Der Begriff Opioide umfasst sowohl Opiate als auch Substanzen mit opiatähnlicher Wirkung. Opiate stammen chemisch vom Opium ab, das aus den Kapseln des Schlafmohns gewonnen wird. Durch Anritzen der Kapseln tritt ein Milchsaft aus, der getrocknet wird. Natürliche oder synthetisch hergestellte Opioide binden an Rezeptormoleküle im Gehirn und Rückenmark und hemmen so die Erregbarkeit von Nervenzellen.
Wie Opioide auf das Nervensystem wirken
Opioide wirken hauptsächlich im zentralen Nervensystem (ZNS), genauer gesagt an bestimmten Zellen im Gehirn und Rückenmark, die Opioidrezeptoren besitzen. Dort unterdrücken die Medikamente Schmerzsignale. Schmerzreize aus dem peripheren Nervensystem werden weniger oder gar nicht mehr wahrgenommen. Opioide dämpfen vor allem den dumpfen, schlecht lokalisierbaren Schmerz (z. B. viszeralen Schmerz), weniger den „hellen Schmerz", wie z. B. den neuropathischen Schmerz.
Es gibt verschiedene Arten von Opioidrezeptoren im Gehirn, darunter µ (My), κ (Kappa) und δ (Delta)-Rezeptoren. Die Aktivierung dieser Rezeptoren führt zu unterschiedlichen Wirkungen, wobei die µ-Rezeptoren hauptsächlich für die schmerzlindernde und euphorisierende Komponente verantwortlich sind.
- µ-Rezeptoren: Analgesie, Euphorie, Atemdepression, Verstopfung, Abhängigkeit
- κ-Rezeptoren: Analgesie, Sedierung, Dysphorie
- δ-Rezeptoren: Analgesie, Stimmungsmodulation
Arten von Opioiden
Man unterscheidet zwischen schwach wirksamen und stark wirksamen Opioiden. Schwach wirksame Opioide werden in der Therapie chronischer Schmerzen meist mit einem Nicht-Opioid-Analgetikum kombiniert.
Beispiele für Opioide sind:
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- Schwach wirksame Opioide: Codein, Tramadol, Tilidin
- Stark wirksame Opioide: Morphin, Fentanyl, Oxycodon
Morphin, auch bekannt als Morphium, ist eines der ältesten und am besten erforschten Medikamente zur Behandlung von Schmerzen. Es wird ausschließlich zur Linderung von starken bis sehr starken Schmerzen eingesetzt, insbesondere bei chronischen Beschwerden, Krebserkrankungen oder nach schweren Verletzungen.
Tilidin ist ein synthetisch hergestelltes Opioid zur Behandlung mittelstarker Schmerzen. Es wirkt auf das zentrale Nervensystem und sorgt dafür, dass bestimmte Schmerz übertragende Botenstoffe nicht ausgeschüttet werden.
Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, das eine bis zu 100-mal stärkere schmerzstillende Wirkung als Morphin hat.
Medizinische Anwendung von Opioiden
Opioide sind Arzneimittel zur Linderung von Schmerzen, die über Opiatrezeptoren im zentralen Nervensystem (ZNS) wirken. Sie haben eine sehr starke schmerzhemmende Wirkung und werden unter anderem in der Schmerztherapie angewandt. Opioide gelten als die stärksten verfügbaren Schmerzmittel.
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es ein dreistufiges Schema zur Schmerzbehandlung:
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- Stufe I: Leichte Schmerzen werden mit sogenannten nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Paracetamol behandelt.
- Stufe II: Bei mittelstarken bis starken Schmerzen kommen schwach wirksame Opioide wie Tilidin oder Tramadol zum Einsatz.
- Stufe III: Für extrem starke Schmerzen stehen starke Opioide wie Morphium oder Fentanyl zur Verfügung.
