Das Alles-oder-Nichts-Prinzip der Nervenzelle einfach erklärt

Nervenzellen, auch Neuronen genannt, sind die grundlegenden Bausteine des Nervensystems und ermöglichen die blitzschnelle Kommunikation im Körper. Sie nehmen Informationen auf, leiten sie weiter und verarbeiten sie. Dieser Prozess ist die Grundlage für Handlungen, Gedanken und Emotionen. Die Kommunikation innerhalb einer Nervenzelle und zwischen verschiedenen Nervenzellen ist ein komplexer Vorgang, der auf elektrischen und chemischen Signalen basiert. Ein zentrales Konzept dabei ist das Alles-oder-Nichts-Prinzip, das die Entstehung und Weiterleitung von Nervenimpulsen steuert.

Aufbau und Funktion der Nervenzelle

Um das Alles-oder-Nichts-Prinzip zu verstehen, ist es hilfreich, den Aufbau einer Nervenzelle zu betrachten. Eine Nervenzelle besteht typischerweise aus drei Hauptteilen:

  • Zellkörper (Soma): Enthält den Zellkern und die Organellen, die für die Funktion der Zelle notwendig sind.
  • Dendriten: Fein verzweigte Fortsätze, die Signale von anderen Nervenzellen empfangen und zum Zellkörper weiterleiten. Sie bilden die Antennenregion der Nervenzelle.
  • Axon: Ein langer, schlanker Fortsatz, der elektrische Impulse (Aktionspotenziale) vom Zellkörper weg zu anderen Zellen leitet. Das Axon entspringt am Axonhügel.

Am Ende des Axons befinden sich die synaptischen Endknöpfchen, die über Synapsen mit anderen Nervenzellen oder Zellen in Kontakt treten. Hier werden die ankommenden elektrischen Signale in der Regel in chemische Signale umgewandelt, um die Information an die nächste Zelle weiterzugeben.

Das Ruhepotential: Der Ausgangszustand

Solange ein Neuron nicht "feuert", befindet es sich im Ruhezustand. In dieser Phase herrscht an der Außenhaut der Zelle, der Membran, eine bestimmte Spannung, das Ruhepotenzial vor. Das Ruhepotential ist der normale Spannungszustand einer Nervenzelle ohne Reiz, etwa -70 Millivolt. Dieses Ruhepotential ist entscheidend für die Fähigkeit der Nervenzelle, auf Reize zu reagieren. Es entsteht durch eine ungleiche Verteilung von Ionen (elektrisch geladenen Teilchen) innerhalb und außerhalb der Zelle. Im Ruhezustand sind mehr Kalium-Ionen im Inneren des Axons, während sich außerhalb mehr Natrium-Ionen befinden. Da Kalium-Ionen im Ruhezustand besser durch die Membran nach außen wandern können als Natrium-Ionen in die umgekehrte Richtung, herrscht an der Außenseite der Membran ein positiv geladenes Milieu, im Inneren der Zelle ein negatives. Dadurch entsteht eine Spannung über die Membran, die bei etwa -70 Millivolt liegt. Die in der Membran liegenden spannungsgesteuerten Natrium- und Kaliumkanäle sind zunächst geschlossen.

Die Entstehung eines Aktionspotentials

Die Dendriten eines Neurons empfangen Informationen von außerhalb der Nervenzelle und wandeln diese in elektrische Informationen um. Diese elektrischen Informationen werden in Form von Membranpotenzial-Änderungen, also in Form von Depolarisierungen oder Hyperpolarisierungen, zum Soma der Nervenzelle weitergeleitet.

Lesen Sie auch: Ursachen, Symptome und Behandlung von Demenz

Ein am Axonhügel eines Neurons ankommender Reiz erhöht die Spannung an der Zellmembran. Nur wenn dieser Reiz die Spannung über einen Schwellenwert von etwa -50 mV erhöht, wird ein Aktionspotential ausgelöst.

Phasen des Aktionspotentials

Wird das Ruhepotential durch einen Reiz „gestört“, bildet sich ein Aktionspotential (AP) aus. Diese Störungen oder Änderungen werden durch das Öffnen und Schließen von spannungsabhängigen Ionenkanälen erzeugt. Eine spontane Ladungsumkehr wird als Aktionspotential (AP) bezeichnet.

