Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die in der Regel im jungen Erwachsenenalter beginnt und Frauen doppelt so häufig betrifft wie Männer. Da MS nahezu alle Bereiche des ZNS betreffen kann, gibt es keine typischen MS-Symptome im Anfangsstadium. Die Erkrankung kann zu vorübergehenden oder bleibenden Behinderungen führen, die sich auf Familie, Partnerschaft, Beruf und das eigene seelische Befinden auswirken. Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahren rapide weiterentwickelt, sodass viele Medikamente den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen können. Zudem gibt es bewährte Behandlungsmethoden zur Linderung von Symptomen und Verbesserung der Lebensqualität.
Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose (MS) ist eine der häufigsten Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Der Krankheitsprozess ist zumindest teilweise durch eine Entzündung bedingt. Dabei greift das fehlgeleitete Immunsystem eigene Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark an. Man spricht auch von einer Autoimmunerkrankung. Meist tritt die MS mit einem innerhalb von Stunden bis Tagen sich entwickelnden Symptom auf, wie zum Beispiel einer Lähmung, einer Sehstörung oder einem Sensibilitätsverlust eines Körperteils. Dieses rasche Auftreten nennt man „Schub“. Typisch bei MS ist, dass die Entzündung in unterschiedlichen Zeitabständen erneut an anderen Stellen des Nervensystems auftreten kann. Der Name „Multiple Sklerose“ leitet sich davon ab, dass sich an vielen (multiplen) Stellen in Gehirn und Rückenmark verhärtete Vernarbungen (Sklerosen) bilden.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Ursachen von Multipler Sklerose sind noch nicht vollständig verstanden. Man weiß aber, dass zwei Faktoren besonders von Bedeutung sind: die erbliche Veranlagung und Umweltfaktoren.
Erbliche Veranlagung
Wie auch bei anderen Erkrankungen, zum Beispiel Diabetes oder Krebs, erhöht eine erbliche Veranlagung das Risiko, an Multipler Sklerose zu erkranken. Es ist bekannt, dass Multiple Sklerose genetisch bedingt sein und deshalb in einer Familie gehäuft auftreten kann.
Umweltfaktoren
Zu den Umweltfaktoren, die zu der erblichen Belastung hinzukommen und zum Ausbruch der Erkrankung führen können, gehören Rauchen, bestimmte Infektionen wie die Eppstein-Barr-Virus-Infektion, ein Mangel an Vitamin D und auch Übergewicht. Auch bestimmte Umwelteinflüsse und geografische Bedingungen können das Risiko für MS beeinflussen. Je näher ein Mensch in Richtung Äquator aufwächst, desto geringer ist sein MS-Risiko. Weiter südlich und nördlich steigt das Risiko. Nordeuropa und Nordamerika haben die höchste Erkrankungsrate.
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Zufallsfaktor
Sehr wahrscheinlich gibt es aber auch noch einen großen Zufallsfaktor, der am Ende entscheidet, ob jemand mit einem entsprechenden Risiko auch erkrankt.
Manifestationsalter und erste Anzeichen
Das durchschnittliche Manifestationsalter liegt bei Mitte 30, also früh im Vergleich zu anderen Erkrankungen. Sie kann aber auch bei Kindern oder erst im späteren Alter auftreten. Die Multiple Sklerose fängt typischerweise damit an, dass innerhalb von Stunden bis Tagen Symptome auftreten, die dann mindestens einen Tag anhalten. Die Symptome rühren von einer Einschränkung des Gehirns oder des Rückenmarks her.
Vielfalt der MS-Symptome im Anfangsstadium
Bei Multiple Sklerose treten Anfangssymptome meistens völlig unerwartet und ohne Ankündigung auf. Genauso unvorhersehbar ist es, welche Symptome zu Beginn einer MS im Vordergrund stehen. Sie können sich als einzelnes Symptom (KIS: Klinisch isoliertes Syndrom), aber auch in unterschiedlicher Kombination, Ausprägung und zeitlicher Abfolge zeigen. MS-Symptome sind sehr vielfältig. Sie können sich innerhalb von Stunden oder Tagen entwickeln und teilweise oder vollständig wieder zurückbilden. Da MS nahezu alle Bereiche des Zentralnervensystems (ZNS) betreffen kann, gibt es keine typischen MS-Symptome im Anfangsstadium. Immer aktuell, immer bunt gemischt.
