Epilepsie, oft auch als Fallsucht bekannt, manifestiert sich vielfältig. Die Symptome reichen von kaum wahrnehmbaren Vorboten bis hin zu bedrohlich wirkenden Anfällen. Viele Menschen assoziieren Epilepsie sofort mit einem dramatischen Szenario: Ein Schrei, gefolgt von Bewusstlosigkeit und heftigen Krämpfen des ganzen Körpers. Dieses Bild entspricht jedoch nur einer spezifischen Anfallsform, dem Grand-mal-Anfall, der vergleichsweise selten auftritt.
Was ist Epilepsie?
Von Epilepsie spricht man, wenn zwei oder mehr epileptische Anfälle ohne erkennbare Auslöser aufgetreten sind oder wenn nach einem Anfall Hinweise auf eine Neigung zu weiteren Anfällen vorliegen. Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) definiert einmalige Krampfanfälle als akut symptomatische Anfälle (ASA), die nicht als Teil einer epileptischen Erkrankung gelten, sondern lediglich ähnlich sind.
Bei Epilepsie sind die Nervenzellen im Gehirn entweder dauerhaft oder bei bestimmten Reizen in einem Zustand, der plötzliche Funktionsstörungen, sogenannte epileptische Anfälle, auslösen kann. Diese Anfälle entstehen durch plötzliche, synchrone Entladungen von Nervenzellen, vergleichbar mit Blitzen bei einem Gewitter. Die Entladungen können in einem begrenzten Bereich der Hirnrinde oder in beiden Hirnhälften gleichzeitig auftreten. Dies führt entweder zu immer gleichartigen Verhaltensänderungen oder zu Störungen des Befindens und des Bewusstseins.
Ein einzelner Anfall bedeutet noch keine Epilepsie. Er kann bei ausreichender Reizung des Gehirns, etwa durch Schlafentzug, Sauerstoffmangel, Fieber oder Alkoholentzug, jeden treffen. In diesem Fall spricht man von einem Gelegenheitsanfall. Fieberkrämpfe sind die häufigsten Gelegenheitsanfälle im Kleinkindalter.
Ursachen von Epilepsie
Die Ursachen für Epilepsie sind vielfältig und reichen von angeborenen, erblich bedingten Hirnschädigungen oder Syndromen über Stoffwechselstörungen bis hin zu Hirnfehlbildungen, Hirntumoren, Hirnhautentzündungen, Schädigungen der hirnversorgenden Gefäße, Schlaganfällen und Kopfverletzungen. Auch genetische Faktoren können eine Rolle spielen.
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- Strukturelle Veränderungen: Schlaganfälle oder Verletzungen können dauerhafte Veränderungen im Gehirn verursachen, die wiederholt epileptische Anfälle auslösen.
- Infektionen: Hirnhautentzündungen können zu chronischen Veränderungen im Gehirn führen.
- Stoffwechselstörungen: Diese können ebenfalls Epilepsie verursachen.
- Genetische Faktoren: Neuere Untersuchungen zeigen, dass es auch genetische Risikofaktoren für die Entwicklung einer Epilepsie gibt.
- Unbekannte Ursachen: In vielen Fällen ist die genaue Ursache jedoch unbekannt.
Symptome und Anfallsformen
Die Symptome einer Epilepsie können sehr unterschiedlich sein. Einige Anfälle werden von den Betroffenen und ihren Angehörigen kaum wahrgenommen, während andere zu Bewusstlosigkeit, Muskelkrämpfen, Stürzen und Zittern führen können. Auch Störungen des Geruchssinns, Halluzinationen, Wutausbrüche, Migräne und Übelkeit können auftreten. Manche Patienten springen plötzlich auf, werfen Stühle um oder rennen unkontrolliert umher, ohne sich später daran erinnern zu können.
Fokale Anfälle
Fokale Anfälle, auch partielle oder lokalisationsbezogene epileptische Anfälle genannt, gehen immer von einem bestimmten Bereich des Gehirns aus und betreffen in der Regel nur eine Gehirnhälfte. Man unterscheidet fokale Anfälle mit und ohne Bewusstseinseinschränkung.
- Fokale Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung: Der Patient nimmt den Anfall bewusst wahr und kann sich später daran erinnern.
- Fokale Anfälle mit Bewusstseinseinschränkung: Der Patient nimmt den Anfall nicht bewusst wahr und kann sich später an nichts erinnern. Bei Erwachsenen ist dies die am häufigsten beobachtete Anfallsform.
