Demenz ist eine Erkrankung, die nicht nur das Gedächtnis, sondern auch das Essverhalten beeinflusst. In Schleswig-Holstein lebten Ende 2023 etwa 68.000 Menschen mit Demenz. Obwohl Demenz in jedem Alter auftreten kann, steigt das Risiko mit zunehmendem Alter stark an, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Ratgeber zur Ernährung bei Demenz, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und Mangelernährung vorzubeugen.
Was ist Demenz?
Demenz, abgeleitet vom lateinischen Begriff „weg vom Geist“, ist ein Syndrom, das durch erworbene Störungen der Gedächtnisfunktionen gekennzeichnet ist, wobei Nervenzellen absterben. Die Alzheimer-Demenz ist mit rund zwei Dritteln der Fälle die bekannteste Form, während etwa 20 Prozent der Betroffenen an einer vaskulären Demenz leiden, die durch Schlaganfälle oder Durchblutungsstörungen verursacht wird. Im Verlauf der Erkrankung gehen weitere geistige und körperliche Fähigkeiten wie Sprache, Orientierung, Lern-, Erinnerungs-, Denk- und Urteilsvermögen verloren. Demenzkranke verändern sich auch im Verhalten, können aggressiv, depressiv, unruhig oder apathisch werden. Zudem verlangsamen sich Bewegungen und die Koordination ist gestört.
Auswirkungen der Demenz auf das Essverhalten
Der fortschreitende Verlust der Gedächtnisleistung bei einer Demenz kann sich sehr unterschiedlich entwickeln. Besonders betroffen ist das Kurzzeitgedächtnis. Mit zunehmendem Fortschreiten der Krankheit kann auch das Langzeitgedächtnis beeinträchtigt werden, sodass sogar ältere Erinnerungen verblassen, was zu Orientierungslosigkeit führen kann. In der Folge haben Betroffene oft Probleme, alltägliche Aufgaben zu bewältigen.
Die Veränderung sozialer Fähigkeiten bei Demenz kann das Essverhalten erheblich beeinflussen. Da Betroffene zunehmend Schwierigkeiten haben, soziale Normen zu verstehen oder Gespräche zu führen, kann das gemeinsame Essen in Gesellschaft unangenehm oder überfordernd sein.
Eine Demenzerkrankung beeinträchtigt häufig das Hunger- und Sättigungsgefühl. Oft haben die Betroffenen keinen Appetit oder essen übermäßig, ohne das Gefühl von Sättigung zu erleben. Beides kann sich negativ auf die Gesundheit auswirken, etwa durch Gewichtsverlust oder -zunahme. Manchmal vergessen Betroffene, dass sie bereits gegessen haben.
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Der Geschmackssinn ändert sich durch eine Demenzerkrankung häufig. Das kann dazu führen, dass die Betroffenen die Lust am Essen verlieren. Geschmacksrichtungen wie süß, salzig, sauer oder bitter können mitunter nicht richtig unterschieden werden.
Eine Demenz kann zu einer Schluckstörung (Dysphagie) führen, da die kognitiven und motorischen Fähigkeiten, die für das sichere Schlucken erforderlich sind, beeinträchtigt werden. Besonders bei fortgeschrittener Demenz verlieren Betroffene zunehmend die Kontrolle über die Muskelkoordination und die Wahrnehmung, die nötig ist, um Nahrung und Flüssigkeit sicher durch den Rachen in die Speiseröhre zu befördern. Die fehlende Koordination der Schluckmuskulatur kann zu einem unkontrollierten Verschlucken führen. Zudem können Veränderungen im Gehirn, die das Verständnis von Speisen und deren Verarbeitung betreffen, dazu führen, dass die Betroffenen nicht mehr merken, wann sie schlucken müssen oder welche Nahrungsmittel schwerer zu schlucken sind.
Menschen mit Demenz haben mitunter einen erhöhten Bewegungsdrang, was den Energiebedarf immens steigern kann (zum Teil auf den Bedarf von Spitzensportler*innen). Oft sind sie so beschäftigt, dass sie das Essen nicht wahrnehmen oder das Bedürfnis, sich zu bewegen, stärker ist als der Hunger. Zudem kann der Bewegungsdrang zu Ablenkungen während der Mahlzeit führen, sodass die Betroffenen die Nahrungsaufnahme unterbrechen, um sich erneut zu bewegen, was die gesamte Essenszeit verlängert und die Aufnahme von Nahrung beeinträchtigt.
