Anatomie des Nervensystems – Ein Überblick

Jede unserer Bewegungen, sei es ein unbewusstes Augenzwinkern oder das Steuern eines Autos, hängt vom komplexen Zusammenspiel des Nervensystems ab. Dieses hochkomplizierte Netzwerk erstreckt sich durch den gesamten Körper und nimmt ständig Informationen auf, um Befehle an Muskeln und Organe weiterzuleiten. Anders als das Blut- oder Lymphsystem, bildet das Nervensystem kein einheitliches Ganzes, sondern setzt sich aus verschiedenen, miteinander verbundenen Systemen zusammen.

Die Bestandteile des Nervensystems

Das Nervensystem des Menschen lässt sich grob in zwei Hauptbereiche unterteilen: das zentrale Nervensystem (ZNS) und das periphere Nervensystem (PNS). Zusätzlich dazu agieren das sympathische, parasympathische und enterische Nervensystem als Teile des autonomen Nervensystems (ANS).

Das zentrale Nervensystem (ZNS)

Das zentrale Nervensystem (ZNS) ist das übergeordnete Kontrollzentrum des Körpers. Es besteht aus dem Gehirn und dem Rückenmark, den wichtigsten "Leitungsbahnen". Im Gehirn werden höhere Funktionen wie Gedächtnisleistungen, Vergleiche und Entschlüsse vollzogen.

Das Gehirn selbst wird in fünf größere Abschnitte unterteilt:

  1. Großhirn (Cerebrum): Das Großhirn macht etwa 80 % der Hirnmasse aus und ist für höhere kognitive Funktionen wie Denken, Lernen, Gedächtnis und Sprache verantwortlich. Es besteht aus zwei Hälften, der rechten und der linken Hemisphäre, die durch einen breiten Nervenstrang, den "Balken" (Corpus callosum), miteinander verbunden sind. Die äußere Schicht des Großhirns bildet die Großhirnrinde (Cortex), die auch als "graue Substanz" bezeichnet wird.

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  2. Zwischenhirn (Diencephalon): Das Zwischenhirn befindet sich zwischen dem Großhirn und dem Mittelhirn und beinhaltet Strukturen wie den Thalamus und den Hypothalamus, die wichtige Funktionen bei der Steuerung von Emotionen, des Schlaf-Wach-Rhythmus und des Hormonhaushalts übernehmen.

  3. Mittelhirn (Mesencephalon): Das Mittelhirn ist ein relativ kleiner Abschnitt des Gehirns, der eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von sensorischen Informationen und der Steuerung von Augenbewegungen spielt.

  4. Kleinhirn (Cerebellum): Das Kleinhirn ist für die Koordination von Bewegungen, das Gleichgewicht und die Feinabstimmung motorischer Fähigkeiten zuständig.

  5. Nachhirn (Medulla oblongata): Das Nachhirn bildet den Übergang vom Gehirn zum Rückenmark und ist für lebenswichtige Funktionen wie Atmung, Herzfrequenz und Blutdruck verantwortlich.

Das Gehirn ist von drei schützenden Hautschichten umgeben, den Hirnhäuten (Meningen). Die äußere Schicht, die harte Hirnhaut (Dura mater), ist fest mit den Schädelknochen verbunden. Zwischen der inneren und der mittleren Hirnhaut befindet sich Gehirnflüssigkeit (Liquor), die als eine Art Stoßdämpfer wirkt und das Gehirn vor Erschütterungen schützt. Im Inneren des Gehirns befinden sich vier Hohlräume, die Hirnkammern (Ventrikel), die ebenfalls mit Gehirnflüssigkeit gefüllt sind.

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Das Gehirn eines Erwachsenen wiegt etwa 1.400 Gramm, wobei das Gehirn von Männern im Durchschnitt etwas größer und schwerer ist als das von Frauen. Dieser Größenunterschied erlaubt jedoch keine Rückschlüsse auf geistige Fähigkeiten wie Intelligenz.

Das Rückenmark ist eine lange, zylindrische Struktur, die vom Gehirn absteigt und durch den Wirbelkanal verläuft. Es dient als Hauptverbindungsweg zwischen dem Gehirn und dem peripheren Nervensystem.

