Seit der Zulassung des quadrivalenten humanen Papillomavirusimpfstoffs (qHPV) im Jahr 2006 und des bivalenten HPV-Impfstoffs im Jahr 2011 wurden weltweit etwa 120 Millionen Impfdosen verabreicht. Bei neuen Impfstoffen geht es nicht nur um die Wirksamkeit, sondern auch um die Häufigkeit und Art der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW). Die Angst vor UAW der HPV-Impfung und die mangelhafte Aufklärung über mögliche Folgen einer HPV-Infektion gelten als wichtige Gründe für die niedrige Akzeptanz dieser Impfung in einigen Ländern, beispielsweise in Deutschland. Es ist wichtig, die verfügbaren Daten zu unerwünschten Ereignissen im Zusammenhang mit der HPV-Impfung zu verstehen, insbesondere in Bezug auf neurologische Erkrankungen wie Epilepsie.
Was ist die HPV-Impfung?
Die HPV-Impfung ist eine Impfung gegen Humane Papillomviren. Diese gelten unter anderem als wichtigster Risikofaktor für Gebärmutterhalskrebs. Zudem begünstigen sie in einigen Fällen noch andere Erkrankungen, etwa andere Formen von Krebs (z.B. Peniskrebs) sowie Feigwarzen (Genitalwarzen).
Für die HPV-Impfung (engl. "HPV vaccine") stehen in Deutschland zwei Arten von Impfstoff zur Verfügung: ein Zweifach-Impfstoff (bivalenter HPV-Impfstoff) und ein Neunfach-Impfstoff (neunvalenter HPV-Impfstoff). Bis August 2017 gab es auch einen Vierfach-Impfstoff, den der Hersteller dann aber durch den Neunfach-Impfstoff ersetzt hat.
Der Zweifach-HPV-Impfstoff schützt vor einer Ansteckung mit den Hochrisiko-HPV-Typen 16 und 18 (verantwortlich für ca. 70 Prozent aller Fälle von Gebärmutterhalskrebs).
Der Neunfach-HPV-Impfstoff schützt vor den Hochrisiko-Typen 16, 18, 31, 33, 45, 52 und 58 (verantwortlich für ca. 90 Prozent aller Fälle von Gebärmutterhalskrebs) und vor den Niedrigrisiko-Typen HPV 6 und 11 (Hauptauslöser der Feigwarzen).
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Die HPV-Impfstoffe enthalten Eiweiße (Proteine) aus der Hülle des Virus (Kapsid). Gegen diese Eiweiße bildet das Abwehrsystem spezielle Antikörper. Diese ermöglichen eine schnelle und gezielte Abwehr, wenn ein Mensch nach der Impfung mit den Erregern in Kontakt kommt.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) und HPV-Impfung
Die Erfahrung hat gezeigt, dass kurz nach einer Impfung auftretende schwerwiegende Ereignisse meist dem Impfstoff zugeordnet werden können. Solche Ereignisse müssen als Signal ernst genommen und aufgeklärt werden. Das gilt insbesondere für neurologische und immunologische Erkrankungen.
Befürchtungen, dass Impfungen speziell Autoimmunerkrankungen induzieren können, sind vermutlich ausgelöst durch die tatsächlich festgestellten Assoziationen zwischen Grippeimpfstoffen und Narkolepsie und Guillain-Barré-Syndrom. Die gepoolten Daten aus klinischen Studien mit über 28.000 HPV-Geimpften ergaben jedoch keine Signale in diese Richtung. Aber auch diese Zahlen wären zu klein, um seltene Ereignisse sicher zu erfassen.
Eine Analyse der 12.424 Spontanmeldungen an das Vaccine Adverse Event Reporting System (VAERS) in den USA ergab 772 schwere UAW. Autoimmunerkrankungen waren dabei nicht häufiger als in der “Kontrollbevölkerung”. Jedoch wurden Synkopen und thromboembolische Ereignisse überproportional häufig gefunden.
Eine sequenzielle Analyse mittels “Vaccine Safety Datalink” von sieben Gesundheitsorganisationen in den USA, die 600.588 qHPV-Geimpfte erfasste, ergab kein erhöhtes Risiko für acht prädefinierte Ereignisse, bis auf eine nicht-signifikant erhöhte Assoziation mit thromboembolischen Ereignissen. Eine weitere Kohortenstudie zweier Gesundheitsorganisationen in Kalifornien mit 189.629 Frauen untersuchte das Risiko von 16 Autoimmunerkrankungen im Zusammenhang mit der HPV-Impfung. Sie fand nur eine erhöhte Rate von Hashimoto-Thyreoiditis, die aber bei genauerer Analyse in keinem zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung stand. Der Zusammenhang war auch nicht plausibel.
