Das Bobath-Konzept ist ein weltweit anerkanntes bewegungstherapeutisches Behandlungskonzept, das speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit neurologischen Erkrankungen und Bewegungsstörungen zugeschnitten ist. Es wurde 1943 von Berta und Dr. Karel Bobath entwickelt und basiert auf der Annahme, dass das Gehirn ein Leben lang lernfähig ist und sich umstrukturieren kann (Plastizität). Dieser Artikel beleuchtet die zentralen Aspekte des Bobath-Konzepts, seine Anwendung, Ziele und die Rolle der Plastizität des Gehirns in diesem therapeutischen Ansatz.
Grundlagen des Bobath-Konzepts
Das Bobath-Konzept betrachtet jeden Menschen mit einer Schädigung des Nervensystems individuell und ganzheitlich. Es ist ein multidisziplinärer rehabilitativer Ansatz in Therapie und Pflege von Patienten mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS), zu dem Gehirn und Rückenmark gehören. Das Konzept findet Anwendung bei Säuglingen, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit angeborenen oder erworbenen neurologischen Erkrankungen.
Die ärztlich verordnete Bobath-Therapie darf nur von zertifizierten Physiotherapeuten, Logopäden und Ergotherapeuten durchgeführt werden, die in speziellen Bobath-Kursen ausgebildet wurden und die vorgeschriebenen Lehr- und Lernzielkontrollen erfolgreich abgeschlossen haben.
Die Plastizität des Gehirns als Kernprinzip
Das zentrale Element im Ansatz des Ehepaars Bobath ist die Annahme, dass das Gehirn zu lebenslangem Lernen und Umstrukturieren fähig ist. Diese sogenannte Plastizität des Gehirns ermöglicht es, dass funktionierende Bereiche des Gehirns einspringen und die Aufgaben erkrankter oder beschädigter Regionen übernehmen. Gemäß dem Bobath-Ansatz ist das menschliche Gehirn in der Lage, durch konsequente Stimulation und regelmäßiges Üben neue neuronale Verknüpfungen zu kreieren oder ungenutzte Synapsen zu aktivieren.
Bei traumatischen Hirnschädigungen sind häufig nicht die eigentlichen Kontrollzentren zerstört, sondern Verbindungswege unterbrochen, die mit konsequenter Förderung und Stimulation des Patienten durch alle betreuenden Personen neu gebahnt werden können. Verloren gegangene Funktionen können durch Vernetzung und Intensivierung anderer Hirnbereiche wiedererlangt werden. Hierzu werden Bewegungssequenzen durch repetitives Üben (ständiges Wiederholen) wieder "eingeschliffen".
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Anwendungsbereiche des Bobath-Konzepts
Typische Anwendungsgebiete für das Bobath-Konzept sind alle Krankheitsbilder mit zentral bedingten Lähmungen, die mit Spastik bzw. Tonus-Änderungen einhergehen. Die Erkrankung, bei der das Bobath-Konzept am häufigsten angewandt wird, ist der apoplektische Insult bzw. der Schlaganfall (Hirninfarkt), der mit einer Halbseitenlähmung (Hemiplegie) einhergeht.
Weitere Beispiele für Erkrankungen, bei denen das Bobath-Konzept Anwendung findet, sind:
- Zerebrale Bewegungs- und sensomotorische Störungen
- Multiple Sklerose
- Parkinson
- Hirnblutungen und -entzündungen
- Schädel-Hirn-Traumata
- Erkrankungen des Rückenmarks
Ziele der Bobath-Therapie
Das Bobath-Konzept strebt einen Lernprozess des Patienten an, um ihm die Kontrolle über die Muskelspannung (Muskeltonus) und Bewegungsfunktionen wieder zu erlernen. Ziel ist es, die Lebensqualität in einem eigenverantwortlichen selbstbestimmten Alltag wieder zu erlangen und Folgeschäden wie zum Beispiel Gelenkeinschränkungen und Schmerzen möglichst zu vermeiden. Der individuelle Lernweg des Betroffenen soll eine aktive Teilhabe am Leben ermöglichen.
Zentrales Ziel des Bobath-Konzeptes ist es, die Eigenaktivität des Patienten zu ermöglichen, zu fordern und zu fördern. Ziel ist eine effiziente Haltungs- und Bewegungskontrolle. Bei Menschen mit schwersten Behinderungen kann dies bedeuten, die Vitalfunktionen wie Herz-Kreislaufstabilität und Wachheit zu sichern. Außerdem erleichtert und unterstützt die Bobath-Therapie pflegerische Maßnahmen.
Die Bobath-Therapie in der Praxis
Am Anfang der Behandlung steht die Analyse der Patienten im Hinblick auf die vorhandenen Kompetenzen und Defizite. Die Behandelnden betrachten dabei in erster Linie die Aktivität und Kontrolle in der Bewegungsausführung sowie generelle Partizipation und Körperfunktion. Das daraufhin entwickelte Therapiekonzept zielt darauf ab, den Patienten durch gezielte Förderung ein größtmögliches Maß an Kontrolle über Muskeln und Bewegungen zurückzugeben. Daneben stehen die Behandlung und Prävention von Schmerzen im Vordergrund der Therapie.
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Im Unterschied zu anderen Therapiekonzepten gibt es im Bobath-Konzept keine standardisierten Übungen. Im Vordergrund stehen individuelle und alltagsbezogene therapeutische Aktivitäten, die den Patienten in seinem Tagesablauf begleiten. Die Bedürfnisse des Patienten, die sich aus seinem bisherigen Leben, seinem sozialen Umfeld und seinen Interessen ergeben, stehen im Mittelpunkt der therapeutischen Einflussnahme.
