Die Untersuchung des Sehnervs spielt eine zentrale Rolle in der neurologischen Diagnostik. Sie ermöglicht die Beurteilung von Funktionsstörungen und Schädigungen, die das Sehvermögen beeinträchtigen können. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Methoden zur Untersuchung des Sehnervs in der Neurologie, ihre Anwendungsbereiche und ihre Bedeutung für die Diagnose und Behandlung neurologischer Erkrankungen.
Einführung
Der Sehnerv verbindet das Auge mit dem Gehirn und überträgt visuelle Informationen zur Verarbeitung. Eine Schädigung des Sehnervs kann zu einer Vielzahl von Sehstörungen führen, von leichten Beeinträchtigungen bis hin zur Erblindung. Daher ist eine umfassende Untersuchung des Sehnervs unerlässlich, um die Ursache von Sehstörungen zu ermitteln und eine geeignete Behandlung einzuleiten.
Methoden zur Untersuchung des Sehnervs
In der Neurologie stehen verschiedene Methoden zur Verfügung, um den Sehnerv zu untersuchen. Diese lassen sich grob in elektrophysiologische, bildgebende und funktionelle Verfahren unterteilen.
Elektrophysiologische Untersuchungen
Elektrophysiologische Untersuchungen messen die elektrische Aktivität des Nervensystems als Reaktion auf bestimmte Reize. Sie ermöglichen die Beurteilung der Funktion des Sehnervs und der zugehörigen neuronalen Bahnen.
Visuell evozierte Potentiale (VEP)
VEP messen die Hirnstromaktivität, die durch einen visuellen Reiz ausgelöst wird. Dabei sitzt der Patient vor einem Monitor mit einem wechselnden Schachbrettmuster und fixiert einen markierten Punkt in der Mitte. Die Zeitdauer vom Auftreten des Sehreizes bis zum Auftreten der Hirnstromaktivität über der Sehrinde wird genau vermessen. Diese Methode ist ungefährlich, schmerzfrei und dauert mit Vorbereitungen etwa 15 Minuten. VEPs dienen zur Beurteilung des Sehnervs, der Sehbahn und des visuellen Cortex, dem Gehirnteil, der für das Sehen verantwortlich ist.
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Bildgebende Verfahren
Bildgebende Verfahren ermöglichen die Visualisierung des Sehnervs und der umliegenden Strukturen. Sie können strukturelle Veränderungen wie Entzündungen, Tumore oder Kompressionen aufzeigen.
Optikusnervenscheiden-Sonografie (ONSD)
Die ONSD ist eine Ultraschalluntersuchung, bei der ein Schallkopf sanft auf das geschlossene Augenlid aufgesetzt wird. Sie macht sich zunutze, dass sich Veränderungen in der Regel an der Hülle des Sehnervs zeigen, wenn der Druck im Schädelinneren steigt. Die ONSD ist ein einfach anwendbares, nicht-invasives und hochrelevantes Verfahren, mit dem sich ein erhöhter Hirndruck frühzeitig feststellen lässt. Sie bietet eine wertvolle, patientenschonende Ergänzung zu anderen bildgebenden Verfahren, insbesondere in Notfallsituationen oder wenn eine invasive Messung nicht möglich ist.
Magnetresonanztomographie (MRT)
Die MRT ist ein bildgebendes Verfahren, das detaillierte Aufnahmen des Gehirns und der Augenhöhle ermöglicht. Sie kann Entzündungen, Tumore oder andere Anomalien des Sehnervs aufzeigen. Die MRT ist besonders nützlich, um die Ursache von Sehnervschädigungen zu identifizieren, die nicht durch andere Untersuchungsmethoden festgestellt werden können.
Computertomographie (CT)
Die CT ist ein weiteres bildgebendes Verfahren, das Querschnittsbilder des Gehirns und der Augenhöhle liefert. Sie ist besonders geeignet, um knöcherne Strukturen und Blutungen darzustellen. Die CT kann auch verwendet werden, um Tumore oder andere Raumforderungen zu identifizieren, die auf den Sehnerv drücken.
