Die Querschnittlähmung, oft auch als Paraplegie oder Tetraplegie bekannt, ist ein komplexer Zustand, der durch den teilweisen oder vollständigen Verlust der motorischen und sensorischen Funktionen unterhalb einer Rückenmarksverletzung gekennzeichnet ist. Dieser Artikel beleuchtet die vielfältigen Ursachen von Querschnittlähmungen, die unterschiedlichen Formen, Diagnosemethoden und Behandlungsansätze, um ein umfassendes Verständnis dieser Erkrankung zu ermöglichen.
Einführung
Die Querschnittlähmung ist ein Zustand, der das Leben der Betroffenen tiefgreifend beeinflusst. Sie entsteht durch eine Schädigung des Rückenmarks, die zu Lähmungen oder Gefühlsstörungen in den Beinen und manchmal auch im unteren Rumpf führt. In Deutschland sind etwa 140.000 Menschen von einer Querschnittlähmung betroffen, und jährlich kommen 2.300 bis 2.500 Fälle hinzu. Das Durchschnittsalter der Betroffenen liegt bei 60,5 Jahren. Die Verteilung der ursächlichen Auslöser liegt bei etwa 45 % unfallbedingten bzw. traumatischen Fällen und 55 % krankheitsbedingten bzw. nicht-traumatischen Fällen.
Ursachen von Querschnittlähmungen
Die Ursachen für eine Querschnittlähmung können vielfältig sein und werden grundsätzlich in traumatische und nicht-traumatische Ursachen unterteilt.
Traumatische Ursachen
Traumatische Ursachen umfassen Verletzungen des Rückenmarks, die durch Unfälle verursacht werden. Dazu gehören:
- Verkehrsunfälle: Ein schwerer Unfall im Straßenverkehr kann zu Frakturen der Wirbelsäule führen, wodurch das Rückenmark gequetscht oder durchtrennt wird.
- Sportunfälle: Bestimmte Sportarten, insbesondere solche mit hohem Verletzungsrisiko, können zu Rückenmarksverletzungen führen.
- Stürze: Stürze, insbesondere bei älteren Menschen, können Wirbelsäulenfrakturen und somit Querschnittlähmungen verursachen.
- Gewalteinwirkung: Traumatische Verletzungen durch Gewalt können ebenfalls das Rückenmark schädigen.
Nicht-traumatische Ursachen
Nicht-traumatische Ursachen umfassen Krankheiten und medizinische Zustände, die das Rückenmark schädigen können. Dazu gehören:
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- Tumoren im Rückenmark: Tumoren können auf das Rückenmark drücken und es schädigen.
- Entzündungen: Entzündungen des Rückenmarks, wie z. B. bei Multipler Sklerose (MS) oder bakteriellen Rückenmarksentzündungen, können zu Querschnittlähmungen führen.
- Infektionen: Infektionen, wie z. B. FSME- oder Borrelien-Erkrankungen, können das Rückenmark schädigen.
- Gefäßerkrankungen: Blutungen im Spinalkanal der Wirbelsäule oder Gefäßverschlüsse können das Rückenmark schädigen.
- Bandscheibenvorfälle: Ein Bandscheibenvorfall kann auf das Rückenmark drücken und es schädigen.
- Spinalkanalstenose: Bei einer Spinalkanalstenose kann es durch den Druck auf Nerven und Rückenmark je nach Lokalisation zu Lähmungserscheinungen in Armen und Beinen kommen.
- Autoimmunerkrankungen: Autoimmunerkrankungen können das Rückenmark angreifen und schädigen.
- Stoffwechselstörungen: Ein Vitamin B12 Mangel kann eine Querschnittssymptomatik verursachen.
- Angeborene Fehlbildungen: In seltenen Fällen kann eine Querschnittlähmung angeboren sein, zum Beispiel bei Spina bifida.
