Chorea Huntington: Testmöglichkeiten in Deutschland

Die Chorea Huntington, auch Huntington-Krankheit, Veitstanz oder Morbus Huntington genannt (ICD-10 G10), ist eine autosomal-dominant vererbte, neurodegenerative Erkrankung. Sie ist gekennzeichnet durch den fortschreitenden Abbau von Nervenzellen in bestimmten Hirnbereichen, insbesondere im Striatum, Globus pallidus und Nucleus caudatus.

Krankheitsbild und Häufigkeit

Die Huntington-Krankheit manifestiert sich typischerweise im mittleren Lebensalter, meist zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr, obwohl auch juvenile (<20 Jahre) und späte (>70 Jahre) Manifestationen vorkommen können. Die Prävalenz liegt bei etwa 5-7 von 100.000 Menschen in der mitteleuropäischen Bevölkerung. Die Erkrankung tritt weltweit auf, wobei die Häufigkeit regional variiert und in Populationen nordeuropäischer Abstammung höher ist.

Die Symptomatik ist vielfältig und umfasst Bewegungsstörungen, psychische Veränderungen und kognitive Beeinträchtigungen. Oftmals werden die Bewegungsstörungen, die durch unwillkürliche, plötzliche, rasche, unregelmäßige und nicht vorhersehbare Bewegungen der Extremitäten, des Gesichts, des Halses und des Rumpfes gekennzeichnet sind, von den Betroffenen selbst zuerst wahrgenommen. Im Verlauf der Erkrankung können diese Bewegungen zu Gehunfähigkeit führen. Weitere Symptome können sein:

  • Überbewegungen (Hyperkinesen, Chorea) oder Bewegungsverarmung (Hypokinese) der Arme, der Beine, im Gesicht
  • Gleichgewichtsstörungen
  • Beeinträchtigung der Feinmotorik oder ein Zittern
  • Verhaltensauffälligkeiten wie ein aggressives oder enthemmtes Verhalten
  • Zurückgezogenheit, Antriebsarmut, Lustlosigkeit, emotionale Labilität, Depression
  • Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Leistungseinschränkungen oder verminderte Belastbarkeit sowie Schlafstörungen
  • Psychiatrische Störungen wie Halluzinationen, Zwangsstörungen und Persönlichkeitsveränderungen
  • Störungen der Aussprache (Dysarthrie) und Schluckbeschwerden, die eine Ernährung über eine Sonde erforderlich machen können
  • Demenz

Ursachen und Vererbung

Ursache der Huntington-Krankheit ist eine Mutation im Huntingtin-Gen (HTT) auf Chromosom 4 (4p16.3). Diese Mutation besteht in einer übermäßigen Wiederholung der Basensequenz CAG (Cytosin-Adenin-Guanin) im Exon 1 des HTT-Gens. Jeder Mensch besitzt zwei Kopien des Huntingtin-Gens, eine von der Mutter und eine vom Vater.

Die Huntington-Krankheit wird autosomal dominant vererbt. Das bedeutet, dass bereits eine verlängerte Kopie des Gens ausreicht, um die Krankheit auszulösen. Trägt ein Elternteil eine solche verlängerte Kopie, besteht für jedes Kind ein 50%iges Risiko, diese zu erben und somit die Krankheit zu entwickeln. Da das Huntingtin-Gen auf einem Autosom liegt, sind Männer und Frauen gleichermaßen betroffen. Die Erkrankung überspringt keine Generationen; Nachkommen gesunder Familienmitglieder mit zwei kurzen Kopien des Huntingtin-Gens erkranken nicht.

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Die Anzahl der CAG-Wiederholungen korreliert mit dem Erkrankungsalter: Je mehr Wiederholungen vorhanden sind, desto früher bricht die Krankheit aus. Allerdings erklärt die CAG-Länge nur etwa 50-70% der Varianz im Manifestationsalter. Neben der CAG-Länge beeinflussen auch Umwelteinflüsse und andere genetische Faktoren den Zeitpunkt des Krankheitsbeginns.

