Im Laufe des Lebens können sich bestehende Krankheiten oder Behinderungen verschlimmern und den Alltag weiter beschränken als zu Beginn. Dies gilt insbesondere für fortschreitende chronische Krankheiten wie Demenz, bei denen lediglich eine Verlangsamung der Symptome erreicht werden kann. Eine offizielle Anerkennung als Schwerbehinderung kann den Betroffenen das Leben erleichtern. Dieser Artikel beleuchtet die Voraussetzungen für einen Schwerbehindertenausweis bei Demenz, den Ablauf der Antragstellung und die Vorteile, die der Ausweis mit sich bringt.
Grad der Behinderung (GdB) und Schwerbehinderung
Der Grad der Behinderung (GdB) wird vom Versorgungsamt festgelegt, indem Gutachter über eine oder mehrere Behinderungen des Antragstellers entscheiden. Durch den GdB wird der Schweregrad einer Behinderung oder chronischen Krankheit ausgedrückt. Je nach Art der Behinderung wird ein unterschiedlicher Grad vergeben. In Deutschland gilt jeder Mensch, der einen GdB von mindestens 50 Prozent nachweisen kann, als schwerbehindert (nach Sozialgesetzbuch IX) und hat einen Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis. Der GdB wird danach definiert, wie sich die gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Alltag auswirken. Er wird in Zehnergraden von 20 bis 100 gestuft. Einzelne Beeinträchtigungen werden nur aufgenommen, wenn sie für sich allein einen GdB von mindestens 10 ausmachen.
Zeigen sich über mehr als sechs Monate dauerhafte Beeinträchtigungen in allen Bereichen des täglichen Lebens, können Sie die Anerkennung auf Schwerbehinderung beantragen. Dieser Status bringt eine Reihe von Vorteilen mit sich - finanzieller und praktischer Natur. Deshalb sollte jeder Pflegebedürftige überprüfen, ob er die Voraussetzungen für die Schwerbehinderung erfüllt und ob er vom Ausweis profitieren kann.
Änderungsantrag ("Verschlimmerungsantrag")
Der GdB ist nicht in Stein gemeißelt, sondern kann im Laufe der Erkrankung angeglichen werden. Der Änderungsantrag - unoffiziell oft auch als „Verschlimmerungsantrag“ bekannt - ist ein Antrag auf Erhöhung des GdB. Der Antrag kann von Inhaber eines Feststellungsantrags gestellt werden und sowohl eine Verschlimmerung als auch eine Verbesserung des Zustandes an das Versorgungsamt übermitteln. Die meisten betroffenen Person reichen einen Änderungsantrag ein, wenn sich der gesundheitliche Zustand verschlechtert. Zunächst kann es sein, dass sich die bestehende Behinderung verschlimmert hat und den Alltag weiter einschränkt als bisher, oder eine zusätzliche Behinderung hinzugekommen ist.
Antragstellende sollten sich bewusst sein, dass das Einleiten eines Änderungsverfahrens die gleichen Voraussetzungen erfüllen muss wie ein Erstantrag. Denn wie im Erstantrag muss auch im Rahmen eines Änderungsantrag der GdB komplett neu ermittelt werden. Deshalb kann es unter Umständen dazu kommen, das eine Verschlimmerung beantragt wird und das Versorgungsamt diese ablehnt oder den GdB sogar herabsetzt. Es kommt durchaus vor das Versorgungsämter einen höhere GdB bei Verschlimmerungsanträgen ablehnen. Der Gang vor Gericht ist dann unausweichlich, da nur so eine objektiver Vermittler*in über den Sachverhalt entscheiden kann. Da diese Verfahren häufig lange dauern und eine Kostenübernahme nicht gesichert ist, sollte dieser Schritt vorher jedoch gut überlegt werden.
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Voraussetzungen für den Schwerbehindertenausweis bei Demenz
Ab einem gewissen Schweregrad wird die Alzheimer-Demenz als Schwerbehinderung anerkannt. Erfahrungsgemäß erhalten die meisten Alzheimer-Patienten im mittleren Stadium der Erkrankung einen Grad der Behinderung von 100 Prozent. Zusätzliche körperliche Erkrankungen sind keine notwendige Voraussetzung. Die Antragstellung und Beurteilung des Schwerbehindertenstatus erfolgen genauso wie bei körperlichen Behinderungen. Allerdings werden die Merkzeichen an demente Menschen nur unter bestimmten Bedingungen vergeben:
- G (Erhebliche Einschränkung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr): Wenn Störungen der Aufmerksamkeit und Orientierungsfähigkeit beispielsweise zu einer erhöhten Unfallgefahr beim Überqueren der Straße führen.
