Schlaganfall und Vorhofflimmern: Therapie und Leitlinien im Überblick

Vorhofflimmern ist die häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung und geht mit erhöhter Sterblichkeit und eingeschränkter Lebensqualität einher. Das Risiko für thromboembolische Ereignisse, insbesondere Schlaganfälle, ist bei Patienten mit Vorhofflimmern etwa 4-5-fach erhöht. Um die Versorgung von Patienten mit Vorhofflimmern zu verbessern und das Schlaganfallrisiko zu minimieren, wurden verschiedene Leitlinien und Therapieansätze entwickelt.

Aktuelle S3-Leitlinie Vorhofflimmern in Deutschland

Seit Mai 2025 gibt es erstmals eine ärztliche (S3-)Leitlinie zu Vorhofflimmern für Deutschland, die von 15 Fachgesellschaften unter der Leitung von Prof. Stephan Willems und Prof. Lars Eckardt herausgegeben wurde. Eine S3-Leitlinie ist eine systematisch entwickelte Entscheidungshilfe für eine angemessene ärztliche Vorgehensweise. Sie wird nach hohen wissenschaftlichen Standards unabhängig erstellt und gibt Ärztinnen, Ärzten und anderen Fachleuten klare und aktuelle Handlungsempfehlungen mit unterschiedlicher Graduierung (z.B. soll, sollte, kann erwogen werden) für die Behandlung und Versorgung bei einer bestimmten Erkrankung an die Hand. Für Patientinnen und Patienten bedeutet das: Die Empfehlungen in einer S3-Leitlinie sind besonders verlässlich und aktuell.

Diagnostik und Screening

Die Leitlinie betont die verbesserten Möglichkeiten zur Feststellung von Vorhofflimmern dank neuer technischer Geräte. Ein generelles Screening auf Vorhofflimmern mit Geräten, die ein kontinuierliches Monitoring ermöglichen, wird jedoch nicht generell empfohlen. Insbesondere wenn Vorhofflimmern nur gelegentlich auftritt, kann eine Smartwatch bei der Diagnose der Herzrhythmusstörung unterstützen. Die regelmäßige Aufzeichnung des Herzrhythmus für das Vorhofflimmerscreening wird für Personen ≥ 65 Jahren im Zuge regulärer Arztkontakte empfohlen (opportunistisches Screening).

Risikobewertung und Antikoagulation

Basis der Entscheidung für oder gegen eine Antikoagulation ist der sogenannte CHA2DS2-VA Score. Auch das individuelle Blutungsrisiko sollte ermittelt werden. Die Wahl des geeigneten Blutverdünners wird relativ offengehalten. Die ESC-Leitlinie empfiehlt eine Antikoagulation primär mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAC) bei Patienten mit Vorhofflimmern und Risikofaktoren für das Auftreten eines thromboembolischen Ereignisses. Neu ist hier die Verwendung des CHA2DS2-VA-Scores als Modifikation zum bisher verwendeten CHA2DS2-VASc-Score, so dass das Geschlecht nicht mehr in den Score eingeht und die Empfehlungen geschlechtsunabhängig vereinheitlicht werden. Die neuen Leitlinien zum Management von VHF sind praxisrelevant, da sie mithilfe des AF-CARE-Konzepts alle Bereiche der Behandlung abdecken. Die Entscheidungsfindung, ob Patient:innen ein Antikoagulanz benötigen, wird vereinfacht.

Rhythmus- und Frequenzkontrolle

Die Leitlinie betont die Bedeutung einer frühen Rhythmuskontrolle bei neudiagnostiziertem Vorhofflimmern (kürzer als 1 Jahr bestehend) - auch bei asymptomatischen Patienten. Bei allen Patienten mit neu diagnostiziertem Vorhofflimmern soll zumindest geprüft werden, ob eine Rhythmuskontrolle erfolgen soll. Eine frühe Rhythmuskontrolle sollte unabhängig von Beschwerden jedoch vor allem bei Patienten mit Vorhofflimmern und relevanten kardiovaskulären Risikofaktoren, höherem Lebensalter oder Komorbiditäten (CHA2DS2-VA Score ≥2) empfohlen werden.