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Schweden und Dänemark führen bevölkerungsbasierte Datenbanken, aus denen sich die UAW eines Impfprogramms sehr gut ablesen lassen. Diese Register wurden jetzt in einer gemeinsamen Studie für die Frage nach den UAW von HPV-Impfungen vom Oktober 2006 bis Dezember 2010 genutzt. In diese Analyse gingen 997.685 Mädchen im Alter zwischen 10 und 17 Jahren ein, die gegen HPV geimpft wurden. Alle in den Krankenhäusern der beiden Länder gestellten Diagnosen hinsichtlich eines autoimmunen oder thromboembolischen oder neurologischen Ereignisses wurden innerhalb von 180 Tagen nach jeder Impfung ausgewertet. Die Inzidenz der Ereignisse wurde mit der Inzidenz in der nicht-geimpften Bevölkerung verglichen (Rate Ratio = RR). Von 53 diagnostizierten Autoimmunerkrankungen gab es bei drei Erkrankungen (Raynaud-Syndrom, Diabetes mellitus Typ 1 und Behcet-Syndrom) eine mögliche Assoziation. Bei diesen Erkrankungen zeigte sich eine willkürliche Verteilung in Bezug auf die Zeit nach der Impfung. Die RR dieser Autoimmunerkrankungen mehr als 180 Tage nach der Impfung entsprach der RR innerhalb der ersten 180 Tage.
HPV-Impfung und Epilepsie: Was sagen die Daten?
Die Analyse neurologischer Ereignisse ergab keine Assoziation. Für Epilepsie bzw. Lähmungen wurde eine inverse Korrelation errechnet (RR: 0,66; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,54-0,80 bzw. RR: 0,56; CI: 0,35-0,90). Dies deutet darauf hin, dass die HPV-Impfung nicht mit einem erhöhten Risiko für Epilepsie verbunden ist.
Seit Zulassung des Impfstoffes Gardasil (Ende 2006) sind dem Paul-Ehrlich-Institut bis heute insgesamt 40 Fälle berichtet worden, in denen entweder ein Krampfanfall, eine Epilepsie oder eine Myoklonie im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gemeldet wurden. Eine Analyse ergibt, dass es sich in elf Fällen um Synkopen handelt, die im direkten Anschluss an die Impfung aufgetreten sind. in 9 Fällen war auf Grund der vorliegenden Informationen der Kausalzusammenhang 'nicht bewertbar'. In keinem Fall wurde ein bleibender Schaden gemeldet.
Das Paul-Ehrlich-Institut erläutert die ihm vorliegenden Informationen zu zwei Verdachtsfällen in Spanien mit Status epilepticus (Epilepsie/ Krampfanfall) bzw.
Es handelt sich um ein 14-jähriges Mädchen, die Impfung mit Gardasil erfolgte am 04. Februar 2009. Zehn Minuten nach der Impfung wurde die Patientin ohnmächtig. Gleichzeitig hatte sie Fieber und Zittern der Beine (Tremor). Die Diagnostik zeigte eine Infektion des Zentralen Nervensystems mit Herpes Simplex Virus und eine deutliche Erniedrigung des Kalziumspiegels im Blut. Die Kausalität zur Impfung wird vom Paul-Ehrlich-Institut als unwahrscheinlich bewertet, da sowohl die vorliegende Infektion als auch die Erniedrigung des Kalziumspiegels für das Ereignis verantwortlich gemacht werden können.
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Es handelt sich um ein 15-jähriges Mädchen, die Impfung mit Gardasil erfolgte am 06. Februar 2009. Kurz nach der Impfung klagte die Patientin über zunehmendes Schwindelgefühl und wurde ungefähr eine Stunde nach der Impfung ohnmächtig. Kurz darauf war sie wieder bei Bewusstsein, hatte aber nach kurzer Zeit eine ähnliche Episode und wurde in ein Krankenhaus eingewiesen. Dort wiederholten sich die Episoden mit erneutem Verlust des Bewusstseins, so dass eine Überwachung auf der Intensivstation erfolgte. Die Laboruntersuchungen im Blut waren unauffällig, inklusive der toxikologischen Untersuchungen. Die Untersuchung des Kopfes durch eine Kernspintomographie (MRT) zeigte eine deutliche Asymmetrie der Liquorräume im Gehirn mit Erweiterung des rechten Liquorraumes. Die Kausalität zur Impfung wird vom Paul-Ehrlich-Institut als unwahrscheinlich bewertet. Insgesamt ist die Diagnose unklar. Ferner ist kein biologischer Mechanismus bekannt, der das kurzfristige Auftreten der beobachteten Befunde erklären könnte. Diese Tatsache und der sehr kurze Abstand zwischen der Impfung und der Symptomatik sprechen gegen einen Zusammenhang mit der Impfung.