- aG (Außergewöhnliche Gehbehinderung): Selbst schwerste Orientierungsstörungen bei Demenzkranken reichen nicht aus, um dieses Merkzeichen zu erhalten. Grundlage für dieses Merkzeichen ist eine rein körperliche Behinderung.
- B (Notwendigkeit ständiger Begleitung): Wenn die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen bestehender Orientierungsstörungen nur mit Hilfe möglich ist.
- RF (Ermäßigung von Rundfunkgebührbeitrag und Telefongebühren): Demenzkranke sind oft noch so bewegungsfähig, dass sie öffentliche Veranstaltungen besuchen können. Wenn sie aber unter einer Bewegungsunruhe leiden oder während einer Vorstellung unvorhersehbar laut sprechen, sodass der Besuch einer Theateraufführung, eines Konzertes oder ähnlicher Anlässe unmöglich wird, werden auch sie von den Rundfunkgebühren befreit. Dies trifft für an Demenz erkrankte Personen zu, die einen Grad der Behinderung von 80 Prozent haben und wegen der Erkrankung nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können.
- H (Hilflosigkeit): Wenn Demenzkranke bereits bei täglichen Verrichtungen wie Ankleiden, Körperpflege, Essen und Mobilität dauernd Hilfe brauchen. Bei einer schweren Demenz gilt in der Regel ein GdB von 100. Dann wird bei Demenz ohne nähere Prüfung eine sogenannte "Hilflosigkeit" angenommen und das Merkzeichen "H" kann in den Schwerbehindertenausweis eingetragen werden.
GdB-Tabelle bei Demenz
| Schweregrad der Demenz | Symptome und Einschränkungen | GdB-Wert |
|---|---|---|
| Leichte Demenz | Leichte Beeinträchtigungen der Gedächtnisleistung, leichte Einschränkungen im Alltag, weitgehende Selbstständigkeit | 30-40 |
| Mittelschwere Demenz | Deutliche Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, Hilfsbedürftigkeit bei alltäglichen Aufgaben (Haushalt, Körperpflege) | 50-70 |
| Schwere Demenz | Schwere Gedächtnisverluste und Orientierungs- Probleme, dauerhafte Betreuung und Pflege notwendig | 80-100 |
Antragstellung
Den Antrag auf Feststellung einer Behinderung stellen Sie bei dem für Ihren Wohnbereich zuständigen Versorgungsamt. In Nordrhein-Westfalen werden die Anträge beim Kreis oder der kreisfreien Stadt gestellt. Sie können den Schwerbehindertenausweis gleichzeitig mit dem Grad der Behinderung beantragen. Den Ausweis erhalten Sie dann nur, wenn tatsächlich ein GdB von mindestens 50 festgestellt wird. Bei vielen Ämtern können Sie den Schwerbehindertenausweis online beantragen.
Theoretisch können Sie den Antrag auch formlos stellen. Sie müssen darin alle bestehenden Behinderungen auflisten. Fügen Sie dem Antrag nach Möglichkeit Kopien der aktuellen Berichte des behandelnden Arztes, der letzten Krankenhausbriefe und möglicher Gutachten bei. Stehen keine medizinischen Unterlagen zur Verfügung, sollten alle Ärzte, Krankenhäuser und Rehabilitationskliniken angeben werden, die ein Gutachten oder Attest ausstellen könnten. Hierfür müssen die (ehemals) behandelnden Ärzte im Antrag schriftlich von der Schweigepflicht entbunden werden. Das Versorgungsamt gibt - sofern notwendig - ein Gutachten in Auftrag. Ansonsten beurteilen die Ärzte des Versorgungsamtes auf der Grundlage der vorliegenden Arztberichte. Nach Auswertung aller Dokumente legen sie den Grad der Behinderung (GdB) fest und entscheiden über die Anerkennung als Schwerbehinderte(r).