Arbeitsprinzipien und Methoden
Die Arbeitsprinzipien des Bobath-Konzeptes sind Regulation des Muskeltonus und Anbahnung physiologischer Bewegungsabläufe. Die "Methoden" des Bobath-Konzeptes sind Lernangebote, die dem Patienten nach einem individuellen Befund von Problemen, Ressourcen und Zielen wiederholt und gezielt entgegengebracht werden. Lernangebote sind insbesondere die Lagerung (Vermeidung bzw. Hemmung der Spastik), das Handling (Bewegungsanbahnung) und das Selbsthilfetraining (Anbahnung der Selbstpflegefähigkeit).
Durch gezielte Übungen und Techniken werden dem Patienten zahlreiche Möglichkeiten der Bewegung nahe gebracht und durch häufiges Wiederholen gefestigt. Hierbei werden brachliegende Nervenbahnen aktiviert und neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen entwickelt.
Integration in den Alltag
Um das Risiko fehlerhafter Lernprozesse zu minimieren, entwickelte das Ehepaar Bobath seinen Therapieansatz als 24-Stunden-Konzept, das sich auf ein konstantes Lernangebot konzentriert. Um eine bestmögliche Förderung der psychischen, sensorischen und motorischen Entwicklung der Betroffenen zu erzielen, sind Angehörige ebenso gefragt wie die behandelnden Parteien. Für einen Erfolg der Methode ist es zudem notwendig, dass pflegerisches und medizinisches Personal berufsübergreifend zusammenarbeitet und kommuniziert.
Die Bobath-Therapie sollte in den 24-Stunden Rhythmus des Patienten integriert werden und erfordert eine gute multidisziplinäre Zusammenarbeit von Pflegenden, Angehörigen und Patienten. Als Leitfaden dienen die normale Entwicklung des Kindes und die normale Bewegung Erwachsener.
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Der Behandlungsprozess
Der Patient sollte bereits ab dem ersten Tag nach beispielsweise einem Schlaganfall durch ein interdisziplinäres und im Bobath-Konzept geschulten Team betreut werden. Die behandelnden Berufsgruppen orientieren sich an den Fähigkeiten und Beeinträchtigungen des Patienten. Berufsübergreifend arbeiten Ärzte, Pflegende, Physiotherapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten und Neuropsychologen zusammen. Die Hände der Therapeuten unterstützen den Patienten nur soweit nötig.
Eine typische Bobath-Behandlung dauert etwa 45-60 Minuten. Die Intensität der Therapie wird individuell an die Belastbarkeit des Patienten angepasst. Fortschritte in der Bobath-Therapie sind oft schon nach wenigen Sitzungen spürbar.
Bedeutung der frühen Intervention
Therapie und Pflege von hirngeschädigten Menschen nach dem Bobath-Konzept müssen so früh wie möglich beginnen, damit negative Entwicklungen wie Ausbildung von Spastik und Erlernen unphysiologischer bzw. unnötiger, kompensatorischer Bewegungsabläufe verhindert bzw. kontrolliert werden können. Je weniger falsche oder kontraproduktive Bewegungen die Patienten sich angewöhnen, desto mehr Erfolg verspricht die Rehabilitation.
Das Bobath-Konzept und die Spastik
Gemäß der Bobath-Idee entstehen Spastiken vor allem dadurch, dass Betroffene die gelähmten Körperteile nicht mehr beanspruchen und das Gehirn somit keine Informationen mehr erhält. Um einer Vernachlässigung und daraus folgender Asymmetrie entgegenzuwirken, integriert das Bobath-Konzept bewusst die konsequente Stimulation der betroffenen Körperteile. Anstatt fehlende Mobilität durch gesunde Körperbereiche zu kompensieren, arbeiten die Patienten an einer besseren Balance des Körpers.
Spastizität entsteht laut dem Bobath - Konzept aufgrund der Vernachlässigung der hemiplegischen Körperseite durch den Patienten. Dadurch erhält das Gehirn nicht die Möglichkeit neue Informationen zu empfangen und Bewegungsabläufe auf neue Neuronengruppen umstrukturieren zu können. Deswegen stellt die Integration der betroffenen Körperseite in alle Alltagsbewegungen das Grundprinzip des Bobath - Konzepts dar.
Stärken und Kritik am Bobath-Konzept
Das Bobath-Konzept ist ein sehr ganzheitlich ausgerichteter Ansatz, der neben motorischen und sensorischen Funktionen unter anderem auch soziale, emotionale und kommunikative Aspekte in der individuellen Behandlung berücksichtigt. Im Vordergrund steht dabei eine ressourcenorientierte Sichtweise. Es geht also darum, die vorhanden Fähigkeiten zu nutzen und zu erweitern. Anstelle eines notdürftigen Ausgleichens der Defizite zielt das Bobath-Konzept auf ein Neu-Erlernen der motorischen Kompetenzen ab, mit dem Ziel, die Abhängigkeit von Pflegepersonal und Angehörigen zu reduzieren.
Es muss jedoch kritisch angemerkt werden, dass das Bobath-Prinzip im Gegensatz zu anderen Therapien, wie zum Beispiel der Forced Use Therapy (FUT), bisher nicht durch wissenschaftliche Studien als signifikant wirksam eingestuft wurde. Das Ergebnis der Behandlung ist allerdings individuell verschieden, eine Erfolgsgarantie gibt es nicht: Je nach Art der Erkrankungen kann unter Umständen auch die Lernfähigkeit des Gehirns beeinträchtigt sein.
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