Der Sitz der Persönlichkeit im Gehirn: Eine umfassende Betrachtung des Frontallappens

Der Frontallappen, auch Stirnlappen genannt, ist die größte Hirnstruktur des Menschen und nimmt den gesamten vorderen Teil des Cortex bis zur Zentralfurche ein. Er wird oft als "Regisseur im Gehirn" oder "Wiege der Kultur" bezeichnet und mit Superlativen geschmückt. Doch wo genau liegt der Sitz der Persönlichkeit in diesem komplexen Areal? Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte des Frontallappens und seine Rolle für unsere Persönlichkeit.

Anatomie und Funktion des Frontallappens

Der Frontallappen lässt sich von hinten nach vorn in verschiedene Bereiche unterteilen. Kurz vor der Zentralfurche des Großhirns liegt der primäre motorische Cortex (Gyrus praecentralis, Brodmann-Areal 4), der maßgeblichen Anteil an der willentlichen Bewegung hat. Er ist somatotop aufgebaut, nach einer Art Karte, die den Körper widerspiegelt. Interessanterweise nehmen das Gesicht - und besonders Lippen und Zunge - sowie die Hand einen auffallend großen Raum ein, während der Körper vergleichsweise gering repräsentiert ist. Das liegt daran, dass die Muskeln in Rücken oder Bauch recht einfache Aufgaben haben, während die Mimik des Gesichts, die Lauterzeugung über Lippen und Zunge - die Sprache - oder die ausgefeilte Motorik der Hände hohe Anforderungen stellen.

Direkt nach vorn, Richtung Stirn, schließt sich der prämotorische Cortex (Brodmann-Areal 6 und teilweise 8) an, der an komplexen Bewegungsabläufen beteiligt ist. Auch er ist in Form einer Körperkarte organisiert, wobei hier eine Besonderheit vermutet wird: der mediale - innen gelegene - prämotorische Cortex scheint mehr an geplanten Bewegungen beteiligt zu sein, während der laterale, äußere Bereich eher auf sensorische Signale - also auf das Geschehen der Außenwelt reagiert. Das vergleichsweise kleine supplementär-motorische Areal liegt direkt vor dem prämotorischen Cortex auf der Oberfläche. Die Neurone hier sind an der Entwicklung des Bewegungsplans beteiligt.

Neben dieser Ganzkörpermotorik gibt es mit dem frontalen Augenfeld (Brodmann-Areal 8) und dem Broca-Areal (Brodmann-Areal 44) noch zwei Spezialisten: ersteres steuert die bewussten Augenbewegungen, während das Broca-Areal für die Sprachmotorik zuständig ist. Es kommt nur in einer Hemisphäre vor und liegt bei Rechtshändern üblicherweise links. Entsprechend ihrer Aufgabengebiete fallen die Störungen auf, wenn eines der motorischen Areale geschädigt wird: So kann zum Beispiel ein Schlaganfall im primären Motorcortex zu einer Schwächung oder Lähmung der gegenüberliegenden Körperseite führen.

Der präfrontale Cortex (PFC) als Sitz der Persönlichkeit

Geht es um das, was den Menschen ausmacht, ist der präfrontale Cortex (PFC) eine der verheißungsvollsten Strukturen im Gehirn. An seiner Unterseite - die auf der Augenhöhle, der Orbita, aufliegt, woher dieser Bereich die Bezeichnung orbitofrontaler Cortex hat - liegt der Riechkolben. Betrachtet man den PFC allerdings unter dem Gesichtspunkt seiner Zu- und Abgänge, lässt sich seine Bedeutung erahnen. Von fast allen sensorischen Assoziationscortices wird der PFC informiert, dazu vom Hypothalamus, den Raphe-Kernen, dem ventralen Tegmentum. Wechselseitig ist er verbunden mit dem Septum, der Amygdala, dem Nucleus caudatus und der Pons. Eine prominente Faserverbindung führt zudem zum primären motorischen Cortex.

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Grob unterteilen lässt sich der PFC in den dorsolateralen Präfrontalcortex (nach Brodmann 9/46) und den orbitofrontalen Cortex (nach Brodmann die Areale 10, 11, 47/12, 13, 14 und Teile von 45). Beide spielen eine besondere Rolle bei den so genannten exekutiven Funktionen. Dazu gehören eine gerichtete Aufmerksamkeit - die Störendes auch unterdrücken kann -, die Organisation komplexer Handlungen als Ablauf von Einzelschritten, die Planung - auch die zeitliche Planung in Form einer sinnvollen Reihenfolge -, die fortlaufende Überwachung und Funktionen des Arbeitsgedächtnisses. All diese Aspekte betreffen primär den dorsolateralen PFC. Orbitofrontal werden zudem die emotionalen und motivationalen Aspekte einer Entscheidung verhandelt.

