Albuminquotient Liquor Multiple Sklerose: Ein umfassender Überblick

Die Multiple Sklerose (MS), auch Enzephalomyelitis disseminata genannt, ist eine häufige neurologische Erkrankung, deren Pathogenese noch nicht vollständig geklärt ist. In den letzten Jahren wurden jedoch bedeutende Fortschritte in der medikamentösen Behandlung erzielt. Bei der Diagnosestellung spielen Laboruntersuchungen von Liquor und Serum eine entscheidende Rolle. Diese sollten immer parallel durchgeführt werden, um zusammen mit klinischen und bildgebenden Verfahren eine sichere Diagnose in frühen Stadien zu ermöglichen.

Bedeutung der Liquordiagnostik

Die Analyse des Liquor cerebrospinalis ist ein essenzieller Bestandteil bei der Diagnose einer Vielzahl neurologischer Erkrankungen. Sie kann bei Verdacht auf Meningitis, Multiple Sklerose, Blutungen oder Meningeosis carcinomatosa die Therapieentscheidung maßgeblich beeinflussen. Die Liquordiagnostik ist wegweisend bei Infektionen oder autoimmunen Entzündungen des zentralen Nervensystems (ZNS), bei neoplastischer Infiltration der Hirnhäute, zum Nachweis von Abräumreaktionen nach Blutungen in den Subarachnoidalraum oder in die Hirnventrikel sowie zur Früh- und Differenzialdiagnostik neurodegenerativer Erkrankungen.

Stufen der Liquoranalytik

Die Liquoranalytik umfasst ein dreiteiliges Stufenprogramm:

  1. Zellprofil: Beurteilung der Zellzahl und -differenzierung.
  2. Laktat und Glukose: Bestimmung von Liquorlaktat und -glukose zur Beurteilung von Stoffwechselprozessen im ZNS.
  3. Proteinprofil: Analyse der Proteinkonzentrationen, einschließlich Albumin und Immunglobuline, zur Beurteilung der Blut-Liquor-Schrankenfunktion und intrathekalen Immunglobulinsynthese.

Präanalytische Aspekte

Um zuverlässige Ergebnisse zu gewährleisten, sind bei der Liquoranalytik einige präanalytische Aspekte zu beachten:

  • Der Liquor muss zeitnah (innerhalb von 2 Stunden nach der Lumbalpunktion) untersucht werden, um die Zellzahl korrekt zu bestimmen und zytologische Präparate anzufertigen.
  • Liquor und Serum sollten stets gemeinsam und zeitnah entnommen werden, da die Proteinkonzentrationen im Liquor von den Serumkonzentrationen abhängen.
  • Nach Plasmapherese oder Therapie mit hoch dosierten Immunglobulinen (IVIG) sollte eine Liquoranalyse frühestens nach 48 Stunden erfolgen, um unplausible Proteinbefunde zu vermeiden.

Typisches Untersuchungsprogramm bei MS

Das typische Untersuchungsprogramm bei Verdacht auf MS umfasst:

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  • Zellzahl und Gesamteiweiß im Liquor
  • Quotientendiagramme für Albumin, IgG, IgA und IgM (Reiber-Schema)
  • Oligoklonale IgG-Banden in Liquor und Serum
  • Erfassung einer polyspezifischen, intrathekalen Immunglobulinsynthese durch die MRZ-Reaktion (Masern-, Röteln- und Zoster-Antikörperindex)
  • Ausschluss einer Neuroborreliose durch den Borrelien-Antikörperindex, ggf. ergänzt durch Immunoblots in Liquor und Serum

Quotientendiagramme nach Reiber

Die Quotientendiagramme nach Reiber dienen der Beurteilung der Blut-Liquor-Schrankenfunktion (QAlb) und einer möglichen intrathekalen Produktion von Immunglobulinen (QIgG, QIgA, QIgM). Die Quotientenbildung normiert die von den Serumkonzentrationen abhängige Diffusion der Proteine in den Liquor. Die vergleichende Analyse der Liquor-/Serumquotienten für die Immunglobulinklassen erlaubt eine quantitative Aussage darüber, ob sich mehr IgG, IgA oder IgM im Liquor befindet, als durch reine Diffusion zu erwarten wäre. Ist dies der Fall, liegt eine intrathekale Ig-Produktion vor, die einen entzündlichen Prozess im ZNS nachweist.

Oligoklonale Banden (OB)

Oligoklonale IgG-Banden (OKB) treten unspezifisch bei subakuten und chronischen Entzündungen des ZNS als Ausdruck einer oligoklonalen B-Zell-Aktivierung auf. Der qualitative Nachweis liquorspezifischer OKB mittels isoelektrischer Fokussierung weist mit höherer Empfindlichkeit das Vorliegen einer intrathekalen IgG-Synthese nach als die auf quantitativen Messungen basierenden Quotientendiagramme. Ein OKB-Muster liegt vor, wenn in parallelen Liquor-/Serumproben ≥ 2 Banden im Liquor, aber nicht im Serum (Typ-2-Muster) oder ≥ 2 liquorspezifische Banden zusätzlich zu identischen Banden in Liquor und Serum (Typ-3-Muster) zur Darstellung kommen.

