Die Temporallappenepilepsie (TLE) ist die häufigste Form der fokalen Epilepsie bei Erwachsenen. Sie manifestiert sich typischerweise durch komplexe fokale Anfälle, die ihren Ursprung meist in Strukturen des limbischen Systems wie Amygdala und Hippocampus haben. Häufige Ursachen sind Hippocampussklerose, Gliome, arteriovenöse Malformationen, Astrozytome, Oligodendrogliome, zerebrovaskuläre Erkrankungen und Enzephalitis.
Anfallssymptomatik und Diagnose
TLE-Anfälle können vielfältige Symptome aufweisen, darunter:
- Aura: Abdominelle Beschwerden (aufsteigendes Gefühl im Bauch), visuelle oder auditive Halluzinationen, vestibuläre Symptomatik, Sprachstörungen, versive Kopfbewegungen.
- Psychische Symptomatik: Traumhaftes Erleben (Dreamy State), Déjà-vu, Jamais-vu, Angst, Freude, Wut.
- Autonome Symptomatik: Übelkeit, Dyspnoe, Herzklopfen, Hunger, Speichelfluss.
- Motorische Symptomatik: Starrer Blick, Innehalten, Pupillenerweiterung, Bewusstseinsstörung (mit Amnesie), Nesteln, Gestikulieren, orale Automatismen (Lecken, Kauen, Schmatzen).
- Postiktale Phase: Desorientiertheit, Müdigkeit, Unruhe.
Die Unterscheidung zwischen mesialen und lateralen Temporallappenanfällen anhand der Symptomatik ist oft schwierig. Die Häufigkeit der Anfälle variiert von mehrmals pro Monat bis zu mehrmals täglich, wobei eine Generalisierung der Anfälle selten ist.
Zur Diagnose werden folgende Verfahren eingesetzt:
- EEG: Einseitige oder beidseitige temporale Spikes oder Spike-Waves, ggf. im Langzeit-EEG.
- MRT-Kopf: Hochauflösend, um strukturelle Veränderungen wie Hippocampussklerose zu erkennen.
- Weitere Abklärung: Bei Verdacht auf Vaskulitis, Sinusvenenthrombose (SVT) oder ähnliches.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie zielt darauf ab, die Anfallshäufigkeit zu reduzieren. Die Wahl des Medikaments sollte patientenorientiert erfolgen und das Nebenwirkungsprofil berücksichtigen.
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Mögliche Medikamente der 1. Wahl:
- Lamotrigin
- Levetiracetam
- Lacosamid
- Zonisamid
- Eslicarbazepin
Mögliche Medikamente der 2. Wahl:
- Carbamazepin
- Cenobamat
- Oxcarbazepin
- Topiramat
- Valproat
Mögliche Medikamente der 3. Wahl:
- Gabapentin
- Pregabalin
Es ist wichtig, Patienten über Fahrtauglichkeit, Arbeitstätigkeit und Lebensführung aufzuklären. In vielen Fällen ist eine Vorstellung in einem Epilepsiezentrum im Verlauf erforderlich.
Operative Therapie
Die operative Therapie wird in Betracht gezogen, wenn eine medikamentöse Behandlung nicht ausreichend wirksam ist. Sie stellt häufig die einzige Möglichkeit dar, Anfälle zu unterbinden. Funktionelle Bildgebung kann zur Lokalisation des epileptogenen Fokus eingesetzt werden. Die neuropathologische Untersuchung von Gewebeproben, die während der Operation entnommen werden, zeigt häufig geschädigtes Gewebe, am häufigsten Hippocampussklerose.
Indikation und Zeitpunkt
Eine Operation sollte bei therapieresistenten epileptischen Anfällen frühzeitig erwogen werden, um irreversible Verschlechterungen des Patientenzustands zu vermeiden. Die ERSET-Studie zeigte, dass eine frühe anteromediale Temporallappenresektion bei Patienten mit MTLE, die nicht länger als zwei Jahre an stark behindernden Anfällen gelitten hatten und bei denen zwei Versuche mit Antikonvulsiva erfolglos gewesen waren, signifikant besser abschnitten als eine rein medikamentöse Therapie.
Chirurgische Verfahren
Es gibt verschiedene neurochirurgische Verfahren zur Behandlung der TLE, die sich in ihrem Ansatz und Ausmaß der Resektion unterscheiden. Generell wird zwischen Standardresektionen und maßgeschneiderten Resektionen unterschieden.
Vordere Temporallappenresektion
Die klassische vordere Temporallappenresektion (auch als temporale 2/3-Lobektomie bezeichnet) beinhaltet die Entfernung des lateralen und polaren Kortex inklusive der medialen Strukturen. Der hintere Rand der Resektion wird in der dominanten Seite etwa 4,5 cm und in der nichtdominanten Seite etwa 5-5,5 cm vom Pol aus festgelegt. Die Resektion erfolgt in subpialer Technik bis an den unteren Inselsulcus. Über das eröffnete Temporalhorn des Seitenventrikels werden etwa 2-3,5 cm Hippocampus mit dem angrenzenden Gyrus parahippocampalis reseziert.
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Anteromediale Temporale Resektion
Die anteromediale temporale Resektion minimiert die Resektion des lateralen Kortex.
Selektive Amygdalohippocampektomie (SAHE)
Bei der SAHE werden neben Amygdala und Hippocampus auch der begleitende parahippocampale und Uncuskortex reseziert. Es gibt verschiedene Zugangswege:
- Transsylvische SAHE: Zugang über die eröffnete proximale Sylvische Zisterne.
