Epilepsie, im Volksmund oft als "Gewitter im Gehirn" bezeichnet, kann das Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. In Deutschland haben Menschen mit Epilepsie die Möglichkeit, einen Grad der Behinderung (GdB) feststellen zu lassen und gegebenenfalls einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen, um Nachteilsausgleiche zu erhalten.
Was ist Epilepsie?
Epilepsie ist eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der einzelne Hirnbereiche oder das gesamte Gehirn übermäßig aktiv sind. Dies führt zu epileptischen Anfällen, die durch zu viele Signale vom Gehirn ausgelöst werden und Muskelzuckungen verursachen können. Etwa fünf Prozent der Bevölkerung erleiden im Laufe ihres Lebens mindestens einen epileptischen Anfall. Als zweithäufigste Erkrankung des Zentralen Nervensystems werden Epilepsien bei einem bis zwei Prozent der Bevölkerung diagnostiziert.
Es gibt zwei Hauptformen von Anfällen:
- Generalisierte Anfälle: Sie erfassen das gesamte Gehirn.
- Fokale Anfälle: Sie sind auf einzelne Hirnbereiche begrenzt, auch bekannt als komplex-fokale Anfälle. Die Symptome können je nach betroffenem Hirnbereich variieren und motorische, sensorische, geistige oder autonome Symptome umfassen.
Grad der Behinderung (GdB) bei Epilepsie
Der GdB beschreibt, wie stark eine Person durch eine körperliche, geistige, seelische oder Sinnesbeeinträchtigung im Alltag eingeschränkt ist. Er wird in Zehnerschritten von 20 bis 100 festgelegt, wobei 50 als Grenze zur Schwerbehinderung gilt. Der GdB ist unabhängig von der Ursache und Diagnose und berücksichtigt alle vorliegenden Beeinträchtigungen im Zusammenspiel. Die einzelnen Beeinträchtigungen werden nicht addiert, sondern nach ihren kombinierten Auswirkungen bewertet.
Feststellung des GdB
Der GdB wird auf Antrag durch ärztliche Gutachten ermittelt und vom Versorgungsamt des Wohnortes festgestellt. Die Beurteilung des GdB hängt von der Art, Schwere, Häufigkeit und tageszeitlichen Verteilung der epileptischen Anfälle ab.
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GdB-abhängige Nachteilsausgleiche
Je nach Höhe des GdB können Menschen mit Epilepsie verschiedene Nachteilsausgleiche erhalten, wie z.B. Schutzrechte oder Leistungsansprüche bei Steuern, im Arbeitsrecht oder im öffentlichen Nahverkehr. Menschen mit einem GdB von 50 oder höher erhalten besonders große Unterstützungen und können einen Schwerbehindertenausweis beantragen. Aber auch Menschen mit einem niedrigeren GdB können bereits Nachteilsausgleiche erhalten und einen Gleichstellungsantrag stellen.
Schwerbehindertenausweis und Merkzeichen
Epileptiker mit Schwerbehindertenausweis können bestimmte Merkzeichen erhalten, die ihnen weitere besondere Rechte und Vergünstigungen sichern. Bei Minderjährigen werden die Merkzeichen auch bei einem niedrigeren Grad der Behinderung vergeben. Die Merkzeichen ermöglichen die ermäßigte bzw. kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie beim Merkzeichen B die Mitnahme einer Begleitperson. Außerdem werden bei den Symbolen G und H Steuernachlässe gewährt.
Voraussetzungen für einen Behindertenausweis
Nicht jede Person mit Einschränkungen im Alltag wird automatisch als behindert eingestuft. Bei einer Epilepsie mit wöchentlich auftretenden Anfällen ist es durchaus möglich, dass ein Schwerbehindertenausweis beantragt und bewilligt werden kann. Bereits ab einer leichten Form der Epilepsie lohnt es sich, einen Antrag auf einen Grad der Behinderung zu stellen.