Angesichts dieser verantwortungsvollen Aufgaben müssten die Symptome bei Schädigung des PFC massiv sein. Das bestätigt einer der bekanntesten Patienten der Hirnforschung - der Amerikaner Phineas Gage. Er war Vorarbeiter bei der Eisenbahn, als ihn 1848 ein fürchterlicher Unfall ereilte: Eine fünf Zentimeter dicke Eisenstange schoss ihm durch die linke Wange und trat oben rechts am Schädel wieder aus. Der gesamte PFC war schwer geschädigt und im Grunde war es ein Wunder, dass Gage nicht nur den Unfall, sondern auch die Infektionen danach überlebte. Doch seine Persönlichkeit hatte sich, wie sein damaliger Arzt John D. Harlow festhielt, dramatisch verändert: War er vorher als freundlich und zuverlässig bekannt gewesen, wurde Gage nach dem Unfall rechthaberisch, impulsiv und teilweise unflätig. Auch war er nicht in der Lage, vernünftig zu planen und daher sehr unzuverlässig.

Die Klinik kennt inzwischen einige Fälle wie den von Gage. So können Schädigungen der orbitofrontalen Region zum Beispiel zu pseudo-​depressiven Störungen führen. In diesem Fall sind die Patienten antriebslos bis hin zu Apathie, reduziert im sexuellen Verhalten und zeigen wenig Emotion. Nahezu umgekehrt ist die pseudo-​psychopathische Störung. Diese Patienten zeigen eine motorische Unruhe, sind distanz- und hemmungslos. Speziell im sexuellen Bereich verlieren sie das Gefühl für soziale Konventionen und zeigen ein übermäßiges Verlangen. Heute zählt man Symptome wie diese zum Frontallappensyndrom, das entsprechend der vielfältigen Aufgaben des frontalen Cortex und dem hohen Grad seiner Vernetzung unterschiedliche Aspekte hat.

Die Rolle des Frontallappens bei Persönlichkeitsveränderungen

Nirgendwo sonst im Körper haben schon kleine Veränderungen im Gewebe oft solch drastische Auswirkungen wie im Hirn. Amputieren Ärzte einem Patienten ein Bein, hat der Betroffene nach der Operation den gleichen Charakter wie zuvor. Setzen sie einem Menschen ein neues Herz oder eine neue Leber ein, wird der Eingriff den Patienten natürlich verändern, doch sein Wesen bleibt weitgehend gleich.

Im Alter von 51 Jahren wurde der britische Bauarbeiter Tommy McHugh mit starken Kopfschmerzen ins Krankenhaus eingeliefert. Er hatte mehrere Haftstrafen verbüßt und war als Konsument illegaler Drogen, als Schläger und Krimineller bekannt. Die Ärzte diagnostizierten einen Hirninfarkt - und operierten sofort. Als er wieder zu Kräften kam, fühlte sich McHugh wie verwandelt. Er spürte ein unwiderstehliches Verlangen, Notizbücher mit Gedichten und Skizzen zu füllen. Stundenlang bemalte er die Wände seiner Wohnung kunstvoll mit Pastellkreiden. In Interviews beschrieb er den Infarkt als Glücksfall in seinem Leben: Aus dem aggressiven Schläger war ein feinfühliger Künstler geworden.

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Da ist der Fußballer, der bei einem Zweikampf eine Gehirnerschütterung erleidet. Noch Monate später verfällt er immer wieder unkontrolliert in Lachkrämpfe. Oder jene Frau, die nie großen Wert auf gutes Essen gelegt hat und nach einem Schlaganfall plötzlich den Drang zu edler Küche verspürt. Sie beginnt zu kochen, genießt Mahlzeiten in teuren Restaurants.

Auch eine Studie von Miller zeigte, dass eine Schädigung des rechten Stirnlappens im Gehirn zu deutlichen Veränderungen in politischen, religiösen oder sozialen Auffassungen führen kann. So wandelte sich eine adrett gekleidete Maklerin, die gerne in teure französische Restaurants ging, zu einer Liebhaberin von Fast-Food, die sich betont schlampig kleidet.

Die "Verdrahtung" des Gehirns und Persönlichkeit

Manche Menschen sind ständig auf der Suche nach dem neuen Kick, andere halten eher an Altbewährtem fest. Zu welcher Gruppe man gehört, scheint unter anderem mit der "Verdrahtung" bestimmter Hirnzentren zusammen zu hängen. Das haben Wissenschaftler der Universität Bonn mit Hilfe einer neuen Methode festgestellt. Auch wie sehr jemand nach Anerkennung strebt, wird anscheinend durch die Nervenstränge im Gehirn mit bestimmt.

