Village Landais Alzheimer: Ein innovatives Konzept für Menschen mit Demenz in Frankreich

Die alternde Bevölkerung stellt Gesellschaften weltweit vor neue Herausforderungen, insbesondere im Umgang mit altersbedingten Erkrankungen wie Demenz und Alzheimer. In Dax, einer Kurstadt im Südwesten Frankreichs, wurde mit dem "Village Landais Alzheimer" ein innovatives Pflegekonzept realisiert, das international Beachtung findet. Dieses Alzheimer-Dorf bietet 120 Bewohnern eine sichere und auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Umgebung, die ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglicht.

Hintergrund und Motivation

Angesichts steigender Lebenserwartungen und sinkender Geburtenraten nimmt die Zahl der Menschen mit Demenz und Alzheimer weltweit zu. Dies erfordert neue Ansätze, um lebenswerte Räume für Senioren zu schaffen, die ihren Bedürfnissen gerecht werden und ihnen ein würdevolles Leben ermöglichen. Das "Village Landais Alzheimer" ist ein Beispiel für solche innovativen Lösungsansätze.

Das "Village Landais Alzheimer" in Dax

Das "Village Landais Alzheimer" in Dax ist Frankreichs erste Anlage dieser Art und erstreckt sich über eine beachtliche Bruttogrundfläche von 10.700 Quadratmetern. Es wurde von NORD Architects (Kopenhagen) in Zusammenarbeit mit Champagnat & Gregoire Architects (Saint Martin d'Oney) realisiert. Ziel des Projekts war es, Pflege, medizinische Behandlung und Wohnen mit Aspekten der Sicherheit und einer lebenswerten Gestaltung in Einklang zu bringen.

Architektur und Gestaltung

Die weitläufige Struktur der Anlage erzeugt einen dörflichen Charakter, der aus der Vogelperspektive an ein Ferienresort erinnert. Dieser Eindruck wird durch die Integration aller Funktionen des alltäglichen Lebens verstärkt, was es den Bewohnern ermöglicht, trotz ihrer Erkrankung selbstständig zu bleiben.

Neben der gesundheitsorientierten Infrastruktur gibt es im Dorf einen Friseursalon, einen Supermarkt, Restaurants und ein Auditorium. Grünräume, ein Gemüsegarten, eine kleine Farm und Entspannungszonen rund um einen Teich im Zentrum des Geländes ergänzen das Angebot. Bei der Gestaltung der Außenflächen wurde Wert auf die Verwendung heimischer Pflanzenarten gelegt, beispielsweise Pinien.

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Die Architekten gliederten das Alzheimer-Dorf in fünf Höfe. Am Eingang des Geländes befinden sich die öffentlichen Nutzungen wie medizinische Einrichtungen und Gastronomie. Hier sind vier längliche Bauten angeordnet, die einen quadratischen Innenhof umschließen. Das Erdgeschoss öffnet sich nach innen mit Betonarkaden und gliedert den Raum in Verkehrs- und Aufenthaltsflächen. Verwaltungsräume, eine Wäscherei und Logistikräume sind in einzelnen Gebäuden um diesen vorderen Hof herum untergebracht.

Weiter hinten auf dem Gelände befinden sich vier Wohnhöfe, die jeweils aus vier winkelartigen Gebäuden bestehen, die wie Klammern die Ecken der Innenhöfe bilden. Durch ihre versetzte Anordnung werden die Ensembles aufgelockert. Jedes der eingeschossigen Gebäude beherbergt eine Clusterwohnung für bis zu acht Personen. Vom Innenhof aus betritt man die Einheiten über die Gemeinschaftsräume, zu denen jeweils Küche, Wohnzimmer und Speiseraum gehören.

Bei der Materialauswahl setzten die Architekten auf eine Mischung aus Beton, Holz und Glas. Insbesondere die öffentlichen Bereiche sind offen gestaltet, etwa durch die Glasfronten des Auditoriums. Es finden sich auch Bezüge auf die vernakuläre Architektur Südfrankreichs, wie beispielsweise die Holzverkleidungen im vorderen Hof, die an typische Dorfhäuser erinnern.

Leben im Alzheimer-Dorf

Im "Village Landais Alzheimer" führen 120 Einwohner mit verschiedenen Formen von Demenz so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben. Das Dorf passt sich an seine Einwohner an und nicht umgekehrt. Die Bewohner werden in möglichst viele Alltagsaktivitäten eingebunden und können, je nach individueller Möglichkeit, die nahe Umgebung selbstständig erkunden.