Formen der Querschnittlähmung
Je nachdem, welcher Bereich des Rückenmarks betroffen ist und wie stark die Schädigung ist, unterscheidet man verschiedene Formen der Querschnittlähmung.
Paraplegie
Paraplegie bezieht sich auf eine Lähmung der unteren Körperhälfte, typischerweise einschließlich der Beine. Bei Paraplegie infolge von Brustwirbelverletzungen ist in der Regel die untere Körperhälfte betroffen.
Tetraplegie
Tetraplegie (auch als Quadriplegie bezeichnet) bezieht sich auf eine Lähmung aller vier Gliedmaßen. Bei einer Querschnittlähmung im Bereich der Halswirbelsäule sind beide Arme und Beine einschließlich Rumpf betroffen. Das Ausmaß der Lähmung in den Armen hängt davon ab, in welchem Segment der Halswirbelsäule das Rückenmark geschädigt ist.
Komplette und inkomplette Querschnittlähmung
Eine komplette Querschnittlähmung tritt auf, wenn das Rückenmark vollständig durchtrennt oder schwer geschädigt ist. In diesem Fall ist die motorische und sensorische Funktion unterhalb der Verletzungsstelle vollständig aufgehoben.
Eine inkomplette Querschnittlähmung tritt auf, wenn das Rückenmark teilweise beschädigt ist. Im Gegensatz zur kompletten Querschnittlähmung behalten Betroffene mit unvollständiger Querschnittlähmung oft noch gewisse motorische oder sensorische Funktionen unterhalb der Verletzungsebene bei.
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Spastische und schlaffe Lähmung
Spastische Lähmungen sind durch einen erhöhten Muskeltonus und Steifheit in den betroffenen Muskelarealen gekennzeichnet. Sie treten auf, wenn die oberen motorischen Neuronen im Gehirn oder Rückenmark geschädigt sind.
Schlaffe Lähmungen hingegen sind mit einem verminderten Muskeltonus und Schwäche verbunden. Sie treten auf, wenn die unteren Motoneuronen geschädigt sind, die für die Übertragung von Signalen aus dem Rückenmark an die Muskeln verantwortlich sind.
Symptome der Querschnittlähmung
Die Symptome einer Querschnittlähmung hängen davon ab, welcher Bereich des Rückenmarks betroffen ist und wie stark die Schädigung ist. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
- Motorische Defizite: Verlust der körperlichen Bewegungsfähigkeit unterhalb des Verletzungsniveaus, von Teillähmungen bis hin zu vollständigen Lähmungen.
- Sensorische Defizite: Beeinträchtigungen der Empfindung und des Tastsinns unterhalb des Verletzungsniveaus, von einem leichten Taubheitsgefühl bis hin zum vollständigen Verlust der Empfindung.
- Autonome Funktionsstörungen: Störungen von Reflexen wie der Blasen- und Darmkontrolle.
- Schmerzsyndrome: Anhaltende Beschwerden aufgrund von Schäden oder Reizungen, die durch eine Rückenmarksverletzung verursacht werden.
- Spastik: Unwillkürliche Muskelkontraktionen, die zu Verspannungen und Steifheit in den betroffenen Muskeln führen können.
- Schlaffe Lähmung: Verlust des Muskeltonus und der Muskelkraft, was es schwierig oder unmöglich macht, Bewegungen zu initiieren.
- Beeinträchtigung der Blasen- und Darmfunktion: Dies kann zu Inkontinenz oder Schwierigkeiten beim Entleeren von Blase und Darm führen.
- Sexuelle Dysfunktion: Querschnittlähmung kann die sexuelle Funktion beeinträchtigen.
- Muskelatrophie: Durch die mangelnde Bewegung kann es zu einem Abbau der Muskelmasse kommen.
- Druckgeschwüre: Durch den anhaltenden Druck auf die Haut, insbesondere an Stellen mit wenig Weichteilgewebe, können Druckgeschwüre entstehen.
