Reizleitung vom Auge zum Gehirn: Eine physiologische Betrachtung

Das visuelle System ist ein komplexes Netzwerk, das es uns ermöglicht, die Welt um uns herum wahrzunehmen. Licht, das durch Hornhaut, Linse und Glaskörper auf die Netzhaut gelangt, wird dort von den Stäbchen und Zapfen in Nervensignale umgewandelt. Diese Signale werden über den Sehnerv zum Gehirn weitergeleitet, wo sie als Sehempfindung verarbeitet werden.

Aufbau und Funktion des Auges

Das Auge ist ein komplexes Sinnesorgan, das Lichtreize aufnimmt und in neuronale Signale umwandelt. Die wichtigsten Bestandteile des Auges sind:

  • Hornhaut: Die klare, äußere Schicht des Auges, die das Licht bricht und auf die Linse fokussiert.
  • Linse: Eine flexible Struktur, deren Wölbung sich verändern kann, um das Bild scharf auf der Netzhaut abzubilden (Akkommodation). Dies ermöglicht es uns, sowohl nahe als auch ferne Objekte scharf zu sehen.
  • Glaskörper: Eine gelartige Substanz, die den Raum zwischen Linse und Netzhaut ausfüllt und dem Auge seine Form gibt.
  • Netzhaut (Retina): Die lichtempfindliche Schicht im hinteren Teil des Auges, die die Fotorezeptoren (Stäbchen und Zapfen) enthält.
  • Stäbchen: Lichtempfindliche Zellen, die für das Sehen bei schlechten Lichtverhältnissen (Dämmerungssehen) verantwortlich sind. Sie ermöglichen uns das Hell-Dunkel-Sehen, haben aber eine geringe Sehschärfe.
  • Zapfen: Zellen, die für das Farbsehen und das Sehen bei guten Lichtverhältnissen zuständig sind. Es gibt drei Arten von Zapfen, die jeweils auf rotes, grünes oder blaues Licht reagieren.
  • Sehnerv (Nervus opticus): Ein Nerv, der die Signale der Netzhaut zum Gehirn leitet.

Die Netzhaut: Ort der Lichtverarbeitung

Die Netzhaut (Retina) ist die lichtsensible Schicht des Auges und dient der Wahrnehmung von Lichtreizen. Sie ist die innerste Schicht des Augapfels und liegt im hinteren Teil des Auges. Hier findet die eigentliche Fototransduktion statt.

Aufbau der Netzhaut:

Die Netzhaut besteht aus mehreren hintereinander angeordneten Zellschichten:

  1. Pigmentepithel: Die äußerste Schicht der Netzhaut, die das Licht absorbiert, das nicht von den Lichtsinneszellen absorbiert wurde. Es ist durch Pigmente dunkel gefärbt und sorgt für den Stoffaustausch zwischen der Aderhaut und der Photorezeptorschicht. Die Aderhaut liegt hinter der Netzhaut und versorgt das Auge mit Nährstoffen und Sauerstoff.
  2. Photorezeptorschicht: Diese Schicht enthält die Lichtsinneszellen (Fotorezeptoren): Stäbchen und Zapfen.
    • Stäbchen: Ermöglichen das Hell-Dunkel-Sehen (Nachtsehen, Dämmerungssehen). Sie reagieren sehr empfindlich auf Licht, haben aber eine geringe Sehschärfe.
    • Zapfen: Sind für das Farbsehen zuständig und haben eine geringe Lichtempfindlichkeit, aber eine hohe Sehschärfe. Es gibt drei Zapfenarten für die Farben Rot, Grün und Blau.
  3. Bipolarzellschicht: Hier werden die Informationen von mehreren Zapfen und Stäbchen gebündelt.
  4. Ganglienzellschicht: Die Ganglienzellen wandeln die Informationen der vorherigen Zellschichten in ein elektrisches Signal um, das dann über den Sehnerv zum Gehirn geleitet wird. Die Axone der Ganglienzellen konvergieren und bilden den Sehnerv (N. opticus).

Weitere Zelltypen in der Netzhaut:

  • Horizontalzellen: Stellen Verbindungen zwischen den Lichtsinneszellen dar und können die Lichtempfindlichkeit der Nachbarzellen erhöhen.
  • Amakrinzellen: Verbinden Bipolarzellen und Ganglienzellen untereinander und reagieren auf Beleuchtungsveränderungen und Bewegungen.