Die Symptome fokaler Anfälle richten sich nach dem Ursprungsort im Gehirn. Häufige Anfallsformen sind vegetative fokale Anfälle, plötzliche Angst, Wut oder Halluzinationen. Die Sinneswahrnehmung kann ebenfalls gestört sein, sodass Betroffene Blitze sehen, Geräusche oder Stimmen hören, einen komischen Geschmack im Mund haben, etwas Merkwürdiges riechen oder Temperatur-Missempfindungen, Kribbeln oder Lähmungserscheinungen spüren. Fokale Anfälle mit Bewusstseinsverlust sind häufig durch Automatismen geprägt, bei denen Patienten bestimmte Handlungsmuster wiederholen.
Generalisierte Anfälle
Bei generalisierten Anfällen lässt sich keine bestimmte Hirnregion zuordnen, in der der epileptische Anfall entsteht. Während eines Anfalls kann die Ausbreitung unterschiedlich verlaufen und das gesamte Hirnareal betreffen. Zu den generalisierten Anfällen gehören:
- Absencen: Plötzliche Bewusstseinsstörung, bei der der Patient seine momentane Tätigkeit für die Dauer des Anfalls unterbricht und ins Leere starrt. Diese Anfälle können mehrere Sekunden dauern und sich stark gehäuft über den Tag wiederholen. Betroffene können sich an den Anfall nicht erinnern und fahren mit ihrer Tätigkeit nach dem Anfall wieder fort. Absencen sind eine häufige Epilepsie-Form des Kindesalters und werden zunächst meist als Unkonzentriertheit oder Träumerei missinterpretiert.
- Myoklonische Anfälle: Kurze Muskelzuckungen ohne Bewusstseinsstörungen.
- Tonisch-klonische Anfälle (Grand-mal-Anfälle): Die Anfallsform, die am häufigsten mit der Krankheit Epilepsie in Verbindung gebracht wird. Die Symptome äußern sich meist in einem initialen Schrei des Betroffenen, gefolgt von einer Anspannung der Körpermuskulatur, die dann in Zuckungen des Körpers übergeht. Ferner kommt es zu einem Bewusstseinsverlust, sodass sich der Patient im Nachhinein nicht mehr an den Anfall erinnern kann. Auch die Blaufärbung der Lippen ist typisch.
- Atonische Anfälle: Verlust der Muskelkraft.
Weitere Anzeichen und Symptome
- Aura: Ein Anfallsvorgefühl, das sich z.B. als aufsteigendes Unwohlsein, Sprachstörung, Schwindel oder Gedächtnisstörung zeigen kann. Manchmal ist die Aura das einzige spürbare Zeichen eines epileptischen Anfalls.
- Prodrom: Vorboten, die sich durch Kopfschmerzen, Schwindel, Stimmungsschwankungen und erhöhte Reizbarkeit äußern können.
Diagnose
Die Diagnose von Epilepsie kann aufgrund der vielfältigen Symptome und Anfallsformen schwierig sein. Sie basiert auf einer sorgfältigen Anamnese, der Beobachtung des Anfallsgeschehens und verschiedenen technischen Untersuchungen.
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- Anamnese: Die erste und wichtigste Untersuchung ist die Befragung des Patienten und der Augenzeugen des Anfallsereignisses. Dabei werden wichtige Informationen erhoben, die manchmal schon allein eine Verdachtsdiagnose begründen können.
- EEG (Elektroenzephalographie): Durch eine Elektroenzephalographie (EEG) kann die Bereitschaft des Gehirns zu epileptischen Entladungen direkt gezeigt werden. Je schneller nach einem Anfall eine EEG durchgeführt wird, umso höher die Chancen, Epilepsiepotentiale aufzuzeichnen.
- MRT (Magnetresonanztomographie): In der Magnetresonanztomographie des Gehirns werden die Bilder durch starke Magnetfelder erzeugt. Für spezielle Fragestellungen steht die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) zur Verfügung.
- Liquordiagnostik: Die Hirnwasser-Entnahme (Liquordiagnostik) wird immer bei Verdacht auf ein akut entzündliches Geschehen (z.B. Gehirnentzündung) durchgeführt.
- Neuropsychologische Tests: Einbußen in Gedächtnis und Konzentration durch die individuelle Behandlung können erfasst und im Verlauf kontrolliert werden.
- Videodokumentation: Im Zeitalter der Smartphones plädieren die Experten sehr dafür, dass Familienangehörige oder enge Freunde den Anfall des Betroffenen als Video aufnehmen und den behandelnden Ärzten zukommen lassen.
Behandlungsmöglichkeiten
Epilepsie ist prinzipiell eine gut behandelbare Erkrankung. Circa 60-70 Prozent der Erkrankten werden durch eine für sie passende Behandlung langfristig anfallsfrei. Nach dem ersten Anfall kann, nach mehreren Anfällen sollte eine Therapie der Epilepsie begonnen werden.
