Bewusstsein im Gehirn: Eine Frage der Lokalisation und Integration

Das Bewusstsein ist eines der faszinierendsten und komplexesten Themen der Neurowissenschaften und Philosophie. Die Frage, wo und wie Bewusstsein im Gehirn entsteht, beschäftigt Forscher seit langem. Dabei geht es nicht nur um die Lokalisation spezifischer Hirnareale, sondern auch um die Integration von Informationen und die Art und Weise, wie das Gehirn ein subjektives Erleben erzeugt.

Interdisziplinäre Betrachtung des Bewusstseins

Die Erforschung des Bewusstseins erfordert einen interdisziplinären Ansatz, der Erkenntnisse aus Neurowissenschaften, Philosophie, Psychologie und anderen Bereichen integriert. Aus bio-ophthalmologischer Sicht stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Qualität (Bewusstsein) und Quantität (messbare Hirnaktivität). Ist dieses Verhältnis konträr, also fließend und messbar, oder kontradiktorisch, was eine Messung erschwert, wie beispielsweise bei Schmerzempfindungen? Die Antwort hängt von der spezifischen Fragestellung und der zugrunde liegenden Hirntheorie ab.

Neuronale Theorien der Hirnfunktion

Verschiedene neuronale Theorien versuchen, die Funktionsweise des Gehirns zu erklären:

  • Herd- oder Lokalisationstheorie: Diese monistische Hypothese sieht das Gehirn als dominierende Zentrale, die punktuell oder areal bestimmt, was in der Peripherie geschieht.
  • Reiz-Reaktions-Schema: Diese behavioristische Vorstellung betrachtet das Gehirn als eine Verlängerung des Rückenmarks mit sensiblen und motorischen Elementen, die auf Input-Output-Systemen basieren.
  • Wettstreit der Hirnregionen: Diese Theorie betont den permanenten Wettstreit zwischen verschiedenen Hirnregionen, der sich im Leib-Seele-Problem äußert. Der selbstbewusste Geist reguliert Körperfunktionen nach Vernunftprinzipien, wobei die Großhirnhemisphäre keine rein neurale Maschinerie darstellt (Dualismus).
  • Autonome Selbstorganisation: Diese Theorie sieht das Gehirn als autonom im Sinne einer natürlichen Selbstorganisation, deren physikalische Grundlage die nichtlineare Dynamik ist.

Bewusstsein als Orientierung in Raum und Zeit

Das Bewusstsein wird oft als klare Orientierung des Menschen in Raum und Zeit verstanden. Diese Qualität ist ein wichtiges Regulativum bei ärztlichen Entscheidungen und Argumentationen. In der Ophthalmologie, beispielsweise bei der Makuladegeneration, wird zwischen peripheren (stoffwechsel- oder hämodynamisch bedingten) und zentralen Wahrnehmungsstörungen (wie Cephalgie, Migräne, Schwindel) unterschieden. Die Untersuchungsergebnisse helfen, die jeweilige Hirnfunktion zu klären.

Anatomie und Funktion des Gehirns

Das Gehirn (Encephalon) ist der Teil des zentralen Nervensystems, der innerhalb des Schädels liegt. Es besteht aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen), die durch etwa 100 Billionen Verknüpfungen (Synapsen) miteinander verbunden sind. Diese Nervenzellen sind in ein stützendes Gewebe aus Gliazellen eingebettet.

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Das Gehirn ist von drei Hirnhäuten umgeben: Dura mater, Arachnoidea und Pia mater. Grob lässt sich das menschliche Gehirn in fünf Abschnitte gliedern:

  1. Großhirn (Telencephalon): Der größte und schwerste Teil des Gehirns, verantwortlich für höhere kognitive Funktionen wie Sprache, Denken, Gedächtnis und Bewusstsein.
  2. Zwischenhirn (Diencephalon): Besteht unter anderem aus Thalamus (Tor zum Bewusstsein) und Hypothalamus (Steuerung von Schlaf-Wach-Rhythmus, Hunger, Durst, Temperaturregulation).
  3. Mittelhirn (Mesencephalon): Wichtige Schaltstelle für sensorische und motorische Informationen.
  4. Kleinhirn (Cerebellum): Koordiniert Bewegungen, Gleichgewicht und speichert erlernte Bewegungsabläufe.
  5. Nachhirn (Myelencephalon, Medulla oblongata): Übergang zwischen Gehirn und Rückenmark, steuert lebenswichtige Funktionen wie Atmung und Herzfrequenz.

