Die Einschätzung und Behandlung von Schmerzen bei Menschen mit Demenz stellt eine besondere Herausforderung dar. Einerseits ist die Selbstauskunft des Betroffenen der Goldstandard für das Schmerzmanagement. Andererseits geht mit dem Fortschreiten der Demenz oft die Fähigkeit zur verbalen Kommunikation und somit zur Selbstauskunft verloren. In solchen Fällen müssen sich Pflegende auf die Beobachtung des Verhaltens stützen, um Rückschlüsse auf mögliche Schmerzen zu ziehen. Standardisierte Beobachtungsinstrumente können dabei eine wertvolle Unterstützung bieten.
Die Herausforderung der Schmerzerfassung bei Demenz
Im Alter ist Schmerz ein weit verbreitetes Symptom, das jedoch häufig unzureichend behandelt wird. Dies gilt insbesondere für Menschen mit Demenz, bei denen Schmerzen oft nicht erkannt oder unterschätzt werden. Studien zeigen, dass ein erheblicher Prozentsatz von Pflegeheimbewohnern Schmerzen hat, aber keine angemessene Schmerztherapie erhält.
Der Verlust kognitiver Fähigkeiten im Verlauf der Demenz erschwert die Schmerzerfassung erheblich. Betroffene können möglicherweise nicht mehr angeben, ob und wo sie Schmerzen haben, oder sie haben das Wort "Schmerzen" vergessen. Daher ist eine gute Beobachtungsgabe und Wahrnehmung von indirekten Schmerzzeichen durch Pflegekräfte und andere Betreuungspersonen von entscheidender Bedeutung.
Beobachtungsinstrumente zur Schmerzerfassung
Wenn die Selbstauskunft nicht mehr möglich ist, können standardisierte Beobachtungsinstrumente helfen, Schmerzen bei Menschen mit Demenz zu erkennen. Diese Instrumente ermöglichen eine strukturierte Beobachtung und Beurteilung des Verhaltens, um Rückschlüsse auf mögliche Schmerzen zu ziehen.
Die verbale Ratingskala (VRS)
Die verbale Ratingskala (VRS) kann bei Menschen mit Demenz eingesetzt werden, die noch in der Lage sind, ihre Schmerzen verbal zu äußern. Dabei beschreibt der Patient seine Schmerzintensität mit Begriffen wie "kein Schmerz", "mäßiger Schmerz", "mittelstarker Schmerz", "starker Schmerz" oder "unerträglicher Schmerz".
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Die ECPA-Skala
Die ECPA (Schmerzskala für nicht kommunikationsfähige Patienten) wird zur Schmerzerfassung bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen eingesetzt. Sie berücksichtigt das Verhalten während und außerhalb der Pflege und fragt in drei Dimensionen (verbale Äußerungen, Gesichtsausdruck, Verhalten) verschiedene Items ab. Jedes Item wird mit einem Punktwert von 0 bis 5 bewertet, der auf den Beobachtungen des Pflegepersonals basiert. Die Summe der Punktwerte ergibt einen Gesamtwert, der zur Einschätzung des Schmerzempfindens des Patienten dient.
Die BESD-Skala
Die BESD-Skala (Beurteilung des Schmerzes bei Demenz) ist ein Beobachtungsinstrument, das auf der amerikanischen PAINAD-Scale basiert. Es erfasst fünf Verhaltenskategorien: Atmung, negative Lautäußerungen, Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Reaktion auf Tröstung. Für jede Kategorie wird ein Wert zwischen null und zwei Punkten vergeben, wobei null für keine und zwei für die stärkste Verhaltensreaktion steht. Die Beobachtung sollte etwa zwei Minuten dauern und in einer definierten Situation (Ruhe oder Mobilisation) erfolgen.
Die BESD-Skala hat sich in Studien als reliabel und valide erwiesen und wird daher als ein geeignetes Instrument zur Schmerzerfassung bei Menschen mit Demenz angesehen. Sie ermöglicht es, Schmerzen zu erkennen, auch wenn der Patient aufgrund seiner Demenz nicht mehr in der Lage ist, seine Schmerzen zu benennen.
Das BISAD-Instrument
Das BISAD (Beobachtungsinstrument für das Schmerzassessment bei alten Menschen mit Demenz) wurde auf der Grundlage der französischen ECPA-Skala entwickelt. Es beobachtet Menschen vor und während einer Mobilisation anhand von jeweils vier Kategorien (in Ruhe: Mimik, Körperhaltung, Reaktion auf spontane Bewegung, Beziehung zu anderen; bei bewusster Mobilisation: Angst, Reaktion auf Mobilisation, Reaktion bei Versorgung der schmerzhaften Region, Klagen). Für jede Kategorie können null bis vier Punkte vergeben werden.
Die BISAD-Skala hat sich in Pflegeheimen als praxistauglich erwiesen, ist aber bisher nicht für den ambulanten Bereich oder das Krankenhaus getestet. Um BISAD anwenden zu können, muss die Pflegeperson wissen, wie sich der Betroffene in den vergangenen Tagen verhalten hat.
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Weitere Instrumente
Neben den genannten Instrumenten gibt es weitere Skalen, die zur Schmerzerfassung bei Menschen mit Demenz eingesetzt werden können, wie z.B. der ZOPA (Zone möglicher Einigung) oder Doloplus-2 (französisches Instrument zur Schmerzerfassung bei älteren nonverbalen Menschen).
Anwendung der Beobachtungsinstrumente
Bei der Anwendung von Beobachtungsinstrumenten zur Schmerzerfassung bei Menschen mit Demenz sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden:
- Selbstauskunft als Goldstandard: Auch bei Menschen mit Demenz hat die Selbstauskunft zu Schmerzen Vorrang. Die Schmerzselbsteinschätzung sollte somit immer als Goldstandard angesehen und gegenüber allen Fremdeinschätzungen bevorzugt oder parallel angewandt werden.
- Beobachtung des üblichen Verhaltens: Es ist wichtig, das übliche Verhalten des Bewohners zu kennen und regelmäßig auf Verhaltensänderungen zu achten.
- Einbeziehung anderer Beobachter: Die Beobachtungen von Angehörigen, Therapeuten, Betreuungskräften usw. sollten in die Schmerzerfassung einbezogen werden.
- Berücksichtigung potenziell schmerzauslösender Erkrankungen: Wenn eine üblicherweise schmerzhafte Erkrankung, Verletzung oder ein ebensolcher Eingriff vorliegt, kann davon ausgegangen werden, dass der Betroffene Schmerzen hat.
- Versuchsweise Gabe von Schmerzmitteln: Wenn Schmerzen vermutet werden, kann versuchsweise ein Schmerzmittel gegeben werden, um zu prüfen, ob sich das Verhalten des Betroffenen verändert.
Schmerzbehandlung als interdisziplinäre Teamaufgabe
Eine erfolgreiche Schmerzbehandlung bei Menschen mit Demenz erfordert eine vertrauensvolle interdisziplinäre Zusammenarbeit. Im Idealfall besteht das Team aus ausgebildeten Schmerzexperten (Pain Nurse, Algesiologische Fachassistenz), Schmerztherapeuten, Fachärzten, Psychologen, Physiotherapeuten, Angehörigen, Bezugspersonen und dem Bewohner selbst. Gemeinsam kann eine Strategie für mehr Lebensqualität entwickelt werden.
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