Die Phasen des Aktionspotentials gehen fließend ineinander über. Während des Ruhepotentials sind alle spannungsabhängigen Ionenkanäle geschlossen. Ein Reiz führt zur Öffnung spannungsabhängiger Natrium-Kanäle und zur Depolarisation der Membran. Überschreitet diese den Schwellenwert, so führt dies zur Öffnung weiterer Na+-Kanäle und das Aktionspotential steigt rasch an. Die spannungsabhängigen Na+-Kanäle schließen sich nun, wobei sich die K+-Kanäle öffnen und so das Membran- wieder zum Ruhepotential zurückführen.

  1. Depolarisation: Der Anstieg des Membranpotentials über einen Wert von etwa -50 mV führt zur Öffnung spannungsabhängiger Natriumkanäle in der Membran. Die Konzentration von Natriumionen ist außerhalb der Zelle deutlich höher als im Zellinnenraum. So kommt es zu einem schlagartigen Einstrom positiv geladener Natriumionen in das Zellinnere des Axons. Das führt zur Öffnung weiterer Natriumkanäle und stellt somit eine positive Rückkopplung dar. So kommt es sogar zur Ladungsumkehr. Die Innenseite ist jetzt also nicht mehr negativ, sondern positiv geladen.
  2. Repolarisation: Bevor das Maximum des Membranpotentials erreicht ist, beginnen die Natriumkanäle sich wieder zu schließen. Gleichzeitig beginnen sich die spannungsgesteuerten Kaliumkanäle zu öffnen. Das Zelläußere ist jetzt im Vergleich zum Inneren der Zellen negativ geladen und die Kaliumkonzentration außerhalb der Zelle ist niedriger. Da das Schließen der Kaliumkanäle länger dauert, als das der Natriumkanäle, kann es sogar zur Unterschreitung des Ruhepotentials kommen. weiter Kaliumionen aus der Zelle. Die Spannung sinkt deshalb unter den Ausgangswert.
  3. Hyperpolarisation: Durch das verzögerte Schließen der Kaliumkanäle kann das Membranpotential kurzzeitig unter das Ruhepotential absinken.
  4. Wiederherstellung des Ruhepotentials: Damit die Zelle bereit für ein neues Aktionspotential ist, muss die ursprüngliche Ionenverteilung wieder hergestellt werden. (Natrium-Kalium-ATPase). Unter Energieverbrauch pumpt sie Natrium aus der Zelle heraus und Kalium in die Zelle zurück. Somit hält sie das Ruhepotential der Zelle aufrecht.

Das Alles-oder-Nichts-Prinzip

Das Alles-oder-Nichts-Gesetz stellt klar: Wenn das Membranpotenzial am Axonhügel einen Schwellenwert von ca. -30 mV überschreitet, dann entsteht ein vollständiges Aktionspotenzial mit einer Amplitude von ca. +30 mV. Unter dem ‚Alles-oder-Nichts-Gesetz‘ verstehst du, dass ein Aktionspotential entweder in voller Größe oder gar nicht auftritt. Das bedeutet, dass die Reizschwelle entweder überschritten und ein Aktionspotential ausgelöst wird oder eben nicht.

Das Aktionspotential bildet sich nach dem „Alles-oder-Nichts-Gesetz“ aus:

Lesen Sie auch: Wunderwerk Gehirn

  • Wird der Schwellenwert überschritten, kommt es immer zu einer vollständigen Ausbildung des AP.
  • Wird der Schwellenwert unterschritten, wird kein AP ausgelöst.

Merke: Das Überschreiten des Schwellenwerts bringt das „Fass zum Überlaufen“. Aktionspotential = ALLES oder NICHTS!

Ein zu schwacher Reiz erreicht nicht den Schwellenwert. Nein, ein starker Reiz kann kein größeres Aktionspotenzial auslösen. Sobald der Schwellenwert erreicht ist, läuft das Aktionspotential immer gleich ab - egal, wie stark der Reiz war.

Refraktärzeit

Nach dem Ablauf des Aktionspotentials kann nicht direkt die nächste Erregung weitergeleitet werden. Es dauert eine kurze Zeit bis eine Zelle wieder erregbar ist. Die Zeit, in der die Kanäle inaktiv sind, heißt Refraktärzeit. Sie ist wichtig für eine unidirektionale Weiterleitung eines Reizes. Du kannst im Verlauf des Aktionspotentials zwei Phasen der Refraktärzeit unterscheiden. Kurz nach der Umpolarisierung können sich die Natriumkanäle erstmal gar nicht öffnen. Das ist die absolute Refraktärphase. Nach der Repolarisation wird der Schwellenwert zur Öffnung der Kanäle wieder niedriger, bis er wieder auf den Normalwert sinkt. Diese Phase, bei der du stärkere Reize für die Auslösung eines Aktionspotentials benötigst, heißt relative Refraktärzeit.

