin für die Neueinstellung von Erwachsenen mit ADHS möglich.
Psychotherapie:
Eine Psychotherapie, insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie, kann Erwachsenen mit ADHS helfen, ihre Symptome besser zu bewältigen und ihre Lebensqualität zu verbessern.
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