Akutbehandlung beim Anfall
Ein epileptischer Anfall ist normalerweise nach ca. 2-3 Minuten beendet und bedarf keiner Notfallmedikation. Dauert er länger, ist in jedem Fall professionelle Hilfe erforderlich. Als Außenstehender ist es zunächst wichtig, Ruhe zu bewahren und den Patienten zu "sichern". Krampflösende Medikamente aus der Gruppe der Benzodiazepine werden zur Unterbrechung eines länger dauernden Anfalls oder einer Anfallsserie durch den Notarzt eingesetzt.
Medikamentöse Behandlung
Antiepileptika (Medikamente gegen Epilepsie) wirken nicht anti-epileptisch im eigentlichen Sinne, sondern sind "nur" Anfallsblocker und sorgen dafür, dass die Krampfschwelle des Gehirns nicht mehr so niedrig ist wie im unbehandelten Zustand. Setzt man sie ab, sind im Allgemeinen erneut Anfälle zu erwarten. Daher ist es oft lebenswichtig, Medikamente nur in Absprache mit dem behandelnden Neurologen um- oder abzusetzen.
Neurostimulation
- Vagusnervstimulation (VNS): Die Vagusnervstimulation beruht auf der regelmäßigen Reizung des linken Vagusnervs, die über einen implantierten Generator standardisiert alle 5 Minuten für 30 Sekunden abgegeben und ins Gehirn weitergeleitet wird, wo epileptische Aktivität regional unterdrückt werden kann.
- Tiefe Hirnstimulation: Dabei werden Elektroden in bestimmten Hirnbereichen operativ eingepflanzt, die regelmäßig elektrische Impulse aussenden und damit eine Verbesserung der Anfallssituation erzielen können.
- Transcutane Vagusnervstimulation (T-VNS): Diese Methode beruht auf der äußeren Reizung eines Nerves, der die Ohrmuschel versorgt und ein Teilast des "Vagusnerven" ist.
Epilepsiechirurgie
Bei schwer von Epilepsie Betroffenen kann im Rahmen eines stationären Aufenthaltes in einem Epilepsiezentrum geklärt werden, ob ein operativer Eingriff zur Behandlung der Epilepsie möglich ist und mit welchen Chancen auf Heilung oder Besserung der Symptome, aber auch mit welchen Risiken (Sprachstörungen, Lähmungen, usw.) zu rechnen ist. Ziel der Operation ist, den Epilepsieherd vollständig zu entfernen, ohne wichtige Gehirnfunktionen zu schädigen.
Ketogene Ernährung
Besonders Kindern und Jugendlichen mit Epilepsie kann eine ketogene Ernährung helfen. Dabei werden viele Fette und sehr wenige Kohlenhydrate konsumiert.
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Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall
Während eines Anfalls können Anwesende eine weiche Unterlage unter den Kopf legen und harte Gegenstände aus der Umgebung entfernen. Die Person sollte während des Anfalls nicht festgehalten werden. Nach dem Anfall sollte die Person in die stabile Seitenlage gebracht werden. Wenn bei der Person keine Epilepsie vorbekannt ist, sollte der Rettungsdienst gerufen werden (112), auch wenn der Anfall vorbei ist. Anfälle über 5 Minuten gelten als Notfall - rufen Sie den Rettungsdienst! Bei zwei Anfällen in kurzer Zeit ohne zwischenzeitige Erholung müssen Sie ebenfalls den Notruf wählen!
Auswirkungen auf den Alltag
Die Diagnose der Erkrankung Epilepsie hat oft weit reichende Folgen für das alltägliche Leben:
- Die Berufswahl kann eingeschränkt sein.
- Die Mobilität mit dem PKW ist durch zunächst begrenztes Fahrverbot erst einmal aufgehoben.
- Ein Kinderwunsch muss nun - hauptsächlich aufgrund der eventuell notwendigen Medikation - geplant werden.
- Begleiterkrankungen, wie Depressionen, Angststörungen oder Gedächtnisstörungen sind bei Epilepsie häufig.
Leben mit Epilepsie
Epilepsie ist eine große Belastung im Beruf und im Privatleben. Da jeder Anfall ein Risiko birgt und es unmöglich ist, Anfälle vorherzusagen, führt Epilepsie zu großer Verunsicherung. Aus Angst und Scham ziehen sich Betroffene zurück. Es ist wichtig, sich umfassend über die Erkrankung zu informieren und sich Unterstützung zu suchen.
- Regelmäßiger Schlaf: Schlafmangel kann Anfälle auslösen.
- Alkohol vermeiden: Alkohol kann ebenfalls Anfälle auslösen.
- Medikamente: Die konsequente Einnahme der Medikamente ist wichtig, um Anfälle zu verhindern.
- Beratung: Eine besondere Beratung und Aufklärung zu vielfältigen Themenkreisen ist notwendig, z. B. Erste Hilfe, Auslöser von Anfällen, Risiken im Alltag, Mobilität, Reisefähigkeit, Behandlung, Beruf, Sexualität, Begleiterkrankungen, usw.