Reizintensität und Aktionspotenzialfrequenz

Die Amplitude eines jeden Aktionspotenzials ist immer gleich hoch, aber die Anzahl der pro Sekunde gebildeten Aktionspotenziale kann variieren: kleiner Reiz = niedrige AP-Frequenz, starker Reiz = hohe AP-Frequenz. Ein überschwelliges Membranpotenzial am Axonhügel wird in eine Folge von Aktionspotenzialen umgesetzt. Dabei gilt: Je stärker der Schwellenwert überschritten wird, desto mehr Aktionspotenziale werden pro Sekunde gebildet. Je höher die Reizintensität, desto größer die Aktionspotenzialfrequenz.

Die Information über die Stärke einer Erregung ist in der Anzahl der Aktionspotenziale und ihrem zeitlichen Abstand zueinander, der Frequenz, codiert. Besonders starke Reize lösen besonders viele und dicht aufeinanderfolgende Aktionspotenziale aus. Pro Sekunde kann eine Nervenzelle bis zu 500mal feuern.

Lesen Sie auch: Gehirn fit halten im Alter

Analoge und digitale Codierung

Wird ein Reiz von den Sinnesorganen aufgenommen, so verändert sich das Membranpotenzial an den Nervenzellen, die den entsprechende Sinneszellen nachgeschaltet sind. Die elektrische Spannung an der Membran der Nervenzelle wird verändert. Sie wird erregt. In den Dendriten und dem Zellkörper der Nervenzelle kommt es noch nicht zu einem Aktionspotenzial. Es kommt nur zu einer passiven Potenzialverschiebung. Die Information über den Reiz wird analog codiert: D.h. Die Reizstärke wird in Form der Amplitude der Potenzialverschiebung codiert. Diese Veränderung in der elektrischen Spannung setzt sich fort bis zum Axonhügel, welcher in das Axon übergeht. Ein bestimmter Amplitudenwert muss dabei überschritten werden, damit der Reiz überhaupt wahrgenommen wird, denn die Entstehung von Aktionspotentialen erfolgt nach dem “Alles oder Nichts Prinzip”. Der zu überschreitende Wert nennt sich Schwellenpotential. Töne, welche sehr leise sind, verursachen also im Soma der Nervenzelle keine ausreichende Potenzialverschiebung, sodass kein Aktionspotential wahrgenommen werden kann.

Im Axon werden diese Aktionspotentiale dann weitergeleitet. Da es sich nun um Aktionspotentiale handelt, welche stets eine gleich große Amplitude aufweisen, kann die Codierung nun nicht mehr analog erfolgen.

In der Sinnezelle entsteht ein elektrisches Signal, welches auf die nachgeschaltete Nervenzelle übertragen wird. An den Synapsen wird das Signal auf die Dendriten der nächsten Nervenzelle übertragen. Die übermittelten Transmitter verursachen die passive Potentialverschiebung der nächsten Nervenzelle. Die Reizstärke wird nun über die Amplitude, also analog codiert. Im Axon erfolgt die Codierung digital. Demnach erfolgt die Abfolge der Aktionspotentiale bei einem starken Reiz schneller. Die Frequenz ist also größer.

Du hast in diesem Video gelernt, dass eine aufgenommene Information im Nervensystem mehrfach umcodiert wird. Eine Information wird zunächst von den Sinneszellen in elektrische Erregung umgewandelt. Danach wird die Information abwechselnd analog und digital codiert. Im Axon erfolgt die Codierung digital in Form von Aktionspotenzialen. So kann das Gehirn die Stärke eines Reizes ermitteln und die entsprechenden Signale für eine Reaktion senden.

Die Bedeutung von Synapsen

An den Synapsen wird das Signal auf die Dendriten der nächsten Nervenzelle übertragen. Die übermittelten Transmitter verursachen die passive Potentialverschiebung der nächsten Nervenzelle.

Es ist aber möglich, dass an den Dendriten einer Nervenzelle mehrere Synapsen aktiv sind oder dass eine Synapse in sehr kurzen Abständen immer wieder Impulse sendet. Mehrere schwache Signale können zusammen dann ein Aktionspotenzial auslösen. Eine räumliche Summation liegt vor, wenn mehrere Synapsen schwache Signale senden, die dann im Soma aufgerechnet werden. Von zeitliche Summation spricht man dann, wenn eine Synapse in kurzen Abständen schwache Signale sendet, die addiert werden. So ist es beispielsweise auch möglich sehr leise Töne überhaupt wahrzunehmen.

tags: #alles #oder #nichts #prinzip #nervenzelle #einfach