Die meisten Menschen tragen zwei "normale" CAG-Längen im Huntingtin-Gen. Normale Kopien umfassen bis zu 35 CAG-Wiederholungen, wobei Längen um 17 CAG am häufigsten vorkommen. CAG-Blöcke mit 36 oder mehr Wiederholungen führen zur Erkrankung. Allerdings ist für Kopien zwischen 36 und 39 CAG eine reduzierte Penetranz bekannt, was bedeutet, dass nicht alle Menschen, die eine dieser CAG-Längen tragen, auch erkranken werden. Kopien zwischen 27 und 35 CAG sind nicht mit Krankheitssymptomen assoziiert; für Nachfahren besteht jedoch ein erhöhtes Risiko einer Expansion in den pathologischen Bereich. Diese Kopien mit intermediären Längen sind mit ein Grund dafür, dass sporadische Krankheitsfälle beobachtet werden, also bisher niemand sonst in der Familie erkrankt ist.

Genetische Testmöglichkeiten in Deutschland

Diagnostische Testung

Die genetische Diagnostik spielt eine zentrale Rolle bei der Bestätigung der Diagnose Chorea Huntington. Sie wird in folgenden Fällen eingesetzt:

  • Sicherung der klinischen Verdachtsdiagnose: Bei Vorliegen von Symptomen, die auf die Huntington-Krankheit hindeuten, dient der Gentest zur Bestätigung der Diagnose.
  • Differentialdiagnose: Bei Patienten mit unklaren Symptomen hilft der Test, die Huntington-Krankheit von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen (z.B. Choreo-Akanthozytose, Dystonien, spinocerebelläre Ataxien) abzugrenzen.

Die genetische Untersuchung kann von jeder Ärztin und jedem Arzt nach Aufklärung gemäß §10 GenDG (Gendiagnostikgesetz) und schriftlicher Einwilligung vorgenommen werden.

Prädiktive Testung

Für gesunde Angehörige von Betroffenen besteht die Möglichkeit einer prädiktiven genetischen Diagnostik. Diese ermöglicht es, das Risiko, die Huntington-Krankheit zu entwickeln, bereits vor dem Auftreten von Symptomen zu bestimmen. Da die prädiktive Testung erhebliche psychische und soziale Auswirkungen haben kann, ist sie in Deutschland an strenge Richtlinien gebunden.

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Ablauf einer genetischen Beratung zur prädiktiven Testung:

  1. Erstgespräch: In einem ausführlichen Gespräch werden Informationen über die Erkrankung, ihren Erbgang und die Erkrankungsrisiken vermittelt. Es erfolgt eine detaillierte Familien- und Eigenanamnese. Die Möglichkeiten, Aussagekraft und Konsequenzen der molekulargenetischen Diagnostik werden besprochen, ebenso wie die Bedeutung der Ergebnisse für andere Familienmitglieder.
  2. Psychologische Beratung: Vor der Blutentnahme wird empfohlen, ein Gespräch mit einem Psychologen zu führen, der mit den Besonderheiten der Huntington-Krankheit und der prädiktiven Diagnostik vertraut ist. Dieser kann auch nach der Diagnostik für weitere Gespräche zur Verfügung stehen.
  3. Vertrauensperson: Der/die Ratsuchende wird gebeten, eine Vertrauensperson zu wählen, die während der Vorbereitungsphase auf die Diagnostik, bei der Befundmitteilung und auch danach unterstützend zur Seite steht.
  4. Blutentnahme und molekulargenetische Untersuchung: Die Blutentnahme und anschließende Analyse erfolgen erst, wenn die genannten Rahmenbedingungen erfüllt sind und sowohl die Risikoperson als auch der/die psychotherapeutische Berater(in) ihre Zustimmung gegeben haben.
  5. Ergebnismitteilung: Das Ergebnis wird an den Arzt/die Ärztin übermittelt, der/die die genetische Beratung durchgeführt hat. Die Ergebnismitteilung erfolgt so, dass die beteiligten Berater/Beraterinnen selbst nicht über das Ergebnis informiert sind. Die Risikoperson kann jederzeit erklären, dass sie an der Fortsetzung der Untersuchung bzw. der Befundmitteilung nicht mehr interessiert ist.

Wichtige Aspekte der prädiktiven Testung:

  • Freiwilligkeit: Die Testung ist freiwillig und darf nicht von Dritten erzwungen werden.
  • Aufklärung: Eine umfassende Aufklärung über die Möglichkeiten, Risiken und Konsequenzen der Testung ist unerlässlich.
  • Psychosoziale Unterstützung: Eine begleitende psychologische Betreuung ist wichtig, um die Risikoperson bei der Entscheidungsfindung und der Verarbeitung des Ergebnisses zu unterstützen.
  • Schutz der Privatsphäre: Die Ergebnisse der Testung unterliegen der Schweigepflicht und dürfen nicht ohne Zustimmung der Risikoperson an Dritte weitergegeben werden.