Epilepsie und Impfung
Eine Epilepsie ist keine grundsätzliche Kontraindikation für Impfungen. Leider kommt es in den letzten Jahren zunehmend wieder zu schweren Infektionskrankheiten wie z. B. Masern, die ein hohes Risiko an Folgeerkrankungen mit sich bringen. Daher ist Impfen um so wichtiger geworden, da es keinen sicheren Schutz durch eine gut geimpften Umgebungsbevölkerung mehr gibt. Insbesondere für Kinder mit Epilepsie sind Impfungen wichtig. Häufig werden Impfungen aus Angst vor einer Anfallsauslösung durch die Impfung selbst oder dabei auftretendes Fieber vermieden. Immer wieder kursieren Gerüchte über Epilepsien als Folge von Impfschäden. Impfschäden waren zum Glück früher schon selten und sind durch eine zunehmende Verbesserung der Impfstoffe noch viel seltener geworden. Die meisten dieser vermeintlichen Impfschäden sind keine. Sehr häufig wurde mit verbesserter Diagnostik bei Menschen mit einem „Impfschaden“ später eine genetische Veränderung gefunden welche die Epilepsie erklärt.
Können Kinder, Jugendliche oder Erwachsene mit Epilepsierisiko geimpft werden?
In den letzten Jahrzehnten ist die Rate an schwerwiegenden Impfkomplikationen wie Krampfanfällen oder anderen neurologischen Störungen stetig gesunken. Zu verdanken ist dies der fortdauernden Verbesserung in der Zusammensetzung der Impfstoffe. Die früher vor allem bei der Keuchhusten-Impfung noch angebrachte Vorsicht ist heute - auch bei Menschen mit Epilepsie und deren Familienangehörigen - glücklicherweise nicht mehr nötig.
Darüber hinaus gibt es gewichtige Gründe dafür, dass gerade Menschen mit Epilepsie und insbesondere an Epilepsie leidende Kinder einen ausreichenden Impfschutz erhalten. So können beispielsweise Infektionskrankheiten wie Masern und Keuchhusten zu einer vorübergehenden oder dauernden Verschlechterung des Anfallsleidens führen. Ärzte und Angehörige berichten, dass Infektionskrankheiten bei Kindern mit Epilepsie schwerer verlaufen können als bei gesunden Kindern.
Welche Einschränkungen müssen beim Impfen von Menschen mit Epilepsierisiko beachtet werden?
Es gibt einige generelle Einschränkungen, die vom impfenden Arzt beachtet werden müssen: Während einer Therapie mit ACTH oder Kortikosteroiden darf wegen der dadurch hervorgerufenen Schwächung der Körperabwehr niemals mit Lebendimpfstoffen geimpft werden! ACTH und Kortikosteroide wie etwa Dexamethason sind Hypophysen- bzw. Nebennierenrinden-Hormone, die u.a. beim West-Syndrom, einer im Säuglings- und Kleinkindesalter beginnenden Epilepsieform, eingesetzt werden
Anfallsfreiheit ist keine unbedingte Voraussetzung für die Durchführung einer Impfung. In Phasen besonders starker Anfallsbereitschaft sollte jedoch nicht geimpft werden. Die anstehende Impfung sollte dann - wenn möglich - zurückgestellt und auf einen späteren Zeitpunkt mit geringerer Anfallstätigkeit verschoben werden. Gleiches gilt für eine gerade stattfindende Therapieumstellung. Sie sollte erst abgewartet werden, bevor man die Impfung durchführt. Dagegen ist der alleinige Nachweis epileptischer Signale im Hirnstrombild (EEG), ohne dass dabei subjektiv oder objektiv erfassbare Anfallssymptome auftreten, kein Grund den Impftermin zu verschieben
Achtung: Fieber kann anfallsauslösend wirken! Bei Schutzimpfungen gegen Masern, Mumps, Röteln, Keuchhusten, HIB, Hepatitis-B, Diphtherie und Tetanus, die mit einer vorübergehenden Temperaturerhöhung einhergehen können, sollte daher vorbeugend ein fiebersenkendes Mittel (z.B.
Nebenwirkungen der HPV-Impfung
Gut verträglich sind im Allgemeinen beide Arten von HPV-Impfung. Nebenwirkungen können - wie bei allen Medikamenten - dennoch auftreten. Sie unterscheiden sich kaum zwischen den beiden HPV-Impfstoffen, klingen in der Regel nach kurzer Zeit von allein wieder ab und sind meist nicht gefährlich.