Wer gerne mal den Job wechselt, weil er sich sonst langweilt oder jedes Jahr ein anderes Reiseziel auf seinem Programm steht, bei dem ist vielleicht die Nervenverbindung zwischen dem ventralen Striatum und dem Hippocampus besonders ausgeprägt. Identifiziert der Hippocampus eine Erfahrung als neu, sendet er demnach ein entsprechendes Feedback an das Striatum. Dort werden dann bestimmte Hirnbotenstoffe frei, die für positive Gefühle sorgen. Bei Menschen, die stets das Neue suchen, sind Striatum und Hippocampus augenscheinlich besonders gut verkabelt.

Je stärker die Verbindung zwischen Stirnlappen und ventralem Striatum, desto ausgeprägter ist der Wunsch nach Bestätigung durch die Umgebung.

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Das Vier-Ebenen-Modell der Persönlichkeit

Das Vier-Ebenen-Modell der Persönlichkeit geht von vier anatomischen Gehirnebenen aus, deren neueste Formulierung man im Buch „Warum es so schwierig ist, sich und andere zu verändern“ findet. Das Modell stellt drei limbische Ebenen (untere, mittlere, obere) und die sprachlichkognitive Ebene vor. Das limbische System insgesamt gilt als „Entstehungsort von Affekten, Gefühlen, Motiven, Handlungszielen, Gewissen, Empathie, Moral und Ethik“ (Roth/Ryba 2016, S. 129). Mit dieser im wörtlichen Sinn Grundlegung maßgeblicher Komponenten für die Persönlichkeit definiert das limbische System tief sitzende Dispositionen, die zum Teil genetisch, zum Teil epigenetisch, pränatal und in den frühen Jahren nach der Geburt etabliert werden und gleichsam Grundstimmung und Grundausrichtung von Temperament und Charakter markieren. Hier entscheidet sich, einfach formuliert, ob eine Person zu den Frohnaturen, den Neugierigen oder Vorsichtigen, den Extra- oder Introvertierten gehört.

Die untere limbische, vegetativ-affektive Ebene kontrolliert biologische Funktionen, steuert grundlegende affektive Verhaltensweisen und Handlungen. Sie lenkt mit ihren speziellen Zentren basale, der Lebenserhaltung und der Befriedigung primärer Bedürfnisse dienende Prozesse ebenso wie elementare affektive Verhaltensweisen und Empfindungen. Sie konstituieren das Temperament und die Kern- oder Grundpersönlichkeit eines Menschen, die damit gleichsam als Melange erscheint aus genetisch und epigenetisch-vorgeburtlich (v. a. über Einflüsse durch die Mutter) bestimmten Einflüssen. Die epigenetischen Prägungen wirken ähnlich stark wie genetische Determinanten (Roth/Ryba, 2016, S. 130). Hier werden die Grundfesten gelegt: das angeborene „Temperament“, Grunddispositionen, Charakteristika von Persönlichkeit. Zwar kursieren unterschiedliche Konzepte von Temperament und Persönlichkeitsgrundlegung. Konsens besteht darin, dass physiologisch-vegetative und affektive Merkmale zur Grundausrüstung gehören wie „das allgemeine Erregungsniveau, Reaktionsschnelligkeit, Verhalten und Anpassungsfähigkeit gegenüber neuen Situationen sowie die Schnelligkeit der Informationsverarbeitung“ (Roth, 2019, S. 80), die genetisch und vorgeburtlich bedingt sind, unbewusst ablaufen und sich (mit bestimmten Merkmalen der Persönlichkeit) sehr früh stabilisieren. Psychotherapeuten (immer m/w/d) sollten zudem beachten: Prozesse, die auf der unteren limbischen Ebene ablaufen, sind unbewusst, nicht erinnerungsfähig und „kaum oder gar nicht veränderbar“ (ebd. 89), weil sie in subkortikalen limbischen Arealen und in Formaten verarbeitet werden, die später nicht mehr zur Verfügung stehen. Konkreter: Das primäre Unbewusste war niemals bewusst, das sekundäre kann aufgrund des Mangels an einem deklarativ-episodischen Langzeitgedächtnis bestenfalls kurzfristig bewusst gewesen sein, ist indes aufgrund seiner nicht kognitiv-sprachlichen Speicherung später nicht erinnerungsfähig. Erinnerungen können bestenfalls indirekt erschlossen werden und unterliegen der Deutung. Insofern sind Erinnerungen irrtumsanfällig und können sogar fingiert werden.

