Ein Schlaganfall kann vielfältige neurologische Folgen haben, darunter auch Gesichtsfeldausfälle. Diese beeinträchtigen das Sehvermögen erheblich und können den Alltag der Betroffenen stark einschränken. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Formen von Gesichtsfeldausfällen nach einem Schlaganfall, ihre Ursachen, Diagnosemethoden sowie aktuelle Therapie- und Rehabilitationsansätze.
Das Gesichtsfeld und seine Bedeutung
Das Gesichtsfeld umfasst den gesamten Bereich, den wir mit unbewegtem Kopf und Augen wahrnehmen können. Die visuelle Information wird von der Netzhaut aufgenommen, über die Sehbahn zum Gehirn weitergeleitet und dort in der Sehrinde verarbeitet. Eine Schädigung der Sehbahn, beispielsweise durch einen Schlaganfall, kann zu Gesichtsfeldausfällen führen.
Ursachen und Formen von Gesichtsfeldausfällen
Gesichtsfeldausfälle sind die häufigsten Sehstörungen infolge einer Schädigung des Gehirns. Ein Schlaganfall ist eine der Hauptursachen, wobei das Auftreten eines Gesichtsfeldausfalls davon abhängt, welches Gehirnareal betroffen ist. Die Sehbahn erstreckt sich vom Auge bis zur Sehrinde im Gehirn, und Schädigungen entlang dieser Bahn können unterschiedliche Formen von Gesichtsfeldausfällen verursachen:
- Homonyme Hemianopsie: Hierbei fällt auf beiden Augen die gleiche Gesichtsfeldhälfte aus (entweder rechts oder links). Ursächlich ist eine Schädigung der Sehbahn hinter dem Chiasma opticum, also der Bereiche Tractus opticus, Sehstrahlung oder Sehzentrum. Häufig liegt ein Schlaganfall mit Verschluss oder Blutung der Arteria cerebri posterior vor, welche den Hinterhauptslappen versorgt, in dem sich das primäre Sehzentrum befindet.
- Heteronyme Hemianopsie: Hierbei sind entweder die beiden Schläfen- oder Nasenhälften des Gesichtsfeldes betroffen. Ursache ist meist eine Schädigung im Bereich des Chiasma opticum, oft durch einen Tumor (z.B. Hypophysentumor), der Druck auf diese Region ausübt. Eine bitemporale Hemianopsie (Ausfall der Schläfenhälften) führt zum sogenannten "Scheuklappenphänomen". Eine binasale Hemianopsie ist hingegen extrem selten.
- Beidseitige Hemianopsie: Diese entsteht durch den Ausfall beider Sehzentren, beispielsweise durch einen Schlaganfall im Hinterhauptslappen. Es kommt zu Ausfällen in der oberen oder unteren Hälfte des Gesichtsfeldes auf beiden Seiten.
- Prächiasmale Schädigungen: Betreffen vor allem den Sehnerv vor dem Chiasma opticum und führen zu einseitigen Sehstörungen auf der gleichen Seite wie die Schädigung. Ursachen können Entzündungen des Sehnervs (z.B. bei Multipler Sklerose), Gefäßerkrankungen oder erhöhter Hirndruck sein.
- Chiasmale Schädigungen: Führen typischerweise zur bitemporalen Hemianopsie, meist durch Druck auf das Chiasma opticum, z.B. durch einen Hypophysentumor oder ein Aneurysma der A. cerebri anterior.
- Retrochiasmale Schädigungen: Betreffen alle Abschnitte hinter dem Chiasma opticum, vom Tractus opticus bis zur Sehrinde.
Symptome und Auswirkungen
Ein Gesichtsfelddefekt wird von den Betroffenen oft nicht sofort als "Blindheit" wahrgenommen oder gar bemerkt. Betroffene im Krankenhaus berichten möglicherweise nicht darüber, weshalb die Gesichtsfelduntersuchung einen wichtigen Bestandteil der neurologischen Untersuchung darstellt und bei jedem Patienten durchgeführt werden sollte. Betroffene können Gegenstände oder Bewegungen "übersehen", was zu Problemen im Alltag führt, z.B.:
- Orientierung: Schwierigkeiten, sich in Räumen oder im Straßenverkehr zurechtzufinden.
- Lesen: Übersehen von Zeilenanfängen oder -enden, was das Leseverständnis beeinträchtigt.
- Sicherheit: Erhöhte Unfallgefahr durch das Übersehen von Hindernissen oder Personen.
- Soziale Interaktion: Schwierigkeiten, Gesichter zu erkennen, was zu Missverständnissen führen kann.
Diagnose
Zur Diagnose von Gesichtsfeldausfällen stehen verschiedene Methoden zur Verfügung:
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- Konfrontationstest (Parallelversuch): Ein einfacher Test, bei dem der Untersucher sein eigenes Gesichtsfeld mit dem des Patienten vergleicht.
- Statische Perimetrie (Computerperimetrie): Eine präzisere Methode, bei der der Patient auf Lichtpunkte auf einem Bildschirm reagiert. Die Ergebnisse werden computergestützt ausgewertet.
Therapieansätze
Die Therapie von Gesichtsfeldausfällen zielt darauf ab, die Auswirkungen der Sehstörung zu minimieren und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Da eine vollständige Rückbildung des Gesichtsfeldausfalls bei irreversiblen Schäden selten ist, konzentrieren sich die meisten Therapieansätze auf Kompensationsstrategien.