Antragstellung
Die Antragstellung für einen Schwerbehindertenausweis ist relativ einfach. Das Versorgungsamt fordert die erforderlichen Berichte von den zuständigen Ärzten an. Die Feststellung des GdB erfolgt durch das Versorgungsamt anhand der ärztlichen Berichte und Unterlagen.
Gültigkeit und Aberkennung
Der GdB bzw. der Schwerbehindertenausweis bei Epilepsie ist in der Regel nur 5 Jahre gültig und muss dann verlängert werden. Es ist wichtig, die Verlängerung rechtzeitig, etwa drei Monate vor Ablauf der Gültigkeit, zu beantragen. Eine direkte Verlängerung auf dem vorhandenen Ausweis ist nicht möglich.
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Es kann auch vorkommen, dass der Grad der Behinderung bei Epilepsie aberkannt wird, wenn eine Besserung eintritt, die einen höheren GdB nicht mehr rechtfertigt. Dies kann beispielsweise durch Operationen oder Medikamente erreicht werden. Nach einer Heilungsbewährung von 5 Jahren wird der GdB erneut festgelegt. Bei etwa 20 - 30% der Menschen tritt eine spontane Heilung der Epilepsie ein, die sogenannte Spontanremission. Je nachdem, wie stark die Epilepsie nach der Spontanremission noch ist, kann der GdB niedriger ausfallen als zuvor oder ganz wegfallen.
Rente und Schwerbehinderung
Als Mensch mit einer Schwerbehinderung kann man unter gewissen Voraussetzungen zwar früher in Rente gehen, allerdings bekommt die Person nicht mehr Rente. Durch den Nachteilsausgleich den schwerbehinderte Menschen haben, ist es möglich zwei Jahre früher in die Regelrente zu gehen. Abzüge müssen sie auch nicht befürchten, denn durch den Nachteilsausgleich gibt es für die zwei Jahre keine Abzüge.
Die Rolle der Versorgungsmedizin-Verordnung
Das Versorgungsamt bestimmt den GdB und die Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis nach der Versorgungsmedizinverordnung. Diese enthält als Anhang die Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit Anhaltspunkten zur Höhe des GdB bei verschiedenen Krankheiten. Die Versorgungsmedizinverordnung gilt auch für den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) bei der sozialen Entschädigung, z.B. für Gewaltopfer. Im Unterschied zum GdB geht es beim GdS nur um die Folgen eines bestimmten Ereignisses, z.B. einer Gewalttat.
GdB bei epileptischen Anfällen
Der GdB bzw. GdS bei epileptischen Anfällen hängt hauptsächlich von der Schwere, Art und Häufigkeit der Anfälle ab. Weil Anfälle am Tag meistens mehr Probleme machen als Anfälle im Schlaf, kommt es zusätzlich auf die Tageszeit der Anfälle an.
- Generalisierte (große) Anfälle: Früher als "Grand mal" bezeichnet, betreffen diese tonisch-klonischen Anfälle das gesamte Gehirn. Der Mensch wird bewusstlos, versteift sich am ganzen Körper und stürzt.
- Komplex-fokale Anfälle: Diese Anfälle betreffen nur einen Teil des Gehirns und das Bewusstsein ist dabei gestört.
- Kleine Anfälle: Früher als "Petit mal" bezeichnet, sind dies generalisierte Anfälle mit kurzen Bewusstseinsaussetzern, aber ohne Verkrampfen. Betroffene wirken verträumt oder unkonzentriert und können sich hinterher nicht daran erinnern.
- Einfach-fokale Anfälle: Diese Anfälle betreffen nur einen Teil des Gehirns. Betroffene haben dabei z.B. Zuckungen oder seltsame Empfindungen.
- Serien von Anfällen: Bei einer Anfallsserie haben Betroffene an einem Tag mehrere Anfälle.
Beispiele für die Festlegung des GdB
- Thomas hat eine Absence-Epilepsie mit generalisierten epileptischen Anfällen ohne Krampfen und Zuckungen. Er hat im Durchschnitt 2-3 Mal pro Woche Absencen, also kurze Bewusstseinsaussetzer.