Häufige Frühsymptome
Ganz typische Frühsymptome sind Sehstörungen. Hier kann die Sicht auf einem Auge nicht mehr gut sein oder Farben werden nicht mehr richtig erkannt. Andere Symptome sind Taubheitsgefühle und Missempfindungen in Armen und Beinen. Am häufigsten treten jedoch Gefühlsstörungen und Sehstörungen als frühe Symptome auf. Viele Menschen mit MS geben Sehstörungen als erstes Symptom an. Eine Sehnervenentzündung verursacht verschwommenes Sehen, eingeschränktes Farbensehen, das Sehen von Doppelbildern oder Schmerzen bei Augenbewegungen. Auch Gefühlsstörungen mit Missempfindungen auf der Haut treten häufig als frühes Symptom auf. Diese beschränken sich meist auf eine Körperhälfte und führen dazu, dass sich beispielsweise Hände und Füße plötzlich taub oder kribbelig anfühlen.
Weitere mögliche Anzeichen
Erste MS-Symptome im Anfangsstadium sind oft Gefühlsstörungen: Bestimmte Bereiche des Arms, Beins oder des Rumpfs empfinden Sie dann wie taub oder spüren ein ungewohntes Kribbeln. Vielleicht hat sich die MS auch zunächst durch extreme Müdigkeit bemerkbar gemacht? MS-Anfangssymptome können auch Sehstörungen auf einem Auge sein: Typisch sind ein plötzlich getrübtes Sehen, wie durch einen dichten Nebel. Oder macht sich ein Sehausfall im Blickfeld eines Auges bemerkbar? Manchmal treten auch Doppelbilder auf. Weitere mögliche Anzeichen sind Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Doppelbilder, seltener Lähmungen und Blasenstörungen sein.
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Prodromale Symptome
Mittlerweile herrscht in der Wissenschaft Einigkeit darüber, dass sich eine MS durch verschiedene Frühwarnzeichen ankündigt - in der Fachsprache heißen diese frühen Anzeichen einer Erkrankung „prodromale Symptome“. Die Beschwerden, die Jahre vor der MS-Diagnose auftreten können, sind vielfältig. Sie reichen von Blasen- oder Darmstörungen über Schmerzen bis hin zu Depressionen, Schlafstörungen und Fatigue. Zudem treten Gangstörungen und Missempfindungen der Haut häufiger bei Menschen auf, die später eine MS-Diagnose erhalten. Auch durch Entzündungen der Haut kann sich eine MS ankündigen. Einige betroffene Frauen empfinden diese Beschwerden, mit denen sich eine MS ankündigen kann, sogar als so schwerwiegend, dass sie auf ihren Kinderwunsch verzichten.
Verlaufstypen der Multiplen Sklerose
Nein, Multiple Sklerose zeigt sehr unterschiedliche Krankheitsverläufe, die sich von Person zu Person stark unterscheiden können. Die Krankheit kann sehr mild mit ganz geringen Beeinträchtigungen im Leben verlaufen oder auch schwerwiegend ausfallen und innerhalb von zehn Jahren zur Pflegebedürftigkeit führen. Wichtig ist: Die meisten Betroffenen zeigen zumindest über die ersten zehn Jahre nach der Diagnose einen günstigen Verlauf, der sie im Alltag und Arbeitsleben nicht oder kaum einschränkt. Beim Krankheitsverlauf unterscheidet man zwei klassische Formen: Schubförmiger Verlauf und Primär progredienter (fortschreitender) Verlauf. 85 Prozent aller Betroffenen haben einen schubartigen Verlauf mit unterschiedlicher Symptom-Rückbildung und zwischenzeitlicher Ruhe. Bei der Hälfte dieser Patienten kommt es nach mehreren Jahren jedoch zu einer schleichenden Verschlechterung, der sogenannten „sekundären Progression“.
Schubförmiger Verlauf
Hier treten Symptome in Form von Schüben auf, das heißt, dass Symptome sich in der Regel über Stunden bis Tage entwickeln und mindestens für 24 Stunden anhalten. Unter Therapie, aber auch spontan, verbessert sich die Symptomatik nach Tagen bis Wochen. Symptome können zum Beispiel Seh- und Gefühlsstörungen sein. Unbehandelte Patienten und Patientinnen haben im Durchschnitt etwa alle drei Jahre einen Schub. Es kann aber variieren - von mehreren Schüben im Jahr bis hin zu vielen Jahren ohne einen einzigen Schub. Auch sind die Schwere und Langzeitfolgen eines Schubes sehr unterschiedlich. Bei der schubförmig verlaufenden MS bilden sich nach dem ersten Schub die Symptome meistens innerhalb von 6 bis 8 Wochen zurück.