Morphium verhindert die Wahrnehmung eines Schmerzreizes, indem es im Gehirn bzw. Rückenmark an Opioid-Rezeptoren bindet und damit die Schmerzweiterleitung unterbunden wird. Schmerzreize werden durch Erregungsleitung über die Nervenzellen weitergegeben. Diese Erregungsleitung wird am synaptischen Spalt zwischen zwei Nervenzellen mittels Neurotransmittern (z. B. Acetylcholin, kurz ACh) übertragen. Diese Signale können gehemmt werden von zusätzlichen Opioidrezeptoren an der präsynaptischen Membran. Morphin übernimmt die Aufgabe des Transmitters und verhindert, dass Schmerzsignale weitergeleitet werden.
Grundsätzlich findet Morphium in der Medizin bei der Behandlung von starken bis sehr starken Schmerzen Anwendung. Da die schnellste Wirkung durch eine intravenöse Gabe erzielbar ist, wird das Morphium für die Behandlung von akuten, starken Schmerzen primär als Injektion in den Blutkreislauf (parenteral) appliziert. Besonders in der Palliativmedizin ist neben der intravenösen, insbesondere auch die subkutane Gabe beliebt.
Nebenwirkungen und Risiken von Opioiden
Opiode können verschiedene dauerhafte Nebenwirkungen auslösen. So führen sie beispielsweise immer zu Verstopfung. Außerdem können sie bei langer Anwendung körperlich abhängig machen und zu Entzugserscheinungen führen, wenn sie plötzlich abgesetzt werden. Deshalb sollte die Dosis langsam reduziert werden.
Opioide können bei einer Überdosierung eine lebensbedrohliche Atemdepression (weniger als acht Atemzüge pro Minute) hervorrufen. Abhängigkeiten sind ebenfalls möglich unter kontrollierter Einnahme von retardierten Opiaten, jedoch selten. Bei regelmäßiger Einnahme kann es zu einer körperlichen Abhängigkeit kommen. Das heißt, dass sich der Körper an die Substanz gewöhnt und eine immer höhere Dosis benötigt, damit die Präparate wirken. Dies geschieht bei schnell wirkenden Präparaten leichter, da diese eine euphorische Stimmung bewirken können.
Durch die direkte Wirkung auf das Brechzentrum im Hirnstamm, kann es zu Beginn der Behandlung zu Übelkeit und Erbrechen kommen, wobei diese unerwünschten Nebenwirkungen in der Regel nach einer gewissen Zeit nachlassen. Wird das Morphium für einen längeren Zeitraum verabreicht, sollte man ebenfalls ein Abführmittel einnehmen, um eine Verstopfung zu vermeiden. Eine weitere Nebenwirkung des Morphins reguliert sich ganz von allein.
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Einige der in der Schmerztherapie unerwünschten Nebenwirkungen, wie die Bewusstseinsstörungen, sind bei einem Missbrauch des Morphiums jedoch gewollt. Da der sogenannte Ceiling-Effekt, also der Sättigungseffekt, bei der Einnahme von Morphium üblicherweise ausbleibt, nimmt die Wirkung des Mittels mit wachsendem Konsum ebenfalls zu. Hierdurch kann es bei einem Morphinabusus recht schnell zu lebensbedrohlichen Vergiftungen kommen.
Opiatentzug
Werden Opioide plötzlich weggelassen, kann es zu Entzugsbeschwerden kommen, wie Unruhe, Schwitzen oder Durchfall.
Heroin beispielsweise dockt an den Opiatrezeptoren im zentralen Nervensystem an und blockiert somit die Bildung von cAMP. Dies führt zu chaotischen physiologischen Verhältnissen und einem Rauschzustand. Der Körper reagiert und bildet in der Folge neue Rezeptoren, um die cAMP-Menge gleich zu halten. Um den Rauschzustand zu erreichen, muss mehr Heroin verwendet werden.
Beim Absetzen von Heroin produzieren alle Rezeptoren die Freisetzung von cAMP, was zu einer Überreaktion mit Erbrechen, Schüttelfrost und Schmerzen führt. Die Entwöhnung von Heroin erfolgt, indem der Körper Rezeptoren langsam abbaut.
Tilidin und Abhängigkeit
Durch seine schmerzstillende Wirkung, aber vor allem, weil Tilidin euphorisierend wirkt, hat der Wirkstoff ein hohes Suchtpotenzial. Das gilt allerdings weniger für die langsam wirkenden Retardtabletten, sondern besonders für die schnell wirksamen Tropfen, die seit 2013 auch nur per BTM-Rezept (Betäubungsmittelrezept) verordnet werden können.