Fototransduktion: Umwandlung von Licht in Nervensignale

Die Fotorezeptoren (Stäbchen und Zapfen) enthalten spezielle Pigmente, die auf Licht reagieren. Wenn Licht auf diese Pigmente trifft, ändert sich ihre Struktur, was eine Kaskade von chemischen Reaktionen auslöst. Diese Reaktionen führen zur Erzeugung eines elektrischen Signals, das an die nachgeschalteten Nervenzellen (Bipolarzellen) weitergeleitet wird.

Lesen Sie auch: Klinische Relevanz der Sehbahn

Der Sehnerv und die Sehbahn

Die Axone der Ganglienzellen der Netzhaut bilden den Sehnerv (Nervus opticus). Der Sehnerv verlässt das Auge an der Austrittsstelle des Sehnervs, auch blinder Fleck genannt, da sich an dieser Stelle keine Lichtsinneszellen befinden.

Der Sehnerv leitet die visuellen Informationen zum Gehirn. Die Sehbahn ist der Weg, den die Nervensignale vom Auge zum Gehirn nehmen. Sie besteht aus folgenden Abschnitten:

  1. Sehnerv (Nervus opticus): Überträgt die Signale von der Netzhaut.
  2. Chiasma opticum (CO): Hier kreuzen sich die Nervenfasern der nasalen Netzhauthälften. Dadurch gelangen die Informationen von der rechten Gesichtsfeldhälfte in die linke Gehirnhälfte und umgekehrt.
  3. Tractus opticus: Enthält die Nervenfasern, die nach der Kreuzung im Chiasma opticum weiterziehen.
  4. Nucleus geniculatus lateralis (NGL): Ein Kerngebiet im Thalamus, das alsRelaisstation für visuelle Informationen dient. Von hier aus werden die Signale zum visuellen Kortex weitergeleitet. Einige Fasern gehen auch zum Colliculus superior, der an der Steuerung von Augenbewegungen beteiligt ist.
  5. Radiatio optica: Eine Nervenfaserbahn, die die Signale vom NGL zum visuellen Kortex transportiert. Die Meyer-Schleife ist ein Teil der Radiatio optica, der sich bogenförmig nach vorne erstreckt.
  6. Visueller Kortex: Der Bereich im Okzipitallappen des Gehirns, in dem die visuellen Informationen verarbeitet werden. Hier entsteht die eigentliche Sehempfindung.

Verarbeitung visueller Informationen im Gehirn

Im visuellen Kortex werden die Signale der Netzhaut analysiert und interpretiert. Verschiedene Bereiche des visuellen Kortex sind für die Verarbeitung unterschiedlicher Aspekte des Sehens zuständig, wie z.B. Farbe, Form, Bewegung und Tiefe.

  • Farbe: Bei normaler Beleuchtung kann ein gesundes menschliches Auge bis zu 100.000 Farbnuancen unterscheiden. Die Zapfen in der Netzhaut reagieren auf unterschiedliche Wellenlängen des Lichts, was die Wahrnehmung von Farben ermöglicht. Wenn beispielsweise eine bestimmte Zapfenart stark gereizt wird, entsteht der Sinneseindruck "Farbe" mit all seinen möglichen Nuancen. Wenn das Umgebungslicht nachlässt, verlieren die Zapfen nach und nach ihre Wirkung, während die Stäbchen weiterhin Impulse ans Gehirn senden. Die drei Zapfenarten reagieren nacheinander für Rot, Grün und Blau, wobei Blau am längsten benötigt. Aus diesem Grund ist Gelb eine ideale Signalfarbe, da sie auch bei schlechten Lichtverhältnissen gut erkennbar ist.
  • Räumliches Sehen: Sehen erfordert das Sehen mit beiden Augen. Durch die unterschiedlichen Blickwinkel der beiden Augen kann das Gehirn die Lage im Raum bestimmen.
  • Gesichtsfelder: Die Gesichtsfelder jedes Auges überlappen sich beträchtlich, um ein binokulares Sehen und eine Tiefenwahrnehmung zu erzeugen. Das Bild jeder Hälfte des Gesichtsfeldes wird von der kontralateralen Hemisphäre verarbeitet. Der linke visuelle Kortex (blaue Linie) verarbeitet die Informationen aus der rechten Gesichtsfeldhälfte. Damit jede Hemisphäre visuelle Informationen aus dem kontralateralen Gesichtsfeld erhält, kreuzen sich die Nasenfasern am CO. Licht tritt in das Auge ein und sendet Signale an die Netzhaut und durch den Sehnerv. Die nasalen Fasern jedes Auges kreuzen sich am Chiasma opticum und setzen sich mit den temporalen Fasern zum Tractus opticus fort: rechte nasale Fasern verbinden sich mit den linken temporalen Fasern (blaue Linien) und die linken nasalen Fasern verbinden sich mit den rechten temporalen Fasern (rote Linien). Die Radiatio optica verbinden den Nucleus geniculatum laterale mit dem primären visuellen Kortex des Okzipitallappens, wo visuelle Informationen verarbeitet werden.

