Ein Gesichtsfeldausfall, auch Hemianopsie genannt, kann nach einer Hirnschädigung wie einem Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Gehirntumor oder diabetischer Retinopathie auftreten und die Fähigkeit des Betroffenen beeinträchtigen, seine Umgebung vollständig zu sehen. Diese Störung kann erhebliche Auswirkungen auf das tägliche Leben haben. Schätzungsweise 20 % der Patienten mit solchen Hirnschädigungen erleiden auch Schäden am Sehsystem.
Was ist ein Gesichtsfeld?
Das Gesichtsfeld bezeichnet den Bereich, der bei unbewegtem, geradeaus gerichtetem Blick wahrgenommen wird. Es umfasst das periphere Sichtfeld sowie das zentrale Sichtfeld. Bei einer Hemianopsie geht ein Teil oder die gesamte Sicht des Betroffenen verloren. Dies kann sich als blinde Flecken, fehlende Teile des Sichtfeldes oder als Tunnelblick bemerkbar machen.
Ursachen von Gesichtsfeldausfällen
Häufige Ursachen für Gesichtsfeldausfälle sind:
- Schlaganfall: Eine Unterbrechung der Blutzufuhr zum Gehirn kann zu Schäden in den Sehbahnen führen.
- Schädel-Hirn-Trauma: Verletzungen des Gehirns können die Sehverarbeitung beeinträchtigen.
- Gehirntumore: Tumore können auf die Sehbahnen drücken und diese schädigen.
- Diabetische Retinopathie: Diese Erkrankung kann die Netzhaut schädigen und zu Gesichtsfeldausfällen führen.
- Gehirnblutung
- Hirnverletzung
- Entzündungen im Nervensystem
Insbesondere bei Schlaganfall und Schädel-Hirn-Trauma treten Gesichtsfeldeinschränkungen plötzlich auf. Häufig werden kleinere Ausfälle vom Patienten nicht sofort bemerkt.
Symptome eines Gesichtsfeldausfalls
Die Symptome einer Hemianopsie können je nach Ursache und Schweregrad sehr unterschiedlich ausfallen. Einige Betroffene bemerken möglicherweise gar keine Symptome. Andere hingegen erfahren einen deutlichen Verlust des peripheren Sichtfeldes oder eine Einschränkung des zentralen Sichtfeldes. In manchen Fällen kann der Gesichtsfeldausfall so stark sein, dass er zu einer erheblichen Einschränkung der Mobilität und Unabhängigkeit führt.
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- Probleme beim Lesen (es fehlt ein kleiner Teil der Textzeile)
- Übersehen von Hindernissen (z.B. Laternen)
- Unsicherheit im Straßenverkehr
- Eingeschränkte Orientierung
- Verlust der Selbstständigkeit
- Angst vor völligem Erblinden
Diagnose
Ein vermuteter Gesichtsfeldausfall lässt sich mit einem sogenannten Konfrontationstest grob abschätzen. Erste Hinweise ergeben sich häufig aus berichteten Problemen sowie einer genauen Verhaltensbeobachtung des Betroffenen.
Therapieansätze bei Gesichtsfeldausfall nach Schlaganfall
Die Schulmedizin betrachtete Sehverluste lange Zeit als unumkehrbar. Doch die Forschung hat gezeigt, dass das Gehirn nach einer Schädigung eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Anpassung besitzt (Plastizität). Es gibt verschiedene Therapieansätze, die darauf abzielen, die Sehleistung bei Gesichtsfeldausfällen zu verbessern und den Betroffenen ein besseres und eigenständiges Leben zu ermöglichen.
Die Behandlung der Hemianopsie erfordert eine gezielte neuropsychologische Therapie. In der Neuropsychologie hilft das Training der visuellen Wahrnehmung, das Gesichtsfeld zu erweitern und den Patienten in seiner Unabhängigkeit zu unterstützen. Neben einem Funktionstraining werden Kompensationsstrategien vermittelt. Diese Strategien umfassen Techniken, um die verbleibenden visuellen Fähigkeiten optimal zu nutzen und die Umgehung von blinden Flecken zu erleichtern. Ein wichtiger Teil der Behandlung besteht darin, den Betroffenen zu lehren, wie sie ihre Kopf- und Augenbewegungen effektiv einsetzen können. Durch gezieltes Training können Patienten lernen, ihre Augenbewegungen zu verbessern und bewusster auf visuelle Reize zu achten. Die psychologische Unterstützung ist ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung. Betroffene können aufgrund ihrer Einschränkungen Frustration und Angst erleben. Eine begleitende psychologische Therapie hilft, diese emotionalen Herausforderungen zu bewältigen und die Motivation für das Training zu fördern.
Es gibt zwei Hauptbehandlungsansätze:
1. Kompensationstraining
Das Ziel des Kompensationstrainings ist es, die noch erhaltenen Funktionen des Gesichtsfelds zu nutzen.
