Neurotransmitter und psychische Störungen: Ein umfassender Überblick

Neurotransmitter sind essenzielle Botenstoffe im Nervensystem, die eine Schlüsselrolle bei der Übertragung von Nervenimpulsen zwischen Neuronen spielen. Sie ermöglichen die Kommunikation zwischen Nervenzellen und sind von grundlegender Bedeutung für zahlreiche neurologische Prozesse, einschließlich Bewegung, Wahrnehmung, Emotionen und Gedächtnisbildung. Psychische Erkrankungen sind heutzutage weit verbreitet, weshalb die Forschung über Depressionen weit fortgeschritten ist und immer wieder neue Erkenntnisse veröffentlicht werden. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die Rolle von Neurotransmittern bei psychischen Störungen, insbesondere Depressionen, Angstzuständen und bipolaren Störungen.

Die Grundlagen der Neurotransmission

Neurotransmitter (oder kurz: Transmitter) sind biochemische Substanzen, die zwischen Zellen im menschlichen Körper Reize weiterleiten, verstärken oder modulieren können. Diese Botenstoffe dienen dazu, die Kommunikation zwischen Neuronen und anderen Zielzellen (wie andere Neurone oder Muskelzellen) zu ermöglichen. Die Einteilung der Neurotransmitter kann nach verschiedenen Aspekten erfolgen, wie z. B. nach ihrer chemischen Struktur oder ihrer Funktion.

Die Wirkungsweise der Neurotransmitter ist hochspezifisch. Wenn ein elektrisches Signal in Form eines Aktionspotenzials ein Neuron erreicht, wird dieses in ein chemisches Signal umgewandelt. Dieser Vorgang findet an Synapsen statt (in diesem Fall an chemischen Synapsen). Präsynaptisch befinden sich die Neurotransmitter in kleinen Vesikeln. Kommt ein Aktionspotenzial an der Präsynapse an, führt dies zum Einstrom von Calcium. Calcium wiederum bewirkt eine Freisetzung der Vesikelinhalte per Exozytose in den synaptischen Spalt. Die Bindung an einen Rezeptor führt meist zur Öffnung von Ionenkanälen, was einen Ein-/ Ausstrom von Ionen bewirkt. Dadurch entsteht wiederum ein neues elektrisches Signal und die Weiterleitung war erfolgreich. Der Abbau der Neurotransmitter erfolgt durch spezifische Enzyme im synaptischen Spalt.

Insgesamt ermöglichen Neurotransmitter also die Kommunikation und Informationsweiterleitung zwischen Neuronen und anderen Zellen.

Wichtige Neurotransmitter und ihre Funktionen

  • Acetylcholin (ACh): Wirkt meist erregend und ist, neben Noradrenalin, der wichtigste Transmitter im Peripheren Nervensystem. Man findet Acetylcholin aber beispielsweise auch in Großhirn, Hirnstamm (Formatio reticularis) und Rückenmark. Daneben spielt es auch eine herausragende Rolle im Vegetativen Nervensystem als Neurotransmitter von Sympathikus und Parasympathikus sowie bei der Erregung von Muskelzellen an der motorischen Endplatte. Es gibt zwei Arten von Rezeptoren für Acetylcholin: ionotrop und metabotrop. Ionotrop bedeutet, dass der Rezeptor selbst ein aktivierbarer Ionenkanal ist.
  • Glutamat: Ist der häufigste exzitatorische (erregende) Neurotransmitter im Zentralen Nervensystem. Glutamat findet man vor allem etwa in Großhirnrinde, Hippocampus, Thalamus, Kleinhirn und Hirnstamm. Eine Ausnahme hinsichtlich der erregenden Wirkung von Glutamat stellt die Retina dar: Hier am Auge wirkt Glutamat hemmend.
  • Gamma-Aminobuttersäure (GABA): Ist der häufigste inhibitorische, also hemmende Neurotransmitter im ZNS. Besondere Bedeutung kommt GABA zum Beispiel im Striatum des Großhirns, in Zwischenhirn, Kleinhirn, Rückenmark und Auge zu.
  • Dopamin: Ist ein Katecholamin und gehört damit zur selben Gruppe wie Adrenalin und Noradrenalin. Dopamin spielt eine entscheidende Rolle bei einer Vielzahl von Funktionen, wozu beispielsweise Motorik, Denken, Wahrnehmung und das Belohnungssystem gehören.
  • Serotonin: Ist an der Regulation von Schlaf-Wach-Rhythmus, Schmerz, Emotion sowie Ess- und Sexualverhalten beteiligt. Insgesamt sorgt Serotonin für gute Stimmung und Gelassenheit, was ihm auch den Namen “Glückshormon” beigebracht hat.
  • Noradrenalin: Kann sowohl als Neurotransmitter, als auch als Hormon fungieren. Es spielt eine wichtige Rolle bei der Steuerung von Aufmerksamkeit, Wachheit und Stressreaktionen.