Die mittlere limbische Ebene entwickelt sich wie die untere bereits vor und in der ersten Zeit nach der Geburt. Damit einher geht die Konsolidierung von Eigenschaften durch selektive Bestä- tigung (Konditionierung), was wiederum einhergeht mit der unbewussten Bildung von Vorannahmen und Vorerwartungen in späteren Jahren. In dieser Phase graben sich Erfahrungen gleichsam als Tiefenstruktur ein, etablieren sich Grundlagen für Selbstkonzept und Sozialität wie etwa Empathiebereitschaft und -fähigkeit. Die Erfahrungen in dieser Kleinstkindphase werden zwar teilweise bewusst, sind aber späterer Erinnerung nicht zugänglich, weil sie in einem später nicht mehr zugänglichen Format und Code abgespeichert sind; Abspeicher- und Abrufformate verändern sich grundlegend. Für psychotherapeutische Intervention, die auf Erinnerung und Veränderung ausgerichtet ist, ist nicht nur von entscheidender Bedeutung, dass Erfahrungen auf dieser mittleren limbischen Ebene nicht direkt zugänglich sind, sondern auch, dass sie sich kaum bzw. „nur durch gezielte emotionalisierende und bindungsbezogene Maßnahmen“ verändern lassen (Roth, 2019, S.

Die obere limbische Ebene repräsentiert Aktivitäten bestimmter Areale des limbischen Cortex, die mit Körperwahrnehmung verknüpft sind und das bewusste Selbst, einschließlich sozialer Anteile von Denken, Fühlen sowie Moral, Ethik (Gewissen, Über-Ich; Roth/Ryba, S. 132) und Empathie entwickeln. Diese Ebene sorgt für Anschlussfähigkeit von primärer Persönlichkeit (Grunddispositionen) und der Fähigkeit, mit Anforderungen aus dem soziokulturellen Umfeld zurechtzukommen. Wie ein Mensch sich arrangiert, liegt bereits fest. Die Kernausprägungen bahnen, machen das eine wahrscheinlicher als das andere. Sie perforieren Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich ein Mensch bewegt, wie flexibel er sich auf konkrete Erfordernisse einstellt und wie er ihnen begegnet. Neben Fertigkeiten der bewussten Kontrolle von nonverbaler Kommunikation bildet sich die Fertigkeit, Bedürfnisse und Anpassungserfordernisse in Einklang zu bringen. Sie finden Ausdruck in der Art, wie Menschen kooperieren, Rücksicht nehmen, Kompromisse eingehen, Ziele konsequent verfolgen, sich als Akteur erfahren (Selbstwirksamkeit ausbilden). Mithin entwickeln sich Teilsysteme für Impulshemmung, Risikowahrnehmung und -bewertung, das bewusste Belohnungs- und Bestrafungsgedächtnis sowie moralische Regeln. In dieser Phase, die bis etwa zum 20.

Die kognitiv-sprachliche Ebene, die wechselwirkt mit den vorherigen, ist hauptsächlich im oberen und mittleren Stirnhirn, im präfrontalen Cortex lokalisiert und entwickelt sich zeitgleich mit der dritten Ebene, also etwa ab dem dritten Lebensjahr, wenn sich kognitive und sprachliche Fertigkeiten auszubilden beginnen. Dank der Aktivierung bestimmter Areale des Neocortex ermöglicht diese Ebene, dass sich bewusstes Wahrnehmen und Denken ebenso entfalten wie Kompetenzen und Langzeitspeicherung im Rahmen des Erwerbs von Wissen (Faktengedächtnis), Erfahrung und Erinnerung (episodisches Gedächtnis) und Imagination (Fiktionales, Zukunftsvorstellungen). Mit anderen Worten: Die kognitivsprachliche Ebene ist gleichsam der Entwicklungs- und Reifungsort von kognitiven, verbalen, rationalen, assoziativen, problemlösenden Fähigkeiten, von bewusster Wahrnehmung und Aufmerksamkeitslenkung; die Ebene ermöglicht das Ausbilden von Metafähigkeiten, wie Selbstbetrachtung (Dissoziieren) und das Abgleichen von Selbstkonzept mit Fremdbildern (sozialer Vergleich). Dieser Bereich der Großhirnrinde gilt als Sitz von Intelligenz, Verstand, Vernunft, von Gefühls- und Impulskontrolle, von Risikobewertung und moralischer Einordnung. „Die emotionalen Komponenten solcher Geschehnisse werden von den Instanzen der oberen limbischen Ebene hinzugefügt“ (Roth, 2019, S.

