Emotionen sind ein integraler Bestandteil des menschlichen Erlebens. Sie beeinflussen unser Handeln, prägen unsere Erfahrungen und tragen wesentlich zu unserer Persönlichkeit bei. Doch wo genau entstehen diese komplexen psychischen Prozesse im Gehirn? Dieser Artikel beleuchtet die neurowissenschaftlichen Grundlagen von Emotionen und geht der Frage nach, welche Hirnstrukturen und Mechanismen an ihrer Entstehung beteiligt sind.
Die neurowissenschaftliche Definition von Emotionen
Aus neurowissenschaftlicher Sicht sind Emotionen psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Angst, Ekel, aber auch Freude oder Trauer sind Beispiele für Emotionen, die oft schwer zu unterdrücken sind. Für die Wissenschaft stellen Emotionen ein anspruchsvolles Forschungsgebiet dar, da sie sehr individuell und oft schwer zu beschreiben sind. Das am besten erforschte Gefühl ist die Angst. Die individuelle Emotionalität ist ein wichtiger Teil unserer Persönlichkeit.
Das limbische System: Das emotionale Zentrum des Gehirns
Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Dieses System besteht aus verschiedenen Strukturen, darunter die Amygdala (Mandelkern), der Hippocampus, der Hypothalamus und der Thalamus. Jede dieser Strukturen spielt eine spezifische Rolle bei der Verarbeitung und Entstehung von Emotionen.
Die Amygdala: Zentrum der affektiven Bewertung
Die Amygdala gilt als das Zentrum der affektiven Bewertung. Sie entscheidet in wenigen Millisekunden, ob wir Angst haben. Das Herz schlägt schneller, die Muskeln bekommen mehr Energie - wir sind bereit für Kampf oder Flucht. Die Amygdala liegt im Temporallappen und ist mit dem Hirnstamm verbunden. Sie beeinflusst so die autonomen Funktionen des Körpers wie Atmung und Kreislauf. Ein besonders dickes Nervenbündel führt zum Hypothalamus, der die Adrenalinproduktion auslöst. Die Amygdala erhält Informationen aus allen sensorischen Regionen der Großhirnrinde. Werden wir beleidigt, wird die Information über Augen und Ohren zunächst an das Zwischenhirn geschickt, das sie an die Amygdala und an den Frontallappen der Großhirnrinde weitergibt. Doch entscheidet die „emotionale“ Amygdala, dass es sich um eine Kränkung handelt, dann hat die „rationale“ Großhirnrinde keine Chance: Die Amygdala ist schneller. Sie aktiviert den Hypothalamus, Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin werden ausgeschüttet, der Puls steigt rasant an. Läsionen in der Amygdala führen dazu, dass Gefahrensituationen zwar kognitiv erkannt, aber affektiv nicht korrekt bewertet werden.
Der Hippocampus: Gedächtnis und Kontext
Der Hippocampus spielt eine wichtige Rolle bei der Verknüpfung von Emotionen mit Gedächtnisinhalten. Er vergleicht die gegenwärtige Situation mit vergangenen Erlebnissen und trägt so dazu bei, dass wir Emotionen im Kontext verstehen und angemessen darauf reagieren können.
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Der Hypothalamus: Steuerung der Körperfunktionen
Der Hypothalamus ist das Steuerzentrum für Hormone und somit maßgeblich an der körperlichen Reaktion auf Emotionen beteiligt. Er löst beispielsweise die Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol aus, die den Körper auf Kampf oder Flucht vorbereiten.
Der Thalamus: Tor zum Bewusstsein
Der Thalamus fungiert als Filter und entscheidet, welche Informationen - also das, was wir sehen, hören oder fühlen - zur Großhirnrinde weitergeleitet werden und ins Bewusstsein rücken. Zunächst wird ein Reiz im Thalamus registriert. Dieser schickt die Reizinformation auf zwei Bahnen weiter: Auf der einen Bahn wandert der Reiz in die Großhirnrinde, zum präfrontalen Cortex. Und auf der anderen, deutlich schnelleren Bahn ins limbische System, genauer gesagt, in die Amygdala.
Die Rolle der Großhirnrinde
Obwohl das limbische System eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Emotionen spielt, ist auch die Großhirnrinde, insbesondere der präfrontale Cortex (PFC), von Bedeutung. Der PFC ist für die Verarbeitung komplexer Informationen, die Planung von Handlungen und die Kontrolle von Impulsen zuständig. Er ermöglicht es uns, Emotionen bewusst wahrzunehmen, zu regulieren und in unser Verhalten zu integrieren.
Der präfrontale Cortex: Kontrolle und Regulation
Der präfrontale Cortex (PFC) ist die Hirnregion, in der emotionale Reize in bewusste Gefühle umgewandelt werden. Außerdem integriert er die Emotionen in das Gesamtbild und sucht nach einer passenden Handlung. Er ist einer der wichtigsten Teile des Gehirns, zumindest wenn es um die Entstehung und Regulierung von Emotionen geht. Er sorgt dafür, dass der Mensch sich sozial adäquat verhält und sich von seinen Emotionen nicht zu sehr einnehmen lässt. Der präfrontale Cortex ist trainierbar und erst circa ab dem 25. Lebensjahr ausgereift. Gerade aus diesem Grund spielt die Erziehung des Menschen eine große Rolle bei der Entwicklung des präfrontalen Cortex. Werden die Prozesse im präfrontalen Cortex nun gestört, kann das massive Auswirkungen auf den Charakter und das Verhalten eines Menschen haben. Emotionen werden nicht mehr reguliert; die Menschen reagieren ungestüm und sind schnell verärgert.
