Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte Anfälle gekennzeichnet ist. Viele Betroffene und Angehörige stellen sich die Frage, ob Epilepsie lebensbedrohlich sein kann. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte der Sterblichkeit bei Epilepsie, einschließlich der Ursachen, Risikofaktoren und Präventionsmaßnahmen.
Epilepsie und Lebenserwartung: Ein komplexes Verhältnis
Grundsätzlich verkürzt Epilepsie nicht in jedem Fall die Lebenserwartung. Allerdings zeigen statistische Daten, dass Epilepsiepatienten im Durchschnitt eine kürzere Lebenserwartung haben als die Normalbevölkerung. Dies liegt daran, dass Epilepsiepatienten genauso häufig an Herzinfarkt, Schlaganfall oder Krebs sterben wie die Normalbevölkerung.
Todesursachen bei Epilepsiepatienten
Um die Frage nach der Sterblichkeit bei Epilepsie besser zu verstehen, ist es wichtig, die verschiedenen Todesursachen zu betrachten:
- Grunderkrankungen: Wenn die Anfälle durch eine Grunderkrankung wie einen Hirntumor, eine schwere Hirnfehlbildung oder eine Stoffwechselerkrankung verursacht werden (symptomatische Epilepsie), kann dies zu einer verkürzten Lebenserwartung führen. Die Sterblichkeitsrate von Patienten mit symptomatischer Epilepsie ist im Vergleich zur Normalbevölkerung deutlich erhöht. Bei idiopathischen Epilepsien, bei denen keine Ursache festzustellen ist, ist die Sterblichkeitsrate nur leicht erhöht.
- Direkte Folgen eines Anfalls: Der Tod als direkte Folge eines Anfalls (nicht als Unfall) ist selten. Er kann jedoch im Zusammenhang mit einem Grand-Mal-Status auftreten, wenn Notfallmaßnahmen nicht greifen. Mögliche Todesursachen sind Herzrhythmusstörungen, Atemversagen oder Hirnödeme.
- Selbsttötung: Der Anteil an Selbsttötungen bei Epilepsiepatienten ist im Vergleich zur Normalbevölkerung 3-4 mal höher. Ursachen hierfür sind soziale Probleme, unbefriedigender Krankheitsverlauf und Depressionen. Eine gute sozialpädagogische Begleitung und frühzeitig einsetzende antidepressive Therapie können vorbeugend wirken.
- SUDEP (Sudden Unexpected Death in Epilepsy): Einige Patienten sterben plötzlich und unerwartet, ohne dass eine eindeutige Todesursache festzustellen ist. Dieses Phänomen wird als SUDEP bezeichnet.
SUDEP: Plötzlicher unerwarteter Tod bei Epilepsie
SUDEP ist die Abkürzung für "sudden unexpected death in epilepsy patients" (plötzlicher unerwarteter Tod bei Epilepsiepatienten). Es beschreibt den plötzlichen, unerwarteten Tod eines Menschen mit Epilepsie, der nicht auf eine andere Ursache zurückzuführen ist. Oft werden die Betroffenen morgens tot im Bett aufgefunden, ohne Anzeichen für einen Anfall oder Komplikationen.
Risikofaktoren für SUDEP
Es gibt verschiedene Risikofaktoren, die mit einem erhöhten SUDEP-Risiko in Verbindung gebracht werden:
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- Generalisierte tonisch-klonische Anfälle: Diese Anfallsart ist der Hauptrisikofaktor für SUDEP. Insbesondere häufige Anfälle (mehr als vier pro Jahr) erhöhen das Risiko deutlich.
- Nächtliche Anfälle: Anfälle, die im Schlaf auftreten, werden oft nicht bemerkt, was die Wahrscheinlichkeit einer rechtzeitigen Hilfe verringert.
- Schlechte Anfallskontrolle: Patienten, deren Anfälle trotz medikamentöser Behandlung nicht gut kontrolliert sind, haben ein höheres SUDEP-Risiko.
- Unregelmäßige Medikamenteneinnahme: Die unregelmäßige Einnahme von Antiepileptika kann zu einer schlechteren Anfallskontrolle führen und das SUDEP-Risiko erhöhen.
