Ein Schlaganfall stellt einen einschneidenden Moment im Leben eines Betroffenen dar. Er kann zu Lähmungen, Muskelkrämpfen oder Koordinationsstörungen unterschiedlicher Ausprägung führen, die verschiedene Körperregionen betreffen. Weltweit ist der Schlaganfall die zweithäufigste Todesursache und eine bedeutende Ursache für Behinderungen im Erwachsenenalter. In Deutschland haben etwa 1,6 % der Erwachsenen in den letzten 12 Monaten einen Schlaganfall oder chronische Beschwerden infolge eines Schlaganfalls erlitten. Angesichts der steigenden Zahl von Neuerkrankungen aufgrund der sich verändernden Altersstruktur der Bevölkerung ist es wichtig, die Situation der orthetischen Versorgung in diesem Bereich zu beleuchten.
Die orthetische Versorgung von Schlaganfallpatienten gehört zu den Standards der Orthopädietechnik. Eine Vielzahl teilkonfektionierter und konfektionierter Industrieprodukte ermöglicht ein schnelles Eingreifen bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Rehabilitation.
Bedeutung der Orthesenversorgung nach Schlaganfall
Die Beeinträchtigungen nach einem Schlaganfall sind vielfältig und unterschiedlich. Eine einheitliche Versorgung ist daher nicht möglich, auch aufgrund unterschiedlicher Versorgungsregime. Behinderungen infolge eines Schlaganfalls treten nicht zwangsläufig in gleicher Ausprägung an der unteren und oberen Extremität auf. Oft werden in der Therapie die Prioritäten auf Stehen und Gehen gelegt und die obere Extremität mit dem Rumpf nicht simultan integriert.
Ziel der Versorgung von Patienten mit Schlaganfall ist es, Defizite auszugleichen, die Fähigkeiten des Patienten zu fördern, den Tonus zu regulieren, die Bewegung zu führen und - ein wesentlicher Aspekt - seine Schmerzen zu reduzieren. Über allen Anforderungen steht jedoch der Nutzen im Alltag: Eine orthetische Versorgung muss eine so gute Handhabung bieten, dass die Nutzung mit geringstmöglichem Aufwand realisierbar ist und auch für den Betroffenen sinnvoll erscheint, also für eine gute Compliance sorgt. Die Orthese muss ihm einen Nutzen bei der Bewältigung der Aufgaben des Alltags verschaffen und eine probate Basis für die Verbesserung seiner Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit sein.
Hilfsmittel, die zur Nichtbenutzung führen, weil sie zu schwer, zu kompliziert, nicht eigenständig an- und ablegbar sind oder sogar Schmerzen und Druckstellen verursachen, führen zur Hilfsmittelverweigerung. Das durch die Erkrankung erworbene „Nichtkönnen“ wird dann durch die zusätzliche „Behinderung“ - hervorgerufen durch eine ungeeignete Orthesenversorgung - häufig mit einer unterlassenen Verwendung der betroffenen Extremität, im schlimmsten Fall sogar der gesamten betroffenen Seite beantwortet.
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Anforderungen an eine adäquate Versorgung der oberen Extremität
Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass statische Schienen keinen Effekt auf Muskeltonus und -dehnung haben und oft zu Ablehnung führen. Dynamische Systeme hingegen helfen, den „erlernten Nichtgebrauch“ zu vermeiden, die betroffene Hand für funktionale Aktivitäten im Alltag („activities of daily living“, ADLs) einzusetzen und darüber hinaus bei Inaktivität die Muskulatur zu dehnen. Es wird angenommen, dass bei einem Längengewinn der Muskulatur nicht nur eine vorübergehende, sondern eine längerfristige Spastikreduktion eintritt.
Für die Einfassung der Extremität ist auf ein flächiges Containment abzustellen. Man weiß, dass eine zirkuläre Lagerung (Gipse) zu Spastikreduktion und zu einer Reduktion der sensiblen Afferenzen führt und dass großflächige Berührungsreize propriozeptiv günstig auf die Verminderung des Tonus wirken.
