Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur die Atemwege, sondern auch das Nervensystem vieler Menschen beeinträchtigt. Neben den akuten neurologischen Manifestationen rücken zunehmend die Langzeitfolgen in den Fokus, die als Long-COVID- oder Post-COVID-Syndrom bekannt sind. Dieser Artikel beleuchtet die vielfältigen neurologischen Symptome, ihre Ursachen, Diagnosemöglichkeiten und Therapieansätze.
Häufigkeit und Vielfalt neurologischer Manifestationen
Neurologische Symptome treten bei COVID-19 in unterschiedlicher Häufigkeit und Ausprägung auf. Anosmie (Verlust des Geruchssinns) und Ageusie (Verlust des Geschmackssinns) sind typische Frühsymptome, die oft auf eine virale Invasion des Bulbus olfactorius oder auf lokale Entzündungen zurückzuführen sind. In den meisten Fällen normalisieren sich diese Störungen rasch, können aber in etwa 20 % der Fälle länger als fünf Monate persistieren.
Schwere neurologische Komplikationen wie zerebrovaskuläre Ereignisse, Enzephalitis oder Erkrankungen des peripheren Nervensystems sind bei jüngeren, ambulanten Patienten selten (ca. 1 %). Bei stationär behandelten Patienten sind neurologische Manifestationen jedoch häufiger und mit einer erhöhten Mortalität verbunden. Studien zeigen, dass Enzephalopathien, Enzephalomyelitiden und zerebrovaskuläre Komplikationen in dieser Gruppe besonders häufig vorkommen. Auch bei Kindern und Jugendlichen können schwere neurologische Manifestationen auftreten, insbesondere bei Vorliegen neurologischer Vorerkrankungen.
Enzephalitis, Enzephalopathie und Myelitiden
Enzephalopathien, Enzephalitiden und Myelitiden können im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung auftreten. Als Pathomechanismen spielen Hypoxie und die Virus-getriggerte systemische Hyperinflammation eine zentrale Rolle. Dabei kommt es zu einem Anstieg pro-inflammatorischer Zytokine, einer erhöhten Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke, Aktivierung von Mikroglia, Exzitotoxizität, Endothelschäden und zerebraler Perfusionsstörung. Obwohl Viruspartikel auch in Nervenzellen nachgewiesen werden können, gilt die direkte neuronale Schädigung durch SARS-CoV-2 als selten.
MRT-Aufnahmen des Gehirns zeigen häufig eine diffuse Leukenzephalopathie mit T2-Hyperintensitäten und Mikroblutungen. Autoimmunvermittelte Enzephalitiden und Enzephalomyelitiden können ebenfalls auftreten. Die Therapie erfolgt in diesen Fällen mit Kortikoiden, intravenösen Immunglobulinen oder Plasmapherese.
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Schlaganfall und COVID-induzierte Gerinnungsstörung
Schlaganfälle sind bei COVID-19 häufiger als beispielsweise bei Influenza, aber insgesamt selten (0,5 %-2 %). Ischämien treten dabei etwa siebenmal häufiger auf als Blutungen. Pathogenetisch wird von einer inflammatorischen Hyperkoagulopathie ausgegangen, die auch ohne relevante Gefäßrisikofaktoren oder Lungensymptomatik zum Verschluss großer, hirnversorgender Arterien führen kann. Die COVID-19-Koagulopathie ähnelt der disseminierten intravasalen Gerinnungsstörung (DIC) und kann zu Thrombozytopenie und erhöhten D-Dimeren führen.
Spontane intrazerebrale Blutungen treten bei SARS-CoV-2-Infektion unabhängig von einer vorbestehenden Hypertonie auf. Seltener kommt es zu Dissektionen, Vaskulitiden und dem posterioren reversiblen Encephalopathie-Syndrom (PRES). Auch Hirnvenen- und Sinusthrombosen können bis zu drei Wochen nach Beginn der Infektion auftreten.
Vakzine-induzierte immunogene thrombotische Thrombozytopenie (VITT)
Eine autoimmun vermittelte Hyperkoagulabilität spielt auch bei den impfassoziierten Sinusthrombosen eine Rolle. Die Vakzine-induzierte immunogene thrombotische Thrombozytopenie (VITT) ist ein neues Krankheitsbild nach Impfung mit rekombinanten adenoviralen Vektorimpfstoffen. Dabei werden plättchenaktivierende Antikörper gegen Plättchenfaktor 4 (PF4) nachgewiesen. Wenn später als drei Tage nach der Impfung Schwindel, Kopfschmerzen oder Sehstörungen auftreten, sollte eine weitere Diagnostik erfolgen.
Neuromuskuläre Manifestationen und peripheres Nervensystem
Bei einem erheblichen Teil der COVID-19-Patienten treten Myalgien und Fatigue auf, oft begleitet von einer HyperCKämie. Bei intensivpflichtigen Patienten muss die "ICU-acquired weakness" (ICUAW) von einem Guillain-Barré-Syndrom (GBS) abgegrenzt werden. Der Kausalzusammenhang zwischen SARS-CoV-2 und GBS ist bislang nicht gesichert. Auch die Miller-Fisher-Variante des GBS, Hirnnerven-Neuritiden und Plexopathien wurden bei SARS-CoV-2 beschrieben. Periphere Fazialisparesen können ebenfalls auftreten.
COVID-19-Therapie
Für COVID-19-Patienten wird standardmäßig eine prophylaktische Antikoagulation empfohlen. Die Therapie mit Dexamethason kann die Mortalität senken. Die Wirksamkeit von antiviralen Substanzen wie Remdesivir und Hydroxychloroquin konnte in größeren Studien nicht belegt werden.