Mangelernährung bei Demenz
Unter Mangelernährung wird zum einen eine ungewollte Gewichtsabnahme verstanden, die auf eine zu geringe Energiezufuhr hinweist (quantitative Mangelernährung). Zum anderen kann eine einseitige Ernährung dazu führen, dass der Körper nicht mehr ausreichend mit lebenswichtigen Nährstoffen versorgt wird, wodurch wichtige Körperfunktionen eingeschränkt sind (qualitative Mangelernährung).
Einer Mangelernährung kann durch eine ausgewogene Ernährung, die ausreichend Energie und Nährstoffe enthält, entgegengewirkt werden. Flüssigkeitsmangel ist ein sehr häufiges Problem bei Menschen mit Demenz, da Betroffene manchmal vergessen zu trinken oder kein Durstgefühl mehr verspüren können.
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Maßnahmen gegen Mangelernährung
- Ausgewogene Ernährung: Sicherstellen, dass die Ernährung ausreichend Energie und Nährstoffe enthält.
- Flüssigkeitszufuhr: Flüssigkeit in Nahrungsmitteln einbauen, z. B. wasserreiche Lebensmittel.
- Individuelle Vorlieben berücksichtigen: Vertraute Speisen von früher, die mit schönen Erinnerungen verbunden sind, wecken gute Gefühle, geben Orientierung und fördern den Appetit.
Ernährungsempfehlungen für Menschen mit Demenz
Eine angemessene Ernährung für demente Menschen sollte Energie, Nährstoffe und Flüssigkeit in ausreichender Menge sicherstellen und Gewichtsabnahme, Austrocknung und Mangelernährung verhindern. Die Auswahl der Lebensmittel entspricht den allgemeinen Empfehlungen für die Ernährung von älteren Menschen ohne Demenz. Ebenso wichtig wie der gesundheitliche Wert der Speisen ist jedoch die Freude am Essen.
Allgemeine Ernährungstipps
- Ausgewogene Ernährung: Gut sind Brot, Kartoffeln, Reis, Obst und Gemüse, Fisch, etwas Fleisch, Eier, Joghurt, Milch oder Käse.
- Kalorienbedarf: Wenn die Betroffenen sehr unruhig und angespannt sind oder viel umherwandern, dann benötigt ihr Körper mehr Energie als sonst. In diesem Fall können Sie die Bratensoße ruhig mit Sahne anreichern oder ihnen einen fettreicheren Käse anbieten.
- Trinken: Achten Sie darauf, dass sie täglich mindestens 1,5 Liter trinken. Das entspricht etwa acht großen oder zehn kleinen Tassen Wasser, Saft oder Tee. Um Menschen mit Demenz ans Trinken zu erinnern, können Sie an verschiedenen Stellen in der Wohnung Flaschen aufstellen, aus denen sie sich den ganzen Tag über bedienen können.
Spezielle Tipps zur Zubereitung
- Geschmack: Demenz beeinträchtigt die Geruchs- und Geschmackswahrnehmung. Betroffene bevorzugen dann eher süße Speisen und lehnen Saures ab. Bei fortgeschrittener Krankheit leiden Demente oft auch an einer Schluckstörung. Wenn Essen kaum riecht, nicht schmeckt und schwer zu schlucken ist, schränken sich Auswahl und verzehrte Menge der Nahrung ein.
- Geruch: Vertraute Gewürze wie Bohnenkraut und Schnittlauch und intensive, leckere Essensdüfte von frisch gebackenen Waffeln oder Kaffee motivieren zum Essen und Trinken.
- Süße: Ungewöhnlich, aber beliebt: selbst Fleischküchlein und Gemüsesuppe dürfen dann gezuckert werden.
- Anreichern: Mahlzeiten können beispielsweise mit Sahne oder pflanzlichen Ölen angereichert werden.
- Farben: Mit Farben arbeiten, damit das Essen ansprechend ist, dabei aber auch nicht zu grell werden.
- Saisonale Gerichte: Saisonale Gerichte kochen, damit die Person ein Gefühl für Jahreszeiten bekommt und auch den Tisch entsprechend eindecken.