- Weitere Faktoren: Ein früher Beginn der Epilepsieerkrankung, eine medikamentöse Behandlung mit mehreren Antiepileptika, häufiger Wechsel der Medikamente und Mehrfachbehinderung können ebenfalls das Risiko erhöhen.
- Alleinleben und Alleinschlafen: Bei Menschen, die allein leben und schlafen, ist das Risiko für SUDEP erhöht, da im Falle eines Anfalls keine Hilfe verfügbar ist.
Was passiert bei SUDEP?
Die genauen physiologischen Abläufe, die bei SUDEP zum Tod führen, sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass Funktionsstörungen des zentralen autonomen Nervensystems, insbesondere Störungen in der Regulation von Atmung und Herzschlag, eine Rolle spielen. Die wissenschaftliche MORTEMUS-Studie zeigt, dass Betroffene in der postiktalen Phase, nach dem Krampfanfall, aufhören zu atmen. Denn nach dem Krampfanfall ist die Gehirn-Aktivität niedrig. Im schlimmsten Fall so niedrig, dass das Gehirn kein Atem-Kommando mehr in den Körper schickt. Ohne Atmung gelangt kein Sauerstoff mehr ins Blut und das Herz hört auf zu schlagen.
Kann man SUDEP vermeiden?
Obwohl SUDEP nicht vollständig vermeidbar ist, gibt es Maßnahmen, die das Risiko verringern können:
- Optimierte Anfallskontrolle: Die wichtigste Vorsorgemaßnahme ist, eine bestmögliche Anfallskontrolle zu erreichen. Dies kann durch eine angepasste medikamentöse Therapie oder, bei fokalen Epilepsien, durch eine Operation erreicht werden.
- Regelmäßige Medikamenteneinnahme: Die Einnahme von Antiepileptika gemäß den ärztlichen Anweisungen ist entscheidend für eine gute Anfallskontrolle.
- Vermeidung von Risikofaktoren: Ein guter und ausreichender Schlaf und Alkoholverzicht können Anfälle verhindern.
- Schlafposition: In Bauchlage ist es für den Körper schwieriger, zu atmen. Deswegen empfehlen manche Experten den Epilepsie-Patient:innen, dass sie nicht auf dem Bauch schlafen sollen.
- Überwachungssysteme: Für Alleinschlafende können Monitoring-Systeme sinnvoll sein, die bei einem Anfall Alarm schlagen. Tragbare Geräte oder Elektroden messen dabei die Körpersignale des/der Patient:in. Wenn sie einen epileptischen Anfall bemerken, dann schlagen sie Alarm. Das ist besonders nachts sinnvoll, wo Hilfspersonen den Anfall nicht selber bemerken.
- Erste Hilfe nach dem Anfall: Wenn Betroffene nun doch einen Anfall haben, dann sollte man sie danach gut beobachten - mindestens eine Stunde lang. Atmet die Person? Schlägt das Herz regelmäßig? Wenn der/die Betroffene nicht atmet, dann schnell: Zuerst die 112 anrufen. Dann muss man eine Herz-Lungen-Wiederbelebung starten. Dazu drückt man 30-mal auf die Mitte vom Brustkorb (4-6cm tief). Dann beatmet man die/den Betroffenen 2-mal mit der Mund-zu-Mund-Beatmung.
Umgang mit der Diagnose Epilepsie
Mit der Diagnose Epilepsie sehen sich Patienten vor viele Fragen und Herausforderungen gestellt. Es sind die Anfälle selber, die Untersuchungen, die Medikamente, die Reaktion der Umgebung, die Einschränkungen (angenommene oder tatsächliche) …eine lange Liste, die jeder Patient und dessen Angehörige bestimmt ohne Weiteres fortsetzen kann. Neben der medizinischen Behandlung ist es wichtig, psychologische und soziale Unterstützung in Anspruch zu nehmen, um die Lebensqualität zu verbessern.
Psychosoziale Unterstützung
- Psychotherapie: Eine Psychotherapie kann helfen, mit den Folgen der Erkrankung umzugehen und die Lebensqualität zu verbessern.
