Reizleitung Auge Gehirn: Der Weg des Sehens

Das Auge, ein Sinnesorgan von unschätzbarem Wert, ermöglicht uns die Orientierung in unserer Umwelt und sichert unser Überleben. Die Reizleitung vom Auge zum Gehirn ist ein komplexer Prozess, der in kürzester Zeit abläuft und uns ermöglicht, blitzschnell auf visuelle Informationen zu reagieren.

Die Funktion des Auges

Das Auge ist neben den Ohren das einzige paarig angeordnete Sinnesorgan. Seine Hauptfunktion ist das Sehen, ein Vorgang, der auf komplexen Mechanismen beruht. Ähnlich einer Filmkamera, bei der Licht durch eine Linse auf fotosensitive Sensoren trifft, empfängt das Auge Licht über die Hornhaut und die Linse. Die Pupille reguliert dabei die Lichtmenge, die auf die Netzhaut (Retina) trifft.

Die Netzhaut: Umwandlung von Licht in Elektroimpulse

Die Netzhaut, der hintere Teil des Auges, ist mit etwa 130 Millionen lichtempfindlichen Fotorezeptoren ausgestattet, den sogenannten Zapfen und Stäbchen. Diese wandeln Licht in Elektroimpulse um und fungieren als Übersetzer der Lichtreize in die "Sprache der Nervenzellen".

  • Stäbchen: Sie sind lichtempfindlicher als die Zapfen und ermöglichen das Sehen im Dunkeln (skotopisches Sehen). Ihre Ausprägung ist ein evolutionäres Erbe von Säugetieren, die die Dunkelheit als Schutz suchten.
  • Zapfen: Sie sind für das Sehen bei Tag bzw. in heller Umgebung (photopisches Sehen) zuständig und reagieren auf Licht unterschiedlicher Wellenlänge, wodurch wir Farben wahrnehmen können.

Das durch die Linse einfallende Licht wird an einer bestimmten Stelle im zentralen Bereich der Netzhaut, der Makula (auch bekannt als „Gelber Fleck“), gebündelt. Ähnlich wie bei einem Brennglas.

Der Sehvorgang im Detail

Der Sehvorgang ist ein faszinierendes Beispiel für Informationskaskaden und Second-Messenger-Vorgänge. Er basiert auf der Aktivierung des Sehfarbstoffs Rhodopsin.

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  1. Rhodopsin: Rhodopsin besteht aus dem Proteinteil Opsin und dem Vitamin-A-Derivat Retinal. Retinal kann in zwei Formen auftreten: 11-cis-Retinal (geknickt) und all-trans-Retinal (gestreckt).
  2. Lichteintritt: Wenn Licht auf das Auge trifft, wird 11-cis-Retinal in all-trans-Retinal umgewandelt.
  3. Opsin-Aktivierung: Das "gestreckte" all-trans-Retinal aktiviert den Proteinanteil des Rhodopsins, das Opsin.
  4. Transducin-Aktivierung: Das aktivierte Opsin gibt diese "Aktivinformation" an das G-Protein Transducin weiter.
  5. Phosphodiesterase-Aktivierung: Das aktivierte Transducin aktiviert das Enzym Phosphodiesterase (PDE).
  6. cGMP-Spaltung: PDE spaltet cGMP (cyclisches Guanosinmonophosphat) und bildet dabei GMP (Guanosinmonophosphat).
  7. Natriumkanal-Schließung: Nur cGMP kann an Rezeptoren der Natriumkanäle der Plasmamembran des Stäbchens binden. Wenn kein cGMP mehr gebunden ist, schließen sich die Natriumkanäle.
  8. Hyperpolarisation: Durch die Schließung der Natriumkanäle kommt es zu einer Hyperpolarisation des Stäbchens.

Die Sehbahn: Weiterleitung der visuellen Signale zum Gehirn

Die durch die Lichtreize in der Netzhaut erzeugten elektrischen Impulse werden über den Sehnerv (Nervus opticus) zum Gehirn weitergeleitet. Der Sehnerv besteht aus rund einer Million Axonen der Ganglienzellen der Netzhaut und hat einen Durchmesser von bis zu sieben Millimetern. Er verlässt das Auge auf dessen Rückseite, wodurch der blinde Fleck entsteht.

Die Sehnerven beider Augen treffen sich nach etwa 4,5 Zentimetern am Chiasma opticum, der Sehnervenkreuzung. Hier wechselt rund die Hälfte der Fasern aus den beiden Nervensträngen die Richtung, während die anderen fünfzig Prozent auf der Seite des Auges verbleiben, dem sie entspringen.

  • Nasale Fasern: Sie kreuzen sich und werden kontralateral verschaltet.
  • Temporale Fasern: Sie verbleiben auf der ursprünglichen, ipsilateralen Seite.