Das periphere Nervensystem (PNS)

Das periphere Nervensystem (PNS) umfasst alle Nervenzellen und Nervenfasern, die sich außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks befinden. Es bildet ein weitverzweigtes Netzwerk, dessen Fasern ins Rückenmark hinein- und hinausführen. Das PNS verbindet das ZNS mit den Sinnesorganen, Muskeln und Drüsen des Körpers.

Das PNS lässt sich funktionell in zwei Bereiche untergliedern:

  1. Somatisches Nervensystem: Das somatische Nervensystem steuert willkürliche Bewegungen des Körpers. Es ermöglicht uns, bewusst Muskeln anzusteuern, um beispielsweise ein Bein vor das andere zu setzen oder die Stirn zu runzeln.

  2. Autonomes (vegetatives) Nervensystem: Das autonome Nervensystem (ANS) reguliert unwillkürliche Körperfunktionen, die nicht der bewussten Steuerung unterliegen. Es innerviert Eingeweide, Blutgefäße und Drüsen und ist somit für die Aufrechterhaltung lebenswichtiger Funktionen wie Atmung, Verdauung, Herzfrequenz und Blutdruck verantwortlich.

Das autonome Nervensystem gliedert sich wiederum in zwei Hauptteile:

  • Sympathikus: Der Sympathikus ist für die "Kampf-oder-Flucht"-Reaktion des Körpers zuständig. Er wird bei gesteigerter körperlicher Aktivität, Stress und Notsituationen aktiv. Der Sympathikus erhöht die Herzfrequenz und den Blutdruck, erweitert die Bronchien zur besseren Sauerstoffversorgung und stellt Energie bereit.

  • Parasympathikus: Der Parasympathikus ist der Gegenspieler des Sympathikus und fördert Entspannung und Erholung. Er senkt die Herzfrequenz, regt die Verdauung an und fördert die Speicherung von Energie.

Sympathikus und Parasympathikus kontrollieren sich gegenseitig und sorgen so für eine ausgewogene Regulation der Organsysteme des Körpers.

Hirnnerven und Rumpfnerven

Ein wichtiger Teil des peripheren Nervensystems sind die Hirnnerven. Es gibt zwölf Paare von Hirnnerven, die direkt aus dem Gehirn entspringen. Obwohl ihre Nervenzellkörper im Stammhirn liegen und somit ihren Ursprung im zentralen Nervensystem haben, werden sie aufgrund ihres peripheren Verlaufs zum peripheren Nervensystem gezählt. Zu den Hirnnerven gehören unter anderem:

  • Riechnerv (N. olfactorius): Überträgt Geruchsinformationen von der Nase zum Gehirn.
  • Sehnerv (N. opticus): Überträgt visuelle Informationen von den Augen zum Gehirn.
  • Augenmuskelnerven (N. oculomotorius, N. trochlearis, N. abducens): Steuern die Bewegung der Augenmuskeln.
  • Gesichtsnerv (N. trigeminus): Verantwortlich für die Sensibilität des Gesichts und die Steuerung der Kaumuskulatur.
  • Nerv für die mimische Muskulatur (N. facialis): Steuert die Muskeln, die für Gesichtsausdrücke verantwortlich sind.
  • Hör- und Gleichgewichtsnerv (N. vestibulocochlearis): Überträgt Informationen über Schall und Gleichgewicht vom Innenohr zum Gehirn.

Auch die Rumpfnerven gehören zum peripheren Nervensystem. Es gibt zwölf Paare von Rumpfnerven, die als Spinalnerven aus dem Rückenmark entspringen. Jeder Nerv verzweigt sich nach kurzer Strecke in einen vorderen und einen hinteren Ast, um die Rumpfvorder- und Rückseite zu versorgen. Jeder Nerv ist einem bestimmten Wirbelsäulenabschnitt zugeordnet und versorgt klar definierte Bereiche der Bauch- und Rückenwand (Haut und Muskulatur) sowie der inneren Organe.

Neuronen: Die Bausteine des Nervensystems

Jeder einzelne Nerv besteht aus Bündeln von Nervenzellen, den Neuronen. Neuronen sind die grundlegenden Funktionseinheiten des Nervensystems und für die Übertragung von Informationen im Körper verantwortlich.

Aufbau eines Neurons

Ein Neuron besteht, wie jede andere Zelle des Körpers, aus einer Zellmembran, die einen Zellkern und Zellflüssigkeit (Zytoplasma) umschließt. Jedes Neuron besitzt einen Zellkörper (Soma), mehrere kurze, verzweigte Fortsätze, die Dendriten, und einen langen, schlanken Fortsatz, das Axon.