Neurotransmitter und psychische Störungen

Störungen der Neurotransmitter können zu schwerwiegenden neurologischen und psychischen Erkrankungen führen. Beispielsweise vermutet man bei der Erkrankung Schizophrenie, dass für einige Formen eine Überaktivität von dopaminergen Zellgruppen verantwortlich ist. Auch bei der Depression könnten Neurotransmitter eine ausschlaggebende Rolle spielen. Die Leitsymptome der Depression (gedrückte Stimmung, Antriebslosigkeit, Interessensverlust) könnten auf eine reduzierte Aktivität von bestimmten Transmittern zurückzuführen sein. Eine weitere Erkrankung, die auf Neurotransmitter zurückzuführen ist, ist Morbus Parkinson. Bei dieser Krankheit kommt es zum Untergang von dopaminergen Neuronen in der Substantia nigra. Die Folge davon ist, dass es zu einer vermehrten Hemmung innerhalb der Basalganglienschleife kommt, was schlussendlich die Motorik verlangsamt.

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Die Forschung hat gezeigt, dass bei psychiatrischen Erkrankungen die Signalsysteme im Gehirn aus dem Gleichgewicht geraten. Eine Schizophrenie wird von Störungen im Glutamat- und Dopaminsystem begleitet. Bei depressiven Störungen liegt oft ein unteraktives Serotoninsystem vor. Man vermutet, dass dieses das Gehirn weniger plastisch macht, was es wiederum erschwert, gut mit Stress umzugehen.

Depression und Neurotransmitter

Die Depression ist eine multifaktorielle Erkrankung, die nicht von einer einzigen Ursache ausgelöst wird, sondern bei der mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Einer davon sind Veränderungen in den Vorgängen des zentralen Nervensystems. Zu den bekannten Hirnbereichen, die an der Entstehung und Aufrechterhaltung depressiver Symptome beteiligt sind, gehören:

  • Amygdala (Mandelkern): Zuständig für die Entstehung von Emotionen und das Emotionsgedächtnis.
  • Limbisches System: Wirkt auf die Stressregulation, Empfindung und Verarbeitung von Emotionen ein.
  • Hypothalamus: Wichtig für Appetit, motivationales Verhalten, Schlafrhythmus, Hormonregulation und Libido. Studien konnten zeigen, dass der Hypothalamus bei depressiven Patienten vergrößert ist. Dies könnte eine Erklärung sein, warum der Spiegel des Stresshormons Cortisol permanent erhöht ist.
  • Großhirnrinde (Cortex): Dazu zählen zum Beispiel der präfrontale Cortex und andere Areale, die in höhere kognitive Leistungen involviert sind.

Wichtig ist, dass für die Entstehung depressiver Symptome jedoch nie nur einzelne Hirnareale verantwortlich sind, sondern das Zusammenspiel von Netzwerken im Gehirn fehlreguliert ist.

Die wichtigsten in Verbindung mit Depressionen stehenden biochemischen Bestandteile sind die Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin. Eine der Ursachen einer Depression kann ein zu niedriger Monoamin-Spiegel (Serotonin, Dopamin und Noradrenalin) im synaptischen Spalt sein. Daraus folgen Störungen neuronaler Schaltkreise und eine beeinträchtigte neuronale Reizübertragung. Man schreibt einer durch Serotonin-Mangel induzierten Depression beispielsweise eher depressive Verstimmung, Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit zu.