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Bei asymptomatischen Patienten, bei denen das Vorhofflimmern allerdings bereits seit mindestens zwei Jahren anhält und erweiterte (dilatierte) Vorhöfe bestehen, wird eine Rhythmuskontrolle nicht empfohlen. Stattdessen sollte eine Frequenzkontrolle (< 110Schläge/min) erfolgen. Grundsätzlich wird in der aktuellen Leitlinie auf der Grundlage der der RACE-II-Studie unverändert insbesondere beim Erstkontakt und tachykardem Vorhofflimmern eine Frequenzkontrolle mit einer Herzfrequenz < 110/min empfohlen. Zur Frequenzkontrolle werden Betablocker und Digoxin unabhängig von der LVEF und zusätzlich Diltiazem/Verapamil für Patienten mit einer LVEF > 40 % empfohlen.

Katheterablation

Aufgrund von Studiendaten empfehlen die Leitlinienexperten für einige Patienten inzwischen eine frühe Katheterablation ohne zuvor eine Medikation mit Antiarrhythmika verordnet zu haben. Bei jüngeren Patienten mit symptomatischem Vorhofflimmern ohne relevante Begleiterkrankungen (und Indikation für eine rhythmuserhaltende Therapie) sollte eine frühe Katheterablation als Erstlinienbehandlung empfohlen werden.

Eine Katheterablation sollte zudem Patienten mit paroxysmalem (unregelmäßig auftretendem) Vorhofflimmern und Indikation zu einer rhythmuskontrollierenden Therapie empfohlen werden, um das Fortschreiten zu einem persistierenden (anhaltendenden) Vorhofflimmern zu verhindern. Bei Patienten mit symptomatischem, anhaltendem (persistierendem) Vorhofflimmern bleibt die S3-Leitlinie etwas zurückhaltender, empfiehlt aber die Katheterablation nach Nutzen-Risiko-Abwägung auf der Basis einer gemeinsamen Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient.

Primärprävention und Lebensstilmodifikation

Die neue Leitlinie legt Wert auf evidenzbasierte Maßnahmen zur Primärprävention, um die Inzidenz von Vorhofflimmern zu senken. Patienten sollen zu den vorteilhaften Effekten einer regelmäßigen moderaten körperlichen Aktivität auf die Rhythmusstörung beraten werden. Besonders Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern sowie Angst vor körperlicher Aktivität soll ein strukturiertes Training empfohlen werden. Patienten mit Vorhofflimmern sollen hinsichtlich des Konsums von Alkohol zu den negativen Auswirkungen auf den Verlauf der Rhythmusstörung beraten werden. Es soll empfohlen werden, die Grenzen des „risikoarmen Alkoholkonsums“ nicht zu überschreiten (pro Tag nicht mehr als 20 g reinen Alkohols für Männer, das sind ca. ein halber Liter Bier oder 0,2 l Wein, bzw. 10 g reinen Alkohols für Frauen und mind.

Medikamentöse Therapie

Patienten ohne strukturelle Herzerkrankung sollte im Falle einer medikamentösen antiarrhythmischen Therapie primär ein Klasse IC-Antiarrhythmikum (Flecainid, Propafenon) empfohlen werden.

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Europäische Leitlinien (ESC) und das AF-CARE-Konzept

Die Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) hat ihre Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Vorhofflimmern aktualisiert und das AF-CARE-Konzept eingeführt. Dieses Konzept betont die zentralen Behandlungsaspekte:

  • Comorbidities: Diagnose und Therapie von Komorbiditäten und Risikofaktoren.
  • Antithrombotic treatment: Vermeidung von Thromboembolien.
  • Rhythm control: Frequenz- und Rhythmuskontrolle.
  • Evaluation: Evaluation und kontinuierliche Nachsorge.

Die Abfolge unterstreicht die Bedeutung des Managements von Komorbiditäten und Risikofaktoren.

Diagnostische Neuerungen der ESC-Leitlinien

Trotz Innovationen im Bereich der künstlichen Intelligenz und neuer Screeningverfahren erfordert die Diagnose von Vorhofflimmern nach wie vor die Dokumentation mittels EKG. Neu ist die explizite Forderung nach einer transthorakalen Echokardiographie nach der Erstdiagnose.

