Nahtoderfahrungen (NTE) sind ein faszinierendes und seit langem diskutiertes Phänomen. Menschen, die dem Tod nahe waren, berichten oft von ähnlichen Erlebnissen: ein helles Licht, ein dunkler Tunnel, das Gefühl, den eigenen Körper zu verlassen, oder ein "Film des Lebens", der vor dem inneren Auge abläuft. Diese Berichte werfen die Frage auf, ob es sich um spirituelle Erfahrungen, Halluzinationen oder neurobiologische Prozesse handelt.
Was sind Nahtoderfahrungen?
Nahtoderfahrungen (NTE), im Englischen als "near death experience" (NDE) bezeichnet, sind außergewöhnliche Bewusstseinserlebnisse, die Menschen in Situationen tatsächlicher oder subjektiv empfundener Todesnähe machen können. Solche Erlebnisse treten besonders häufig bei Herzstillstand, aber auch bei Unfällen, Suizidversuchen und schweren Krankheiten auf. Es gibt Berichte über Nahtoderlebnisse, die unter ärztlicher Aufsicht stattfanden, etwa von Patient*innen, die nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand wiederbelebt wurden. Auch während einer Ohnmacht (Synkope) oder in psychischen Krisensituationen sind Nahtoderfahrungen möglich.
Typische Elemente von Nahtoderfahrungen
Nahtoderfahrungen sind individuelle Erlebnisse, weisen aber oft ähnliche Elemente auf:
- Gefühl von Frieden und Wohlbefinden: Etwa zwei Drittel der Menschen mit Nahtoderfahrung erleben ein Gefühl von Frieden, Ausgeglichenheit und körperlichem Wohlbefinden.
- Körperaustrittsphänomene: Das Gefühl, den eigenen Körper zu verlassen und sich selbst von außen zu sehen (außerkörperliche Erfahrung, OBE), wird von weniger als der Hälfte der Betroffenen erlebt. Sie nehmen das Geschehen um sich herum wahr und können dies hinterher wiedergeben.
- Tunnelerlebnis: Das Gefühl, sich durch einen dunklen Tunnel zu bewegen, wird von etwa einem Drittel der Betroffenen beschrieben.
- Idealisierte Landschaften: Viele berichten von traumhaften Landschaften hinter dem Tunnel, die von warmem, hellem Licht durchflutet sind.
- Zusammentreffen mit Lichtwesen: In diesen Landschaften treffen viele auf "lichthafte Wesen", die verstorbene Freunde, Verwandte oder Unbekannte repräsentieren können.
- Lebensrückblick: Wichtige Erlebnisse aus dem Leben ziehen im Zeitraffer vorüber.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass Nahtoderfahrungen nicht immer positiv sind. Einige Betroffene erleben negative Gefühle, bedrohliche Dunkelheit oder dämonische Umgebungen.
Wissenschaftliche Erklärungsansätze
Die Wissenschaft nähert sich dem Phänomen der Nahtoderfahrungen aus verschiedenen Perspektiven.
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Neurobiologische Erklärungen
Einige Forschungsarbeiten konzentrieren sich auf die Vorgänge im Gehirn während des Sterbeprozesses. Eine Studie untersuchte die Hirnaktivität von komatösen, sterbenden Personen mittels Elektroenzephalographie (EEG). Dabei wurde ein Anstieg der Herzfrequenz sowie der Gammawellen in verschiedenen Hirnregionen festgestellt. Gammawellen treten bei starker geistiger Anstrengung, Meditation oder erhöhter Aufmerksamkeit auf. Diese Aktivität wurde auch in Hirnregionen beobachtet, die bei Träumen und Halluzinationen aktiv sind. Es wird vermutet, dass die starke interhemisphärische Verknüpfung und die gesteigerte Gammawellen-Aktivität die intensiven visuellen Erlebnisse bei Nahtoderfahrungen auslösen könnten.
Eine weitere Hypothese ist die Hypoxie-Hypothese, die besagt, dass Nahtoderfahrungen durch eine Mangelversorgung des Gehirns mit Sauerstoff (Hypoxie) entstehen. Dies kann zu einer Steigerung des Wachheitsgrades und zu Enthemmungsprozessen führen, die denen bei Fieber, Anästhesie oder unter psychotropen Drogen ähneln. Auch ein erhöhter Kohlendioxidgehalt im Blut (Hyperkapnie) könnte eine Rolle spielen.
Die Schläfenlappen-Hypothese besagt, dass die Stimulation des rechten Schläfenlappens Erlebnisse der Außerkörperlichkeit auslösen kann. Die Freisetzung von körpereigenen Opiaten (Endorphinen) und Neurotransmittern nach einem traumatisierenden Ereignis könnte ebenfalls zu epilepsieähnlichen Entladungen im Schläfenlappen führen, was Halluzinationen und den Lebensrückblick erklären könnte.
Die Neurotransmitter-Hypothese konzentriert sich auf die Rolle von Botenstoffen wie Ketamin, die experimentell Tunnel-Erfahrungen, Lichterscheinungen oder Kommunikation mit mythischen Wesen erzeugen können.
Psychologische Erklärungen
Psychologische Ansätze sehen Nahtoderfahrungen als Mechanismen, die die Überlebenswahrscheinlichkeit erhöhen sollen. Das Gefühl des inneren Friedens könnte die Energiereserven des Körpers schonen, während das Körperaustrittsphänomen als Selbstschutz dienen könnte, um den eigenen Tod zu relativieren.
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Spirituelle Erklärungen
Für viele Menschen sind Nahtoderlebnisse ein Beweis für ein Leben nach dem Tod. Sie sehen darin eine Art Besuch im Jenseits. Diese Sichtweise wird oft durch religiöse Inhalte oder Symbole in den Nahtoderfahrungen unterstützt.
Weitere Faktoren
Eine Studie untersuchte 52 Fälle von Herzinfarkten und fand heraus, dass Patienten mit Nahtoderfahrungen einen erhöhten CO2-Gehalt und einen leicht erhöhten Kaliumwert im Blut aufwiesen. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass umfangreichere Untersuchungen erforderlich sind, um diese Ergebnisse zu bestätigen.
Kulturelle Einflüsse
Historische, ethnologische und soziokulturelle Untersuchungen haben gezeigt, dass die Ausgestaltung und Deutung von Nahtoderfahrungen stark von kulturellen Einflüssen abhängt. Während Begegnungen mit anderen Wesen und Lebensräumen ein allgemeines Merkmal zu sein scheinen, tauchen Tunnel-Erfahrungen und der Lebensrückblick vorwiegend in christlichen und buddhistischen Kulturen auf.
Auswirkungen von Nahtoderfahrungen
Nahtoderfahrungen können das Leben der Betroffenen tiefgreifend verändern. Sie können die Angst vor dem Sterben und dem Tod verringern, die Einstellung zu Lebenszielen verändern und eine tiefere Spiritualität entwickeln. Allerdings können auch negative Folgen wie Albträume, Depressionen und psychotische Störungen auftreten.
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