Die hormonelle Stress-Achse (HPA-Achse) zeigt bei einer Depression ebenfalls Veränderungen. Eine chronische Aktivierung der HPA-Stress-Achse dient als Nährboden vieler Erkrankungen, vermutlich auch der Depression.

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Angst und Neurotransmitter

Ungeachtet dessen, welche individuellen Zusammenhänge die Erkrankung verursacht haben, entstehen sowohl bei Depression wie bei Angst und Panik biochemische Veränderungen im zentralen Nervensystem. Bei beiden psychischen Erkrankungen liegt ein Ungleichgewicht im Neurotransmitter-Haushalt vor, insbesondere ein Serotonin-Mangel. Zudem sind die Aktivität und manchmal sogar das Volumen bestimmter Hirnareale verändert, was die Schaltkreise und Netzwerke des Gehirns in ihrer normalen Funktion beeinträchtigt. Außerdem liegt bei Angst und Depression eine veränderte synaptische Plastizität vor. Zu einem höheren Risiko für Depression und Angsterkrankungen führt laut aktueller Studien eine relativ häufige Veränderung im Gen für die Synthese des Proteins BDNF (brain-derived neurotrophic factor), welches neuronales Wachstum fördert. Zuletzt ist die Überaktivierung der HPA-Achse und die damit verbundene übermäßige Ausschüttung von Cortisol bei Angsterkrankungen und Depressionen ähnlich vorhanden.

Bipolare Störung und Neurotransmitter

Bei Patienten mit Bipolaren Störungen sind Veränderungen im Neurotransmitterhaushalt festgestellt worden. So fand sich bei depressiven Menschen ein Mangel an den Neurotransmittern Noradrenalin und Serotonin. Inzwischen wird davon ausgegangen, dass nicht einzelne Veränderungen der Neurotransmitter, sondern eine Störung des Gleichgewichts verschiedener Transmitter ursächlich ist. Außerdem ist bei depressiven Menschen die Empfindlichkeit und Dichte der Rezeptoren verändert, auf die die Neurotransmitter einwirken. Neurotransmitter scheinen auch bei der Entstehung der Manie eine Rolle zu spielen. Bei dieser Störung liegt eine erhöhte Konzentration der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin vor.

Diagnose und Behandlung von Neurotransmitter-Störungen

Bei Verdacht auf eine Neurotransmitter-Störung kann ein/e Arzt/Ärztin oder Neurologe/-in Tests durchführen, um die Neurotransmitter-Spiegel im Körper zu messen. Möglich ist dies beispielsweise für die Parameter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin. Die Messung kann durch Bluttests, Liquoruntersuchungen oder bildgebende Verfahren wie die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) erfolgen. Mögliche Indikationen für derartige Untersuchungen sind etwa Schlafstörungen, verminderte Leistungsfähigkeit oder Schmerzen.

Psychische Erkrankungen können nicht „einfach“ mit Hilfe eines Tests festgestellt (in der Fachsprache: diagnostiziert) werden, wie es zum Beispiel bei einem Knochenbruch mit einer Röntgenaufnahme der Fall ist. Eine klinische Diagnose kann nur von erfahrenen Fachärzt:innen oder Psychotherapeut:innen gestellt werden. Zuvor ist jedoch eine Untersuchung erforderlich, um körperliche Erkrankungen - wie z. B. eine Schilddrüsenerkrankung - als Mitverursacher der psychischen Beschwerden auszuschließen. Anschließend findet bei Fachärzt:innen oder Psychotherapeut:innen ein ausführliches Gespräch über die einzelnen Beschwerden (Symptome), die Vorgeschichte und weitere körperliche und psychische Erkrankungen der betroffenen Person statt. Dabei können auch psychologische Tests wie Fragebögen zum Einsatz kommen. In diesem diagnostischen Gespräch geht es darum, das Gesamtbild aller Beschwerden zu erfassen und diesem eine Diagnose zuzuordnen. So stellen Ärzt:innen oder Psychotherapeut:innen fest, ob Patient:innen unter einer bestimmten oder auch unter mehreren psychischen Erkrankungen leiden und wie stark diese ausgeprägt sind. Die Zuordnung zu einer Diagnose wird in der Regel anhand der „Internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (ICD-10, International Classification of Diseases, 10. Revision) vorgenommen. Die ICD-10 wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben und ist in Deutschland rechtlich weitgehend verbindlich.