Die Inselrinde: Integration von Gefühl, Erfahrung und Verhalten
Die Inselrinde, ein Teil der Großhirnrinde, spielt eine bedeutende Rolle bei der Integration der eigenen Gefühle, Erfahrungen und des Verhaltens anderer, um angemessen reagieren zu können. Was genau dort passiert, untersuchen Nadine Gogolla und ihre Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Neurobiologie.
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Neurotransmitter und Hormone: Die biochemische Grundlage von Emotionen
Emotionen sind nicht nur an bestimmte Hirnstrukturen gebunden, sondern auch an die Aktivität von Neurotransmittern und Hormonen. Neurotransmitter wie Dopamin, Serotonin und Noradrenalin spielen eine wichtige Rolle bei der Steuerung von Stimmung, Motivation und emotionaler Reaktion. Hormone wie Cortisol und Oxytocin beeinflussen Stressreaktionen, soziale Bindungen und das Gefühl von Vertrauen.
Dopamin: Belohnung und Motivation
In der aufregenden Zeit des Verliebtseins überschwemmt der Botenstoff Dopamin das Gehirn. Er wird vom Hypothalamus ausgeschüttet, der wichtigsten Hormonquelle des Gehirns. Dopamin wirkt vor allem im limbischen System und spielt auch bei Belohnung und Euphorie eine große Rolle. Ist man verliebt, wird im Gehirn das Belohnungssystem aktiviert. Es werden zahlreiche Hormone wie Dopamin, Vasopressin und Oxytocin produziert. Entscheidend für die Entstehung dieser positiven Gefühle ist das limbische System. Es besteht aus Neuronen, die den Botenstoff Dopamin verwenden.
Oxytocin: Bindung und Vertrauen
Sinkt der Dopaminspiegel wieder und aus dem Verliebtsein kann Liebe werden, spielt Oxytocin eine größere Rolle. Es wird im Hypothalamus produziert und in der Hirnanhangsdrüse gespeichert. Das Hormon beruhigt, reduziert Ängste und Aggressionen und fördert das Gefühl von Nähe und Vertrauen.
Serotonin: Ausgeglichenheit und Wohlbefinden
Biochemisch sind insbesondere drei Hirnbotenstoffe beteiligt: Serotonin, Dopamin und Oxytocin.
Emotionen und Verhalten: Eine untrennbare Verbindung
Emotionen bewirken bestimmte Verhaltensmuster. Angst zum Beispiel bereitet den Körper darauf vor, zu fliehen oder zu kämpfen: Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die Muskeln werden mit Energie versorgt, die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die Bedrohung. Das kann sehr sinnvoll sein oder auch völlig nutzlos - je nach Situation. Die eigenen Gefühle, Erfahrungen und das Verhalten der anderen müssen miteinander verrechnet werden, um angemessen reagieren zu können.
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Die Entwicklung von Emotionen
Was ein Mensch fühlt - und wie er oder sie das einer anderen Person gegenüber zeigt bzw. zeigen darf - ist nicht nur Ausdruck eines inneren Zustands, sondern wird auch erlernt und durch die Gesellschaft mitbestimmt.
Von Anfang an lernen wir aus der sozialen Interaktion heraus, wie wir Situationen und Dinge, die wir erleben und die uns umgeben, zu bewerten haben. Es ist zum einen das Bedürfnis nach Nähe, nach Verbundenheit und Geborgenheit. Zum anderen ist es das Bedürfnis nach freier Entfaltung seiner Potenziale, nach Wachstum und Autonomie. Je nachdem, ob und wie gut wir es schaffen, diese Grundbedürfnisse zu stillen, entwickeln sich in uns die unterschiedlichen sekundären Emotionen oder Haltungen. Entsprechend sind diese Haltungen positiv und stärken uns - wie beispielsweise Dankbarkeit, Zuversicht, Begeisterung oder Mitgefühl.
Die Bedeutung von Emotionen für die psychische Gesundheit
Emotionen sind ein wichtiger Indikator für unser Wohlbefinden. Sie können uns vor Gefahren warnen, uns motivieren, Ziele zu erreichen, und uns helfen, soziale Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Ein gesundes emotionales Leben ist daher entscheidend für unsere psychische Gesundheit.
Forschung zu Emotionen
Die Forscherinnen am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt wollen herausfinden, wovon es abhängt, ob jemand Musik als schön oder schrecklich empfindet. Dazu nutzen sie das ArtLab, einen multifunktionalen Veranstaltungsraum, der Konzertsaal und Labor in einem ist. Die Sängerinnen eines Vokalensembles proben im Frankfurter ArtLab. Leipziger Max-Planck-Wissenschaftler*innen wollen dagegen wissen, was einen erfolgreichen Popsong ausmacht. Ob ein Musikstück ein Hit wird, hängt nicht so sehr von Text oder Melodie ab, sondern von den Akkordfolgen. Besonders beliebte Songs zeichnen sich durch eine Mischung von vorhersehbaren und überraschenden Akkordfolgen aus. Denn nur dann wird das Genusssystem im Gehirn aktiviert.