Botulinumtoxin-Therapie in der Neurologie: Anwendungsgebiete und Wirkungsweise

Botulinumtoxin, umgangssprachlich oft als "Botox" bezeichnet, ist den meisten Menschen als Mittel zur Faltenbehandlung bekannt. Doch das von dem Bakterium Clostridium botulinum produzierte Bakteriengift hat sich in den letzten Jahrzehnten auch in der Neurologie als wertvolles Therapeutikum etabliert. Seit drei Jahrzehnten wird „Botox“ als therapeutische Substanz untersucht und zugelassen. Studien haben seine Effektivität insbesondere bei neurologischen Problemen nachgewiesen.

Was ist Botulinumtoxin und wie wirkt es?

Botulinumtoxin ist ein natürlich vorkommendes Bakteriengift, das vom Sporenbildner Clostridium botulinum unter anaeroben Bedingungen (Luftausschluss) produziert wird. Es ist das stärkste bekannte Nervengift. Dieses hemmt die Erregungsübertragung von Nervenzellen auf andere Zellen, insbesondere an den Verbindungsstellen zu Muskelzellen, wodurch eine Kontraktion des Muskels schwächer wird oder ganz ausfällt.

Der Wirkmechanismus besteht darin, dass Botulinumtoxin die Freisetzung des Neurotransmitters Acetylcholin an der motorischen Endplatte, der Kontaktstelle zwischen Nerv und Muskel, hemmt. Abhängig von der Dosis schwächt oder lähmt Botulinumtoxin die Muskeln. Es stoppt die Übertragung des Botenstoffs Acetylcholin, mit dem Nerven bei Erregung den Muskel in Aktion setzen. Therapeutisch kann dieser Effekt in der Behandlung von überaktiven Muskeln genutzt werden, die durch die Injektion wieder in eine gebesserte, im besten Fall normale Funktionsweise zurückgeführt werden.

Anwendungsgebiete in der Neurologie

Botulinumtoxin wird in der Neurologie zur Behandlung verschiedener Erkrankungen eingesetzt, die mit Muskelverspannungen, Bewegungsstörungen oder überaktiven Drüsen einhergehen. Zu den wichtigsten Anwendungsgebieten gehören:

