Das autonome Nervensystem (ANS), auch als vegetatives Nervensystem bezeichnet, ist ein komplexes Netzwerk, das lebenswichtige Körperfunktionen steuert, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Es reguliert Prozesse wie Herzschlag, Atmung, Verdauung, Stoffwechsel und die Funktion exokriner Drüsen. Dieses System ermöglicht es uns, uns auf bewusste Aktivitäten zu konzentrieren, während es im Hintergrund die Homöostase aufrechterhält.
Aufbau des Nervensystems
Um die Funktion des autonomen Nervensystems vollständig zu verstehen, ist es hilfreich, zunächst den Aufbau des gesamten Nervensystems zu betrachten. Das Nervensystem besteht aus Abermilliarden von Nervenzellen, den Neuronen, die miteinander kommunizieren und Informationen verarbeiten. Allein im Gehirn gibt es davon rund 100 Milliarden. Jedes Neuron hat unterschiedliche faserartige Fortsätze: zum einen die Dendriten, mehrere kurze Fortsätze, mit denen die Nervenzelle Signale empfängt, und zum anderen das Axon, das Signale weiterleitet und auch mal über einen Meter lang sein kann. Die Kontaktpunkte zwischen Dendriten und Axonen sind die Synapsen.
Man unterscheidet zwischen dem zentralen Nervensystem (ZNS) und dem peripheren Nervensystem (PNS). Das ZNS besteht aus dem Gehirn und dem Rückenmark, während das PNS alle anderen Nervenbahnen im Körper umfasst. Das willkürliche oder somatische Nervensystem lenkt Vorgänge im Körper, die wir bewusst über unseren Willen beeinflussen: Aktionen wie Greifen, Laufen, Sprechen oder das Lesen dieses Artikels. Das unwillkürliche, auch autonome oder vegetative Nervensystem ist für Prozesse verantwortlich, die unabhängig von unserem Willen ablaufen. Es kontrolliert Organfunktionen, die wir nicht bewusst steuern, etwa von Leber oder Darm. Damit steuert es lebenswichtige Körperfunktionen wie Verdauung, Stoffwechsel, Herzschlag und Atmung.
Die Komponenten des autonomen Nervensystems
Das autonome Nervensystem besteht aus drei Hauptkomponenten:
- Sympathisches Nervensystem (Sympathikus): Bereitet den Körper auf Aktivität und Stress vor ("Kampf-oder-Flucht"-Reaktion).
- Parasympathisches Nervensystem (Parasympathikus): Fördert Ruhe, Entspannung und die Verdauung ("Ruhe-und-Verdauung"-Reaktion).
- Enterisches Nervensystem: Reguliert die Funktion des Magen-Darm-Trakts weitgehend unabhängig.
Sympathikus und Parasympathikus werden oft als Gegenspieler bezeichnet. Einfach ausgedrückt: Das sympathische Nervensystem reguliert die Organfunktionen in Stresssituationen oder bei Aktivität und das parasympathische Nervensystem in Entspannungsphasen.
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Sympathikus: Aktivierung für Leistung und Stress
Der Sympathikus stimuliert den Körper, um in Stresssituationen oder bei erhöhter Aktivität optimal zu funktionieren. Er erhöht Herzschlag und Atemtätigkeit, verbessert die Durchblutung und steigert so die körperliche Leistungsfähigkeit. Gleichzeitig hemmt er Prozesse wie die Verdauung, die in solchen Situationen nicht prioritär sind. Die sympathischen Nervenzellen befinden sich im Rückenmark im mittleren Bereich der Wirbelsäule. Von hier gehen Signale an die sogenannten Ganglien aus. Ganglien sind Anhäufungen von Nervenzellkörpern im peripheren Nervensystem. Die Ganglien sind außerdem über Axone mit den inneren Organen verbunden. Die meisten sympathischen Ganglien befinden sich in der Nähe des Rückenmarks. Viele von ihnen verbinden sich zu einem Ganglienstrang, der parallel zum Rückenmark verläuft.
Parasympathikus: Ruhe und Regeneration
Der Parasympathikus ist für die Erholung und Regeneration des Körpers zuständig. Er verlangsamt den Herzschlag, beruhigt die Atmung und fördert die Verdauung. Die parasympathischen Nervenzellen befinden sich im oberen und unteren Bereich des Rückenmarks. Die parasympathischen Nervenzellen werden hingegen erst kurz vor den Zielorganen über Ganglien zusammengeschaltet. Ein wichtiger Bestandteil des Parasympathikus ist der Vagusnerv (X. Hirnnerv), der eine Vielzahl von Organen im Brust- und Bauchraum innerviert.
Enterisches Nervensystem: Autonomie des Darms
Das enterische Nervensystem, oft als "Bauchhirn" bezeichnet, ist ein komplexes Netzwerk von Nervenzellen in der Darmwand. Es reguliert die Verdauungsprozesse weitgehend unabhängig vom Gehirn und Rückenmark. Es besteht aus einem Nervengeflecht in der Darmwand und reguliert den Darm weitgehend unabhängig.