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- Sakkadentraining: Sakkaden sind schnelle Blickbewegungen. Das Sakkadentraining verbessert die Suchbewegungen in dem betroffenen Gesichtsfeldbereich, was zu einer Vergrößerung des Suchfeldes führt. Es gibt speziell entwickelte Trainingsprogramme, die computergestützt oder mit Papier und Bleistift durchgeführt werden können. Dabei sollen bestimmte Wörter, Buchstaben oder Zahlen gesucht werden. Mittels der Registrierung von Augenbewegungsmustern ließ sich zeigen, dass Patienten mit solchen Ausfällen im Gesichtsfeld eine typische Störung ihrer Suchstrategien der Augenbewegungen aufweisen. Durch ein gezieltes Training (exploratives Sakkadentraining) lassen sich diese Strategien, die für die Wiedereingliederung bzw. Bewältigung des Alltags erforderlich sind, nachweislich signifikant verbessern. Damit einher wird auch die Lesefähigkeit und die Orientierung im Raum deutlich gesteigert. Das hierdurch wieder mögliche rechtzeitige Erkennen von Objekten in der ausgefallenen Hälfte des Gesichtsfeldes vermindert die Unfallgefahr.
2. Restitutionstraining
Das Restitutionstraining hat die teilweise Wiederherstellung der Sehfähigkeit in der betroffenen Region durch lokalisationsspezifische Übungen an der Gesichtsfeldgrenze unter konstanten Fixationsanforderungen zum Ziel. Laut einer theoretischen Grundannahme bleibt die Fähigkeit zur Adaption (Plastizität) nach einer Schädigung des Gehirns weitgehend erhalten. Inaktive Neurone innerhalb von geschädigten Zellgebieten und benachbarte Nervenzellen sollen reaktiviert bzw. trainiert werden.
- Training mit Therapeuten: Neuropsychologen oder Ergotherapeuten leiten das Training.
- Computergestütztes Programm: Unter Anleitung eines Therapeuten erfolgt eine Stimulation über Licht-, Farb- oder Formreize, auf die mit Drücken einer Taste reagiert werden soll.
- Eigenübung: Eine Möglichkeit ist die Übung mit dem Fernseher im Patientenzimmer. Dabei muss der Patient mit den Augen einen Punkt an der Zimmerwand neben dem Fernseher fixieren. Der Fernseher sollte sich dann genau an der visuellen Wahrnehmungsgrenze im Randgebiet der Hemianopsie befinden, sodass der Patient die Aufgabe erhält, die Personen oder Ereignisse auf dem Fernsehbild zu erraten, ohne den Blick auf den Fernseher zu richten. Voraussetzung für diese Übung ist, dass der Fernseher stumm geschaltet wird. Eine Fernbedienung ist sinnvoll, um nach der korrekten Deutung des Fernsehbildes die Sendung zu wechseln.
Weitere Therapieansätze
- Visuelle orthoptische Rehabilitation: Diese ist bei Patient:innen aller Altersgruppen sinnvoll, deren Sehschärfe so stark herabgesetzt ist, dass die Bewältigung des Alltags nicht mehr mit konservativen optischen Korrekturen, wie z. B. einer Brille, möglich ist. Ziel der visuellen, orthoptischen Rehabilitation ist die Rückgewinnung der Orientierungs- und Lesefähigkeit sowie eine Steigerung der Sehqualität und -quantität.
- SAVIR-Therapie: Diese Therapie kombiniert nicht-invasive Augen- und Hirnstimulation, Sehtraining und Stressreduktion. Im Fokus steht die Stimulation mit kurzen Wechselstrom-Impulsen. Diese fördert die Synchronisation Ihres Gehirns sowie die bestmögliche Aktivierung und Zusammenarbeit der verbliebenen Nervenzellen.
Lesetherapie
Neuropsychologen der Universität des Saarlandes haben eine Lesetherapie entwickelt, die schon nach kurzer Zeit das Lesevermögen der Patienten signifikant verbessert hat. Die Studienteilnehmer haben nicht nur Fließtexte gelesen, sondern bekamen einzelne Wörter als schnelle serielle visuelle Präsentation (RSVP) angezeigt. Zudem wurde die Technik des bewegten Fensters eingesetzt, bei dem die Augen gezwungen werden, einzelnen Wörtern zu folgen.
Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit
Eine erfolgreiche Therapie erfordert eine enge Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen, wie Augenärzte, Neurologen, Neuropsychologen, Ergotherapeuten und Orthoptisten.
Neglect
Ein weiteres Problem ist der visuelle „Neglekt“, d. h. die Vernachlässigung einer Hälfte des Sehraumes. Diese Störung erfordert die Kooperation mit einem Neuropsychologen oder Neuropädagogen. Der Unterschied zwischen einen Gesichtsfeldausfall und einem visuellen Neglect ist manchmal schwierig auszumachen, teilweise tritt auch beides zusammen auf. Grundsätzlich ist ein Neglect eine Störung der Aufmerksamkeit auf eine Raumseite, Ein Gesichtsfeldausfall ist eine Störung des Sehens. Bei einem Gesichtsfeldausfall ist dem Betroffenen in der Regel bewusst, dass die Raumhälfte existiert - er sie selbst allerdings nicht wahrnehmen kann. Bei einem visuellen Neglect lenkt der Betroffene seine Aufmerksamkeit nicht spontan auf die betroffene Seite. So bemerken die Betroffene oft selbst nicht, dass etwas „fehlt“.
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