Opiate bei neuropathischen Schmerzen: Nutzen, Risiken und Alternativen

Einleitung

Chronische neuropathische Schmerzen stellen eine erhebliche Belastung für die Betroffenen dar und beeinträchtigen ihre Lebensqualität erheblich. Die Behandlung dieser Schmerzen ist komplex und erfordert einen multimodalen Ansatz. Opiate werden häufig zur Schmerzlinderung eingesetzt, jedoch mehren sich die Hinweise, dass ihr Nutzen bei neuropathischen Schmerzen begrenzt sein kann und sogar Risiken birgt. Dieser Artikel beleuchtet die Rolle von Opiaten bei neuropathischen Schmerzen, diskutiert ihre Vor- und Nachteile und stellt alternative Therapieoptionen vor.

Was sind neuropathische Schmerzen?

Neuropathische Schmerzen entstehen durch eine Schädigung oder Erkrankung des Nervensystems. Im Gegensatz zu nozizeptiven Schmerzen, die durch Gewebeschäden verursacht werden, entstehen neuropathische Schmerzen aufgrund einer Fehlfunktion der Nerven selbst. Dies kann zu einer Vielzahl von Symptomen führen, darunter:

  • Brennende, stechende oder einschießende Schmerzen
  • Taubheit oder Kribbeln
  • Überempfindlichkeit gegenüber Berührungen (Allodynie)
  • Spontane Schmerzattacken

Häufige Ursachen für neuropathische Schmerzen sind:

  • Diabetische Polyneuropathie (Schädigung der Nerven durch Diabetes)
  • Postherpetische Neuralgie (Schmerzen nach einer Gürtelrose)
  • Nervenverletzungen
  • Multiple Sklerose
  • Schlaganfall

Opiate in der Behandlung neuropathischer Schmerzen

Opiate sind starke Schmerzmittel, die an Opioidrezeptoren im Gehirn und Rückenmark binden und die Schmerzweiterleitung hemmen. Sie werden häufig zur Behandlung von akuten und chronischen Schmerzen eingesetzt, einschließlich neuropathischer Schmerzen. Allerdings ist ihre Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen umstritten.

Studienlage zur Wirksamkeit von Opiaten bei neuropathischen Schmerzen

Obwohl einige Studien eine Schmerzlinderung durch Opiate bei neuropathischen Schmerzen zeigen, ist die Evidenz insgesamt begrenzt. Metaanalysen deuten darauf hin, dass Opiate bei neuropathischen Schmerzen wirksamer sind als Placebo, aber auch mit mehr Nebenwirkungen verbunden sind. Es gibt nur wenige Studien, die Opiate direkt mit anderen Schmerzmitteln wie Antidepressiva oder Antikonvulsiva vergleichen, was die Festlegung von klaren Therapieempfehlungen erschwert.

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Einige Studien haben gezeigt, dass moderne Retardopioide bei ausgewählten Patienten mit neuropathischen Schmerzen (insbesondere diabetischer Polyneuropathie und Postherpetischer Neuralgie) zu einer signifikanten Schmerzlinderung und Verbesserung der Lebensqualität beitragen können. Allerdings ist es wichtig zu betonen, dass nicht alle Patienten auf Opiate ansprechen und dass die Behandlung sorgfältig überwacht werden muss.

Risiken und Nebenwirkungen von Opiaten

Die Einnahme von Opiaten ist mit einer Reihe von Risiken und Nebenwirkungen verbunden, die insbesondere bei langfristiger Anwendung relevant sind:

  • Toleranzentwicklung: Bei längerer Einnahme kann es zu einer Toleranzentwicklung kommen, d.h. die gleiche Dosis Opiat wirkt weniger stark und es ist eine Dosissteigerung erforderlich, um die gleiche Schmerzlinderung zu erzielen.
  • Abhängigkeit: Opiate können sowohl körperlich als auch psychisch abhängig machen. Ein plötzliches Absetzen kann zu Entzugserscheinungen führen.
  • Nebenwirkungen: Häufige Nebenwirkungen von Opiaten sind Verstopfung, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Müdigkeit, Verwirrtheit und Atemdepression.
  • Erhöhte Schmerzempfindlichkeit: Einige Studien deuten darauf hin, dass Opiate bei neuropathischen Schmerzen paradoxerweise die Schmerzempfindlichkeit erhöhen und zur Chronifizierung beitragen können. Dies könnte auf eine Verstärkung der entzündlichen Reaktion durch Mikroglia im Rückenmark zurückzuführen sein.
  • Depression: Langzeittherapie mit Opioiden kann mit einem erhöhten Risiko für Depressionen verbunden sein.
  • Überdosierung: Eine Überdosierung von Opiaten kann zu Atemstillstand und Tod führen.