Besteht eine Abhängigkeit von Tilidin, muss beim Absetzen des Opioids mit körperlichen Entzugserscheinungen wie Krämpfen, Herzrasen, vermehrtem Schwitzen und psychischen Entzugserscheinungen gerechnet werden.
Opioid-Antagonisten
Naloxon ist ein Opium-Antagonist, d.h. es unterbindet die Wirkung von Opioiden. In Kombination mit Tilidin blockiert es dessen Wirkung und soll den Missbrauch verhindern. Nach oraler Aufnahme wird Naloxon in der Leber in ein unwirksames Produkt umgewandelt. Bei Missbrauch (Spritzen) oder Überdosierung blockiert Naloxon die Opiat-Rezeptoren.
Retard-Präparate und Schmerzpflaster
Heute gibt es sogenannte Retard-Präparate, die den Wirkstoff verzögert freisetzen. Bei korrekter Einnahme dieser Medikamente ist die Suchtgefahr außerordentlich gering. Außerdem bleibt so die Konzentration über einen Zeitraum von 8 bis 12 Stunden weitgehend konstant. Schmerz-Pflaster haben einen ähnlichen Effekt.
Fentanyl ist als Pflaster in unterschiedlichen Größen erhältlich. Das Pflaster besitzt eine lange Wirkdauer und muss nur alle 72 Stunden gewechselt werden. Es verursacht anfänglich in über 30 Prozent der Fälle Übelkeit, die aber nach einer Einstellungsphase von zwei bis drei Wochen oft verschwindet oder sich medikamentös lindern lässt.
Der Placeboeffekt bei der Schmerzbehandlung
In einer kürzlich durchgeführten klinisch-experimentellen Studie wurde PatientInnen mit chronischen Rückenschmerzen eine Infusion verabreicht, die als wirksames Schmerzmittel angekündigt wurde, aber tatsächlich keinen Wirkstoff beinhaltete; sie erhielten also ein Placebo. Nach dieser Scheinmedikation kam es zu einer Reduktion ihrer Schmerzen von bis zu 54 %. Der Effekt der Placebobehandlung war damit vergleichbar mit der Analgesie durch Opioide, die zu den stärksten verfügbaren Schmerzmitteln zählen.
Die therapeutische Nutzung von Placeboeffekten für die Schmerztherapie könnte großes Potenzial für die Versorgung von PatientInnen mit akuten oder chronischen Schmerzen bergen. Dafür sind genaue Kenntnisse der Mechanismen der Placeboanalgesie unverzichtbar.
Neurobiologische Grundlagen der Placeboanalgesie
Durch Versuche konnte gezeigt werden, dass Hirnareale, die in der primären Verarbeitung des eingehenden nozizeptiven Signals für die sensible und diskriminative Komponenten der Schmerzwahrnehmung involviert sind (Thalamus, S2, dorsale posteriore Insula), tatsächlich eine geringere Aktivierung nach Schmerzreizen unter Placebo im Vergleich zur Kontrollkondition aufweisen.
Eine Schlüsselfunktion für die körpereigene Schmerzmodulation inklusive der Placeboanalgesie wird dem dorsolateralen präfrontalen Cortex (dlPFC) zugeschrieben, welcher u. a. für die innere Repräsentation von Zielen und Erwartungen zuständig ist und rege mit anderen Hirnarealen kommuniziert. Hier zeigte sich in der Placebobedingung eine höhere Aktivierung während der Antizipationsphase von Schmerzen, also nach Ankündigung und kurz vor Applikation eines Schmerzreizes.
Es war bereits früh bekannt, dass das körpereigene Opioidsystem eine besondere Rolle in der Vermittlung der Placeboanalgesie spielt. Levine konnte 1978 zeigen, dass die durch ein Placebo erreichte Analgesie nach operativer Zahnextraktion mit der Gabe des Opioidantagonisten Naloxon verringert werden konnte.
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