Eine Besonderheit ist bedeutsam: Die vierte Ebene, die den drei limbischen Ebenen gegenübersteht, hat nur wenige direkte Verbindungen zu diesen, während deren Verbindungen zur vierten Ebene vielfältig und ausgeprägt sind. Das bemerken Menschen daran, dass sie zwar etwas „eigentlich“ sinnvoll finden, „aber irgendwie doch nicht als ganz stimmig“ empfinden - und in der Regel prompt dem Gefühl gehorchen, der „Ahnung“ oder dem „Bauchgefühl“. Die Intensität und der Einfluss unbewusster „Antreiber“ (Transaktionsanalyse), starker Motive, intuitiver Erstbewertungen, können „massiv“ (Roth/Ryba, 2016, S. 132) ausfallen, sodass rationale Erwägungen praktisch chancenlos sind. Dieser Sachverhalt, den Psychotherapeuten bestätigen, ist insofern relevant, als er sich auswirkt auf die Frage nach Steuerungs-, Kontrollkompetenz und folglich auf Methodik und Effektivität psychotherapeutischer Intervention. Denn wenn, vereinfacht gesagt, die Verteilung neuronaler Verbindungen für Wirksamkeit von Beeinflussung(-sversuchen) steht, dann bestätigt die Hirnforschung eine der Grundannahmen von Psychotherapie: Dass Gefühle und nicht oder kaum rationale Beweggründe es sind, die Bereitschaften, Verhalten, Handeln und damit auch Änderungswillen bzw. das dazu nötige Durchhaltevermögen maß- geblich oder entscheidend beeinflussen. Ratio allein genügt (meistens) nicht, ist indes nötig, um als „neutraler Betrachter“ (Roth/Ryba, 2016, S. 133) das Analysieren, Abwägen, Durchdenken zu leisten, einschließlich erwartbarer, wahrscheinlicher Folgen, um die Entscheidung dann den limbischen Arealen auf den drei Ebenen zu überlassen bzw.

Daraus folgt: Der langfristige Erfolg einer Psychotherapie, der sich niederschlägt in Internalisierung und Routinisierung verändertem Denken, Fühlen, Kommunizieren, Handeln, gehorcht der Logik des Sowohl-als-auch: Intelligenz, Rationalität und die anderen Verstands-, Vernunftkompetenzen, kognitive Intentionalität sind für Selbstregulierung und Selbststeuerung unverzichtbar und können nur dann zielgerichtet und dauerhaft mobilisiert werden, wenn die (der Veränderung dienenden) psychotherapeutischen Maßnahmen einhergehen mit intensiven Gefühlen und antreibenden Motiven (um Prägungen aus den anderen limbischen Ebenen anzusprechen). Dafür sorgen Therapeuten insbesondere dann, wenn sie verbale Sprache kombinieren mit Körper (Tanz, Bewegung), mit Bildern oder Musik oder sprachlichen Bildern, um auch nichtrationale, emotionale und tief verankerte Motive anzusprechen. Hypnotherapeutische Vorgehensweisen wie etwa nach Erikson sind Beispiel dafür, wie es gelingen kann, bewusste mit nicht- oder vorbewussten Motiven zu verbinden.

Exekutive Funktionen und ihre Bedeutung für die Persönlichkeit

Für all diese Mechanismen, die vom präfrontalen Cortex gesteuert werden und die es uns erlauben, Gedanken und Gefühle zu koordinieren und zu kontrollieren, hat sich in der Hirnforschung und Neuropsychologie ein neuer Sammelbegriff etabliert: exekutive Funktionen. Dazu gehören:

  • Ein gutes Arbeitsgedächtnis. Das bedeutet, dass sich die Kinder Regeln merken oder eine Aufgabe selbstständig erledigen können.
  • Impulskontrolle. Das ist kurz gesagt die Fähigkeit, erst „zu denken, dann zu handeln“, also spontanen Impulsen zu widerstehen.
  • Geistige Flexibilität: So nennt man die Fähigkeit, eine Situation aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und sich auf neue Anforderungen schnell einzustellen.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass den exekutiven Funktionen eine Schlüsselrolle sowohl hinsichtlich des Lern- und Schulerfolges als auch in Bezug auf die sozial-emotionale Entwicklung zukommt. Wer sein angestrebtes Ziel nicht aus den Augen verliert, flexibel reagiert und sich nicht allzu leicht ablenken lässt, lernt erfolgreicher. Wer in der Lage ist, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse auch mal hintanzustellen, andere Meinungen zu akzeptieren und sein Verhalten bei Frust zu kontrollieren, kommt in sozialen Situationen besser zurecht.

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