- Aya hat ebenfalls eine Absence-Epilepsie. Oft hat sie mehrere Absencen an einem Tag, aber das kommt im Schnitt nur 1-2 Mal pro Woche vor. Das Versorgungsamt setzt ihren GdB auf 70 fest, weil Aya zwar Anfallsserien hat, aber die Absencen sind weder generalisierte Krampfanfälle, noch fokal betonte oder multifokale Anfälle.
Leistungen zur sozialen Teilhabe
Menschen mit Behinderungen haben Anspruch auf Leistungen zur sozialen Teilhabe. Der GdB beeinflusst verschiedene Nachteilsausgleiche, wie z.B.:
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- Im Beruf: Hilfen und Nachteilsausgleiche im Berufsleben.
- Mobilität: Bei mittelhäufigen Anfällen sind Unfälle beim zu Fuß gehen im Straßenverkehr und ohne Begleitperson auch in öffentlichen Verkehrsmitteln wahrscheinlich. Dieses Risiko kann die Mobilität stark einschränken.
- Hilflosigkeit: Wer wegen Epilepsie einen GdB von 100 hat, bekommt oft das Merkzeichen H für hilflos. Minderjährige bekommen es oft schon bei einem niedrigeren GdB.
Epilepsie im Arbeitsleben
Epilepsie ist eine chronische Erkrankung des Nervensystems, die sich aufgrund der Anfallsrisiken auf die berufliche Teilhabe betroffener Menschen auswirken kann. Viele Unternehmen beschäftigen bereits Menschen mit Epilepsie, aber es besteht oft mangelnde Information über die tatsächlichen Gefahren, aber auch über die vorhandenen Chancen.
Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz
Grundsätzlich sind alle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nach § 5 Arbeitsschutzgesetz und nach der DGUV Vorschrift 1 verpflichtet, alle mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen zu beurteilen, um die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen. Das Gesetz regelt jedoch nicht, wie die Betriebe die Gefährdungsbeurteilung durchführen sollen.
Empfehlungen für bestimmte Tätigkeiten
Die Empfehlungen beziehen sich ausschließlich auf die Epilepsie. Die aktuelle Ausgabe der Empfehlungen wurde an die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung angepasst. Eine wesentliche Änderung gegenüber der alten BGI 585 ist, dass für das Führen von Fahrzeugen der Gruppe 1 eine anfallsfreie Zeit von einem Jahr vorliegen muss (alte BGI 585: 2 Jahre). Nach den berufsgenossenschaftlichen Richtlinien des arbeitsmedizinischen Ausschusses der DGUV gelten besonders strenge Regelungen für Arbeiten in einer Höhe von 3 m über festem Boden mit Absturzgefahr (z. B. Gerüstbauer/in, Dachdecker/in, Schornsteinfeger/in). Diese Tätigkeiten dürfen erst nach langjähriger Anfallsfreiheit, d. h.
Fahrerlaubnis
Viele berufliche Tätigkeiten erfordern das Führen eines Fahrzeugs. Dabei kann es sich um Außendiensttätigkeiten mit Kundenbesuchen handeln oder um Lagerarbeiten, bei denen Fahrzeuge zum Be- und Entladen rangiert werden.
Fotosensibilität am Arbeitsplatz
Nur bei einem kleinen Teil der Betroffenen können rhythmische Lichtreize fotosensible Reaktionen auslösen. Beispiele für solche Anfallsauslöser sind flackerndes Licht, schnell wechselnde kontrastreiche Bildschirminhalte wie Streifenmuster oder Monitore mit einer sehr niedrigen Bildwechselfrequenz, meist zwischen 15 und 20 Hertz. Bei den heute überwiegend verwendeten Bildschirmen mit Flüssigkristallanzeige (LCD) besteht keine Anfallsgefahr. Eine Fachärztin oder ein Facharzt für Neurologie kann eine Fotosensibilität mit einem EEG (Elektroenzephalogramm) nachweisen, welches flackernde Lichtreize erzeugt. In der Regel kann die Fotosensibilität durch entsprechende Epilepsiemedikamente wirksam verhindert werden.
