Tolperison bei Nervenschmerzen: Erfahrungen, Wirkung und Anwendung

Chronische Schmerzen stellen ein weit verbreitetes Gesundheitsproblem dar, von dem laut der Deutschen Schmerzgesellschaft etwa 17 Prozent der Bevölkerung in Deutschland betroffen sind. Eine unzureichende Schmerztherapie kann zur Chronifizierung von Schmerzen führen, wobei sich wiederholte Reizungen von Nervenzellen zu einer Art Schmerzgedächtnis entwickeln können. In diesem Zusammenhang kommt der Schmerzprävention eine besondere Bedeutung zu. Tolperison, ein zentral wirksames Muskelrelaxans, kann hierbei einen unterstützenden pharmakotherapeutischen Ansatz bieten.

Was ist Tolperison?

Tolperison ist ein zentral wirksames Muskelrelaxans, das zur Behandlung von Muskelverspannungen eingesetzt wird. Es wurde 1994 in Deutschland eingeführt und ist seit 2007 auch als preiswertes Generikum erhältlich. Der Wirkstoff besitzt eine hohe Affinität zu Nervengewebe, wobei der Hirnstamm, das Rückenmark und das periphere Nervensystem die höchste Akkumulation aufweisen.

Wirkmechanismus von Tolperison

Der Wirkmechanismus von Tolperison ist noch nicht vollständig aufgeklärt, ähnelt aber dem von Lidocain. Tolperison stabilisiert die Zellmembran von Neuronen und unterdrückt in der Folge die Amplitude und Frequenz von Aktionspotenzialen. Es wird angenommen, dass Tolperison dosisabhängig aktive Natriumkanäle in der Nervenzellmembran blockiert, was zu einer membranstabilisierenden Aktivität führt. Dadurch reduziert die Substanz die nozizeptiv-afferente Frequenz des Aktionspotentials im peripheren Nerv, die gesteigerte mono- und polysynaptische Reflexaktivität auf spinaler Ebene und eine pathologisch erhöhte Impulsrate aus der Formatio reticularis des Hirnstamms. Klinisch äußert sich dies in einer therapeutisch nutzbaren Muskelrelaxation, zum Beispiel bei (schmerz-)reflektorischen Muskelverspannungen infolge von Krankheiten des Bewegungssystems. Darüber hinaus werden antinozizeptive, analgetische und sympathikolytische Eigenschaften als wahrscheinlich angesehen.

Anwendungsgebiete von Tolperison

In Deutschland ist Tolperison nur zur Behandlung der spastischen Symptome nach einem Schlaganfall bei Erwachsenen zugelassen. In der Schweiz gibt es zusätzlich noch andere Anwendungsgebiete für diesen Wirkstoff: Muskelspasmen bei schmerzhaften Erkrankungen der Skelettmuskulatur, vor allem der Wirbelsäule und der stammnahen Gelenke, sowie erhöhte Spannung (Tonus) der Skelettmuskulatur bei neurologischen Erkrankungen. Außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete ("Off-Label") und in anderen Ländern wird Tolperison auch bei anderen Erkrankungen wie Arthrose (Gelenkverschleiß), Spondylose (Gelenkerkrankung der Wirbelsäule) und Durchblutungsstörungen (Tolperison verbessert die Durchblutung) angewendet. Nackenschmerzen zählen zu den wenigen chronischen Schmerzformen, bei denen Muskelrelaxanzien wirksam sein können.

Weitere Einsatzgebiete von Tolperison sind Muskelspannungen, die in Verbindung mit neurologischen Leiden (Multiple Sklerose, Schlaganfall) und Krankheiten wie Arthrose (Gelenkverschleiß), Fibromyalgie (Weichteilrheumatismus) oder Osteoporose (Knochenschwund) auftreten.