  • Dystonien: Bei Dystonien kommt es zu einer Überaktivität von bestimmten Muskeln. Hierzu zählen beispielsweise der Schiefhals (Torticollis), unkontrollierter Lidschluss (Blepharospasmus) oder Schreibkrampf. Durch gezielte Injektionen von Botulinumtoxin in diese Muskeln kann ihre Überaktivität gehemmt werden. Es werden ausschließlich die betroffenen Muskeln geschwächt, alle anderen Muskeln bleiben vollkommen funktionsfähig.
  • Spastik: Es gibt zahlreiche Erkrankungen die zu einer Spastik in der Muskulatur führen können, so etwa einen Schlaganfall oder die Multiple Sklerose. Spastische Lähmungen sind die Folge einer Schädigung der für die Kraftentwicklung zuständigen Bahnen des zentralen Nervensystems, insbesondere der sogenannten Pyramidenbahn im Bereich des Gehirns und des Rückenmarks. Die Ursachen für eine solche Schädigung sind vielfältig. Sie umfassen neben Lähmungen nach Schlaganfall, Hirnblutung oder Querschnittslähmungen ebenso frühkindliche Hirnschäden (infantile Zerebralparese) und chronische Erkrankungen wie die Multiple Sklerose oder die Amyotrophe Lateralsklerose. In diesen Fällen ist der Muskel verhärtet und angespannt, was zu einer Einschränkung der Beweglichkeit und auch Schmerzen führen kann. Je nach Ausmaß der Spastik kann durch die Behandlung mit Botulinumtoxin die Funktionsfähigkeit der betroffenen Muskeln verbessert werden oder aber eine Linderung von Schmerzen sowie eine Verbesserung der Pflege erreicht werden.
  • Chronische Sialorrhoe (übermäßiger Speichelfluss): Tritt häufig bei Erkrankungen wie Parkinson oder ALS auf. Der vermehrte Speichelfluss wird entweder durch eine erhöhte Speichelproduktion oder eine verringerte Schlucktätigkeit verursacht. Während eine primär erhöhte Speichelproduktion eher selten ist, ist gerade bei neurodegenerativen Erkrankungen wie dem M. Parkinson, den atypischen Parkinson Syndromen und der Amyotrophen Lateralsklerose die Sialorrhoe auf eine Schluckstörung mit reduzierter Fähigkeit, den gebildeten Speichel zu schlucken zurückzuführen. Es kommt dadurch zu einer Reihe von negativen Auswirkungen mit Behinderung des Sprechens, ungewolltem Herauslaufen des Speichels aus dem Mund und ständig benetzter Kleidung. Auch steigt die Gefahr von teils schweren Infektionen, wenn der Speichel durch die Schluckstörung begünstigt in die Lunge gelangt. Botulinumtoxin wird gezielt in die Speicheldrüsen injiziert und reduziert so die Speichelproduktion. Durch eine gezielte Behandlung einer oder mehrerer der jeweils paarig angelegten Speicheldrüsen (Glandula submanidbularis, Glandula parotis, Glandula sublingualis) mit Botulinumtoxin kann die Speichelproduktion reduziert werden, ohne dass es zu einer zu starken Mundtrockenheit kommt. Bei der Gruppe der Parkinson Syndrome ist aufgrund der bei diesen Erkrankungen oft ausgeprägten Nebenwirkungen der weiteren medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten (Scopolamin-Pflaster) die Therapie mit Botulinumtoxin mittlerweile Therapie der ersten Wahl. Aber auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie z.B. der Amyotrophen Lateralsklerose kann diese Therapie bei nicht befriedigener Wirksamkeit der anderen Medikamente eingesetzt werden.
  • Hemifazialer Spasmus / Blepharospasmus: Zuckungen im Gesicht oder unkontrolliertes Augenzukneifen. Die Behandlung mit Botulinumtoxin ist mittlerweile international die Therapie der Wahl für den Blepharospasmus. Dabei werden Injektionen an den Rändern des Ober- und Unterliedes unter die Haut gesetzt.
  • Chronische Migräne: Seit 2011 ist Botulinumtoxin Typ A in Deutschland auch zur Behandlung von Patienten mit einer chronischen Migräne zugelassen.
  • Hyperhidrosis: Die vemehrte lokal begrenzte Schweißneigung ist relativ häufig und betrifft meist Hände, Füße oder Achselhöhlen. Oft kommt es dadurch zu Einschränkungen im Alltag z.B. durch große Schweißstellen auf Kleidungsstücken oder immer feuchten Händen beim Händedruck. Die fokale Behandlung der betroffenen Regionen mit Botulinumtoxin ist eine meist sehr gut wirksame und relativ nebenwirkungsarme Möglichkeit der Therapie. Dabei werden geringe Dosierungen des Medikaments direkt unter die Haut an den betroffenen Stellen appliziert.

Ablauf der Behandlung

Im Rahmen einer neurologischen Untersuchung werden die zu behandelnden Muskeln ermittelt. Gemeinsam mit dem Arzt oder Therapeuten sollten Behandlungsziele vereinbart werden. Der Arzt wählt die entsprechende Therapie aus, möglich sind auch Kombinationen mehrerer Therapieoptionen (z. B. Die Injektion von Botulinumtoxin erfolgt mit einer dünnen Nadel direkt in die betroffenen Muskeln. Die Injektion erfolgt nach einer gründlichen Hautdesinfektion direkt in den betroffenen Muskel und wird bei Bedarf durch Ultraschall überprüft. Die Injektionen (etwa 2-3 pro Muskel, je nach Größe des Muskels) werden mit einer sehr feinen Nadel vorgenommen und sind daher nicht wirklich schmerzhaft.

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Erste Effekte der Therapie können üblicherweise innerhalb von 7-10 Tagen beobachtet werden, der volle Wirkeffekt setzt in der Regel nach maximal zwei bis drei Wochen ein. Die Wirkung tritt nach etwa 2 bis 5 Tagen ein und hält bis zu 12 Wochen an. Die Wirkung setzt nach 3-7 Tagen ein und hält etwa 3-6 Monate an. Die Wirkdauer kann individuell unterschiedlich sein, beträgt aber meist drei Monate. Danach kommt es zu einer Wiederaufnahme der Signalübertragung durch die Regeneration der motorischen Endplatte, weshalb wiederholte Injektionen erforderlich sind. Die injizierte Dosis muss im Verlauf in Abhängigkeit vom vorangehenden Wirkeffekt ggf. angepasst werden. Die Injektionen werden bei guter Wirksamkeit im Abstand von drei Monaten durchgeführt. Auch wenn die Wirkdauer weniger als drei Monate beträgt, ist dieser Abstand unbedingt einzuhalten, da es sonst zur Bildung von Antikörpern kommen kann. In diesem Fall kommt es zu einem vollständigen Wirkungsverlust der Injektionen, da der Körper selbst das Neurotoxin inaktiviert, d.h.