Arbeitsunfall und Haftung
Kein Arbeitsunfall liegt vor, wenn Beschäftigte während der Arbeitszeit oder auf dem Weg zur oder von der Arbeit einen Anfall erleiden und der Sturz zu einer behandlungsbedürftigen Verletzung führt. Nach der Empfehlung des Ausschusses für Arbeitsmedizin der DGUV (vormals BGI 585) liegt ein Arbeitsunfall nur dann vor, wenn betriebliche Umstände wesentlich zum Eintritt und zur Schwere des Unfalls beigetragen haben. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine beschäftigte Person infolge eines Anfalls in eine laufende, geöffnete Maschine stürzt.
Informationspflicht und Bewerbung
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind grundsätzlich nicht verpflichtet, ihre Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber über ihre Erkrankung zu informieren. Sie müssen sie daher auch nicht in einem Bewerbungsschreiben erwähnen. Wenn aber das Unternehmen jedoch bei der Auswahl oder der Gestaltung des Arbeitsplatzes auf wesentliche Funktionseinschränkungen im Hinblick auf die geforderten Tätigkeiten Rücksicht nehmen muss, sind die Beschäftigten verpflichtet, ihre Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auf die Erkrankung hinzuweisen. Es empfiehlt sich, im Bewerbungsgespräch zunächst die eigenen Stärken und Fähigkeiten zu betonen, bevor die Erkrankung oder Behinderung zur Sprache kommt. Umgekehrt dürfen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nur dann nach einer Erkrankung fragen, wenn diese die Eignung für die Tätigkeit dauerhaft einschränkt.
Beurteilung der Eignung
Um zu beurteilen, ob die betroffene Arbeitskraft für die berufliche Tätigkeit geeignet ist, muss zunächst geklärt werden, ob es sich tatsächlich um eine Epilepsie handelt und wie sie sich äußert. Wichtig bei der Darstellung der Erkrankung ist die Selbst- und Fremdbeschreibung.
Weitere Aspekte der Epilepsie
Formen der Epilepsie
Es gibt verschiedene Formen der Epilepsie, die sich in ihren Ursachen und Symptomen unterscheiden:
- Idiopathische Epilepsie: Die Ursache dieser Form der Epilepsie ist nicht bekannt.
- Symptomatische Epilepsie: Diese Form der Epilepsie ist durch eine zugrunde liegende Erkrankung verursacht.
Begleitsymptome
Neben den Anfällen können neuropsychologische, psychiatrische oder körperliche Begleitsymptome wie Lern- und Gedächtnisstörungen, Depressionen, Ängste oder feinmotorische Störungen auftreten.
Anfallsverlauf und Häufigkeit
Der Verlauf eines epileptischen Anfalls kann in der Regel nicht beeinflusst werden. Die Anfallshäufigkeit kann variieren. Sie reicht von langer Anfallsfreiheit über einen Anfall pro Jahr bis zu mehreren Anfällen pro Tag. Im Allgemeinen scheinen Anfälle seltener aufzutreten, wenn die Patientin oder der Patient in sicheren und strukturierten Verhältnissen lebt, sozial integriert ist und eine Perspektive hat.
Notfallausweis
Der Notfallausweis ist ein viersprachiges Ausweisdokument (Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch) und enthält Informationen, die bei einem Anfall im In- und Ausland hilfreich sind. Betroffene sollten den Ausweis immer bei sich tragen.
Anfallsarten
Anfälle lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen:
- Einfach-fokale Anfälle: Das Bewusstsein bleibt erhalten, der Anfall wird voll miterlebt.
- Komplex-fokale Anfälle: Das Bewusstsein ist eingeschränkt.
- Absencen: Kurze Bewusstseinspause ohne Sturz.
- Myoklonische Anfälle: Blitzartiger elektrischer Schlag.
- Tonisch-klonische Anfälle (Grand Mal): Bewusstseinsverlust und rhythmische Zuckungen.
Erste Hilfe bei Anfällen
- Betroffenen aus Gefahrenzone entfernen.
- Alles wegräumen, was im Weg ist oder gefährdet.
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