Ziel der orthetischen Versorgung ist die motorische Wiederherstellung der Funktionen der oberen Extremität im Rahmen der gegebenen Voraussetzungen. Das heißt auch, dass das Ergebnis nicht am Zustand vor dem Schlaganfall, sondern an den erzielbaren Möglichkeiten danach zu messen ist. Schon eine 90-prozentige Wiederherstellung dürfte dabei eine rare Ausnahme unter besten Voraussetzungen sein. Dabei sind Propriozeption und der Grad der körperlichen Aktivität eng voneinander abhängig. Der Einsatz der Arme fördert die posturale Kontrolle und hat damit eine Rückwirkung auf Sitzen, Stehen und Gehen. Diese Erkenntnis ist auch wichtig bei nicht gehfähigen Klienten, deren Motivation in einer verbesserten Führung ihres Rollstuhls und damit auch einem verbesserten Sitzen bestehen kann. Eine optimale Sitzposition wiederum ist die Grundlage für eine passable und koordinative Funktionalität der oberen Extremität. Beides führt am Ende zu Sitzsymmetrie, -stabilität und Aufrichtung.
Zeitpunkt des Einsatzes von Orthesen
Die eingangs erwähnten industriell bereitgestellten Orthesenoptionen lassen sich besonders gut in der Frühphase nach dem Schlaganfall einsetzen. Zu diesem Zeitpunkt stehen dem kaum funktionelle Abweichungen und Weichteilveränderungen entgegen. Im weiteren Verlauf nehmen die Beeinträchtigungen allmählich einen individuelleren Verlauf, der äußerlich erkennbar und über die Mobilisierung qualitativ erfassbar ist. An dieser Stelle versagen vorgefertigte Produkte in der Regel: Tonusarme Positionen sind vielfach nicht mehr in Standardlagen manipulierbar und verlangen somit nach einem individuellen Containment.
Für entsprechende Maßnahmen empfiehlt sich die Gipsabdrucktechnik; gegebenenfalls können einzelne Finger aus Detailgründen in Zwei-Komponenten-Knetsilikon abgeformt und in den Modellabdruck integriert werden. Das ist auch dort anzuraten, wo aufgrund der Topographie - z. B. bei Verdickungen an Gelenken - mit Problemen beim Öffnen und Entfernen des Gipses zu rechnen ist. Für eine flächige Anwendung dagegen eignen sich Knetsilikone nicht, da sie jeder Manipulation nachgeben und ein geschlossener Abdruck auf diese Weise nicht zu erzielen ist. Visuelle Scans lassen sich nur dann einsetzen, wenn keine Manipulation notwendig und eine funktionale Positionierung herstellbar ist.
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Jeder Maßnahme gehen eine eingehende Palpation und eine Simulation der geplanten Maßnahme voraus. Eine gemeinsame Herangehensweise in Abstimmung mit den Therapeuten ist in jedem Fall zu empfehlen. Konzeptionell ist an dieser Stelle zu entscheiden, mit welchen Bauteilen und in welcher Qualität das Hilfsmittel zu realisieren ist. Freiheitsgrade und Limitierungen müssen herausgearbeitet und das Handling simuliert werden.
Bei der Erstellung des Gipsabdrucks sind Sitzposition und Armhaltung des Klienten entspannt, der Kontakt der Füße mit dem Boden möglichst vollflächig. Der Gipsabdruck wird in der üblichen Technik, also zirkulär hergestellt und die Manipulation gehalten, ohne Schmerzen oder Gegenspannung beim Patienten auszulösen. Es ist nicht auszuschließen, dass das erste Resultat trotz gewissenhafter Vorbereitung nicht den Erwartungen entspricht - das ist nicht verwerflich und muss ehrlich sowohl mit dem Klienten als auch mit den Therapeuten geklärt werden.
Bei einem erfolgreichen Versorgungsmanagement stehen Statusbefundung und Zielevaluation an erster Stelle. In Abstimmung mit dem therapeutischen Ansatz lässt sich das jeweilige Anforderungsprofil an die Orthesengestaltung formulieren. An dieser Stelle muss die Entscheidung für Material, Handhabung, technische Umsetzung und Einsatzgebiet getroffen werden.