MRZ-Reaktion

Die MRZ-Reaktion (intrathekale Synthese von mindestens zwei erregerspezifischen IgG-Antworten gegen Masern-, Röteln-, Varizella-Zoster-Virus) ist hochspezifisch für die MS und weist die für diese Erkrankung typische polyklonale und unter anderem polyvirale B-Zell-Aktivierung nach.

Albuminquotient (QAlb) im Detail

Der Albuminquotient (QAlb) ist ein zentraler Parameter zur Beurteilung der Blut-Liquor-Schrankenfunktion. Albumin wird ausschließlich in der Leber produziert und gelangt nur aus dem Blut in den Liquor. Daher dient QAlb als Maß für die Integrität der Blut-Liquor-Schranke.

Berechnung und Interpretation

QAlb wird berechnet als Quotient aus der Albuminkonzentration im Liquor und der Albuminkonzentration im Serum:

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QAlb = Albumin (Liquor) / Albumin (Serum)

Die Interpretation von QAlb erfolgt unter Berücksichtigung des Alters des Patienten, da der Liquorfluss altersabhängig ist. Bei Erwachsenen nimmt der Liquorfluss stetig ab, wodurch der Albuminquotient steigt.

Referenzwerte und Schrankenstörungen

Die Referenzwerte für QAlb sind altersabhängig. Eine schwere Schrankenstörung (> 20 x 10^-3 bei Erwachsenen) deutet auf eine akute entzündliche Erkrankung hin.

QAlb bei Multipler Sklerose

Bei Multipler Sklerose liegt typischerweise eine leichtgradige Erhöhung von QAlb vor (QAlb < 10 x 10^-3).

Oligoklonale Banden-negative MS

Obwohl oligoklonale Banden (OB) bei 95-100 % der Patienten mit klinisch eindeutiger MS nachweisbar sind, gibt es eineSubgruppe von OB-negativen MS-Patienten. Die Datenlage zu OB-negativer MS ist jedoch begrenzt und nicht immer eindeutig.

Herausforderungen bei der Diagnose

Die Diagnose einer OB-negativen MS stellt eine Herausforderung dar. Es ist wichtig, andere Ursachen für die Symptome auszuschließen und die Diagnosekriterien für MS sorgfältig anzuwenden. Bei fehlender oder nur transienter intrathekaler IgG-Synthese (Quotientendiagramm oder OKB) und/oder Zellzahl > 100/µl im akuten Schub sollte man die Diagnose MS kritisch hinterfragen und eine Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSD) oder Enzephalomyelitis mit Seropositivität für MOG-(Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein-)IgG in Betracht ziehen.

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Prognostische Bedeutung

Einige Studien deuten darauf hin, dass OB-negative MS-Patienten einen niedrigeren Behinderungsgrad und eine günstigere Prognose haben könnten. Allerdings ist die Datenlage hierzu nicht konsistent.

Einfluss von Therapie und Labormethoden

Es ist wichtig zu beachten, dass verschiedene Faktoren den Prozentsatz der MS-Patienten mit negativen OB beeinflussen können, darunter die angewandte Labormethode und die Erfahrung des durchführenden Labors. Eine unzureichende Sensitivität der Methode oder ein ungewöhnlich hoher Cut-off-Wert für die Bewertung als positiv kann zu falsch-negativen Ergebnissen führen.

Differenzialdiagnostische Aspekte

Bei der Interpretation der Liquorwerte ist es wichtig, differenzialdiagnostische Aspekte zu berücksichtigen. Eine intrathekale IgG-Synthese kann auch bei anderen Erkrankungen als MS auftreten, wie z.B.:

  • Autoimmunenzephalitiden
  • Bakterielle und virale Infektionen des ZNS
  • Neuroborreliose
  • Neoplasien des ZNS

Autoimmunenzephalitiden

Autoimmunenzephalitiden sind wichtige Differenzialdiagnosen der MS. Die Diagnose wird durch den Nachweis antineuronaler Antikörper in Serum und Liquor gesichert. Die Liquoranalytik ist diagnostisch wichtig und kann bei rasch einsetzenden und nicht fieberhaften enzephalopathischen oder demenziellen Syndromen frühzeitig den Verdacht auf eine Autoimmunenzephalitis lenken.

Bakterielle und virale Infektionen

Bakterielle und virale Infektionen des ZNS manifestieren sich klinisch als Meningitis oder (Meningo-)Enzephalitis. Die Liquoranalyse ist essenziell zur Differenzierung einer bakteriellen versus nichtbakteriellen Meningitis und zur Identifikation des auslösenden Erregers.

Neuroborreliose

Der Ausschluss einer Neuroborreliose ist bei der MS-Diagnostik zwingend erforderlich. Dies erfolgt durch den Borrelien-Antikörperindex, ggf. ergänzt durch Immunoblots in Liquor und Serum.

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