Durchführung der genetischen Tests

Bei der Testung auf die Huntington-Mutation wird die exakte CAG-Länge im Huntingtin-Gen bestimmt. Die Analyse erfolgt in spezialisierten humangenetischen Laboren. In Deutschland bieten zahlreiche Universitätskliniken und private Institute diese Diagnostik an.

Therapie und Behandlung

Obwohl es derzeit keine Heilung für die Huntington-Krankheit gibt, können die Symptome durch verschiedene therapeutische Maßnahmen gelindert werden. Die Behandlung zielt darauf ab, die Lebensqualität der Patienten und ihrer Familien so lange wie möglich zu erhalten.

Medikamentöse Therapie:

  • Bewegungsstörungen: Tiaprid, Haloperidol oder Tetrabenazin können zur Reduktion der unwillkürlichen Bewegungen eingesetzt werden.
  • Tremor: Clonazepam kann bei Tremor helfen.
  • Psychische Veränderungen: Antidepressiva (SSRI), Neuroleptika und Anxiolytika (Alprazolam, Lorazepam) können zur Behandlung von Depressionen, Reizbarkeit, Aggressivität, Psychosen und Angstzuständen eingesetzt werden.

Weitere therapeutische Maßnahmen:

  • Physiotherapie: Regelmäßige Physiotherapie kann helfen, die Beweglichkeit zu erhalten und Stürzen vorzubeugen.
  • Logopädie: Logopädie kann bei Sprach- und Schluckstörungen helfen.
  • Ergotherapie: Ergotherapie kann die Selbstständigkeit im Alltag fördern.
  • Ernährungsberatung: Eine hochkalorische Ernährung mit bis zu 6 bis 8 Mahlzeiten pro Tag kann einem drohenden Gewichtsverlust entgegenwirken.
  • Psychologische und psychosoziale Unterstützung: Psychologische Betreuung und die Teilnahme an Selbsthilfegruppen können Patienten und Angehörigen helfen, mit der Erkrankung umzugehen.

Forschung und neue Therapieansätze:

Die Forschung zur Huntington-Krankheit ist sehr aktiv. Es werden verschiedene Therapieansätze untersucht, die darauf abzielen, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen oder die Ursache der Erkrankung zu behandeln. Dazu gehören:

  • Gentherapie: Die Gentherapie zielt darauf ab, die Mutation im Huntingtin-Gen zu korrigieren oder die Produktion des mutierten Proteins zu reduzieren.
  • Stammzelltherapie: Die Transplantation von Stammzellen in das Gehirn soll den Verlust von Nervenzellen ausgleichen.
  • Tiefe Hirnstimulation: Die Implantation eines Hirnschrittmachers kann die Symptome der Bewegungsstörung lindern.
  • Suche nach genetischen Modifikatoren: Eine Arbeitsgruppe des Huntington-Zentrums beschäftigt sich mit der Suche nach Genen, die den Krankheitsverlauf beeinflussen.

Anlaufstellen und Unterstützung in Deutschland

In Deutschland gibt es zahlreiche Anlaufstellen für Patienten mit Huntington-Krankheit und ihre Familien. Dazu gehören:

  • Huntington-Zentren: Diese Zentren bieten eine umfassende Versorgung, einschließlich Diagnostik, Therapie, Beratung und psychosoziale Unterstützung. Beispiele sind das Huntington Zentrum NRW in Bochum und das Huntington Forschungs- und Behandlungszentrum Mainz (HFBM).
  • Spezialambulanzen für Bewegungsstörungen: Viele Universitätskliniken bieten Spezialambulanzen für Bewegungsstörungen an, in denen Patienten mit Chorea Huntington behandelt werden.
  • Humangenetische Beratungsstellen: Diese Stellen bieten genetische Beratung und Testung für Betroffene und Risikopersonen an.
  • Selbsthilfegruppen: Die Deutsche Huntington-Hilfe e.V. ist eine Selbsthilfegruppe, die Betroffene und Angehörige unterstützt und Informationen über die Erkrankung bereitstellt.
  • Europäisches Huntington-Netzwerk (EHDN): Das EHDN ist ein Netzwerk von Zentren in Europa, die sich der Erforschung und Behandlung der Huntington-Krankheit widmen.

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