Folgende Unterlagen sind für die Bearbeitung des Antrages erforderlich:
- Lichtbild (in der Regel nach Eingang des Bescheides)
- ärztliche Gutachten beziehungsweise Befunde, Krankenhaus- und Reha-Berichte, die die vorliegende Behinderung möglichst konkret beschreiben
- Kontaktdaten aller Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und Reha-Kliniken
Das Versorgungsamt schreibt die behandelnden Ärztinnen und Ärzte an und fordert von ihnen Befundberichte an. Dafür erhalten die Ärztinnen und Ärzte eine Vergütung. Die Antragstellerin oder der Antragsteller muss keine Atteste anfordern und bezahlen. In der Regel dauert es mehrere Monate, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Ansprüche gelten aber schon vom Zeitpunkt der Antragstellung an und werden rückwirkend gewährt.
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Ablauf der Feststellung bzw. Einstufung der Behinderung bei Demenz
Der Grad der Behinderung wird nach der Versorgungsmedizin-Versorgung beurteilt. In der Kategorisierung zählt die Demenz zu den Hirnschäden. Die Einstufung erfolgt entweder anhand der vorliegenden Unterlagen, eventuell fordert das Versorgungsamt oder die zuständige Stelle bei Ärzten und Krankenhäusern weitere Berichte an.
Gültigkeit des Schwerbehindertenausweises
Die Gültigkeit des Ausweises ist in der Regel auf fünf Jahre befristet und kann zweimal verlängert werden. Wenn sich an Ihrer Behinderung auch in Zukunft nichts ändern wird, kann der Ausweis auch unbefristet ausgestellt werden. In den frühen Stadien der Demenz kann es sein, dass der Schwerbehindertenausweis nur für einen begrenzten Zeitraum möglich ist. In der Regel sind das maximal fünf Jahre und der Ausweis kann zweimal verlängert werden.
Bei schwerer Demenz sind die Betroffenen gänzlich auf Hilfe angewiesen: Der Hilflosigkeit entspricht ein Behinderungsgrad von 100 und im Ausweis wird ein H vermerkt.
Widerspruch
Wer einen negativen oder unzureichenden Bescheid erhält, kann innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen. Es ist ratsam, sich hierbei von einer Beratungsstelle oder einer auf Sozialrecht spezialisierte Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt unterstützen zu lassen.
Vorteile eines Schwerbehindertenausweises
Wenn ein Schwerbehindertenausweis erteilt wird, können Patient und Angehörige abhängig vom zuerkannten Merkzeichen und Grad der Behinderung verschiedene Vergünstigungen und Hilfen in Anspruch nehmen. Dazu gehören:
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Nachteilsausgleiche
Nachteilsausgleiche sind verschiedene Hilfen für Menschen mit Behinderung, um behinderungsbedingte Nachteile und Mehrkosten auszugleichen. So soll Chancengleichheit hergestellt werden. Die Nachteilsausgleiche richten sich nach Art und Schwere der Behinderung.
Steuerliche Vorteile
Menschen mit Demenz können je nach Grad der Behinderung bei der Steuererklärung einen pauschalen Steuerfreibetrag zwischen 384 und 2.840 Euro (ab 2021) geltend machen. Diesen Betrag können sie zum Jahresanfang beim zuständigen Finanzamt in die Lohnsteuerkarte eintragen lassen oder in der Steuererklärung nachträglich geltend machen. Bei Vorliegen der Merkzeichen H, B oder TBl (Taubblinde) oder einem Pflegegrad 4 beziehungsweise 5, erhöht sich der Steuerfreibetrag auf jährlich 7.400 Euro.
Zusätzliche Aufwendungen, die für die Pflege und Behandlung notwendig sind, werden beim zu versteuernden Einkommen berücksichtigt.
Kfz-Steuer
Bei der Kfz-Steuer können erheblich oder außergewöhnlich gehbehinderte (Merkzeichen G oder aG) oder hilfsbedürftige Menschen (Merkzeichen „H“) ebenfalls sparen, wenn der Pkw auf die Inhaberin oder den Inhaber des Schwerbehindertenausweises zugelassen ist. Für schwerbehinderte und gehörlose Menschen (Merkzeichen G und Gl) wird die Kraftfahrzeugsteuer um 50 Prozent reduziert. Nur Schwerbehinderte mit dem Merkzeichen aG sind von der Kraffahrzeugsteuer ganz befreit.
Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV)
Mit einem Schwerbehindertenausweis und bestimmten Merkzeichen können Sie den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ermäßigt oder sogar kostenfrei nutzen. Inhaber eines Schwerbehindertenausweises können unter bestimmten Voraussetzungen Preisnachlässe oder sogar kostenlose Transporte in Bussen und Bahnen erhalten. Dies ist der Fall, wenn das Merkzeichen G (erhebliche Gehbehinderung), aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) oder H (Hilflos) bewilligt wurde. Ist im Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen „B“ eingetragen, kann eine Begleitperson unentgeltlich mitfahren. Für schwerbehinderte und gehörlose Menschen (Merkzeichen G und Gl) wird die Kraftfahrzeugsteuer um 50 Prozent reduziert. Alternativ können sie gegen eine Eigenbeteiligung eine Wertmarke erwerben, die in Kombination mit dem Schwerbehindertenausweis zur kostenlosen Beförderung im öffentlichen Nahverkehr berechtigt. Nur Schwerbehinderte mit diesem Eintrag (aG) dürfen auf speziell ausgewiesenen Parkplätzen parken. Sie sind von der Kraffahrzeugsteuer ganz befreit und können außerdem die Wertmarke zu unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr erhalten.
Rundfunkbeitrag
Menschen mit Demenz, die wegen der Auswirkungen ihrer Demenz an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können und denen deswegen das Merkzeichen „RF“ zuerkannt wurde, können eine Ermäßigung des Rundfunkgebührenbeitrags beantragen. Diese Personen sind von der Rundfunkgebührenpflicht befreit oder teilweise befreit und erhalten eine Ermäßigung bei der Grundgebühr fürs Telefon.
Arbeitsrechtliche Vorteile
Bei berufstätigen Personen hat ein Schwerbehindertenausweis weitere Vorteile: Jede Kündigung muss von der Hauptfürsorgestelle der Wohnortgemeinde genehmigt werden. Schwerbehinderte haben fünf Tage mehr Urlaub und können ihren Ruhestand schon mit 63 Jahren antreten. Berufstätige Menschen mit Behinderung mit einem Schwerbehindertenausweis (ab einem Grad der Behinderung von 50) haben zudem erweiterte Arbeitnehmerrechte: Dazu gehören zusätzliche Urlaubstage (§ 208 SGB IX) sowie ein erweiterter Kündigungsschutz (§ 68 fortfolgende SGB IX). Außerdem können Betroffene zwei Jahre früher ein flexibles Altersruhegeld ohne Abzüge beantragen. Um Benachteiligungen bei der Teilhabe am Berufsleben auszugleichen, haben schwerbehinderte Arbeitnehmer Sonderrechte am Arbeitsplatz. Bis auf einige Ausnahmefälle muss eine Kündigung einer schwerbehinderten Person immer vom Integrationsamt genehmigt werden. Das Amt genehmigt die Kündigung nur, wenn die Behinderung nicht der Kündigungsgrund ist. Außerdem haben schwerbehinderte Arbeitnehmer Anspruch auf fünf zusätzliche bezahlte Urlaubstage pro Jahr. Die Zahl der Urlaubstage wird an die Arbeitswoche der Person angepasst. Wenn Sie bereits mindestens 35 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben, können schwerbehinderte Personen zwei Jahre früher abschlagsfrei in Rente gehen. Das ist im Einzelfall auch vom Geburtsjahr abhängig, denn für bestimmte Jahrgänge gelten abweichende Regelungen.
Besonderer Kündigungsschutz
Berufstätige Menschen mit Behinderung mit einem Schwerbehindertenausweis (ab einem Grad der Behinderung von 50) haben zudem erweiterte Arbeitnehmerrechte: Dazu gehören zusätzliche Urlaubstage (§ 208 SGB IX) sowie ein erweiterter Kündigungsschutz (§ 68 fortfolgende SGB IX). Außerdem können Betroffene zwei Jahre früher ein flexibles Altersruhegeld ohne Abzüge beantragen.
Mietrecht
Nach § 574 des BGB haben Mieter einer Wohnung einen verbesserten Kündigungsschutz, falls die Kündigung wegen der Schwerbehinderung eine unzumutbare Härte bedeuten würde.
Schwerbehindertenausweis und Pflegegrad
Bei Behinderung geht es um die Benachteiligung bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Beim Pflegegrad geht es um die Frage, ob eine Person im Alltag dauerhaft Unterstützung braucht. Deshalb gilt: Wer einen Schwerbehindertenausweis hat, bekommt nicht automatisch einen Pflegegrad. Bei vielen Menschen kommt aber beides zusammen: Eine schwere Behinderung und eine Pflegebedürftigkeit. Das lohnt sich, weil sie mit dem Schwerbehindertenausweis und dem Pflegegrad jeweils unterschiedliche Leistungen und Vorteile in Anspruch nehmen können.