Beispiel für einen MS-Schub
Ein klassisches Beispiel für einen Schub ist, dass eine erkrankte Person auf einem Auge verschwommen sieht. Daraus entwickelt sich dann über zwei bis drei Tage, dass sie Farben nicht mehr richtig erkennen kann und einen Grauschleier wahrnimmt. Vielleicht verspürt sie auch Schmerzen beim Bewegen des Auges. Nach wenigen Wochen verbessern sich die Symptome spontan oder unter Therapie.
Primär progredienter Verlauf
Bei einem fortschreitenden Verlauf entwickeln Patienten und Patientinnen langsam Symptome, die sich mit der Zeit nicht mehr verbessern, sondern bleiben oder sich gar verschlechtern. Es gibt keine spürbaren Schübe, sondern eine schleichende Verschlechterung.
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Beispiel für einen progredienten Verlauf von MS
Ein typisches Beispiel wäre, dass eine erkrankte Person bemerkt, dass beim längeren Gehen ein Bein ermüdet und sie nicht mehr die übliche Gehstrecke schafft. Das wird über die nächsten Monate immer schlechter und schränkt ihre Gehfähigkeit zunehmend ein.
Sekundäre Progression
Was aber bei einem schubförmigen Verlauf auch beobachtet wird, ist eine sogenannte sekundäre Progression. Bei einem Teil der Betroffenen setzt nach circa 15 bis 20 Jahren ein Prozess ein, der mit einer schleichenden Zunahme der Einschränkungen einhergeht - ganz unabhängig von Schüben. Dieser Verlauf ähnelt dann sehr dem primär progredienten Verlauf und ist ungünstig für die Prognose.
Diagnose von Multipler Sklerose
Bevor die MS-Diagnose eindeutig gestellt werden kann, wird Ihr Arzt zunächst mit Ihnen gemeinsam zahlreiche andere Erkrankungen, die als Ursache für die genannten Symptome infrage kommen, ausschließen. Zur Absicherung der Diagnose erfasst Ihr Arzt zunächst Ihre Krankengeschichte und führt bei Ihnen eine körperliche Untersuchung durch. Die MS gehört zu den Erkrankungen aus der Neurologie, deren Diagnose eine sogenannte „Ausschlussdiagnose“ ist: Typische MS-Symptome müssen zusammenkommen und eine andere Ursache als eine MS muss ausgeschlossen werden. Nur zwei Beispiele: Diabetes kann die Nerven so schädigen, dass sich Empfindungsstörungen vor allem an den Beinen und Füßen zeigen. Schäden an der Wirbelsäule können Nerven reizen oder abklemmen, was auch zu Lähmungserscheinungen oder Störung der Empfindung führen kann.
Anamnese und körperlich-neurologische Untersuchung
Ist ein Patient oder eine Patientin schließlich bei einem Neurologen beziehungsweise einer Neurologin, wird zunächst eine Anamnese durchgeführt. Es werden die Beschwerden und familiären Hintergründe aufgelistet, dann folgt eine körperliche und neurologische Untersuchung. Hier geht es darum, die Funktionstüchtigkeit des Nervensystems zu untersuchen und Einschränkungen zu finden. Dazu werden zum Beispiel die Hirnnerven im Gesicht, Motorik, Muskelreflexe, Gefühlswahrnehmung und Koordination getestet sowie das Gedächtnis, die Sprache und Orientierung geprüft. An erster Stelle stehen die Erhebung der Vorgeschichte und die körperlich-neurologische Untersuchung.
Bildgebung mittels Kernspintomografie
Liegt ein Verdacht vor, ist eine Bildgebung mittels Kernspintomografie von Gehirn und Rückenmark wichtig. Dabei werden die typischen Entzündungsherde sichtbar. Die Magnetresonanztomografie erlaubt sehr genaue und frühe Diagnostik. Durch ein starkes Magnetfeld werden Signale aus unterschiedlichen Geweben des Gehirns und Rückenmarks aufgefangen und mit sehr hoher Auflösung in Schichtbilder umgewandelt.
Nervenwasseruntersuchung (Lumbalpunktion)
Auch können eine Nervenwasseruntersuchung und Bluttests den Verdacht untermauern und eine ursächliche Entzündung feststellen. Gehirn und Rückenmark sind von Nervenwasser umspült. Die Lumbalpunktion ist eine neurologische Routine-Untersuchung dieses Nervenwassers. Sie dient zum Nachweis einer Entzündung des Nervensystems.
Evozierte Potentiale
Bestimmte Eingänge in das Nervensystem lassen sich durch minimale elektrische, akustische oder visuelle Reize anregen.