Neurotransmitter: Die chemischen Botenstoffe
Um Signale übertragen zu können und die Organe zu verstärkter oder verminderter Aktivität anzuregen, sind chemische Botenstoffe notwendig: sogenannte Neurotransmitter. Die wichtigsten Transmitter bei der Kommunikation von Sympathikus, Parasympathikus und Organen sind Acetylcholin und Noradrenalin. Letzteres wirkt stimulierend und Acetylcholin überwiegend hemmend. Acetylcholin spielt bei der parasympathischen Signalübertragung die Hauptrolle. Es kommt zwar auch bei der Kommunikation in den sympathischen Ganglien zum Einsatz, für die Signalübertragung an die Organe setzen aber die meisten sympathischen Fasern Noradrenalin frei.
Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus
Beim Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus geht es darum, dass immer diejenigen Körperfunktionen Vorrang erhalten, deren Aktivität in einer jeweiligen Situation am sinnvollsten ist. Die beiden Systeme wirken also nicht unbedingt entgegengesetzt, sondern können sich in manchen Funktionen ergänzen. Sie arbeiten zusammen, um den Körper im Gleichgewicht zu halten. Der Sympathikus übernimmt so lange die Führung, wie es nötig ist, um eine Stresssituation zu meistern. Dann schaltet sich das parasympathische Nervensystem ein und führt den Organismus in den „Normalbetrieb“ zurück.
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Störungen des autonomen Nervensystems
Eine Störung des vegetativen Nervensystems gefährdet den ordnungsgemäßen Ablauf lebenswichtiger körperlicher Prozesse. Bei Schädigung der Nerven oder des Gehirns kann es daher zu Störungen des vegetativen Nervensystems kommen. In vielen Fällen lässt sich bei einer Störung des vegetativen Nervensystems keine konkrete Ursache ausmachen. Mögliche auslösende Krankheiten sind:
- Diabetes mellitus: Ein unbehandelter oder schlecht eingestellter Diabetes mellitus kann das Nervensystem schädigen.
- Verletzungen vor allem in der Nähe des Rückenmarks, bei denen Verbindungen im Nervensystem beschädigt werden können
- Horner-Syndrom, eine Störung des Sympathikusanteils, der unter anderem die Augen nervlich anbindet
- Tumor des Nebennierenmarks (Phäochromozytom), wodurch zu viele Neurotransmitter freigesetzt werden, die zu einer kaum zu senkenden Erhöhung des Blutdrucks führen
- virale oder bakterielle Infektionen
- Multisystematrophie, eine Erkrankung, die viele Systeme betrifft, darunter auch das autonome Nervensystem
- genetisch bedingte oder erworbene Erkrankungen wie Amyloidose
Auch eine unausgewogene Ernährung und übermäßiger Alkoholkonsum können das Gleichgewicht von Sympathikus und Parasympathikus beeinträchtigen.
Symptome einer vegetativen Störung
Eindeutige Krankheitszeichen bei Problemen mit dem vegetativen Nervensystem gibt es nicht. Liegt eine andere Erkrankung zugrunde, wird diese behandelt. Wenn keine Grunderkrankung ausgemacht werden kann oder diese nicht heilbar ist, konzentriert sich die Behandlung auf die Symptomlinderung. Erkrankungen des zentralen Nervensystems, wie z. B. Multisystematrophie oder multiple Sklerose, aber auch Polyneuropathien bei Diabetes mellitus, Amyloidose, Porphyrie oder Urämie, Guillain-Barré-Syndrom oder hereditären Neuropathien, gehen mit Störungen des autonomen Nervensystems einher, die sich in orthostatischer Hypotension, Hitzeintoleranz, Störungen der Schweißsekretion, Durchfällen oder Verstopfung, Inkontinenz, erektiler Dysfunktion, Akkommodations- oder Pupillenstörungen äußern können.
Diagnostik von autonomen Funktionsstörungen
Zur Diagnostik von autonomen Funktionsstörungen stehen verschiedene Testverfahren zur Verfügung, die meist als Testbatterie im Rahmen der neurophysiologischen Diagnostik durchgeführt werden. Diese Tests umfassen:
- Blutdruckverhalten beim Aufstehen (Orthostasebelastung): Misst die Reaktion des Blutdrucks auf das Aufstehen. Eine orthostatische Hypotension (Abnahme des systolischen Blutdrucks um >20 mmHg über 3 min) kann auf eine autonome Dysregulation hinweisen.
- Blutdruckverhalten bei anhaltendem Faustschluss: Untersucht die Blutdruckreaktion bei statischer Muskelarbeit.
- Sympathische Hautantwort (SSR): Misst die elektrische Aktivität der Haut als Reaktion auf einen Reiz.
- Thermoregulatorischer Schweißtest nach Minor:Visualisiert die Schweißsekretion auf der Hautoberfläche. Anhidrotische Bezirke (Bereiche ohne Schweißproduktion) bleiben ohne Farbreaktion.
- Ninhydrintest nach Moberg:Detektiert Aminosäuren im Schweiß.
Es ist wichtig zu beachten, dass vor der Diagnosestellung einer Erkrankung des autonomen Nervensystems internistische Ursachen einer autonomen Störung, wie z. B. Hypovolämie nach Dehydratation, rezidivierendem Erbrechen o. Ä., Thyreotoxikose, Nebenniereninsuffizienz etc., ausgeschlossen werden müssen.
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