Anpassung an unterschiedliche Lichtverhältnisse

Das Auge ist in der Lage, sich an unterschiedliche Lichtverhältnisse anzupassen. Bei hellem Licht ziehen sich die Pupillen zusammen, um die Lichtmenge zu reduzieren, die auf die Netzhaut trifft. Bei Dunkelheit erweitern sich die Pupillen, um mehr Licht einzulassen.

Zudem passen sich die Fotorezeptoren an die Lichtverhältnisse an. Bei hellem Licht sind die Zapfen aktiv, während die Stäbchen weniger empfindlich sind. Bei Dunkelheit sind die Stäbchen aktiv, während die Zapfen weniger empfindlich sind.

Lesen Sie auch: Geplatztes Äderchen: Was tun?

Pathologien der Sehbahn

Schädigungen der Sehbahn können zu verschiedenen Gesichtsfelddefekten führen. Die Art des Gesichtsfelddefekts hängt davon ab, wo die Schädigung lokalisiert ist. Augenpathologie (z. B. N. Thrombose der A.

Beispiele für Gesichtsfeldausfälle:

  1. Verletzung der rechten (R) Makula: rechtes (R) zentrales Skotom
  2. Verletzung des R Sehnervs: Sehverlust R
  3. Verletzung des CO: bitemporale Hemianopsie
  4. Verletzung der R. temporalen Fasern: R nasale Hemianopsie
  5. Verletzung der R. nasalen Fasern: L homonyme Hemianopsie
  6. Verletzung der R. Meyer-Schleife: L homonyme superiore Quadrantanopsie
  7. Verletzung der R. superioren Anteile der Radiatio oprtica: L homonyme untere Quadrantanopsie
  8. Verletzung der Radiatio optica: L homonyme Hemianopsie
  9. Verletzung des primären visuellen Kortex R: L homonyme Hemianopsie mit Makulaerhaltung aufgrund kollateraler Blutversorgung.

Weitere Beispiele für Erkrankungen, die die Sehbahn beeinträchtigen können:

  • Ischämische Optikusneuropathie (ION): Folge einer verminderten Durchblutung, die zu einer Schädigung des Sehnervs führt. Ursachen können Diabetes Mellitus, Bluthochdruck, Riesenzellarteriitis und Polymyalgia rheumatica sein. Die nicht-arteriitische ION stellt sich als akuter, schmerzloser monokularer Sehverlust in Verbindung mit einem Höhengesichtsfelddefekt dar.
  • Infarkt der A. cerebri media: Ein ischämischer Schlaganfall (Hirninfarkt), der den Bereich der A. cerebri media betrifft, kann sich als kontralaterale homonyme Hemianopsie manifestieren.
  • Hypophysenadenom: Eine Hypophyse, die auf das Chiasma opticum Druck ausüben kann, kann eine bitemporale Hemianopsie verursachen.
  • Foster-Kennedy-Syndrom: Präsentiert sich mit bilateralen Sehproblemen und ist auf eine sich vergrößernde intrakranielle Raumforderung zurückzuführen, die auf den ipsilateralen Sehnerv drückt, was zu einer ipsilateralen Optikusneuropathie führt.

Lesen Sie auch: Faszination Nesseltiere: Wie sie ohne Gehirn leben

tags: #reizleitung #auge #gehirn #physiologie