Verschiedene Arten von Armorthesen nach Schlaganfall
Im Folgenden werden die am häufigsten angewandten Orthesentypen bei der Versorgung von Patienten nach einem Schlaganfall vorgestellt und deren jeweilige Aufgaben charakterisiert. Orthesen an der oberen Extremität haben unterschiedliche Aufgaben. Nach einem Schlaganfall steht die Mobilisierung im Vordergrund; dabei kommen sogenannte Funktionsorthesen zum Einsatz. Diese werden als textile Softorthesen, Silikonorthesen, Kombinationen von Silikon mit Prepreg sowie als Spiralorthesen gefertigt.
Textile Softorthesen
Mit textilen Softorthesen lassen sich erfolgreich frühkindliche und wenig tonusstarre Abweichungen lenken; zudem ermöglichen sie die Erarbeitung von Bewegungsmustern. Die Ansätze der Hersteller sind dabei verschieden: Die Lösungen reichen von zirkulären Lycra-Orthesen als Handschuh bis hin zur Einfassung von Ellbogen, Schulter und Rumpf. All diese Varianten erzeugen propriozeptiv wirksame Mechanismen zur Verbesserung der Kontrolle der Extremität.
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Zur Begrenzung der Bewegung oder zur mechanischen Lenkung können auf textilen Orthesen Züge oder doppelte Lagen angebracht werden. Die Gefahr, dabei gegebenenfalls kontraproduktive Ergebnisse zu erzielen, ist jedoch nicht von der Hand zu weisen: Je intensiver und rigider Bewegungseinschränkungen gegen den Tonus einer Muskelgruppe arbeiten, desto eher ist eine weitere Steigerung der Spannung zu erwarten. Maßgabe der Versorgung sollte daher grundsätzlich die Führung der Bewegung, also auch das Zulassen eines überschießenden Tonus und die Rückführung in eine möglichst tonusarme und neutrale Position sein.
Die Wirksamkeit textiler Orthesen kann im Rahmen der Therapie z. B. durch Langzugbinden, NRX-Straps oder 1‑mm-Neopren-Zuschnitte simuliert werden. Die Vorteile textiler Orthesenformen - Hautfreundlichkeit, einfache und meist einhändige Handhabung und hohe Akzeptanz - lassen sich auf die Herstellung von Silikon-Orthesen transferieren.
Silikonorthesen
Auf der Grundlage einer Lycra-Orthese, die auch mehrschichtig konstruiert sein kann, werden entsprechend den Wirkungsrichtungen Silikonapplikationen aufgetragen. Unterschiedliche Shore-Härten lassen die präzise Abstimmung auf individuelle Bewegungsabläufe zu. Diese Technik ermöglicht es z. B., einer Ulnardeviation im Handgelenk mit geringem Materialeinsatz entgegenzusteuern und singuläre Fingerabweichungen aufzunehmen, ohne dabei ein rigides Containment bemühen zu müssen.
Silikonorthesen decken einen erhöhten Bedarf an Mobilitätskontrolle ab. Ihre Vorteile liegen auf der Hand: Filigran abstimmbare Materialhärten lassen sich zu einer dünnwandigen geschlossenen Orthese „aus einem Guss“ verarbeiten, ohne dass sich das Material aufbraucht oder durch mechanische Einflüsse in seinen Eigenschaften verändert. Silikon ist leicht hygienisch sauber zu halten und liegt idealerweise flächig auf der Haut auf. Mazerationen durch „Schweißseen“ bleiben somit aus, und der Tragekomfort bleibt auch über lange Intervalle erhalten. Die hygienischen Eigenschaften treten insbesondere dann in den Vordergrund, wenn die Orthese auch im Arbeitsprozess eingesetzt werden soll. Eine Versorgung „über mehrere Etagen“ bleibt der Silikon-Orthese jedoch weitestgehend verwehrt, denn weitgreifende gelenkige Übergänge, wie sie am Ellbogen zu überbrücken wären, führen zu Problemen mit Materialstauchungen.