Neue Erkenntnisse zur Wirkung von Opiaten auf Mikroglia

Jüngste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Opiate die Aktivität von Mikroglia im Rückenmark beeinflussen können. Mikroglia sind Immunzellen, die auf Nervenschädigungen reagieren und Entzündungsstoffe freisetzen. Studien an Ratten haben gezeigt, dass Opiate die Freisetzung von Zytokinen durch Mikroglia verstärken und dadurch die Schmerzdauer nach einer Nervenverletzung verlängern können. Diese Erkenntnisse könnten erklären, warum Opiate bei neuropathischen Schmerzen oft nur von begrenzter Wirkung sind und möglicherweise sogar zur Chronifizierung beitragen.

Die Forscher vermuten, dass die entzündliche Reaktion über den Toll-like-Rezeptor 4 (TLR4) und über den Rezeptor P2X7R vermittelt wird. Dies könnte neue Perspektiven für die Behandlung neuropathischer Schmerzen eröffnen. Eine Blockade von TLR4 oder P2X7R könnte verhindern, dass Opiate die entzündliche Reaktion verstärken und die neuropathischen Schmerzen länger anhalten.

Alternative Therapieoptionen bei neuropathischen Schmerzen

Aufgrund der begrenzten Wirksamkeit und der potenziellen Risiken von Opiaten ist es wichtig, alternative Therapieoptionen bei neuropathischen Schmerzen in Betracht zu ziehen. Zu den wichtigsten Alternativen gehören:

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  • Antidepressiva: Trizyklische Antidepressiva (z.B. Amitriptylin) und selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) (z.B. Duloxetin) können neuropathische Schmerzen lindern, indem sie die Schmerzweiterleitung im Rückenmark beeinflussen.
  • Antikonvulsiva: Antikonvulsiva wie Gabapentin und Pregabalin werden häufig zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt. Sie wirken, indem sie die Erregbarkeit von Nervenzellen reduzieren.
  • Lokale Behandlungen: Lidocain-Pflaster oder Capsaicin-Cremes können bei lokalisierten neuropathischen Schmerzen eingesetzt werden, um die Schmerzentstehung oder -weiterleitung zu verhindern.
  • Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Beweglichkeit zu verbessern, die Muskulatur zu stärken und die Schmerzen zu reduzieren.
  • Psychotherapie: Psychotherapie kann helfen, die Schmerzen zu bewältigen, Stress abzubauen und die Lebensqualität zu verbessern.
  • Interventionelle Verfahren: In einigen Fällen können interventionelle Verfahren wie Nervenblockaden oder Rückenmarkstimulation zur Schmerzlinderung eingesetzt werden.

Praktische Hinweise zur Anwendung von Opioiden bei neuropathischen Schmerzen

Wenn Opiate zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden, sollten folgende Punkte beachtet werden:

  • Sorgfältige Patientenauswahl: Opiate sollten nur bei Patienten eingesetzt werden, bei denen andere Therapieoptionen nicht ausreichend wirksam sind oder nicht vertragen werden.
  • Realistische Therapieziele: Zu Beginn der Behandlung sollten realistische Therapieziele festgelegt werden, z.B. eine Schmerzreduktion von 30% oder eine Verbesserung der Funktionsfähigkeit.
  • Aufklärung: Die Patienten sollten umfassend über die Vor- und Nachteile von Opiaten, die Risiken und Nebenwirkungen sowie alternative Therapieoptionen aufgeklärt werden.
  • Regelmäßige Überwachung: Die Patienten sollten regelmäßig auf Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Anzeichen von Missbrauch oder Abhängigkeit überwacht werden.
  • Niedrigstmögliche Dosis: Es sollte die niedrigstmögliche Dosis Opiat verwendet werden, die eine ausreichende Schmerzlinderung ermöglicht.
  • Kombination mit anderen Therapien: Opiate sollten immer in Kombination mit anderen Therapien wie Physiotherapie, Psychotherapie oder Antidepressiva eingesetzt werden.
  • Vermeidung von Bedarfsmedikation: Es sollte keine Bedarfsmedikation mit nichtretardierten Opioiden verordnet werden, sondern nur Medikamente mit verzögerter Freisetzung.
  • Ausschleichen: Beim Absetzen von Opiaten sollte die Dosis schrittweise reduziert werden, um Entzugserscheinungen zu vermeiden.

Zusammenfassung

Opiate können bei neuropathischen Schmerzen eine gewisse Schmerzlinderung bewirken, ihre Wirksamkeit ist jedoch begrenzt und sie sind mit erheblichen Risiken und Nebenwirkungen verbunden. Neuere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Opiate bei neuropathischen Schmerzen paradoxerweise die Schmerzempfindlichkeit erhöhen und zur Chronifizierung beitragen können. Alternative Therapieoptionen wie Antidepressiva, Antikonvulsiva, lokale Behandlungen, Physiotherapie und Psychotherapie sollten daher bevorzugt in Betracht gezogen werden. Wenn Opiate eingesetzt werden, ist eine sorgfältige Patientenauswahl, eine realistische Zielsetzung, eine umfassende Aufklärung und eine regelmäßige Überwachung unerlässlich.

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