Die graue Substanz des Gehirns besteht hauptsächlich aus Nervenzellkörpern und ist für die Informationsverarbeitung zuständig. Die weiße Substanz besteht aus Nervenfasern (Axonen), die die verschiedenen Hirnbereiche miteinander verbinden.

Blutversorgung und Energieverbrauch des Gehirns

Das Gehirn hat einen enorm hohen Energieverbrauch und benötigt etwa ein Viertel des Gesamtenergiebedarfs des Körpers. Es wird über die rechte und linke innere Halsschlagader (Arteria carotis interna) und die Arteria vertebralis mit Blut versorgt. Ein Gefäßring (Circulus arteriosus cerebri) stellt sicher, dass der Blutbedarf des Gehirns auch bei Schwankungen in der Blutzufuhr ausreichend gedeckt ist.

Das empfindliche Hirngewebe ist durch die Blut-Hirn-Schranke vor schädigenden Substanzen im Blut geschützt.

Die Rolle der Großhirnrinde (Cortex cerebri)

Die Großhirnrinde, auch Cortex genannt, ist die äußere Schicht des Großhirns und bedeckt fast das gesamte von außen sichtbare Gehirn. Sie ist stark gefaltet, um eine große Oberfläche auf kleinem Raum zu ermöglichen. Der Cortex ist in vier Lappen unterteilt:

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  1. Stirnlappen (Frontallappen): Verantwortlich für Planung, Entscheidungsfindung, Arbeitsgedächtnis, Persönlichkeit und motorische Kontrolle.
  2. Scheitellappen (Parietallappen): Verarbeitung sensorischer Informationen wie Berührung, Schmerz, Temperatur und räumliche Wahrnehmung.
  3. Schläfenlappen (Temporallappen): Verarbeitung von auditorischen Informationen, Gedächtnis, Sprache und Erkennung von Objekten und Gesichtern.
  4. Hinterhauptlappen (Okzipitallappen): Verarbeitung visueller Informationen.

Der Neocortex, der entwicklungsgeschichtlich jüngste Teil der Großhirnrinde, besteht aus sechs Zellschichten und ist für höhere kognitive Funktionen zuständig. Die älteren Teile der Hirnrinde, wie der Palaeocortex (zuständig für Geruchswahrnehmung) und der Archicortex (Teil des limbischen Systems, zuständig für emotionale Reaktionen und Gedächtnis), machen nur einen kleinen Teil der Großhirnrinde aus.

Funktionelle Spezialisierung und Integration im Cortex

Eingehende Signale aus den Sinnesorganen werden von Nervenzellen im Thalamus umgeschaltet und an unterschiedliche Regionen im Cortex weitergeleitet, die den entsprechenden Funktionen zugeordnet sind. So wird beispielsweise die primäre Sehrinde im Okzipitallappen für die Verarbeitung visueller Informationen aktiv. Diese Informationen werden dann an weitere visuelle Rindenregionen weitergeleitet, die komplexere Leistungen wie die Wiedererkennung von Gegenständen oder Gesichtern ermöglichen.

Ähnlich verhält es sich mit anderen sensorischenModalitäten: Primäre somatosensorische Felder nehmen Sinnesinformationen über Berührung, Vibration, Druck, Dehnung oder Schmerz auf und leiten sie an höhere Rindenfelder weiter, wo dann beispielsweise aus der Berührung eines Gegenstandes eine Vorstellung über dessen Form entsteht.

Für die Steuerung von Bewegungen gibt es motorische Zentren im Cortex, in denen bestimmten Körperteilen, sogar einzelnen Muskelgruppen und Bewegungen, Areale zugeordnet werden können.

Obwohl sich einzelnen Funktionen Areale des Cortex zuordnen lassen, ist es wichtig zu betonen, dass diese Areale niemals losgelöst und allein für sich aktiv werden, sondern in komplexer Weise mit anderen Arealen und anderen Teilen des Gehirns verdrahtet sind. Es handelt sich also nicht um einzelne Zentren, sondern um Knoten in einem komplexen neuronalen Netz.

