Einführung
Die Vorstellung, dass abgestorbene Gehirnzellen nicht regenerieren können, ist weit verbreitet. Doch die aktuelle Forschung zeigt ein differenzierteres Bild. Während Schäden im Gehirn und Rückenmark oft als irreparabel galten, gibt es zunehmend Hinweise darauf, dass das Nervengewebe in gewissem Umfang zur Selbstheilung fähig ist und dass neue Therapieansätze die Regeneration von Nervenzellen unterstützen könnten. Dieser Artikel beleuchtet die neuesten Forschungsergebnisse und Therapieansätze zur Regeneration von Gehirnzellen.
Neuronale Stammzellen und Neurogenese im Erwachsenenalter
Lange Zeit ging man davon aus, dass die Anzahl der Nervenzellen, die ein Mensch bei der Geburt besitzt, für das gesamte Leben ausreichen muss. Diese Annahme hat sich jedoch als unzutreffend erwiesen. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass auch im erwachsenen Gehirn neue Nervenzellen gebildet werden können. Dieser Prozess wird als adulte Neurogenese bezeichnet.
Professorin Magdalena Götz hat maßgeblich zu dieser Erkenntnis beigetragen. Ihre Forschung hat gezeigt, dass es im Gehirn bestimmte Bereiche gibt, in denen sogenannte adulte Stammzellen entstehen. Diese Stammzellen können sich zu vollwertigen Neuronen entwickeln und in das neuronale Netzwerk integriert werden. Die adulte Neurogenese findet vor allem im Hippocampus statt, einem Bereich des Gehirns, der für Lern- und Gedächtnisvorgänge wichtig ist, sowie im Bulbus olfactorius, der für die Geruchswahrnehmung zuständig ist.
Die Rolle von Gliazellen
Neben Neuronen spielen auch Gliazellen eine entscheidende Rolle im Nervensystem. Gliazellen sind Stützzellen des Nervengewebes und haben eine schützende Funktion. Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Gliazellen die Zellteilung wieder aufnehmen und so das Eindringen von Immunzellen bei Hirnschäden verhindern können.
Wissenschaftler um Prof. Magdalena Götz haben gezeigt, dass Astrozyten, eine bestimmte Art von Gliazellen, sich in erwachsenen menschlichen Gehirnen vermehren und neuronale Stammzelleigenschaften erwerben können, sobald die Blut-Hirn-Schranke krankheitsbedingt beschädigt wurde. Diese Plastizität der Astrozyten ist eng mit der Hochregulierung des Proteins Galectin 3 verbunden.
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Forschungserfolge bei der Zellersatztherapie
Ein vielversprechender Ansatz zur Regeneration von Gehirnzellen ist die Zellersatztherapie. Bei diesem Verfahren werden kranke oder abgestorbene Nervenzellen durch neue, gesunde Zellen ersetzt.
Forschern aus Luxemburg und Münster ist es erstmals gelungen, aus Hautzellen erzeugte Nervenzellen langfristig stabil in das Gehirn von Mäusen zu integrieren. Sechs Monate nach der Implantation waren die Nervenzellen voll funktionsfähig in das Gehirn integriert. Die behandelten Mäuse zeigten keine nachteiligen Nebenwirkungen. Die implantierten Nervenzellen waren in das komplexe Netzwerk des Gehirns voll integriert, zeigten normale Aktivität und waren mit den ursprünglichen Gehirnzellen über neu ausgebildete Synapsen verbunden.
Prof. Dr. Jens Schwamborn betont, dass Therapieerfolge beim Menschen noch Zukunftsmusik sind, aber er ist sich sicher, dass es erfolgreiche Zellersatztherapien geben wird. Die aktuellen Forschungsergebnisse sind ein weiterer Schritt in diese Richtung. In Zukunft sollen implantierte Nervenzellen das fehlende Dopamin direkt im Gehirn von Parkinson-Patienten erzeugen und an die richtigen Stellen transportieren. So könnte es zu einer echten Heilung kommen, die bis heute nicht möglich ist.
Axonales Wachstum und Regeneration
Ein weiterer wichtiger Forschungsbereich ist die Untersuchung des axonalen Wachstums und der Regeneration. Axone sind die langen Verbindungskabel zwischen den Nervenzellen. Werden Axone im Gehirn oder Rückenmark verletzt, wachsen sie normalerweise nicht wieder nach.