Funktionelle Untersuchungen
Funktionelle Untersuchungen beurteilen die Fähigkeit des Sehnervs, visuelle Informationen zu verarbeiten. Sie können Defizite in der Sehschärfe, dem Gesichtsfeld oder dem Farbensehen aufzeigen.
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Perimetrie (Gesichtsfeldmessung)
Die Perimetrie dient der Vermessung des Gesichtsfelds, also des Bereichs, den das Auge wahrnehmen kann, ohne sich zu bewegen. Dabei werden sowohl die Grenzen des Sichtbereichs als auch die Schärfe der Wahrnehmung gemessen. Es gibt verschiedene Methoden der Perimetrie, darunter die automatische statische Perimetrie, die kinetische Perimetrie und die Fingerperimetrie. Die Perimetrie wird eingesetzt, um Ausfälle der Sehwahrnehmung (Skotome) festzustellen, die durch Schädigungen des Sehnervs oder der Sehbahn verursacht werden können.
Untersuchung der Sehschärfe und des Farbsehens
Die Untersuchung der Sehschärfe und des Farbsehens ist ein wichtiger Bestandteil der neurologischen Untersuchung des Sehnervs. Eine Beeinträchtigung der Sehschärfe oder des Farbsehens kann auf eine Schädigung des Sehnervs hinweisen.
Erkrankungen, die den Sehnerv beeinträchtigen können
Verschiedene Erkrankungen und Verletzungen können den Sehnerv schädigen und zu Sehstörungen führen. Zu den häufigsten Ursachen gehören:
- Glaukom (Grüner Star): Ein erhöhter Augeninnendruck schädigt die Nervenfasern des Sehnervs.
- Diabetische Retinopathie: Hohe Blutzuckerwerte schädigen die kleinen Gefäße im Auge und können zu einer verminderten Durchblutung des Sehnervs führen.
- Optikusneuritis (Sehnervenentzündung): Eine Entzündung des Sehnervs kann zu Sehminderung und schmerzhafter Augenbewegung führen.
- Erhöhter Hirndruck: Ein erhöhter Hirndruck kann zu einer Stauungspapille führen, einem Ödem im Bereich der Einmündung des Sehnervs in die Netzhaut.
- Tumore: Tumore im Bereich des Sehnervs oder der Sehbahn können Druck auf den Nerven ausüben und zu Sehstörungen führen.
- Gefäßverschlüsse: Gefäßverschlüsse können zu einer fehlenden Sauerstoff- und Nährstoffzufuhr des Sehnervs führen, was zum Absterben von Nervenzellen und Sehverlusten führen kann.
- Genetische Ursachen: Genetische Defekte können zu einer unvollständigen Ausbildung des Sehnervs und einer eingeschränkten Funktionsfähigkeit führen.
Anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION)
Die AION ist eine häufige Ursache für eine plötzliche Sehverschlechterung bei Patienten über fünfzig. Die Ursache für diese Erkrankung ist der Ausfall der Blutversorgung des Sehnervs, was zu einer Schädigung der Nervenfasern führt. Leitsymptom einer AION ist eine schmerzlose, sich verschlechternde Sehfähigkeit (die Sicht ist verschwommen, verschattet und dunkel, Farben wirken abgeblasst) mit Gesichtsfeldausfällen. Diese Veränderungen sind meist länger anhaltend.
Leber'sche hereditäre Optikusneuropathie (LHON)
Leber'sche hereditäre Optikusneuropathie ist eine neuro-degenerative Erbkrankheit, die zu einer plötzlichen einseitigen Erblindung führen kann. Häufig folgt das andere Auge innerhalb von einigen Monaten. Die Ursache liegt in den Ganglienzellen des Sehnervens. Die Erkrankung gehört zu den Mitochondriopathien, also einer mütterlicherseits vererbten Erkrankung der Mitochondrien (Kraftwerke der Zellen). Das führt zu einem Schwund von Fasern des Sehnervens, v.a. im Randbereich. Die Patienten bemerken zunächst eine Störung der Farbwahrnehmung, insbesondere bei Rot und Grün. Im Endstadium führt die Erkrankung zur Erblindung.