Risiken und Nebenwirkungen

Die Botulinumtoxin-Therapie wird in der Regel gut vertragen. Die Therapie ist symptomatisch, d. h. Die Behandlung darf nicht bei bekannter Allergie gegen Bestandteile des Präparates und bei bestehender oder geplanter Schwangerschaft durchgeführt werden, da bzgl. Botulinumtoxin und Schwangerschaft keine ausreichenden Erkenntnisse vorliegen. Patienten mit Antikoagulation (z. B.

Nebenwirkungen sind selten: Bluterguss durch die Injektion (auch bei Patienten, die mit Aspirin behandelt werden), Schwellung, örtliche Infektion oder auch durch eine zu starke Wirkung oder zu hohe Dosis zu starke Schwächung des Muskels z. B. im Gesichts-/Augenbereich mit der Folge eines Herabhängen des Mundwinkels oder Lids. Zudem kann eine übermäßige Schwäche der Muskulatur auftreten, die jedoch nicht von Dauer ist. Unerwünschte Wirkungen kann es jedoch auch bei dieser Therapie geben. So kann es bei zu hoher Dosierung zu einer übermäßigen Lähmung der betroffenen Muskulatur kommen, wodurch beispielsweise Schwierigkeiten bei der Kopfhebung aus dem Liegen oder leichte Schluckstörungen entstehen können. Selten: allergische Reaktionen oder leichte Schluckbeschwerden (z. B.

Kostenübernahme

Die Kostenübernahme hängt von der Diagnose und der medizinischen Notwendigkeit ab. Leider besteht eine Zulassung dieser Therapie nicht für alle neurologischen Erkrankungen, bei denen Botulinumtoxin sinnvoll eingesetzt werden kann. Häufig ist ein Antrag auf Kostenübernahme erforderlich, der vom behandelnden Facharzt gestellt wird. Eine Ampulle der Substanz kostet etwa 400 €, gelegentlich sind auch mehrere Ampullen pro Injektion notwendig.

Botulinumtoxin bei psychischen Erkrankungen

Das Bakteriengift Botulinumtoxin (BTX) - umgangssprachlich auch Botox genannt - ist den meisten Menschen als Mittel gegen Falten bekannt. Doch Botulinumtoxin kann noch mehr: Wird es etwa in die Stirn gespritzt, lindert es Depressionen. Auch bei Menschen mit Borderline-Erkrankung, die an extremen Stimmungsschwankungen leiden, dämpft es nachhaltig negative Emotionen.

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Negative Stimmungen drücken sich im Gesicht in der sogenannten Glabellarregion aus, dem Bereich der unteren mittleren Stirn. Sind wir wütend oder angespannt, ziehen sich zwei verschiedene Muskelarten zusammen und lassen über der Nasenwurzel Zornes- oder Sorgenfalten entstehen. Wird Botulinumtoxin in die Glabellarregion gespritzt, lähmt es diese Muskeln zwischen den Augenbrauen. Weil Gesichtsmimik und psychisches Befinden eng verbunden sind, reduziert sich dadurch auch die Intensität der Emotionen. „Eine entspannte Stirn vermittelt sozusagen ein positiveres Gefühl“, erklärt Prof. Krüger.

Indem Botulinumtoxin die Feedbackschleife zwischen den Stirnmuskeln und dem Gehirn unterbricht, verändert es auch die emotionale Rückmeldung. Das Feedback zwischen Muskeln und Gehirn funktioniert aber nicht nur in der Glabellarregion. In Zusammenarbeit mit der University of California San Diego fanden sie heraus, dass Botulinumtoxin auch Angststörungen mildern kann, wenn es in die Kopfmuskeln, in die Muskeln der oberen und unteren Gliedmaßen sowie in die Nackenmuskeln gespritzt wird. Bislang gehört die BTX-Behandlung bei psychischen Erkrankungen allerdings nicht zu den Leistungen der Krankenkassen.

Alternativen bei Antikörperbildung

Die bisher zur Verfügung stehenden Botulinumtoxine wurden von Bakterien des Stammes Clostridium botulinum Typ A gebildet: Botox®, Dysport® und Xeomin®. Seit einiger Zeit steht eine weitere Substanz zur Verfügung, die von dem Bakterienstamm Typ B gebildet wird: Neurobloc®. Wenn ein Patient Antikörper gegen eines der Präparate vom Typ A gebildet hat, kann das Präparat Typ B verabreicht werden.

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