Die Vorstellung, dass ein Zahnarzt während einer Behandlung einen Nerv trifft, ist beunruhigend. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte dieses Themas, von den Ursachen und Symptomen bis hin zu Behandlungsoptionen und Präventionsmaßnahmen. Ziel ist es, ein umfassendes Verständnis für Patienten und Fachleute zu schaffen.
Einführung
Zahnärztliche Behandlungen sind in der Regel sicher und effektiv, doch in seltenen Fällen kann es zu Nervverletzungen kommen. Diese können unterschiedliche Ursachen haben und verschiedene Symptome hervorrufen. Es ist wichtig, die Risiken zu kennen und zu wissen, wie man im Falle einer Nervverletzung vorgehen sollte.
Nervverletzungen im zahnärztlichen Kontext
Nervverletzungen im Zusammenhang mit zahnärztlichen Eingriffen sind insgesamt selten, können aber schwerwiegende Folgen haben. In der Implantologie ist die Schädigung des Unterkiefernerv-Astes das bedeutendste Risiko. Theoretisch besteht auch die Gefahr einer Verletzung des Zungennervs (N. lingualis) oder kleiner Oberkiefernerv-Äste.
Der Unterkiefernerv (Nervus alveolaris inferior)
Im Unterkieferknochen des Seitenzahnbereichs verläuft der Unterkiefernerv (Nervus alveolaris inferior) in einem Kanal unterhalb der Wurzelspitzen. Er versorgt den Knochen und die Zähne der betreffenden Seite mit Sensibilität. Der Nerv verlässt den Kieferknochen etwa in Höhe der Wurzelspitze des fünften Zahns.
Eine Verletzung des Unterkiefernervs kann schwerwiegende Folgen haben. Wenn bei der Implantateinbringung zu tief gebohrt und das Implantat zu tief platziert wird, kann der Nerv gequetscht oder durchtrennt werden. Dies kann zu einem zeitweiligen oder dauerhaften Taubheitsgefühl im Kinn-Lippen-Bereich der betroffenen Seite führen. Auch Missempfindungen und Schmerzen sind möglich.
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Weitere Risiken in der Implantologie
Nicht nur die direkte Verletzung des Nervs kann zu Empfindungsstörungen führen. Auch bei sehr knappem Abstand zwischen Implantatspitze und Nerv kann Druck auf den Nerv ausgeübt werden, beispielsweise durch einen Bluterguss oder ein Ödem (Schwellung) im Knochen.
Implantate in der Front-Region bis zum vierten Zahn sind diesbezüglich ohne Risiko, da der Nerv in Höhe des fünften Zahns aus dem Kieferknochen austritt. Bei Zahnlosigkeit sollten die typischen zwei bis vier interforaminalen Implantate für Stegversorgungen oder herausnehmbaren Zahnersatz komplett vor dem Nerven liegen. Allerdings erfordert die Platzierung von Implantaten in der Nähe des Nervenaustrittspunktes eine exakte Planung und Bohrtechnik.
Ursachen für Nervverletzungen
Nervverletzungen können verschiedene Ursachen haben, sowohl im Zusammenhang mit zahnärztlichen Behandlungen als auch unabhängig davon.
Nervverletzungen durch zahnärztliche Behandlungen
- Implantologie: Zu tiefes Bohren bei der Implantateinbringung, was zur Quetschung oder Durchtrennung des Unterkiefernervs führen kann.
- Lokalanästhesie: Selten, aber möglich, insbesondere bei Leitungsanästhesie im Unterkiefer. Eine intraneurale Injektion oder eine toxische Schädigung durch das Anästhetikum können die Ursache sein.
- Wurzelkanalbehandlungen: Versehentliches Applikation von Wurzelkanalinstrumenten in den Nervkanal oder Überstopfung mit Wurzelkanalfüllmaterial.
- Chirurgische Eingriffe: Verletzung des Nervus lingualis oder Nervus mentalis bei Schnittführungen oder Osteotomien, insbesondere bei Weisheitszahnentfernungen.
Weitere Ursachen
- Traumatische Läsionen: Direkte Verletzungen durch Unfälle oder Stürze.