- Osteoporose: Aufgrund der fehlenden Bewegung und Knochenbelastung kann es zu Osteoporose kommen.
- Chronische Schmerzen: Chronische Schmerzen, insbesondere neuropathische Schmerzen, sind eine häufige und belastende Komplikation bei Querschnittlähmung.
- Psychische Auswirkungen: Das Leben mit einer Querschnittlähmung kann emotional sehr belastend sein und zu Depressionen oder Angstzuständen führen.
Diagnose der Querschnittlähmung
Die Diagnose einer Querschnittlähmung erfolgt in der Regel durch eine gründliche klinische Untersuchung, Bildgebung und neurologische Tests.
- Klinische Untersuchung: Der Arzt testet die Motorik und Sensibilität des Körpers und der Gliedmaßen und prüft die Reflexe. Außerdem werden Störungen der Blase und des Mastdarms untersucht und eventuelle Vorerkrankungen abgeklärt.
- Bildgebung: Röntgenaufnahmen, Computer- oder Magnetresonanztomografie des Rückenmarks geben Aufschluss über knöcherne Verletzungen und Schäden am Rückenmark. Die MR Neurographie des Arm-Nervengeflechts kann bei entzündlichen Erkrankungen hilfreich sein.
- Neurologische Tests: Elektrophysiologische Untersuchungen, wie z. B. Elektromyographie (EMG), können die Funktionsfähigkeit der Nerven überprüfen und den Grad der neurologischen Schädigung bestimmen.
- Liquoranalyse: Eine Lumbalpunktion (Liquoranalyse) hilft weiter, wenn es sich um eine entzündliche Ursache wie eine FSME- oder Borrelien-Erkrankung oder um eine Multiple Sklerose handeln sollte.
- Bluttests: Durch eine Blutentnahme können andere Ursachen wie eine Vitaminmangelstörung oder eine stoffwechselbedingte Störung oder eine Autoimmunkrankheit festgestellt werden.
Behandlung der Querschnittlähmung
Die Behandlung einer Querschnittlähmung ist ein komplexer Prozess, der einen individuellen Ansatz erfordert, um den Bedürfnissen des einzelnen Patienten gerecht zu werden. Da eine Querschnittlähmung nicht heilbar ist, zielt die Behandlung darauf ab, die bestmögliche Lebensqualität zu erreichen und Komplikationen zu vermeiden.
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Akutbehandlung
Bei Verdacht auf Querschnittlähmung ist eine sofortige Akutbehandlung erforderlich, um weitere Schäden zu verhindern. Dies kann die Immobilisierung der Wirbelsäule, die Anwendung von Medikamenten zur Entzündungshemmung (z. B. Kortison) und die Stabilisierung der Atemwege umfassen. Zusätzlich ist es wichtig, Blutverdünner zu verabreichen, um das Risiko von Blutgerinnseln zu reduzieren.
Operative Eingriffe
In einigen Fällen können chirurgische Eingriffe notwendig sein, um die Ursache von Lähmungen zu behandeln oder um Komplikationen zu verhindern. Dazu gehören Operationen zur Entlastung des Rückenmarks bei Bandscheibenvorfällen oder Tumoren, Wirbelsäulen-Stabilisierungsoperationen und verschiedene Eingriffe zur Verbesserung der Blasen- und Darmfunktion.
Rehabilitation
Physikalische Therapie und Rehabilitation sind entscheidende Aspekte bei der Behandlung von Patienten mit Querschnittlähmungen. Die Therapie zielt darauf ab, die Funktionsfähigkeit zu verbessern, den Muskeltonus zu regulieren und die Beweglichkeit zu erhalten. Spezielle Maßnahmen wie Rollstuhltraining, Transferschulung und Mobilitätstraining helfen dem Patienten, sich im Alltag unabhängiger zu bewegen und zu agieren.