"Nicole macht immer die Einkäufe für das ganze Haus, diese Aufgabe ist ihr sehr wichtig", sagt Patricia Perez, Betreuerin im Village Landais Alzheimer. Wie alle seine Bewohner ist auch Nicole erkrankt - was nicht heißt, dass sie zum Nichtstun verdammt wird. „Viele Alzheimer-Patienten haben das Gefühl, nicht mehr nützlich zu sein“, so Perez. „Aber wenn ich abwasche oder koche, bin ich von Nutzen. Wenn ich Wäsche waschen und sie falten kann, existiere ich durch diese Alltagstätigkeiten.“

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Die Bewohner sollen möglichst nach ihrem eigenen Rhythmus leben. Sie werden morgens nicht geweckt und können essen, wann sie wollen. 120 Pflegekräfte, die Alltagskleidung und keine weißen Kittel tragen, kümmern sich um sie, weitere 120 Ehrenamtliche kommen hinzu. Die Medikamentenvergabe wird auf ein Minimum reduziert. Wer möchte, darf eigene Möbel mitbringen. „Es wirkt wie ein Zuhause und nicht wie eine Einrichtung, in der manche gegen ihren Willen sind“, sagt der junge Pfleger Valentin Chu. Verlässt ein Patient nachts sein Haus, wird das Personal über Bewegungsmelder alarmiert.

Integration und Aktivitäten

Das Zentrum des Dorfes bietet neben einem Geschäft und einem Friseur auch ein Restaurant, ein Kulturzentrum sowie Gesundheitseinrichtungen. Vier Häuser bilden jeweils eine Nachbarschaft und verfügen über einen eigenen Innenhof. Alles in allem besteht das Dorf aus vier Teilen, welche durch eine Straße miteinander verbunden sind. Die Straße führt von den Nachbarschaften aus jeweils in die Dorfmitte.

Die Wege im Dorf bieten Erlebnisse und Sinneseindrücke. Sie führen durch Natur sowie Vegetation und bieten verschiedene Möglichkeiten, die grüne Umgebung zu genießen. Gemeinsame Aktivitäten wie Tischtennis oder Tanzen, Hausarbeit oder Gärtnern werden als eine Form der Therapie eingesetzt.

Finanzierung und Kosten

Die monatlichen Gesamtkosten für einen Bewohner liegen bei 2000 Euro und damit im unteren französischen Durchschnitt. Kombiniert mit den verschiedenen staatlichen Hilfen, die die Bewohner je nach ihrem Renten- und sonstigem Einkommen erhalten, müssen sie oft nur 250 Euro aus eigener Tasche bezahlen. Der französische Staat und das Departement finanzieren das Projekt mit.

Wissenschaftliche Begleitung und erste Ergebnisse

Das Projekt wird vom französischen Gesundheitsforschungsinstitut INSERM wissenschaftlich begleitet. Es untersucht die gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen sowie die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Konzepts.

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Im Dezember 2023 sprach die Professorin und Spezialistin für Neurowissenschaften Hélène Amieva von „sehr ermutigenden ersten Ergebnissen“ einer Studie, die noch läuft. In den ersten sechs oder sogar zwölf Monaten nach ihrer Ankunft gebe es bei den Patienten keinen Abbau ihrer kognitiven Fähigkeiten, keine Verstärkung der Angstgefühle oder depressiver Symptome. Das sei „spektakulär“.

Internationale Beachtung und Übertragbarkeit

Seit der Eröffnung 2020 hat das "Village Landais Alzheimer" großes internationales Interesse geweckt. Experten besuchen es, um zu prüfen, ob das Modell auf andere Länder übertragbar ist. Der Ansatz sei „mehr ein sozialer als ein medizinischer“.

Kritik und Herausforderungen

Trotz des innovativen Konzepts und der positiven ersten Ergebnisse gibt es auch kritische Stimmen. Einige sehen in solchen Einrichtungen lediglich "Altensilos", in denen ältere Menschen "entsorgt" werden, weil sich die jüngere Generation nicht um sie kümmern möchte. Es wird auch bemängelt, dass die stetig fortschreitende Demenz irgendwann auch in dieser Umgebung nicht mehr zu ertragen ist und eine Immobilisierung mittels Medikamente und der Tod folgen können.

Ein weiteres Problem ist die Warteliste. Derzeit befinden sich 250 Personen auf der Warteliste für das "Village Landais Alzheimer".

Fazit

Das "Village Landais Alzheimer" in Dax ist ein vielversprechendes Modellprojekt, das zeigt, wie man Menschen mit Demenz ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben ermöglichen kann. Es kombiniert eine ansprechende Architektur mit einer auf die Bedürfnisse der Bewohner zugeschnittenen Betreuung und einer Vielzahl von Aktivitäten. Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts liefert wichtige Erkenntnisse über die gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen des Konzepts.

Obwohl es auch kritische Stimmen gibt und Herausforderungen zu bewältigen sind, stellt das "Village Landais Alzheimer" einen wichtigen Schritt in der Entwicklung neuer Ansätze für die Betreuung von Menschen mit Demenz dar. Es ist ein Beispiel dafür, wie man durch innovative Ideen und Konzepte die Lebensqualität von Menschen mit Demenz verbessern kann.

Es bleibt zu hoffen, dass dieses Modellprojekt auch in anderen Ländern Nachahmer findet und dazu beiträgt, die Lebensbedingungen von Menschen mit Demenz weltweit zu verbessern.

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