- Infektionen: Herpes Zoster-Infektionen können Sensibilitätsstörungen verursachen.
- Tumoren: Gutartige oder bösartige Tumoren im Kieferbereich können auf Nerven drücken und Sensibilitätsstörungen verursachen.
- Unterkieferfrakturen: Durch Unfälle hervorgerufene Frakturen können den Nervkanal betreffen und den Nerv schädigen.
- Medikamente: Insbesondere Bisphosphonate können zu Osteonekrosen im Kieferbereich führen und Sensibilitätsstörungen verursachen.
Symptome einer Nervverletzung
Die Symptome einer Nervverletzung können vielfältig sein und hängen vom betroffenen Nerv und dem Ausmaß der Schädigung ab.
- Taubheitsgefühl: Zeitweiliges oder dauerhaftes Taubheitsgefühl im Kinn-Lippen-Bereich (bei Verletzung des Unterkiefernervs) oder der Zunge (bei Verletzung des Zungennervs).
- Missempfindungen: Kribbeln, Brennen oder andere ungewöhnliche Empfindungen im betroffenen Bereich.
- Schmerzen: Unterschiedliche Arten von Schmerzen, von leichten Beschwerden bis hin zu starken, unerträglichen Schmerzen.
- Geschmacksstörungen: Verlust oder Veränderung des Geschmackssinns (bei Verletzung des Zungennervs).
- Lähmungen: In seltenen Fällen kann es zu Lähmungen der Gesichtsmuskulatur kommen.
Diagnose einer Nervverletzung
Die Diagnose einer Nervverletzung basiert auf der Anamnese, der klinischen Untersuchung und gegebenenfalls bildgebenden Verfahren.
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- Anamnese: Der Zahnarzt erfragt die genauen Umstände des Eingriffs, die Art der Beschwerden und den zeitlichen Verlauf.
- Klinische Untersuchung: Überprüfung der Sensibilität im betroffenen Bereich, Beurteilung der Muskelkraft und des Geschmackssinns.
- Röntgenaufnahmen: Klassische Röntgenbilder können den Abstand zwischen Implantat und Nervkanal dokumentieren.
- 3D-Röntgen (CT, DVT): Diese Aufnahmen liefern detaillierte Informationen über die Lage des Nervs und den Abstand zu Implantaten oder anderen Strukturen.
- Elektrophysiologische Untersuchungen: Somatosensorisch evozierte Potenziale (SSEP) und der Kieferöffnungsreflex können zur Objektivierung und Bewertung der Nervschädigung eingesetzt werden.
Behandlung von Nervverletzungen
Die Behandlung von Nervverletzungen hängt vom Ausmaß der Schädigung und den individuellen Umständen ab.
- Abwarten und Beobachten: Bei leichten Quetschungen oder Irritationen kann es ausreichend sein, abzuwarten und den Nerv sich selbst regenerieren zu lassen.
- Medikamentöse Therapie: Kortikosteroide können eingesetzt werden, um Schwellungen zu reduzieren und die Nervenregeneration zu fördern. Schmerzmittel können zur Linderung von Schmerzen eingesetzt werden.
- Physiotherapie: Kann helfen, die Funktion der betroffenen Muskeln wiederherzustellen.
- Chirurgische Intervention: In schweren Fällen, insbesondere bei Durchtrennung des Nervs, kann eine operative Nervnaht erforderlich sein. Bei Implantaten, die in den Nervkanal reichen, ist eine umgehende Entfernung des Implantats notwendig.
- Akupunktur: Einige Studien deuten darauf hin, dass Akupunktur die Nervenregeneration unterstützen kann.
Vorgehen bei Verdacht auf Nervverletzung nach Implantaten
- Umgehende Entfernung: Bei Implantaten, die in den Nervkanal reichen, ist die sofortige Entfernung erforderlich.
- Ödem, Bluterguß: Zuwarten; evtl. Kortisongabe nach Absprache mit einem Neurologen/Neurochirurgen. Schmerztherapie, evtl.
