Psychedelika, lange Zeit stigmatisiert als "Hippie-Drogen", erleben in der Neurowissenschaft und Medizin eine Renaissance. Substanzen wie LSD, Psilocybin und Meskalin, einst verteufelt und politisch instrumentalisiert, rücken nun in den Fokus wissenschaftlicher Forschung. Ziel ist es, ihr therapeutisches Potenzial bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Sucht und Angststörungen zu entschlüsseln.
Das Stigma und seine Ursprünge
Die Vorstellung von bunten, wabernden Bildern und potenziellen Horrortrips hat das öffentliche Bild von Psychedelika lange geprägt. Synthetisch hergestelltes LSD, Meskalin aus Peyote-Kakteen und Psilocybin aus Magic Mushrooms galten als gefährlich und irrelevant. Dieses Image war jedoch nicht nur auf tatsächlichen Risiken begründet, sondern auch auf politischem Kalkül. In den 1960er Jahren nutzten die regierenden Republikaner in den USA die Dämonisierung von Psychedelika als Argument für den "War on Drugs".
John Ehrlichman, ein Vertrauter von Präsident Nixon, enthüllte später die wahren Motive: Die Nixon-Kampagne hatte zwei Feinde - die linken Kriegsgegner und die Afroamerikaner. Indem man die Öffentlichkeit dazu brachte, Hippies mit Marihuana und LSD sowie Afroamerikaner mit Heroin zu assoziieren, konnte man diese Gruppen diskreditieren und den Konsum hart bestrafen.
Die Renaissance der Forschung
Trotz der langen Phase der Stigmatisierung arbeiten immer mehr Neurowissenschaftler und Mediziner mit psychedelischen Drogen und erzielen dabei erstaunliche Ergebnisse. Sie knüpfen an Forschungsfragen an, die bereits in den 1950er und 1960er Jahren aufgeworfen wurden: Wie wirken die Stoffe im Gehirn, und wo können wir von ihnen profitieren?
Das Johns Hopkins Center for Psychedelic and Consciousness Research fand im Februar 2022 heraus, dass Patienten mit Depressionen, die mit Psilocybin behandelt wurden, auch nach zwölf Monaten noch einen antidepressiven Effekt spürten. In der Schweiz untersuchen Experten die Auswirkung bestimmter Halluzinogene auf Alkoholsucht und Depressionen. Das Land forscht bereits seit den 1990er Jahren wieder an Psychedelika.
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Auch in Deutschland tut sich etwas: Eine umfassende Psilocybin-Studie, die in der ARTE-Dokumentation „Heilende Drogen“ vorgestellt wird, erhielt im November 2022 weitere 2,6 Millionen Euro Fördergelder vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Gerhard Gründer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim (ZI), der das Projekt leitet, betont, dass diese Ergänzung der seit 2021 laufenden Studie auf großes Patienteninteresse gestoßen ist. Die Studie, die in Zusammenarbeit mit der Charité Berlin durchgeführt wird, konzentriert sich auf 144 Probanden mit therapieresistenter Depression. Es ist die erste wissenschaftliche Arbeit mit psychedelischen Substanzen in Deutschland seit den 1970er Jahren.
Das therapeutische Potenzial
Psychedelika könnten eine Hoffnung für Menschen mit psychischen Erkrankungen sein, bei denen gängige Therapien nicht anschlagen. Weltweit leiden laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 280 Millionen Menschen an Depressionen. Auch Abhängigkeiten, Angststörungen und Neurosen sind weit verbreitet.
Katrin Preller, Forschungsgruppenleiterin am Institut für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Zürich, betont, dass sich viele Patienten nach alternativen Behandlungswegen sehnen. Um zu verstehen, warum Forschende bei Psychedelika Potenzial vermuten, muss man ihre Wirkungsweise im Gehirn betrachten.
Die Wirkung im Gehirn
LSD, Psilocybin und Meskalin docken sich im Gehirn an den Serotonin-Rezeptor 2A und verändern so die Signalgebung des zentralen Nervensystems. Nach 20 bis 30 Minuten spürt die Person erste visuelle Effekte. Raum und Zeit verzerren sich, Sinneseindrücke werden verändert wahrgenommen.