- Transkortikale SAHE: Zugang von lateral durch die mittlere Temporalwindung.
- Subtemporale SAHE: Zugang über eine Inzision des basalen Kortex (Gyrus fusiformis oder Gyrus parahippocampalis).
- Zugang über die hintere Schädelgrube: Für Resektionen weit posterior gelegener Hippocampusabschnitte.
Läsionektomie
Die Läsionektomie wird durchgeführt, wenn eine klare Läsion (z. B. Tumor) im Temporallappen vorhanden ist, die für die Epilepsie verantwortlich ist.
Minimal-invasive Techniken
Zu den minimal-invasiven Techniken gehören die Laserablation (LITT) und die Radiofrequenzablation. Die Laserablation hat sich als vielversprechend erwiesen und wird in immer mehr Zentren eingesetzt.
Vorteile der LITT-Therapie:
- Möglichkeit zur Darstellung der Temperaturveränderung (sog. MR-Thermometrie).
- Geringere Morbidität im Vergleich zu offenen Operationen.
Bisherige Erfahrungen zeigen, dass nach einer Beobachtungszeit von 1 bis 2 Jahren bei etwa 60 % der Patienten eine Anfallsfreiheit erreicht werden kann. LITT scheint Sprachfunktionen und Objekt-/Gesichtserkennung besser zu erhalten als resektive Verfahren.
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Vergleich der Verfahren
Ein Vergleich der unterschiedlichen chirurgischen Techniken hinsichtlich des Anfallsoutcomes ist schwierig, da Zentren, die mehrere Verfahren anwenden, klare Indikationskriterien für die jeweilige Technik haben und ein Vergleich zumeist mit einer historischen Kontrolle erfolgt. Metaanalysen haben gezeigt, dass eine vordere Temporallappenresektion möglicherweise einen besseren Anfallsoutcome erzielt als eine SAHE. Allerdings könnte ein besseres neuropsychologisches Outcome bei einer SAHE diesen Vorteil aufheben.
Komplikationen
Passagere neurologische Defizite (Hemiparese, Sprachstörung, Okulomotorius- oder Trochlearisparese) treten bei ungefähr 5-10 % der Patienten auf. Permanente neurologische Defizite werden bei ungefähr 3-5 % der Patienten berichtet, wobei die Hälfte der permanenten Defizite auf die Gesichtsfeldeinschränkungen nach der temporalen Resektion zurückzuführen sind.
Tiefenhirnstimulation
Ein vielversprechender Ansatz ist die Tiefenhirnstimulation mittels elektrischer Ströme. In der MTLE wird üblicherweise der Hippokampus mit kurzen Impulsen von 100-190 Hz stimuliert, was vermutlich das epileptische Netzwerk desynchronisiert und bei ca. 75% der Patienten zu einer Anfallsreduktion von 50-90% führt. Allerdings zeigt diese Stimulation gerade bei MTLE mit hippocampaler Sklerose oft nur geringe Wirksamkeit.
Aktuelle Forschung
Aktuelle Forschungsprojekte zielen darauf ab, Hirnareale zu identifizieren, die entscheidend an der Anfallsausbreitung beteiligt sind, um so zielgerichtete therapeutische Maßnahmen zu begünstigen. Hierfür werden funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) während optogenetisch-induzierter Anfälle und während der Epileptogenese in Mausmodellen durchgeführt. Ziel ist es, die Dynamik und kausale Interaktion zwischen hyperaktiven Hirnregionen zu beschreiben und zentrale Knotenpunkte des Netzwerks während epileptischer Anfälle zu identifizieren. Außerdem werden die identifizierten epileptischen Knotenpunkte opto- oder chemogenetisch inhibiert, um deren funktionelle Rolle innerhalb der Anfallsausbreitung zu prüfen.
Ein weiterer Forschungsbereich befasst sich mit den zellulären und molekularen Mechanismen, die zur Entstehung der TLE beitragen. Insbesondere wird untersucht, wie neuronale Verluste und Veränderungen in der Genexpression zur Entwicklung der Epilepsie beitragen. Tiermodelle, wie das Kainat-Modell, das Basolaterale Amygdala (BLA)-Modell und das Overkindling-Modell, werden eingesetzt, um die Prozesse zu untersuchen, die zur Manifestation der Epilepsie führen. Diese Forschung könnte neue Angriffspunkte für die Entwicklung von Medikamenten liefern, die den Krankheitsverlauf beeinflussen oder die Entstehung der Epilepsie verhindern können.
Auswirkungen auf Kognitive Funktionen
Die TLE kann mit kognitiven Defiziten einhergehen, insbesondere im Bereich des Gedächtnisses und der Sprache. Studien haben gezeigt, dass Patienten mit TLE Defizite in verschiedenen Gedächtnisbereichen aufweisen können, einschließlich des verbalen und nonverbalen Gedächtnisses, des Kurzzeit- und Langzeitgedächtnisses sowie des räumlichen Gedächtnisses. Auch sprachliche Beeinträchtigungen wie Benennstörungen, Paraphrasien und Wortfindungsstörungen können auftreten.
Die operative Behandlung der TLE kann ebenfalls Auswirkungen auf die kognitiven Funktionen haben. Während einige Patienten nach der Operation eine Verbesserung ihrer kognitiven Leistungen erfahren, können andere Patienten Defizite entwickeln oder bestehende Defizite verschlimmern. Das Risiko kognitiver Beeinträchtigungen hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter die Lokalisation und das Ausmaß der Resektion, die präoperative kognitive Funktion des Patienten und das Alter des Patienten.
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