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Long-COVID-Syndrom und Post-COVID-Syndrom
Bleiben Beschwerden nach überstandener COVID-19-Erkrankung länger als vier Wochen bestehen, spricht man von Long-COVID-Syndrom, bei SARS-CoV-2-assoziierten Manifestationen mehr als drei Monate nach dem akuten Infekt vom Post-COVID-Syndrom. Neurologische Langzeitbeschwerden umfassen Dysosmie und Dysgeusie, Kopf- und Muskelschmerzen, Gedächtnisprobleme, Angst oder Schlafstörungen. Neurokognitive Einschränkungen stellen eine Indikation zur neuropsychologischen Testung, MRT-Diagnostik und ggf. Bestimmung antineuronaler Antikörper im Liquor dar.
Pathomechanismen des Long- und Post-COVID-Syndroms
Die genauen Ursachen für anhaltende körperliche, kognitive und psychische Beeinträchtigungen nach einer COVID-19-Infektion sind noch nicht eindeutig geklärt. Es werden verschiedene Pathomechanismen diskutiert, darunter:
- Viruspersistenz: Das Virus oder Virusbestandteile verbleiben auch nach der akuten Infektion im Körper und lösen Entzündungen aus.
- Endotheliitis und Mikrozirkulationsstörungen: Das Spike-Protein kann zu einer entzündlichen Schädigung der Gefäßinnenwände führen, die an jeder Stelle des Körpers auftreten kann. Dies kann zu einer gestörten Blutversorgung des Gewebes führen.
- Zytokinsturm: Die Belastung mit dem Spike-Protein kann dazu führen, dass im Körper mehr und länger Entzündungsbotenstoffe ausgeschüttet werden als sonst bei viralen Infektionen.
- Autoimmunprozesse: Eine Fehlregulation von Immunzellen kann zu einer Antikörperproduktion gegen Autoantigene führen. Im Zusammenhang mit dem Post-COVID-Syndrom wurden G-Protein-gekoppelte Antikörper gegen Acetylcholin und Adrenalin nachgewiesen.
- Dysbiose des Darm-Mikrobioms: Eine anhaltende proinflammatorische Dysbiose kann zu einer verstärkten Immunreaktion oder sogar Autoimmunität führen.
Symptome des Long- und Post-COVID-Syndroms
Die Symptome des Long- und Post-COVID-Syndroms sind vielfältig und können verschiedene Organsysteme betreffen. Zu den häufigsten neurologischen Symptomen gehören:
- Fatigue: Eine schwere körperliche und geistige Erschöpfung, die durch Schlaf nicht beseitigt werden kann.
- Kognitive Beschwerden: Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, die oft als "Brain Fog" bezeichnet werden.
- Geruchs- und Geschmacksstörungen: Anosmie und Ageusie, die über längere Zeiträume persistieren können.
- Psychische Symptome: Depressionen, Angstzustände und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS).
- Kopfschmerzen: Häufige Kopfschmerzen, die teilweise einer Migräne ähneln.
- Muskelschwäche und -schmerzen: Treten oft in Zusammenhang mit Fatigue auf.
- Schlafstörungen: Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen sowie unruhige Nächte.
- Schwindel und Gleichgewichtsstörungen: Schwindelgefühle oder Probleme mit dem Gleichgewicht.
- Neuropathische Schmerzen: Anhaltende Schmerzen, Kribbeln oder Taubheitsgefühle in verschiedenen Körperregionen.
Diagnose des Long- und Post-COVID-Syndroms
Eine etablierte Diagnostik, um ein Post-COVID-Syndrom zu beweisen, gibt es derzeit nicht. Die Diagnose basiert in erster Linie auf der Anamnese und der klinischen Untersuchung. Es ist wichtig, andere schwerwiegende neurologische Erkrankungen mit nachweisbaren Organschäden auszuschließen. Spezialuntersuchungen können erforderlich sein, um mögliche Ursachen für die Beschwerden zu identifizieren.
Therapie des Long- und Post-COVID-Syndroms
Eine etablierte Therapie speziell zur Rückbildung des Syndroms gibt es derzeit nicht. Die Behandlung konzentriert sich auf die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität. Folgende Therapieansätze können in Betracht gezogen werden:
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- Symptomatische medikamentöse Therapie: Gegen Schlafstörungen und Post-COVID-Kopfschmerzen können Medikamente eingesetzt werden.
- Nichtmedikamentöse Therapie: Ein gezieltes Riechtraining kann bei Geruchsstörungen sinnvoll sein.
- Physiotherapie und Rehasport: Körperliche Aktivität sollte angestrebt werden, muss aber sehr sorgsam an die reduzierten physischen Fähigkeiten angepasst werden.
- Psychotherapie: Eine begleitende Psychotherapie kann bei langandauernden und wechselhaften Symptomen sinnvoll sein.
- Ernährungsberatung: Eine gesunde ausgewogene Ernährung ist wichtig.
- Stressreduktion: Stressreduktion in allen Bereichen des Lebens ist wichtig.
- Pacing: Das achtsame Eingehen auf seine eigenen gesundheitlichen Grenzen und die Anpassung der Belastung hieran ist entscheidend.
Forschung zu Long- und Post-COVID
Aufgrund der großen Anzahl von Betroffenen und der großen gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen wird weltweit intensiv zum Thema Post Covid geforscht. Zahlreiche Studien sind in Planung oder bereits angelaufen, um die Pathomechanismen besser zu verstehen und gezielte Therapien zu entwickeln.