Behandlung von Multipler Sklerose
Bei Multiple Sklerose gilt, möglichst früh mit einer hochwirksamen Therapie zu beginnen.
Behandlung eines MS-Schubs
Wird ein akuter Schub vermutet, sollte der behandelnde Neurologe oder die behandelnde Neurologin kontaktiert werden. Hier wird dann abgeklärt, ob es sich wirklich um einen Schub handelt, denn manche Symptome können mit einem Schub verwechselt werden. Gerade in der Anfangsphase nach der Diagnose sind Patienten und Patientinnen sehr hellhörig und vorsichtig. Es wird dann häufig eine Kernspintomografie durchgeführt, um den Entzündungsherd zu lokalisieren. Handelt es sich um einen alltagsrelevanten Schub mit entsprechenden Einschränkungen, gibt es zwei Möglichkeiten:
- Mit Kortison-Medikamenten behandeln, um die Entzündung zu hemmen. Das ist der Standardweg.
- Wenn die Kortison-Therapie nicht ausreichend wirksam ist, kann eine Blutwäsche (Apherese) durchgeführt werden, um die Entzündungsstoffe und Immunprodukte aus dem Blut zu entfernen. Die Entscheidung für den Einsatz dieses Verfahren ist jedoch individuell für jede erkrankte Person zu treffen - dazu gehören zum Beispiel die Schwere der neurologischen Beeinträchtigung sowie therapeutische Vorerfahrungen der erkrankten Person, ob sie bereits gut darauf angesprochen hat.
Medikamentöse Therapien
Die Erkrankung ist nicht heilbar, aber es gibt eine breite Palette an Medikamenten, die die Krankheitsaktivität reduzieren können. Sie sollen zum Beispiel das Risiko für einen nächsten Schub senken und das Fortschreiten der Erkrankung beeinflussen. Es gibt gute Hinweise darauf, dass die Langzeitprognose durch Medikamente positiv beeinflusst wird. Moderne Medikamente können das Fortschreiten der MS heute deutlich bremsen und damit Einschränkungen frühzeitig verringern. Entscheidend ist dabei ein früher Start einer hochwirksamen MS-Therapie.
Nicht-medikamentöse Behandlung
Die Möglichkeiten der nicht-medikamentöse Behandlung sollten nicht unterschätzt werden. Man kann viel jenseits der Medikamente tun, um mit der Diagnose Multiple Sklerose ein normales Leben zu führen. Wichtig ist der Umgang mit der Erkrankung selbst - sie anzunehmen, sie aber auch nicht ins Zentrum des Lebens stellen. Dann können noch Faktoren reduziert werden, die das Fortschreiten vorantreiben können - zum Beispiel nicht mehr rauchen, das Übergewicht reduzieren, gegebenenfalls Vitamin D einnehmen und ganz wichtig: Bewegung und Sport. Körperliche Aktivität ist sehr wichtig und wird total unterschätzt. Sport hat positive Auswirkungen auf das Nerven- und Immunsystem und ein trainierter Körper kann mit Einschränkungen deutlich besser umgehen als ein untrainierter. Körperliche und geistige Entwicklung sollte gefördert werden, denn sie kann maßgeblich die Prognose verändern.
Ernährung
Dafür, dass sich der Verlauf einer MS durch die Ernährung beeinflussen lässt, gibt es bislang keine wissenschaftlichen Belege.
Leben mit Multipler Sklerose
MS kann zu vorübergehenden oder bleibenden Behinderungen führen, die sich auf Familie, Partnerschaft, Beruf und das eigene seelische Befinden auswirken.
Umgang mit der Erkrankung
Wichtig ist der Umgang mit der Erkrankung selbst - sie anzunehmen, sie aber auch nicht ins Zentrum des Lebens stellen.
Unterstützung und Hilfe
Grundsätzlich sind Hausärzte und Hausärztinnen die ersten und wichtigsten Ansprechpartner, die die Betroffenen dann an Neurologen oder Neurologinnen überweisen. Wo können MS-Betroffene Hilfe finden? Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft Bundesverband e. V. (DMSG) vertritt die Belange von an MS-erkrankten Personen und unterstützt mit Informationen und Beratungen.
Prognose und Lebenserwartung
MS-Betroffene haben im Durchschnitt eine leicht reduzierte Lebenserwartung von wenigen Jahren. Statistisch entsteht das nicht wegen der Durchschnittspatienten und -patientinnen, sondern durch Betroffene mit sehr schweren Verläufen. Diese Patienten und Patientinnen haben häufiger Komplikationen wie Thrombosen oder Lungenentzündungen.
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