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Das Bindungsproblem und die Entstehung von Bewusstsein

Die Frage, wie die verschiedenen Informationen, die in unterschiedlichen Hirnarealen verarbeitet werden, zu einem einheitlichen Bewusstseinserleben zusammengeführt werden, wird als Bindungsproblem bezeichnet. Es gibt keine zentrale Instanz im Gehirn, die alle Informationen interpretiert, kontrolliert und befiehlt. Stattdessen müssen koordiniertes Verhalten und kohärente Wahrnehmung als emergente Qualitäten eines Selbstorganisationsprozesses verstanden werden, der alle eng vernetzten Zentren gleichermaßen einbezieht.

Eine mögliche Erklärung für die Entstehung von Bewusstsein ist die Fähigkeit des Gehirns, Metarepräsentationen aufzubauen. Dabei handelt es sich um kognitive Strukturen, welche die Repräsentation der Außenwelt noch einmal reflektieren und auf die gleiche Weise verarbeiten wie die peripheren Areale die sensorischen Signale aus der Umwelt und dem Körper. Diese Metarepräsentationen ermöglichen es dem Gehirn, Reaktionen auf Reize zurückzustellen, Handlungsentscheidungen abzuwägen, interne Modelle aufzubauen und den erwarteten Erfolg von Aktionen an diesen zu messen.

Die Rolle selbstgenerierter Aktivität bei der Wahrnehmung

Wahrnehmung darf nicht als passive Abbildung von Wirklichkeit verstanden werden, sondern als das Ergebnis eines außerordentlich aktiven, konstruktivistischen Prozesses, bei dem das Gehirn die Initiative hat. Das Gehirn bildet ständig Hypothesen darüber, wie die Welt sein sollte, und vergleicht die Signale von den Sinnesorganen mit diesen Hypothesen. Die intern generierte Aktivität des Gehirns spielt eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung.

Lokalisation in der Neuropsychologie

Die Neuropsychologie befasst sich mit den Auswirkungen von Hirnschädigungen auf kognitive Funktionen. Die klassische Theorie des "engen Lokalisationismus" ging davon aus, dass spezifische Kortexbereiche für bestimmte psychische Funktionen wie Sprechen, Schreiben oder Rechnen zuständig sind und deren Verletzung zum Ausfall dieser Funktionen führt.

Neuere Forschungen haben jedoch gezeigt, dass begrenzte Verletzungen der Hirnrinde niemals zum vollständigen Ausfall isolierter Funktionen führen, sondern zur Desorganisation eines ganzen Komplexes komplizierter psychischer Tätigkeiten. Andererseits kann ein und dieselbe Funktion durch Verletzungen in verschiedenen Hirnarealen gestört werden.

Nach Luria ist zu unterscheiden zwischen Funktion als Tätigkeit eines Gewebes und Funktion als komplexere Systemfunktion. Solche komplexeren funktionalen Systeme beruhen auf der gemeinsamen Arbeit eines ganzen Komplexes neuronaler Mechanismen, die sich auf weite Teile des Gehirns verteilen können.

Sensorisch-motorische Lokalisation

Bereits im 19. Jahrhundert wurde entdeckt, dass durch elektrische Reizung der Großhirnrinde motorische Reaktionen ausgelöst werden können. Die gesamte Körpermuskulatur ist in der motorischen Rinde jeder Seite doppelt repräsentiert. Eine ähnliche Gliederung nach Körperbezirken findet sich für die sensorischen Funktionen in der hinteren Zentralwindung (sensorische Rinde).

Auditive Lokalisation

Die auditive Lokalisation und Raumorientierung erfolgt über die Wahrnehmung der minimalen Intensitäts- und Laufzeitunterschiede, die beim Auftreffen eines Tonreizes zwischen beiden Ohren bestehen. Die von beiden Ohren aufgenommenen Schallinformationen werden zur primären Hörrinde weitergeleitet, wo sie miteinander verglichen und zum zugehörigen Raumwinkel "verrechnet" werden.

Das Human Brain Project und EBRAINS

Das Human Brain Project (HBP) war ein großes europäisches Forschungsprojekt, das sich zum Ziel gesetzt hatte, das menschliche Gehirn besser zu verstehen und eine Forschungsinfrastruktur (EBRAINS) aufzubauen. Im Rahmen des HBP wurde unter anderem ein Gehirnatlas entwickelt, der mit klinischen Daten von Patienten verknüpft werden soll.

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