Sehr häufige Nebenwirkungen sind:
- Reaktionen an der Einstichstelle (Rötung, Schmerzen, Schwellung)
- Kopfschmerzen
- Muskelschmerzen (Zweifach-HPV-Impfstoff)
- Müdigkeit (Zweifach-HPV-Impfstoff)
Zu den häufigen Nebenwirkungen zählen:
- Fieber
- Juckreiz, Hautausschlag, Nesselsucht (Zweifach-HPV-Impfstoff)
- Juckreiz und Einblutungen an der Einstichstelle (Neunfach-HPV-Impfstoff)
- Gelenkschmerzen (Zweifach-HPV-Impfstoff)
- Schwindel, Abgeschlagenheit (Neunfach-HPV-Impfstoff)
- Übelkeit (Neunfach-HPV-Impfstoff) beziehungsweise Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Bauchschmerzen (Zweifach-HPV-Impfstoff)
Mit geringerer Häufigkeit treten manchmal weitere Nebenwirkungen auf, zum Beispiel Infektionen der oberen Atemwege (Zweifach-Impfstoff) oder Lymphknoten-Schwellungen (beide Impfstoffe).
Eine Ohnmacht als Reaktion auf die Spritze (beide Impfstoffe) ist möglich, wenn jemand generell Angst vor Spritzen hat. Betroffene sollten den Arzt oder die Ärztin vor der Impfung auf ihre Spritzenangst hinweisen.
Manche Menschen reagieren allergisch auf die HPV-Impfung (beide Impfstoffe). Das kann sich darin zeigen, dass Gesicht und/oder Atemwege anschwellen. Dann sollte man sofort ärztliche Hilfe suchen!
HPV-Impfung und Multiple Sklerose (MS)
Die Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV) geht nach zwei aktuellen Analysen nicht mit einem erhöhten Risiko für Multiple Sklerose (MS) oder andere demyelinisierende Erkrankungen des zentralen Nervensystems einher.
In einer Kohortenstudie aus Skandinavien wurde auf Basis der nationalen Register das Risiko für alle dänischen und schwedischen Frauen im Alter zwischen 10 und 44 Jahren analysiert. Erfasst wurden die Daten von fast 4 Millionen Mädchen und Frauen (2006-2013), darunter knapp 800 000, die insgesamt zwei Millionen Dosen des tetravalenten HPV-Impfstoffs erhalten hatten.
In der zweijährigen „Risikoperiode“ nach Vakzination traten 73 Fälle von MS und 90 demyelinisierende Erkrankungen auf. Die Kohortenanalyse ergab kein erhöhtes MS-Risiko bei der geimpften Gruppe im Vergleich mit Nicht-HPV-Geimpften (6,12 vs. 21,54 Fälle/100 000 Personenjahre; adjustierte Rate Ratio [RR]: 0,90; 95-%-Konfidenzintervall [KI]: 0,70-1,15). Auch die Inzidenz für andere demyelinisierende Erkrankungen war mit 7,54 im Vergleich zu 16,14 Fällen pro 100 000 Personenjahre (RR: 1,00; 95-%-KI: 0,80-1,26) nicht erhöht. Die Autoren sehen deshalb keine kausale Verbindung zwischen HPV-Impfung und diesen Erkrankungen.
Ein ähnliches Ergebnis hatte eine genestete Fall-Kontroll-Studie bei Versicherten der Kaiser Permanente Southern California. Es wurde anhand der elektronischen Krankenakten das Risiko für diese Erkrankungen nach HPV- und Hepatitis-B-Impfungen ermittelt. Erfasst wurden die spezifischen Krankheitsfälle (n = 780) im Zeitraum zwischen 2008 und 2011 bei 9- bis 26-Jährigen und jeweils 5 Kontrollen (n = 3 885) zugeordnet. Bis 3 Jahre nach Impfung war das Risiko weder bei HPV- noch bei Hepatitis-Geimpften erhöht (Odds Ratio [OR]:1,05; 95-%-KI: 0,62-1,78 und OR:1,12; 95-%-KI: 0,72-1,73).
Die fehlende langfristige Korrelation spricht nach Ansicht der Autoren gegen eine Kausalität, das kurzfristig erhöhte Risiko für demyelinisierende Erkrankungen (OR: 2,32; 95-%-KI: 1,18-4,57) in den ersten 30 Tagen nach Impfung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Vakzinierung bei bereits bestehender Erkrankung dazu beiträgt, subklinische in manifeste Formen zu transformieren.