Kompensationstraining (Exploratives Sakkadentraining)
Ziel des Kompensationstrainings ist es, den Betroffenen beizubringen, ihre verbliebenen visuellen Fähigkeiten optimal zu nutzen und alternative Suchstrategien zu entwickeln. Ein wichtiger Bestandteil ist das Sakkadentraining, bei dem die schnellen, ruckartigen Augenbewegungen (Sakkaden) trainiert werden, um das ausgefallene Gesichtsfeld systematisch abzusuchen.
- Prinzip: Patienten lernen, gezielt in den Bereich des Gesichtsfeldausfalls zu schauen, um fehlende Informationen zu kompensieren.
- Methoden: Computergestützte Trainingsprogramme, Übungen mit Papier und Bleistift, Aufgaben in realen Alltagssituationen.
- Ziel: Vergrößerung des Suchfeldes, Verbesserung der Orientierung, Steigerung der Sicherheit im Alltag.
Restitutionstraining
Dieser Ansatz zielt darauf ab, die Sehfähigkeit im betroffenen Bereich des Gesichtsfeldes teilweise wiederherzustellen. Dabei wird der Übergangsbereich zwischen intaktem und betroffenem Gesichtsfeld stimuliert, um inaktive Nervenzellen zu reaktivieren.
- Prinzip: Gezielte Stimulation des Übergangsbereichs im Gesichtsfeld, um die Plastizität des Gehirns zu nutzen.
- Methoden: Licht-, Farb- oder Formreize, auf die der Patient reagieren soll, während er einen Fixationspunkt fixiert (z.B. Curavis Sehtherapie).
- Kritik: Die Wirksamkeit ist umstritten, und die Kosten werden häufig nicht von den Krankenkassen übernommen.
Neuro-orthoptische, visuelle Rehabilitation
Einige Orthoptist:innen haben sich in einer speziellen Zusatzausbildung für die neuro-orthoptische, visuelle Rehabilitation qualifiziert. Ziel ist es, den Betroffenen das Ausmaß ihrer Einschränkung bewusst zu machen und ihnen zu helfen, besser mit dieser Behinderung umzugehen. Hierzu gehören eine gründliche Diagnostik und die Prüfung der Motivation zur Behandlung. Danach richten sich die individuell geeigneten Trainingsmethoden.
Die Übungen zielen darauf ab, die Sicherheit im freien Raum, die Sehqualität und Quantität und das Lesevermögen zu verbessern. Gewisses Schulungsmaterial kann man dem Patienten ggf. für ergänzende eigenständige Übungen mit nach Hause geben. Zusätzliche Schwierigkeiten wie Einschränkungen der Augenbewegung, Halbseitenlähmung oder Sprachstörungen müssen gesondert berücksichtigt sein.
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Ergotherapie
Ergotherapie spielt eine wichtige Rolle bei der Rehabilitation von Patienten mit Gesichtsfeldausfällen. Ergotherapeuten helfen den Betroffenen, Kompensationsstrategien zu erlernen und ihre Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL) anzupassen.
- Anpassung der Umgebung: Platzierung von Gegenständen im intakten Gesichtsfeld, um die Wahrnehmung zu erleichtern.
- Training von Kompensationsbewegungen: Bewusstes Abscannen der Umgebung mit Augen und Kopf, um das fehlende Gesichtsfeld auszugleichen.
- Hilfsmittel: Einsatz von Prismenbrillen oder anderen optischen Hilfsmitteln, um das Gesichtsfeld zu erweitern.
Lesetherapie
Eine spezielle Lesetherapie, entwickelt von Neuropsychologen der Universität des Saarlandes, hat gezeigt, dass sie das Lesevermögen von Patienten mit Gesichtsfeldausfällen signifikant verbessern kann.
- Prinzip: Kombination verschiedener Methoden, darunter das Lesen von Fließtexten, die schnelle serielle visuelle Präsentation (RSVP) einzelner Wörter und die Technik des bewegten Fensters.
- Ergebnisse: Schnellere und genauere Leseleistung, besseres Textverständnis, geringere Ermüdung beim Lesen.
Weitere Maßnahmen
- Aufklärung und Beratung: Information über die Erkrankung und ihre Auswirkungen, Beratung zu Kompensationsstrategien und Hilfsmitteln.
- Anpassung des Wohnraums: Optimierung der Beleuchtung, Vermeidung von Stolperfallen, Anordnung von Möbeln und Gegenständen im intakten Gesichtsfeld.
- Unterstützung im Alltag: Hilfe bei der Orientierung, beim Einkaufen oder bei anderen Aktivitäten, die durch den Gesichtsfeldausfall erschwert sind.
Prognose und Rehabilitation
In vielen Fällen ist eine vollständige Wiederherstellung des Gesichtsfeldes nach einem Schlaganfall nicht möglich. Durch gezielte Therapie und Rehabilitation können Betroffene jedoch lernen, mit den Einschränkungen umzugehen und ihre Lebensqualität deutlich zu verbessern. Wichtig ist ein frühzeitiger Therapiebeginn und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ärzten, Orthoptisten, Ergotherapeuten und Neuropsychologen.
Die Wiedererlangung einer Sehleistung in zuvor ausgefallenen Partien des Gesichtsfeldes wird bei Schädigungen beobachtet, die für gewisse Zeit einen Basisstoffwechsel zulassen, wie bei Tumorkompression oder entzündlichen bzw. die Markscheiden betreffenden Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Bei Gewebsuntergang durch Unterbrechung der Blutzufuhr bessert sich in der Regel mit Abklingen des frischen Ödems nur die Stoffwechsellage in der Randpartie des Infarktes. Eine Erholung der Funktion über diesen Effekt hinaus, wie nach tierexperimentellen Studien denkbar, dürfte eher selten vorkommen.
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