Wissenschaftler der Selbstständigen Nachwuchsgruppe „Axonales Wachstum und Regeneration“ am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried untersuchen, warum sich Nervenzellen verschiedener Körperbereiche darin unterscheiden, wie gut sie sich von einer Verletzung wieder erholen. Sie haben herausgefunden, dass die Stabilisierung zellinterner Protein-Röhrchen, der Mikrotubuli, eine wichtige Bedeutung beim Wachsen dieser Zellen zukommt.
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Die Forscher konnten zeigen, dass durch Zugabe des Wirkstoffs Paclitaxel die Mikrotubuli stabilisiert werden können, wodurch verletzte Nervenzellen des Zentralen Nervensystems wieder auswachsen können, selbst wenn zur Umgebung der Nervenzelle wachstumshemmende Substanzen aus dem Zentralen Nervensystem zugegeben werden.
Einschränkungen und Herausforderungen
Trotz der vielversprechenden Forschungsergebnisse gibt es noch viele Herausforderungen zu bewältigen. Die Entwicklung von Therapien zur Regeneration von Gehirnzellen ist sehr komplex. Damit eine Nervenzelle regenerieren kann, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein:
- Der Zellkörper der Nervenzelle muss am Leben erhalten werden.
- Proteine müssen produziert werden, damit das Axon wieder wachsen kann.
- Wachstumshemmende Faktoren müssen beseitigt werden.
- Die Axone müssen ihr ursprüngliches Zielgebiet wiederfinden.
- Es müssen stabile Synapsen ausgebildet werden.
- Die Axone müssen myelinisiert werden.
Ein weiteres Problem ist, dass im Labor getestete Verfahren nicht immer problemlos auf den Menschen übertragen werden können.
Kompensationsmechanismen des Gehirns
Das Gehirn besitzt bemerkenswerte Fähigkeiten zur Kompensation von Schäden. Nach einem Schlaganfall bildet die gesunde Seite des Gehirns oft neue Verknüpfungen in den geschädigten Teil aus, wodurch ein Teil der verlorengegangenen Funktion kompensiert werden kann. Derartige Prozesse zu unterstützen, könnte ein schneller umsetzbarer Therapieansatz sein.
Transkranielle Pulsstimulation (TPS)
Ein neuer Therapieansatz zur Behandlung von Erkrankungen des zentralen Nervensystems ist die Transkranielle Pulsstimulation (TPS). Bei diesem Verfahren werden Stoßwellen über einen Hand-Applikator nicht-invasiv durch die Schädeldecke hindurch in das Gehirngewebe übertragen.
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Die TPS aktiviert Stoffwechselprozesse an den synaptischen Schaltstellen der Nervenzellen und stimuliert so die Bildung neuer Synapsen und die Ausschüttung von Wachstumsfaktoren. Darüber hinaus verbessert die TPS die Gehirndurchblutung und fördert die Nervenregeneration.
Beeinflussung der synaptischen Übertragung
Eine im Fachjournal „Neuron“ veröffentlichte Studie von Forschenden des DZNE liefert Hinweise darauf, dass die Unfähigkeit von Nervenzellen des zentralen Nervensystems zur Regeneration eng mit der Eigenschaft der Nervenzellen zusammenhängt, miteinander zu kommunizieren.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass zwei Proteine, die für die synaptische Übertragung zwischen Nervenzellen entscheidend sind, das Auswachsen von Zellfortsätzen verhindern. Experimente zeigten, dass die Aktivierung und Deaktivierung dieser Proteine die Regeneration von Nervenzellen hemmen.
Untersuchungen an Mäusen mit einer Rückenmarksläsion ergaben, dass die Behandlung mit dem Medikament Baclofen, das die Erregbarkeit von Nervenzellen und die synaptische Übertragung verringert, Wachstum und Regeneration von Axonen im verletzten Rückenmark anregte.
Bedeutung von Lebensstil und Gehirntraining
Neben den genannten Therapieansätzen spielen auch der Lebensstil und das Gehirntraining eine wichtige Rolle für die Gesundheit des Gehirns und die Regeneration von Nervenzellen.
Regelmäßige körperliche Aktivität, eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf und der Verzicht auf schädliche Substanzen wie Alkohol und Nikotin können die Gesundheit des Gehirns fördern und die Neubildung von Nervenzellen unterstützen.
Gehirntraining ist eine wissenschaftlich anerkannte Methode, um die Intelligenz und die mentalen Fähigkeiten dauerhaft zu verbessern. Durch gezielte Übungen können neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen aufgebaut und die Leistungsfähigkeit des Gehirns gesteigert werden.
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