  • Dendriten: Dendriten sind die "Empfangsantennen" des Neurons. Sie empfangen Signale von anderen Neuronen und leiten diese zum Zellkörper weiter.
  • Axon: Das Axon ist der "Sendemast" des Neurons. Es leitet Signale vom Zellkörper weg zu anderen Neuronen oder zu Zielzellen, wie Muskel- oder Drüsenzellen. Das Axon kann sich bis zu 150 Mal verzweigen, um mit anderen Nervenzellen in Kontakt zu treten.

Die Länge der Axone und Dendriten variiert stark und reicht von wenigen tausendstel Millimetern bis zu über einem Meter. Axone der peripheren Nerven sind von einer Isolationsschicht umgeben, die aus sogenannten Schwannschen Zellen besteht. Diese bilden die Myelinscheide, eine fettreiche Schicht, die das Axon umhüllt und die Geschwindigkeit der Signalübertragung erhöht.

Signalübertragung im Nervensystem

Das Nervensystem bedient sich schwacher elektrischer Reize, die über die Nervenzellen und ihre Fortsätze (Dendriten und Axone) weitergeleitet werden. Reize in Form von elektrischen Impulsen werden in Bruchteilen von Sekunden mit hoher Geschwindigkeit (bis zu 400 km/Stunde) weitergeleitet.

Die Reizweiterleitung entlang des Axons erfolgt sprunghaft von Schnürring zu Schnürring (Ranviersche Schnürringe), den nicht isolierten Lücken zwischen den einzelnen Myelinscheiden. Diese saltatorische Erregungsleitung beschleunigt die Signalübertragung erheblich.

Die Übertragung der Reize von einem Neuron zum nächsten erfolgt an den Synapsen. Synapsen sind spezielle Kontaktstellen, an denen Informationen von einer Nervenzelle zur anderen übertragen werden.

Synaptische Übertragung

Sobald ein elektrisches Nervensignal die Synapse erreicht, wird aus kleinen Depotbläschen eine chemische Substanz, ein Neurotransmitter, freigesetzt. Der Neurotransmitter diffundiert über den synaptischen Spalt, den winzigen Zwischenraum zwischen den beiden Zellen, und bindet an Rezeptoren auf der Membran des benachbarten Neurons. Diese Bindung löst in der Empfängerzelle ein neues elektrisches Signal aus, wodurch die Information weitergeleitet wird.

Synapsen spielen eine wichtige Rolle bei der Kontroll- und Filterfunktion der Impulsverteilung im Nervensystem. Sie erlauben den Erregungsfluss nur in eine Richtung und verhindern die Weiterleitung schwacher Reize, die eine bestimmte Impulsstärke unterschreiten.

Gliazellen und Blutgefäße

Neben den Neuronen enthält das Nervensystem auch Gliazellen und ein dichtes Netz von Blutgefäßen. Gliazellen unterstützen die Neuronen in ihrer Funktion, indem sie ihnen Nährstoffe zuführen, Abfallprodukte abtransportieren und sie elektrisch isolieren. Die Blutgefäße stellen die Versorgung des Nervensystems mit Sauerstoff und Nährstoffen sicher.

Erkrankungen des Nervensystems

Erkrankungen des Nervensystems können vielfältige Ursachen haben und sich in unterschiedlicher Weise äußern. Einige Beispiele sind:

  • Multiple Sklerose (MS): Eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die Myelinscheiden der Nervenfasern angreift und zerstört. Dies führt zu einer verlangsamten oder blockierten Signalübertragung und kann Symptome wie Lähmungen, Gefühls- und Sehstörungen verursachen.

  • Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Eine neurodegenerative Erkrankung, die die motorischen Nervenzellen (Motoneurone) im Gehirn und Rückenmark betrifft. Dies führt zu fortschreitendem Muskelschwund, Lähmungen und schließlich zum Tod.

  • Schlaganfall: Eine plötzliche Unterbrechung der Blutversorgung des Gehirns, die zu Schäden an den Nervenzellen führt. Die Folgen eines Schlaganfalls können je nach betroffenem Hirnbereich unterschiedlich sein und reichen von Lähmungen und Sprachstörungen bis hin zu kognitiven Beeinträchtigungen.

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