Forschende vom Imperial College in London veranschaulichten 2016 anhand von Gehirn-Scans, dass sich nach der Einnahme von LSD der Austausch von Informationen zwischen unterschiedlichen Gehirnregionen schlagartig erhöht. Diese neuen Verknüpfungen seien für die synästhetische Wahrnehmung verantwortlich.
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Albert Hofmann und die Entdeckung des LSD
All das ahnte der Schweizer Chemiker Albert Hofmann (1906-2008) noch nicht, als er 1938 das Halluzinogen Lysergsäurediethylamid (LSD) entdeckte. In seinem Baseler Labor wollte er aus dem Getreidepilz Mutterkorn ein Medikament zur Kreislaufstimulation generieren - und schuf damit, quasi zufällig, eine der wirkungsstärksten bekannten psychedelischen Substanzen. Wie intensiv nur ein winziger Tropfen davon wirkt, erlebte Hofmann, als er 1943 selbst LSD probierte - als weltweit erster Mensch. Mit einer versehentlichen Überdosis fuhr er auf dem Rad nach Hause.
Risiken und Vorsichtsmaßnahmen
Trotz des therapeutischen Potenzials bergen Psychedelika auch Risiken. Gerhard Gründer betont, dass Halluzinogene bei Menschen mit einer entsprechenden Disposition Psychosen oder Manien auslösen können. In wissenschaftlichen Studien ist daher ein sorgfältiges Screening üblich, um bestimmte Patientengruppen auszuschließen. Katrin Preller schätzt die Nebenwirkungen im klinischen Rahmen aufgrund dieser Vorauswahl als überschaubar ein. Sie betont auch, dass es anders als bei Kokain, Heroin oder Alkohol so gut wie kein Suchtpotenzial bei Substanzen wie LSD und Psilocybin gibt.
Um die Vorurteile gegenüber Psychedelika zu überwinden, ist es wichtig, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und auch die Ängste vor negativen Erfahrungen ernst zu nehmen. Statt von einem "Bad Trip" spricht Gründer von einer "herausfordernden Erfahrung", die mit guter Integration und Interpretation eine Bereicherung darstellen kann.
Legalisierung und neue Therapieansätze
Die USA sind Vorreiter in Sachen Drogenlegalisierung. Marihuana wird in Kalifornien und zahlreichen weiteren Bundesstaaten bereits frei verkauft. Nach Oregon wird Colorado der zweite US-Staat, der Magic Mushrooms für medizinische Zwecke legalisieren will.
In den Niederlanden, den USA und weiteren Ländern gibt es bereits legale LSD- und Magic-Mushroom-Seminare, in denen Teilnehmende, begleitet von Fachpersonal, Rauschzustände durch psychoaktive Substanzen erleben. Diese Retreats sind jedoch noch nicht für psychisch Kranke bestimmt, sondern richten sich eher an Menschen, für die das Thema Mental Health immer wichtiger wird.
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Anne Philippi, Journalistin und Gründerin einer Lifestyle-Plattform rund um psychedelische Drogen, betont die Notwendigkeit von zertifizierten Einrichtungen mit Standards für medizinisch geschultes Personal. Wichtig seien intensive Vorgespräche mit Therapeuten, am besten Psychiatern, und eine fundierte Nachbereitung.
Weitere Substanzen im Fokus
Die ARTE-Dokumentationsreihe "Gehirn unter Drogen" beleuchtet neben Halluzinogenen auch andere Substanzen und ihre Auswirkungen auf das Gehirn:
- Kokain und Aufputschmittel: Sie wirken auf das Glückszentrum im Gehirn und bergen ein hohes Suchtpotenzial.
- Opiate und Beruhigungsmittel: Sie werden in der Medizin hoch geschätzt, können aber ebenfalls zu Abhängigkeit führen.
- Alkohol und Tabak: Die legalen Drogen sind weit verbreitet und bergen erhebliche gesundheitliche Risiken.
- Cannabis: Die am häufigsten konsumierte illegale Droge ist Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Forschung.
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