Es gibt verschiedene Behandlungsansätze für psychische Störungen, die auf Neurotransmitter-Ungleichgewichten beruhen:

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  • Psychopharmaka: Bei einigen psychischen Erkrankungen konnten Störungen des Hirnstoffwechsels festgestellt werden. Ist dies der Fall, können Medikamente (sogenannte Psychopharmaka) zum Einsatz kommen, die mehr oder weniger gezielt in den Hirnstoffwechsel eingreifen. Vereinfacht dargestellt gleichen Psychopharmaka ein bestehendes Ungleichgewicht, einen Mangel oder einen Überfluss an Botenstoffen im Gehirn (sogenannte Neurotransmitter: z.B. Serotonin, Noradrenalin oder Dopamin) aus.
  • Psychotherapie: Das Ziel einer Psychotherapie ist es, psychische Erkrankungen festzustellen und zu heilen oder zu lindern. Es gibt ambulante, teilstationäre (tagesklinische) oder stationäre Psychotherapie. Zusätzlich kann in besonderen Fällen (z.B. lange Anfahrtswege) und unter bestimmten Bedingungen (u.a. persönlicher Kontakt bei der Eingangsdiagnostik, Indikationsstellung und Aufklärung) Psychotherapie auch per Videobehandlung angeboten werden (weitere Informationen). Eine Psychotherapie kann in Gruppen-, Einzelsitzungen oder in einer Kombination aus beidem stattfinden. Außerdem gibt es unterschiedliche Verfahren in der Psychotherapie.
  • Ernährung: Eine gesunde Ernährung kann maßgeblich zu einem emotionalen und geistigen Gleichgewicht beitragen. Vitamine aus der B-Gruppe sollen helfen, Nervenzellen zu regenerieren und die Produktion von Antriebshormonen zu steuern. Darüber hinaus steht die Ernährung in einem engen Zusammenhang mit dem Gehirnstoffwechsel. Dementsprechend können die Botenstoffe des Gehirns, die sogenannten Neurotransmitter unser Essverhalten beeinflussen.
  • Stressbewältigung und Entspannungstechniken: Für die Therapie beider Erkrankungen und die Prävention einer entstehenden Komorbidität, also das zusätzliche Auftreten von Depressionen oder Angst bei einer Grunderkrankung, ist die HPA-Achse ein guter globaler Ansatzpunkt zur Selbsthilfe. Stressbewältigung, Entspannungsmethoden, Bewegung, Achtsamkeit und alles, was einem guttut, können hier helfen, positiv Einfluss zu nehmen und langfristig etwas für die Gesundheit zu tun.

Die Rolle der Neuropsychologie

Neurotransmitter haben auch auf neuropsychologischer Ebene eine große Bedeutung. Bei Senioren, Demenzkrankheiten und psychischen Störungen wie Depressionen werden bewusst Therapiemaßnahmen angewandt, mit denen speziell die Neurotransmitter angeregt werden. Gezieltes Gedächtnistraining, Übungen für das logische Denken, die räumliche Wahrnehmung und das allgemeine Sprachverständnis sind ein effektives Training, auch weil das Belohnungspotential der Patienten relativ hoch ist und ein Erfolgserlebnis schnell erzielt werden kann. Dadurch gewinnt der Teilnehmer Selbstvertrauen dazu, das innere Wohlbefinden steigt - womit der biochemische Haushalt in unserem Körper im Einklang ist und der Transport von Informationen durch Neurotransmitter störungsfrei vonstatten gehen kann.

Fazit

Neurotransmitter spielen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen. Ein Ungleichgewicht im Neurotransmitter-Haushalt kann zu einer Vielzahl von Symptomen führen, die das Denken, Fühlen und Verhalten beeinträchtigen. Die gute Nachricht ist, dass es verschiedene Behandlungsansätze gibt, die auf die Wiederherstellung des Neurotransmitter-Gleichgewichts abzielen und den Betroffenen helfen können, ein erfülltes Leben zu führen. Es ist wichtig zu betonen, dass psychische Erkrankungen komplex sind und eine individuelle Behandlung erfordern, die auf die spezifischen Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnitten ist.

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