Kombinationen von Silikon und Prepreg
Eine Kombination von Silikon und Prepreg ist ebenfalls möglich: Eine hohe Akzeptanz erzielt die Zusammenführung einer Silikon-WHFO („wrist-hand-finger orthosis“; Handgelenk-Hand-Finger-Orthese) mit einer Prepreg-Unterarm-Aufnahme. Mit dieser Kombination kann entsprechend dem jeweiligen Bedarf im Alltag die passende Konfiguration zusammengestellt werden: Für kleinteilige, wenig kraftintensive Einsätze kann ein Handschuh aus dünnwandigem Silikon mit spezifischen Fingerführungen genutzt werden; zur mechanischen Stabilisierung des Handgelenks kann eine Unterarm-Unterstützung ergänzt werden. Während ergotherapeutischer Interventionen wird die Silkonorthese entfernt und von einem sogenannten Volumen-Spacer überbrückt. Die Handhabung funktioniert dabei autonom und wird nach kurzem Beüben sicher beherrscht.
Spiralorthesen
Sogenannte Spiralorthesen sind bereits seit langer Zeit präsent und werden vornehmlich in der Pädiatrie angewendet. Ihre Vorzüge bestehen vor allem in der komfortablen Einhandbedienung, einem hohem Alltagsnutzen sowie einer nahezu grenzenlosen Individualisierbarkeit hinsichtlich Führung, Rigidität, Limitierung und Ausstattung. Während herkömmliche Systeme häufig aus Polypropylen (PP) gefertigt werden, wird der Einsatz von Prepreg-Spiralen empfohlen. Denn diese erlauben es, definierte Elastizitätsverläufe, Limitierungen und weiche, abgestufte Materialübergänge herzustellen, die durch homogene Materialien nicht realisierbar sind. Insbesondere die Kantenbeschaffenheit ist in diesem Zusammenhang von großem Interesse, denn die Auflageflächen der Orthese verändern beim Aufdrehen der Spirale ihre Lage gegenüber der Oberfläche der Haut und treffen nicht mehr vollflächig und parallel auf den Körper, sondern verdrehen sich leicht dagegen. Harte Kanten würden in die Weichteile eindrücken.
Weitere Orthesen und Hilfsmittel für Hand und Arm
Neben den genannten Orthesentypen gibt es eine Vielzahl weiterer Hilfsmittel, die bei der Rehabilitation nach einem Schlaganfall eingesetzt werden können:
- Schulter-Sublux-Orthese: Diese Orthese unterstützt die Zentrierung des Oberarmkopfes in der Gelenkpfanne des Schultergelenks und ermöglicht so eine schmerzfreie Bewegung der Schulter.
- GPS-Handorthese: Diese Orthese liegt eng auf der Haut und übt leichten Druck aus, wodurch die Eigenwahrnehmung und Funktion der Hand verbessert werden.
- Dynamischer Handschuh (z.B. SaeboGlove®): Dieser Handschuh verbessert die Fingerstreckung und hilft, die Hand wieder öffnen zu können.
- Dynamische, funktionelle Handschiene (z.B. SaeboFlex®): Diese Schiene umschließt jeden Finger und den Daumen mit einer eigenen Halterung und ermöglicht so das Greifen und Loslassen.
- Motorisierte Orthese (z.B. MyoPro®): Diese Orthese nutzt Elektroden, um die schwachen Muskelsignale von der Hautoberfläche zu erkennen und die Motoren in der Orthese zu aktivieren, um den Arm und die Hand so zu bewegen, wie vom Patienten gewünscht.
- riso® 3D-Lagerungsorthese: Diese individuell hergestellte Orthese hilft, Muskelverkürzungen zu vermeiden, indem sie die Hand in einer korrigierten Position lagert.
- ReGrasp Handschrittmacher: Dieses Hilfsmittel stimuliert die Nerven durch Elektrostimulation und ermöglicht so das Öffnen und Schließen der Hand.
- exomotion hand one: Dieses Hilfsmittel ermöglicht das Öffnen und Schließen der Hand durch die körpereigenen Muskelsignale.
Kostenübernahme und individuelle Anpassung
Die Kosten für viele dieser Hilfsmittel werden in Deutschland von den Krankenkassen und Unfallkassen bei Eignung übernommen. Für eine optimale Passform und Funktionalität ist eine individuelle Anpassung der Orthese durch Orthopädietechniker und Therapeuten unerlässlich.
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