Diese komplizierte Verschaltung führt dazu, dass jede Hälfte des visuellen Cortex Informationen über eine Seite des Gesichtsfeldes von beiden Augen erhält.

Jenseits der Sehnervenkreuzung wird der Sehnerv als Tractus opticus oder Sehtrakt bezeichnet. Die meisten Nervenfasern ziehen Richtung Hinterkopf zum seitlichen Kniehöcker (Corpus geniculatum laterale), der einzigen Umschaltstation zwischen Netzhaut und primärer Sehrinde. Ein kleiner Teil der Fasern liefert Input für die "innere Uhr" im Hypothalamus.

Der Visuelle Cortex: Verarbeitung der visuellen Informationen

Die Struktur des seitlichen Kniehöckers besteht aus sechs Schichten, die jeweils bestimmte Nervenfasern aufnehmen.

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  • Magnozelluläre Schichten (1 und 2): Sie bestehen aus größeren Nervenzellen und reagieren vor allem auf Bewegungen.
  • Parvozelluläre Schichten (3 bis 6): Sie setzen sich aus kleineren Nervenzellen zusammen und liefern Input für die Verarbeitung von Form und Farbe.

Der Ausdruck Sehstrahlung verweist auf die retinotope Organisation: Bestimmte Netzhautbezirke senden Signale nur an bestimmte, immer gleiche Regionen des visuellen Cortex. Auf diese Weise wird eine Art Landkarte des Gesehenen übermittelt, wobei die Fovea, der Ort des schärfsten Sehens auf der Netzhaut, überproportional betont wird.

In der Sehrinde beginnt die eigentliche Analyse der visuellen Informationen. Von der Codierung des Bildes in der Netzhaut bis zu den ersten messbaren Impulsen in der primären Sehrinde vergehen bei gesunden Menschen kaum 100 Millisekunden. Diese Geschwindigkeit wird durch die Ummantelung der Nervenfasern mit Myelinhüllen ermöglicht, die eine sehr hohe Leitungsgeschwindigkeit erlauben.

Unsere Augen verarbeiten pro Sekunde etwa 10 Millionen Informationen und qualifizieren sich somit zum vermutlich wichtigsten aller menschlichen Sinnesorgane.

Hirnnerven und ihre Bedeutung für das Sehen

Die Hirnnerven spielen eine entscheidende Rolle bei der Steuerung der Augenbewegungen und der Weiterleitung visueller Informationen zum Gehirn.

  • Nervus opticus (2. Hirnnerv): Leitet die Signale der Netzhaut zum Gehirn weiter.
  • Nervus oculomotorius (3. Hirnnerv): Versorgt die meisten äußeren Augenmuskeln und ist für die Pupillenverengung und Akkommodation zuständig.
  • Nervus trochlearis (4. Hirnnerv): Versorgt einen Augenmuskel, der für die Drehung des Augapfels nach unten innen zuständig ist.
  • Nervus abducens (6. Hirnnerv): Versorgt den äußeren geraden Augenmuskel, der den Augapfel von der Mittellinie wegführt.

Erkrankungen des Sehnervs

Erkrankungen des Sehnervs können zu vielfältigen Beschwerden führen, darunter:

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  • Sehstörungen: Verschwommenes Sehen, Doppeltsehen, Ausfälle im Gesichtsfeld, Farbsehstörungen.
  • Schmerzen im Auge: Insbesondere bei einer Sehnervenentzündung (Optikusneuritis).
  • Müdigkeit der Augen: Durch die anstrengendere Arbeit des Auges, um die visuellen Reize zu verarbeiten.
  • Kopfschmerzen: In Verbindung mit einigen Erkrankungen des Sehnervs.

Bekannte Augenkrankheiten sind die Grüne Star (Glaukom), der Graue Star (Katarakt) und die Makuladegeneration.

Reiz-Reaktions-Schema: Vom Reiz zur Reaktion

Das Reiz-Reaktions-Schema beschreibt, wie ein Reiz von unserem Körper aufgenommen und zu einer Reaktion verarbeitet wird.

  1. Reizaufnahme: Sinnesorgane (z.B. Augen) nehmen den Reiz wahr.
  2. Reizumwandlung: Der Reiz löst ein elektrisches Signal aus.
  3. Erregungsweiterleitung: Das Signal wird von den sensorischen Nerven weitergeleitet.
  4. Erregungsverarbeitung: Das Gehirn oder Rückenmark verarbeitet die Information.
  5. Reaktionsauslösung: Das Gehirn sendet ein Signal an die Muskeln (Zielorgane).
  6. Reaktion: Die Muskeln reagieren auf das Signal.

Reaktionen können bewusst (gesteuert durch den Willen) oder unbewusst (Reflexe) ablaufen. Reflexe dienen dem Schutz vor Gefahren und laufen automatisch ab.

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