Medikamentöse Behandlung
In der akuten Phase wird bei Querschnittgelähmten oft eine medikamentöse Behandlung angewendet, um verschiedene Symptome zu kontrollieren. Dazu gehören Schmerzmittel, Muskelrelaxantien und Medikamente zur Behandlung von Blasen- und Darmfunktionsstörungen.
Hilfsmittel und Geräte
Eine Vielzahl von Hilfsmitteln und Geräten kann im Alltag zur Unterstützung bei einer Querschnittlähmung beitragen. Dazu gehören (Elektro-)Rollstühle, Rollatoren, Scooter, Gehhilfen, orthopädische Korsetts und Blasenkatheter, aber auch spezielle Badewannenlifte, Duschstühle, Bettlagerungssysteme, Zahnspangen, Schienen, Kommunikationsgeräte sowie angepasste Werkzeuge und Geräte für den Haushalt.
Psychologische Unterstützung
Das Leben mit einer Querschnittlähmung kann emotional sehr belastend sein. Psychologische Unterstützung kann helfen, mit Depressionen, Angstzuständen und anderen psychischen Problemen umzugehen. Soziale Unterstützungsdienste sind wichtig, um Einsamkeit und Isolation, die bei Menschen mit Rückenmarksverletzungen häufig vorkommen, zu verringern.
Adaptive Sportarten
Adaptive Sportarten sind ein wichtiger Bestandteil bei der Behandlung von Rückenmarksverletzungen. Sie verbinden körperliche Bewegung mit emotionaler Unterstützung. Betroffene können auf ein breites Angebot wie Rollstuhlbasketball, Rollstuhl-Rugby, Rollstuhltennis oder Bogenschießen zugreifen.
Berufliche Rehabilitation
Berufliche Rehabilitation ist eine weitere wichtige Form der Betreuung von Menschen mit Querschnittlähmung. In Ihrem Fokus steht die Hilfestellung beim Erwerb der notwendigen Fähigkeiten, um im gewünschten Beruf oder Bereich arbeiten zu können.
Komplikationen und Folgeerscheinungen
Eine Querschnittlähmung kann zu einer Reihe von Komplikationen und Folgeerscheinungen führen, darunter:
- Druckgeschwüre: Durch den anhaltenden Druck auf die Haut, insbesondere an Stellen mit wenig Weichteilgewebe.
- Spastik: Unwillkürliche Muskelkontraktionen, die zu Verspannungen und Steifheit führen können.
- Blasen- und Darmfunktionsstörungen: Dies kann zu Inkontinenz oder Schwierigkeiten beim Entleeren von Blase und Darm führen.
- Osteoporose: Aufgrund der fehlenden Bewegung und Knochenbelastung.
- Chronische Schmerzen: Insbesondere neuropathische Schmerzen.
- Harnwegsinfekte: Bei gestörter Blasenfunktion, vor allem wenn die Blase nicht vollständig entleert werden kann.
- Verminderte Lebenserwartung: Ob die Lebenserwartung beeinträchtigt ist, hängt stark von der Ausprägung und vor allem von der Höhe des Querschnitts ab.
Innovative Ansätze in der Forschung
Forscher arbeiten kontinuierlich an neuen Therapien zur Behandlung von Querschnittlähmungen. Dazu gehören:
- Funktionelle Elektrostimulation (FES): Die funktionelle Elektrostimulation mit dem STIWELL® kann bei der Therapie einer inkompletten Querschnittslähmung eingesetzt werden.
- Nervenreanimation: Stimulation bestimmter Rückenmarksnerven mit elektrischen Impulsen in Kombination mit intensiver Physiotherapie.
- Stammzelltherapie: Transplantation von Stammzellen zur Reparatur des geschädigten Rückenmarks.
Leben mit einer Querschnittlähmung
Das Leben mit einer Querschnittlähmung stellt Betroffene und ihre Angehörigen vor große Herausforderungen. Es ist wichtig, sich über die Erkrankung zu informieren, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Es gibt zahlreiche Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen, die Unterstützung und Informationen anbieten.
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