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Hypophysentumor
Hypophysenadenome (etwa 15 % aller Hirntumoren, Altersgipfel 35-45 Jahre) sind meist gutartige Tumore, die von Hormonzellen des Vorderlappens der Hirnanhangsdrüse ausgehen. Sie wachsen gegen die umgebenden Strukturen verdrängend oder infiltrativ vor. Es handelt sich dabei meist um gutartige Wucherungen der Hypophysenzellen (Hirnanhangsdrüse), die sehr klein sind und keine Symptome verursachen. Da die Hypophyse genau an der Sehnervenkreuzung liegt, können größere Tumore, die deutlich seltener sind, zu Sehstörungen und Gesichtsfeldausfällen führen.
Meningeome
Meningeome sind sehr langsam wachsende gutartige Tumore, die den Sehnerven oder die Sehnervenkreuzung komprimieren können, ohne dass das zunächst auffällig ist.
Raumforderungen im Gehirn
Hirntumore können zu verschiedensten Augensymptomen führen. Je nach Lage des Tumors entsteht ein gemischtes Bild an neuro-ophthalmologischen Ausfällen. So treten oftmals Gesichtsfeldausfälle und Augenbewegungsstörungen auf. Häufig kommt es zu einer Stauung der Hirnflüssigkeit (Liquor) mit einer nachfolgender Hirndrucksteigerung (weiße Bereiche im Kernspinbild).
Schlaganfall (Apoplex)
Der Schlaganfall ist eine Erkrankung aus dem neurologischen Fachgebiet. Dabei kann sich ein Schlaganfall isoliert an der Sehrinde manifestieren, so dass nur ein Gesichtsfeldausfall auf das Geschehen hinweist und keine weiteren neurologischen Symptome auftreten.
Pseudotumor cerebri
Bei dieser Krankheit ist der Hirndruck erhöht, ohne dass es dafür eine klar erkennbare Ursache gibt. Der Sehnerv kann stark anschwellen und mit der Zeit Schaden nehmen. Betroffen sind meistens jüngere Frauen mit Übergewicht, die an Kopfschmerzen leiden.
Therapie von Sehnervschädigungen
Die Therapie von Sehnervschädigungen richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache. Beim Glaukom ist es wichtig, den Augeninnendruck zu senken, um weitere Schäden am Sehnerv zu verhindern. Dies kann durch Augentropfen, Lasertherapie oder Operation erreicht werden. Eine Entzündung des Sehnervs wird in der Regel mit Steroiden behandelt. Bei der diabetischen Retinopathie ist eine gute Blutzuckereinstellung von zentraler Bedeutung. Tumore, die auf den Sehnerv drücken, können operativ entfernt oder bestrahlt werden.
Regeneration des Sehnervs
Kommt es zu einem gänzlichen Ausfall des Sehnervs aufgrund des Untergangs der Sehnervenfasern, ist eine Regeneration nicht möglich, da sich die Neuronen nicht neubilden können. Bei Patienten mit einem restlichen Sehvermögen, kann beispielsweise anhand einer Behandlung mit Wechselstrom, versucht werden einige Funktionseinschränkungen zu verbessern. Aufgrund der fehlenden Regenerationsfähigkeit der Nervenfasern, ist es von großer Bedeutung einen möglichen Krankheitsprozess des Sehnervs frühzeitig zu erkennen.
Die Rolle des Augenarztes bei der Sehnervuntersuchung
Die Untersuchung des Sehnervs erfolgt in der Regel durch einen Augenarzt oder in einer Klinik für Augenheilkunde. Der Augenarzt kann den Sehnerv mit einer Spaltlampe betrachten und bildgebende Verfahren wie die optische Kohärenztomographie (OCT) einsetzen, um detaillierte Aufnahmen des Sehnervs zu erhalten.