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Dosierung und Einnahme von Tolperison

Tolperison wird in Form von Tabletten eingenommen. Die übliche Dosierung beträgt 50 bis 150 Milligramm dreimal täglich nach den Mahlzeiten, was einer Gesamtdosis von 150 bis 450 Milligramm pro Tag entspricht. Die Maximaldosis von 600 Milligramm sollte nicht überschritten werden. Die Bioverfügbarkeit von Tolperison ist verringert, wenn die Einnahme nicht in Verbindung mit einer Mahlzeit erfolgt.

Vorteile von Tolperison

Anders als andere Muskelrelaxantien hat Tolperison keinen beruhigenden Effekt, so dass Reaktionszeit und Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt werden. Zudem treten beim Absetzen keine Entzugssymptome auf. Ein weiterer Vorteil von Tolperison ist, dass bei diesem Wirkstoff keine Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln oder Alkohol bekannt sind. Die Substanz besitzt eine große therapeutische Breite, kumuliert nicht und hat kein Suchtpotential. Interaktionen wurden weder mit Alkohol noch mit sedierenden Pharmaka beobachtet. Obwohl Tolpersion zentral wirksam ist, besitzt es ein nur geringes Sedierungspotenzial.

Mögliche Nebenwirkungen von Tolperison

Präparate mit Tolperison werden meist sehr gut vertragen. In klinischen Studien mit dem Wirkstoff kam es bei einem von hundert bis tausend Behandelten zu Nebenwirkungen in Form von Schwindelgefühl, Schläfrigkeit, Müdigkeit, Mattigkeit, Schwäche, Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Noch seltener (bei einem von tausend bis zehntausend Patienten) verursachte Tolperison als Nebenwirkungen Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Verstopfung, Durchfall, Magen-Darm-Beschwerden, Hautrötung, Ausschlag, Juckreiz, vermehrtes Schwitzen und niedrigen Blutdruck. Die am häufigsten von Nebenwirkungen betroffenen Systemorganklassen sind Haut und Unterhautzellgewebe, allgemeine Erkrankungen sowie neurologische und gastrointestinale Erkrankungen.

Sehr selten wird über schwer verlaufende Überempfindlichkeitsreaktionen berichtet. Diese können selbst nach Jahren regelmäßiger Einnahme plötzlich auftreten und sind der Grund, warum die europäische Arzneimittelbehörde die Anwendungsgebiete von Tolperison eingeschränkt hat (für den EU-Raum). Bei Überempfindlichkeitsreaktionen sollten Sie das Medikament absetzen und den Arzt informieren.

Gegenanzeigen und wichtige Hinweise

Tolperison darf in folgenden Fällen nicht eingesetzt werden:

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  • Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der anderen Bestandteile des Medikaments
  • Myasthenia gravis (krankhafte Muskelschwäche)
  • Stillzeit

Wegen der fehlenden Erfahrung zur Sicherheit und Wirksamkeit bei Minderjährigen, sollten Kinder und Jugendliche statt Tolperison bevorzugt andere Wirkstoffe erhalten. Bei älteren Patienten sowie Menschen mit Leber- oder Nierenfunktionsstörungen muss die passende Dosierung erst vorsichtig durch den Arzt ermittelt werden.

Es liegen keine Daten zur Anwendung von Tolperison in der Schwangerschaft vor. Tierexperimentelle Untersuchungen haben keine Hinweise auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko (teratogenes Risiko) beim Ungeborenen ergeben. Sicherheitshalber sollte der Wirkstoff in der Schwangerschaft aber nicht verwendet werden - es sei denn, der Arzt hält den zu erwartenden Nutzen für größer als die potenziellen Risiken. Es ist nicht bekannt, ob Tolperison in die Muttermilch übertritt. Nebenwirkungen beim Säugling sind allerdings nicht auszuschließen. Daher gilt: Ist eine Behandlung mit Tolperison bei stillenden Müttern erforderlich, muss zuerst abgestillt werden.

Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten

Der Wirkstoff Tolperison geht keine direkten Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen ein. Jedoch wird er in der Leber von bestimmten Enzymen (Cytochrom P450 2D6 und 2C19) abgebaut, die auch andere Wirkstoffe abbauen. Bei gleichzeitiger Einnahme kann der Abbau von Tolperison oder der des anderen Wirkstoffes deshalb entweder verlangsamt oder beschleunigt ablaufen. Beispielsweise kann sich der Abbau von Herz-Kreislaufmitteln aus der Gruppe der Betablocker (wie Metoprolol, Nebivolol), Psychopharmaka (wie Thioridazin, Perphenazin, Venlafaxin, Desipramin, Atomoxetin) oder des Hustenstillers Dextromethorphan bei kombinierter Anwendung mit Tolperison so verlangsamen, dass ihre Blutspiegel stark ansteigen und Überdosierungserscheinungen auftreten. Umgekehrt kann Tolperison die Wirkung von nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) verstärken, zu denen die gängigen Schmerzmittel Acetylsalicylsäure (ASS), Ibuprofen, Naproxen und Diclofenac gehören.

Erfahrungen von Patienten und Experten

Viele Patienten mit Multipler Sklerose (MS) leiden unter Spastiken und Schmerzen. In diesem Zusammenhang wurden verschiedene Fragen an Dr. Martin Rösener, einem erfahrenen Neurologen, gestellt. Einige Beispiele:

  • Muskelkontraktionen/Zuckungen in den Beinen: Dr. Rösener empfiehlt, die Dosis von Lioresal (Baclofen) langsam zu erhöhen, da dies das Medikament der ersten Wahl für Muskelzuckungen ist.
  • Dauerschmerz im Bein durch Spastik: Die Reduktion der Spastik sollte die Schmerzen bessern können. Auch hier kann die Erhöhung von Lioresal hilfreich sein.
  • Schmerzen am ISG und Zunahme der Spastik: Dr. Rösener empfiehlt, orthopädisch abklären zu lassen, ob die Schmerzen tatsächlich durch Veränderungen im ISG bedingt sind. Gegebenenfalls kann versucht werden, die Spastik mit einem Antispastikum zu lindern.
  • Rückenschmerzen: Dr. Rösener rät, den Rat des Osteopathen zur Aufrichtung der Wirbelsäule zu befolgen und die Wirbelsäulenmuskulatur zu kräftigen und zu entspannen. Tolperison ist zur Entspannung geeignet.
  • Tremor im Arm und Hand: Es ist wichtig zu unterscheiden, welche Art von Zittern vorliegt. Bei verstärktem, physiologischem Zittern wirkt Dociton gut, bei einem durch Ausfall der zentralen Koordination bedingten Zittern wirkt Dociton nicht so gut.
  • Dysästhesie (Kaltes Brennen) im Fuß: Lyrica ist prinzipiell geeignet, die Missempfindungen zu lindern. Es sollte langsam bis zur Höchstdosis gesteigert und dann beurteilt werden. Alternativ kann Gabapentin eingesetzt werden.
  • Nächtliche Spastiken: Die müde machende Nebenwirkung ist das Problem aller Antispastika. Jeder Patient muss deshalb ganz individuell austesten, wie viel er von den Medikamenten verträgt.
  • Schmerzen trotz vieler Schmerzmittel: Nicht-medikamentöse Verfahren wie Krankengymnastik, Osteopathie und Akupunktur sollten auf jeden Fall ausgeschöpft werden. Bei den Medikamenten muss ganz individuell die richtige Dosis und die richtige Kombination gefunden werden.
  • Spastische Schmerzen: Dr. Rösener empfiehlt, die Bewegungen durch krankengymnastische Anleitung zu optimieren, so dass möglichst wenig Schmerzen auch beim Hilfsmitteleinsatz entstehen. Dann kommen nach und nach Schmerzmittel und Antispastika zum Einsatz, um die Mobilität zu verbessern.
  • Baclofenpumpe: Bei schwerer Spastik der Beine, die mit anderen Maßnahmen nicht ausreichend gut behandelt werden kann, ist die Baclofenpumpe eine bewährte, gute und zuverlässig wirksame Behandlung.

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