Praktische Tipps für den Umgang mit verändertem Essverhalten
- Feste Essenszeiten: Um zu verhindern, dass Menschen mit Demenz das Essen einfach vergessen, sollten Sie feste Essenszeiten einhalten.
- Fingerfood: Fingerfood ist eine gute Alternative zum Essen mit Besteck.
- Essen mit auf den Weg geben: Demente mit Lauftendenzen können beim so genannten „eat by walking“ das Essen als Fingerfood mit auf den Weg nehmen.
- Hilfestellung: So lange wie möglich sollten Demente mithelfen dürfen. Manchen hilft es, wenn sie kleine Impulse erhalten, man ihnen die Hand führt oder die Bewegung vormacht.
- Zeit und Geduld: Zeit, Geduld und sich einlassen auf diese andere Welt mit ihren Speisen und Getränken, sind hierbei gute Ratgeber.
- Individuelle Essensbegleitung: sich wirklich mit an den Tisch setzen und der Person auf der gleichen Ebene begegnen, nicht nur danebenstehen.
- Umgang mit Horten: In vielen Fällen kann man versuchen, das Sammeln als solches dadurch zu kontrollieren, dass eine Absprache getroffen wird: Die Betroffenen dürfen horten, aber einmal in der Woche wird gemeinsam kontrolliert, ob die zusammengetragenen Lebensmittel noch genießbar sind. Es ist dabei aber wichtig, Vertrocknetes, Verfaultes oder Verschimmeltes nicht einfach wegzuwerfen, sondern durch etwas Frisches zu ersetzen.
Beispiele für Fingerfood
- Gemüse: Gurken (frisch oder süß-sauer eingelegt), Möhren, Kohlrabi, Kürbis, Blumenkohl, Champignons, Paprika, Radieschen, Rettich, Tomaten (mit Käse überbacken), Zucchinischeiben, Selleriescheiben, Cocktailtomaten
- Obst: Ananasstücke, Apfelschnitze, Aprikosen (entsteint), Bananen, Birnenschnitze, Erdbeeren, Pfirsichspalten (frisch), Pflaumen (entsteint), Renekloden, Weintrauben, Mandarinenspalten, Orangenspalten
- Brot: Alle Sorten belegt, geviertelt oder geachtelt, mundgerechte Schnittchen, Mini-Brötchen, Käsesticks, Kräcker, Toast geviertelt, Käse-Pumpernickel
- Backwaren: Mini-Biskuitrolle, Streuselkuchen, Apfelkuchen, Dresdner Stollen, Mini-Amerikaner, Schnecken aus Hefeteig, Hefekleingebäck, kleine Blätterteigtaschen, Käsegebäck, Waffeln
- Fleischgerichte: Fleischwurst, Blutwurst, Mini-Cabanossi, Bockwurst, Wellwurst, Grützwurst, geräucherte Mettenden, Spargelröllchen, Schweinesülze, gebratenes Kotelett (kalt in Stücke geschnitten), Leberklößchen, Markklößchen
Schluckstörungen (Dysphagie)
Eine Demenz kann zu einer Schluckstörung (Dysphagie) führen, da die kognitiven und motorischen Fähigkeiten, die für das sichere Schlucken erforderlich sind, beeinträchtigt werden.
Maßnahmen bei Schluckstörungen
- Logopädische Behandlung: Sobald derartige Schluckbeschwerden auftreten, sollten Sie vom behandelnden Arzt beziehungsweise behandelnden Ärztin eine logopädische Behandlung verordnen lassen.
- Konsistenzanpassung: Angehörigen wird vermittelt, dass man die Nahrungsaufnahme durch verschiedene Formen angedickter Nahrung sowohl verbessern als auch erleichtern kann.
- Pürierte Kost: Bei der pürierten Kost ist darauf zu achten, dass Speisen einzeln püriert werden, damit das ursprüngliche Lebensmittel noch zu erkennen bzw. zu schmecken ist und die Mahlzeit keine „unappetitliche" Farbe erhält. Unterschiedliche und vertraute Farben und Formen regen den Appetit an.
- Körperhaltung: Das Risiko sich zu verschlucken, kann durch die richtige Körperhaltung beim Essen gemindert werden.