Spaltlampen-Biomikroskopie
Die Spaltlampen-Biomikroskopie ist eine wichtige Methode zur klinischen Untersuchung des Sehnervs. Um die Größe des Sehnervs zu bestimmen, ist es wichtig, die Dioptrien-Stärke der Non-Kontakt-Linse zu kennen. Dabei wird die Höhe des Schlitzes so lange reduziert, bis sie mit der Größe der Papille übereinstimmt. Danach kann die Größe an der Messskala der Spaltlampe abgelesen werden, wobei die Vergrößerung der Linse berücksichtigt werden muss.
Direkte und indirekte Ophthalmoskopie
Bei der direkten Ophthalmoskopie verwendet der Augenarzt ein direktes Ophthalmoskop, auch als Fundoskop bezeichnet. Es handelt sich um ein handgehaltenes Gerät mit einer Lichtquelle, einem Spiegel und einer Linse. Der Patient sitzt normalerweise in einem dunklen Raum und der Arzt lenkt das Licht des Ophthalmoskops in das Auge des Patienten, um den Augenhintergrund zu betrachten, einschließlich des Sehnervs, der Netzhaut und der Blutgefäße. Im Gegensatz zur direkten Methode verwendet die indirekte Ophthalmoskopie eine Lupe und eine Lichtquelle, um den Augenhintergrund zu betrachten. Der Augenarzt benutzt eine spezielle, schwächere Linse und eine Stirnlampe und betrachtet den Augenhintergrund des Patienten. In beiden Fällen dienen diese Methoden dazu, auch den Sehnervenkopf zu untersuchen, um Anzeichen von Erkrankungen oder Veränderungen zu erkennen.
Fundusfotografie
Fundusfotografie spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewertung und Überwachung von Glaukomen. Die moderne Fundusfotografie verwendet ausschließlich digitale Kameras, was eine digitale Dokumentation erlaubt. Es existieren sowohl Systeme, die Aufnahmen unter Mydriasis machen, als auch Systeme, die bei enger Pupille angewendet werden können. Obwohl erstere in der Regel bessere Bilder erzielen, haben sich in der Praxis weitgehend Funduskameras durchgesetzt, die Aufnahmen bei enger Pupille erlauben, da der zeitliche Aufwand geringer und der Patientenkomfort größer ist. In den letzten Jahren ist eine Tendenz zu Weitwinkelfunduskameras zu beobachten. Standardkameras erlauben normalerweise ein Darstellung von 50 Grad, während Weitwinkelfunduskameras 100 Grad oder mehr abbilden können. Für die Beurteilung des Sehnervenkopfes ist es wichtig, dass die Bilder die originale Farbinformation beinhalten.
Optische Kohärenztomographie (OCT)
Die optische Kohärenztomographie (OCT) generiert hochauflösende Querschnittsbilder der Netzhaut, des Sehnervs und anderer Augenstrukturen. Diese nichtinvasive Technik nutzt Kurzkohärenzinterferometrie, um detaillierte Bilder zu erstellen, die für die Diagnose und Überwachung von Augenerkrankungen äußerst wertvoll sind. Die OCT-Technologie hat die Augenheilkunde revolutioniert, indem sie eine detaillierte und präzise dreidimensionale Darstellung der Augenstrukturen ermöglicht. Sie ist zu einem unverzichtbaren Werkzeug für die Diagnose und Überwachung verschiedener Augenerkrankungen geworden. Im Gegensatz zur Fundusfotografie werden mittels OCT tiefenaufgelöste Schichtbilder erstellt (B-Scans), die zu volumetrischen Bildern zusammengesetzt werden können. Dabei kann eine sehr hohe Auflösung erzielt werden, die axial etwa 5 μm und lateral etwa 20 μm beträgt. Die Technik spielt eine zentrale Rolle bei der Glaukomdiagnose und der Progressionsanalyse. OCT ermöglicht die Messung der retinalen Nervenfaserschichtdicke um den Sehnervenkopf herum, was für die Früherkennung und Überwachung von Glaukom äußerst wichtig ist.
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