Individualisierte Therapie von Komorbiditäten und Risikofaktoren (ESC)

Die ESC-Leitlinien stufen zahlreiche Aspekte von Klasse-IIa- zu Klasse-I-Empfehlungen herauf, darunter Gewichtsreduktion, Alkoholreduktion und gezieltes körperliches Training. Bei Herzinsuffizienz werden SGLT2-Inhibitoren für Patienten mit Vorhofflimmern und Herzinsuffizienz empfohlen, unabhängig von der LVEF. Bei Diabetes mellitus wird eine optimale Blutzuckerkontrolle empfohlen, wobei Metformin und SGLT2-Inhibitoren eine besondere Rolle in der Prophylaxe von Vorhofflimmern bei Typ-II-Diabetikern zugeschrieben wird.

Antikoagulationsempfehlungen der ESC-Leitlinien

Die ESC-Leitlinie empfiehlt eine Antikoagulation primär mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAC) bei Patienten mit Vorhofflimmern und Risikofaktoren. Neu ist die Verwendung des CHA2DS2-VA-Scores, wodurch das Geschlecht keine Rolle mehr spielt. Ein CHA2DS2-VA-Score von mehr als einem Punkt stellt nun geschlechtsunabhängig eine Klasse-I-Empfehlung für eine orale Antikoagulation dar.

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Bei Patienten mit subklinischem Vorhofflimmern ist die Leitlinie zurückhaltend mit einer Antikoagulationsempfehlung und empfiehlt sie lediglich für Subgruppen mit hohem Schlaganfall- und geringem Blutungsrisiko im Einzelfall.

Frequenzkontrolle (ESC)

Grundsätzlich wird in der aktuellen Leitlinie unverändert eine Frequenzkontrolle mit einer Herzfrequenz < 110/min empfohlen.

Rhythmuskontrolle (ESC)

Die neue Leitlinie betont, dass die Rhythmuskontrolle immer in den AF-CARE-Pfad integriert werden sollte. Neu ist, dass bei jedem Patienten die Option einer Rhythmuskontrolle betrachtet werden sollte. Vor allem die Ergebnisse der EAST-AFNET 4-Studie haben zu einem Umdenken geführt, sodass die Leitlinie erstmals aus prognostischer Sicht eine Rhythmuskontrolle für Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren formuliert.

Katheterablation (ESC)

Immer mehr Daten sprechen für eine Erstlinien-Katheterablation bei Patienten mit Vorhofflimmern, was zu einer Klasse-I-Indikation für Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern geführt hat. Bei Patienten mit persistierendem Vorhofflimmern ist die Evidenzlage eingeschränkter.

Weitere Aspekte der Vorhofflimmertherapie

PFO-Verschluss

In der Normalbevölkerung weisen ca. 25 Prozent aller Personen ein persistierendes, also dauerhaftes, Foramen ovale (PFO) auf. Verschiedene Studien zeigen, dass ein Verschluss eines persistierenden Foramen ovale bei Patient:innen, die bereits einen Schlaganfall hatten, das Auftreten von weiteren kardialen Ereignissen verhindern kann. Insbesondere Patient:innen unter 60 Jahren profitieren von einem PFO-Verschluss.

Vorhofohrverschluss

Das Vorhofohr, eine kleine Ausstülpung am linken Vorhof, ist bei Vorhofflimmern ein häufiges Areal für die Bildung von Blutgerinnseln, die Schlaganfälle auslösen können. Für Patient:innen, bei denen Blutverdünner nicht infrage kommen, gibt es als Alternative den katheterbasierten Verschluss des Vorhofohrs mit einem Okkluder, der das Schlaganfallrisiko verringert.

Kardio-Neuro-Board

Um Patient:innen optimal und individuell therapieren zu können, wurde ein kardiologisch-neurologisches Board bestehend aus Spezialist:innen verschiedener Fachdisziplinen geschaffen. In diesem Expertengremium werden komplexe Patientenfälle besprochen und die weitere Therapie festgelegt. In den Besprechungen geht es vor allem um Patient:innen mit Vorhofflimmern, die bereits einen Schlaganfall hatten und/oder zusätzlich ein offenes Foramen ovale (PFO) haben, was das Risiko für Schlaganfälle und Hirnblutungen erhöht.

Herausforderungen und Defizite in der Versorgung

Trotz verbesserter Leitlinien und Therapieansätze bestehen weiterhin Defizite in der Versorgung von Patienten mit Vorhofflimmern. Die Dunkelziffer für Vorhofflimmern ist hoch, und es gibt Defizite beim Antikoagulations-Management, wie unbegründet niedrige NOAK-Dosierungen. Es besteht eine Unterversorgung und Fehlversorgung mit oralen Antikoagulanzien.

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