Die Rolle der Kommunikation
Empathie und Wissen spielen bei der Betreuung von Menschen mit Demenz eine zentrale Rolle. Über die Kommunikation können demenziell erkrankte Menschen auf das Essen eingestimmt werden, sodass die Nahrungsaufnahme erleichtert werden kann.
Hilfestellungen für die Kommunikation
- Beim Reden und bei Unterhaltungen Blickkontakt herstellen
- Immer namentlich ansprechen
- Langsam und deutlich reden
- Wichtige Informationen wiederholen
- Ironie sollte vermieden werden, da Erkrankte diese häufig nicht mehr verstehen
- Diskussionen meiden
- Lob und Bestätigung - Kritik vermeiden
- Demenziell Erkrankte benötigen Zeit für ihre Antworten. Also Zeit lassen!
- Geschlossene Fragen stellen, die mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden können (Beispiel: Möchtest du einen Kaffee trinken?)
- Anschuldigungen oder Vorwürfe (sind oft der Hilflosigkeit und Frustration geschuldet) überhören und geschickt das Thema wechseln
- Falsch weggeräumte Dinge (z. B. Milch im Backofen) stillschweigend an den richtigen Ort räumen. Erklärungen machen keinen Sinn.
Gestaltung der Essumgebung
Die Essumgebung und das Ambiente können so gestaltet werden, dass auch die Seele der demenziell veränderten Menschen satt wird.
Tipps zur Gestaltung der Essenssituation
- Mit Reizeinflüssen, wie etwa Radio, Fernseher, klapperndes Geschirr oder lauten Unterhaltungen vorsichtig umgehen.
- Tischdekorationen können Menschen mit Demenz verwirren, weshalb darauf so gut es geht verzichtet werden sollte.
- Für das Essen sind tiefe Teller mit einem farbigen Rand geeignet, damit die demenziell erkrankten Menschen das Essen leicht finden können.
- Dominante Personen, die wiederholt mit einer harschen Wortwahl die Sitznachbarn ärgern, können den Appetit einer ganzen Gruppe demenziell veränderter Menschen verderben.
- Eine ruhige, strukturierte und einladende Essumgebung kann für Menschen mit Demenz hilfreich sein, um Ablenkung und Überforderung zu vermeiden und den Essprozess zu erleichtern. Eine ruhige, angenehme, stressfreie und einladende Umgebung fördert das Gefühl von Sicherheit und reduziert mögliche Ängste oder Verwirrung, die während des Essens auftreten können.
Ernährung und Demenzprävention
Auch wenn es kein einzelnes Lebensmittel gibt, mit dem sich das Alzheimer-Risiko einfach „wegessen“ lässt, gibt es Hinweise darauf, dass eine ausgewogene Ernährung das Demenzrisiko senken kann.
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Empfehlungen zur Demenzprävention
- Mittelmeerküche: Ein bewährtes Vorbild ist die traditionelle Mittelmeerküche mit viel Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, fettem Seefisch und Olivenöl.
- Vermeidung von hochverarbeiteten Lebensmitteln: Hoch verarbeitete und hochkalorische Nahrungsmittel sind mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden. Hierzu zählen beispielsweise Fertigmahlzeiten („Fast Food“), Wurstwaren, Chips und zuckerhaltige Getränke wie Limonaden.
- Omega-3-Fettsäuren: Erwiesenermaßen sind aber Omega-3-Fettsäuren gut für die Zellen und das Gehirn. Sie finden sich vor allem in Walnüssen, Lein-, Hanf- und Rapsöl sowie in Fischen wie Lachs, Hering Makrele oder Sardelle.
- Aktiver Lebensstil: Körperliche Aktivität, geistige Aktivitäten und soziale Kontakte sind das A und O der Demenzprävention und bremsen auch das Voranschreiten der Erkrankungen.
Zusätzliche Aspekte
- Alkohol: Da Alkohol einen direkten negativen Einfluss auf das Gehirn hat, sollten Menschen mit Demenz möglichst vollständig darauf verzichten.
- Wechselwirkungen mit Medikamenten: Durch Zitrusfrüchte können Wechselwirkungen mit Medikamenten auftreten und die Wirkung der Medikamente sogar ausgesetzt werden. Auch Flohsamen vermindern die Wirkung von Medikamenten. Hier sollte man Rücksprache mit seinem Arzt halten und die Packungsbeilagen beachten.