Das Gehirn, ein komplexes Organ mit etwa 100 Milliarden Nervenzellen, ermöglicht es uns, Handlungen präzise auszuführen. Bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) kann diese Fähigkeit jedoch plötzlich nachlassen. Das Bobath-Konzept bietet hier einen therapeutischen und rehabilitativen Ansatz, der darauf abzielt, gesunde Bereiche des Gehirns zu aktivieren, damit sie die Aufgaben der geschädigten Areale übernehmen können. Dieser Artikel beleuchtet die Grundlagen des Bobath-Konzepts, seine Ziele, Anwendungsbereiche und gibt Einblicke in spezifische Übungen.
Was ist das Bobath-Konzept?
Das Bobath-Konzept ist ein therapeutischer und rehabilitativer Ansatz, der sich an Menschen mit Schädigungen des Gehirns oder Rückenmarks richtet. Es wurde 1943 von der Physiotherapeutin Berta Bobath und ihrem Mann, dem Neurologen Dr. Karl Bobath, entwickelt. Das Konzept zielt darauf ab, motorische Einschränkungen, Gleichgewichtsstörungen oder Spastiken zu lindern.
Kernidee: Das Bobath-Konzept basiert auf der Annahme, dass das Gehirn lebenslang lernfähig ist und sich umstrukturieren kann (Neuroplastizität). Gesunde Hirnregionen können durch gezieltes Training die Funktionen geschädigter Areale übernehmen.
Grundlagen des Bobath-Konzepts
Das Bobath-Konzept ist keine festgelegte Technik oder Methode, sondern ein problemlösender Ansatz. Therapeut:innen erarbeiten einen individuellen Plan, der die Fähigkeiten und Umstände der Patient:innen berücksichtigt. Bewegung wird als Wahrnehmung und Wahrnehmung als Bewegung betrachtet.
- Neuroplastizität: Das Gehirn kann sich umorganisieren und neue Verbindungen (Synapsen) bilden.
- Individuelle Therapie: Der Behandlungsplan wird an die spezifischen Bedürfnisse und Fähigkeiten des Patienten angepasst.
- Alltagsorientierung: Die Therapie ist in den Alltag integriert und zielt darauf ab, alltägliche Fähigkeiten wiederzuerlangen.
- 24-Stunden-Konzept: Alle an der Betreuung beteiligten Personen (Ärzt:innen, Therapeut:innen, Pflegekräfte, Angehörige) arbeiten zusammen, um die Therapie in den Alltag zu integrieren.
Ziele des Bobath-Konzepts
Die übergeordneten Ziele des Bobath-Konzepts sind die Förderung der Selbstständigkeit und die Vermeidung von unerwünschten Veränderungen wie Gelenkversteifungen.
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- Förderung der Selbstständigkeit: Patient:innen sollen eine möglichst eigenverantwortliche Lebensqualität zurückerlangen.
- Verbesserung der motorischen Funktionen: Wiedererlernen oder Verbesserung von Bewegungsabläufen.
- Schmerzlinderung und Vermeidung von Folgeschäden: Reduzierung von Schmerzen und Spastiken, Vorbeugung von Gelenkeinschränkungen.
- Verbesserung der Lebensqualität: Steigerung des Wohlbefindens und der sozialen Integration.
Anwendungsbereiche des Bobath-Konzepts
Das Bobath-Konzept eignet sich für Menschen mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems, insbesondere nach einem Schlaganfall. Es kann auch bei folgenden Erkrankungen angewendet werden:
- Multiple Sklerose
- Morbus Parkinson
- Enzephalitis
- Entwicklungsstörungen, die sich auf die Bewegung auswirken
- Schädel-Hirn-Verletzungen
- Rückenmarksverletzungen
Das Bobath-Konzept in der Pflege
Das Bobath-Konzept findet nicht nur in der Physiotherapie Anwendung, sondern auch im pflegerischen Alltag. Angehörige können in speziellen Kursen und Fortbildungen das nötige Fachwissen erwerben, um die Techniken individuell auf das pflegebedürftige Familienmitglied anzupassen und umzusetzen.
Wichtige Aspekte in der Pflege:
- Lagerung nach Bobath: Spezielle Lagerungstechniken, um Spastiken entgegenzuwirken und die Körperwahrnehmung zu fördern.
- Mobilisation nach Bobath: Aktive Einbeziehung des Patienten in Positionswechsel, um die Bewegungsfähigkeiten zu verbessern.
- Bobath-Waschung: Sanfte Berührungen und Massagebewegungen während der Körperpflege, um die sensorische Wahrnehmung und Durchblutung der Haut zu verbessern.
- Selbsthilfetraining (ATL-Training): Einbeziehung des Patienten in alltägliche Aufgaben, um ehemals bekannte Bewegungsabläufe zu aktivieren.
Bobath Übungen für Erwachsene
Es gibt keinen strengen Übungskatalog für das Bobath-Konzept. Die Physiotherapie passt die Übungen an die Schwere der Erkrankung und die vorliegende Bewegungsfähigkeit an.
Beispielübung: Der Klavierspieler
- Patient:in sitzt auf einem Stuhl oder Bett.
- Spielt auf einem imaginären Klavier mit breiter Tastatur.
- Lehnt den Rumpf zur Seite und hebt einen Teil des Gesäßes an, um die äußeren imaginären Tasten zu erreichen.
Diese Übung schult die posturale Kontrolle, also die Fähigkeit, die Körperhaltung aufrecht zu halten.
Weitere Übungen:
- Aufstehen aus dem Sitzen: Patient:in geht vom Sitzen in den Stand, unterstützt durch eine:n Physiotherapeut:in.
- Gleichgewichtsübungen: Training des Gleichgewichts in verschiedenen Positionen (Sitzen, Stehen).
- Koordinationsübungen: Übungen zur Verbesserung der Koordination von Bewegungen.
- Alltagsnahe Übungen: Training von alltäglichen Aktivitäten wie Anziehen, Essen, etc.
Die Rolle der Angehörigen
Angehörige spielen eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Bobath-Konzepts. Sie können durch ihre Unterstützung und Einbeziehung in den Alltag dazu beitragen, dass der Patient seine Selbstständigkeit zurückgewinnt.
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Möglichkeiten der Unterstützung:
- Teilnahme an Kursen und Fortbildungen, um das Bobath-Konzept zu erlernen.
- Unterstützung bei der Lagerung und Mobilisation.
- Einbeziehung des Patienten in alltägliche Aufgaben.
- Kommunikation und Zusammenarbeit mit dem Behandlungsteam.
Aktuelle Trends und Entwicklungen
Das Bobath-Konzept wird kontinuierlich weiterentwickelt und an neue Forschungsergebnisse angepasst.
- Integration von Technologie: Einsatz von virtueller Realität, Robotik und anderen Technologien zur Verbesserung der Rehabilitation.
- Evidenzbasierte Praxis: Fokus auf Forschung und wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit des Bobath-Konzepts.
- Weltweite Akzeptanz: Zunehmende Anerkennung des Bobath-Konzepts als wertvoller Ansatz in der Neurorehabilitation.
Bobath-Therapie vs. Vojta-Therapie
Das Bobath-Konzept und die Vojta-Therapie sind zwei unterschiedliche Ansätze in der Physiotherapie und Rehabilitation. Während die Vojta-Therapie darauf abzielt, angeborene Bewegungsmuster wieder zu aktivieren, setzt das Bobath-Konzept auf die Schaffung neuer Verknüpfungen im Gehirn (Neuroplastizität).
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