- Nervnaht: Im Falle einer unstrittigen Durchtrennung des Nerven beim Bohren kann theoretisch eine operative Nervnaht Voraussetzung für eine besser Regeneration schaffen.
Prävention von Nervverletzungen
Nervverletzungen lassen sich durch sorgfältige Planung und Durchführung zahnärztlicher Behandlungen vermeiden.
- Sorgfältige Planung: Bei nervnahen Implantaten sind Planungen unter Zuhilfenahme von 3D-Röntgen (CT, DVT) unerlässlich.
- Sicherheitsabstand: Bei Implantatbehandlungen sollte ein Sicherheitsabstand von mindestens 2 mm zum Nerv eingehalten werden.
- Bohrerstopps: Spezielle Bohrerstopps können helfen, ein zu tiefes Bohren zu verhindern.
- Schonende Operationstechnik: Bei chirurgischen Eingriffen sollten die Nerven sorgfältig geschont und gegebenenfalls mit Instrumenten geschützt werden.
- Aufklärung: Patienten sollten vor der Behandlung über mögliche Risiken und Komplikationen aufgeklärt werden.
- Alternative Behandlungsmethoden: Wenn mehrere Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, die unterschiedliche Risiken bergen, sollte der Patient in die Entscheidung einbezogen werden.
Lokalanästhesie und Nervschädigung
Die Lokalanästhesie ist ein wichtiger Bestandteil vieler zahnärztlicher Behandlungen, um Schmerzen zu vermeiden. Es gibt verschiedene Arten der Lokalanästhesie, die je nach Art und Umfang des Eingriffs eingesetzt werden.
Arten der Lokalanästhesie
- Oberflächenanästhesie: Anwendung von Sprays, Gels oder Salben auf die Mundschleimhaut oder das Zahnfleisch, um das Gewebe zu betäuben.
- Infiltrationsanästhesie: Injektion des Betäubungsmittels direkt an der zu behandelnden Stelle unter die Schleimhaut.
- Leitungsanästhesie: Injektion des Betäubungsmittels in die Nähe des Nervs, der die jeweilige Kieferhälfte versorgt.
- Intraligamentäre Anästhesie: Injektion des Betäubungsmittels direkt in den Spalt zwischen Zahn und Knochen.
Risiken und Nebenwirkungen der Lokalanästhesie
Obwohl die Lokalanästhesie in der Regel sicher ist, können in seltenen Fällen Nebenwirkungen auftreten.
- Ausfälle der Mundpartie: Eingeschränkte Beweglichkeit des Mundes aufgrund der Betäubung.
- Eingeschränkte Verkehrstüchtigkeit: Vorübergehende Einschränkung der Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit.
- Nervenschädigung: Sehr selten, meist vorübergehend.
- Lokale Komplikationen: Schmerzende Einstichstelle, Verletzung von Blutgefäßen, Eigenverletzungen in den anästhesierten Bereichen.
- Allergische Reaktionen: In seltenen Fällen können allergische Reaktionen bis hin zu einem anaphylaktischen Schock auftreten.
Alternativen zur Lokalanästhesie
Für Angstpatienten oder bei umfangreichen Eingriffen gibt es Alternativen zur Lokalanästhesie.
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- Sedierung: Der Patient befindet sich in einem Zustand tiefer Entspannung, ist aber ansprechbar.
- Vollnarkose: Der Patient ist bewusstlos und wird künstlich beatmet.
- Lachgas: Wirkt angstlösend und entspannend.
- Hypnose: Versetzt den Patienten in einen Trance-Zustand.
Rechtliche Aspekte
Im Falle einer Nervverletzung ist es wichtig, die rechtlichen Aspekte zu berücksichtigen.
- Aufklärungspflicht: Der Zahnarzt ist verpflichtet, den Patienten vor der Behandlung über mögliche Risiken und Komplikationen aufzuklären.
- Behandlungsfehler: Wenn die Nervverletzung auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen ist, kann der Patient Schadensersatzansprüche geltend machen.
- Schmerzensgeld: Bei dauerhaften Schäden hat der Patient Anspruch auf Schmerzensgeld.