- Krisendienste Bayern: Die Krisendienste Bayern sind ein psychosoziales Beratungs- und Hilfeangebot für alle Menschen in Bayern. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800 / 655 3000 erhalten Menschen in seelischen Krisen, Mitbetroffene und Angehörige qualifizierte Beratung und Unterstützung. Die Krisendienste Bayern sind in ganz Bayern erreichbar und beraten telefonisch in über 120 Sprachen. In dringenden Fällen können die Krisendienste Bayern den Einsatz erfahrener Fachkräfte am Ort der Krise in die Wege leiten.
- Nummer gegen Kummer: Wenn ihr jemanden braucht, dem ihr euch anvertrauen könnt, dann sind wir von der Nummer gegen Kummer für euch da. Egal was euch bewegt, wir sind da! Unsere ausgebildeten Beratenden beraten euch oder hören einfach nur zu. An der Helpline Ukraine erhaltet ihr montags bis freitags von 14 bis 17 Uhr unter 0800 500 225 0 eine kostenlose telefonische Beratung auf Ukrainisch und Russisch. Nummer gegen Kummer bietet seit über 40 Jahren telefonische Beratung für Kinder, Jugendliche und auch Eltern an. Seit 2003 gibt es auch eine Online-Beratung für junge Menschen.
- Offene Türen: Die Offenen Türen bieten in Hamburg, Bremen, Schweinfurt, Würzburg, Erlangen, Nürnberg, München, Freiburg, Stuttgart, Karlsruhe, Heilbronn, Mannheim und Frankfurt zentral gelegene Beratungsstellen, die Sie ohne Voranmeldung und Terminvereinbarung aufsuchen können. Sie erhalten während der Öffnungszeiten kurzfristig eine Beratung. Bei der „Offenen Tür Berlin“ und den Face-to-Face-Stellen der TelefonSeelsorge ist eine Terminvereinbarung notwendig. Aber auch hier erhalten Sie meist innerhalb kurzer Zeit einen Termin. Face-to-Face-Stellen gibt es in Berlin, Passau, Saarbrücken, Trier, Mainz-Wiesbaden, Bonn, Duisburg und Bochum.
Selbsthilfe und Informationen
- Epilepsie-Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann sehr hilfreich sein.
- Oskar Killinger Stiftung: Im Namen unseres Sohnes gründeten wir 2021 die Oskar Killinger Stiftung mit dem Ziel, die systemischen Informationsdefizite im Bereich Epilepsie zu benennen und zu überwinden. Andere Familien sollen nicht das gleich durchmachen müssen, wie wir. Diese alten Denkmuster, die einer gleichberechtigten Epilepsietherapie auf Augenhöhe entgegenstehen, müssen überwunden werden. Deshalb fördern wir den Aufbau einer Präventions-Infrastruktur in Deutschland. Bis 2030 soll eine flächendeckende Aufklärung über das SUDEP-Risiko und Präventionsmaßnahmen gewährleistet sein - so wie es im Gesetz und in den ärztlichen Leitlinien steht.
Unterstützung für Angehörige
Es ist mit Sicherheit schwer einen geliebten Menschen unerwartet zu verlieren, sei es durch SUDEP oder durch eine andere Todesart. Bei Patienten mit einer schwer einstellbaren Epilepsie sollte man sich bewusst ein, dass diese Möglichkeit besteht. Ob durch SUDEP, Unfall im Anfall oder einen Status, es besteht ein Risiko. Aber - auch Patienten mit anderen chronischen Erkrankungen leben mit ähnlichen Unsicherheiten.
- Epilepsy Bereaved: In Großbritannien gibt es die Selbsthilfe- Organisation „Epilepsy Bereaved“, die Epilepsie-Hinterbliebenen, welche Informationsmaterial zum Thema SUDEP für den englischsprachigen Raum bereithält und den Angehörigen auf ihrer Internetseite www.sudep.org Unterstützung anbietet. Spezielle Unterstützung für Angehörige, die einen geliebten Menschen durch SUDEP verloren haben, gibt es in Deutschland (noch) nicht in organisierter Form.
- Trauergruppen und Seelsorger: Die Teilnahme an einer Trauergruppe oder einer Epilepsie-Selbsthilfegruppe ist jedoch mittlerweile in fast jeder Stadt möglich. Auch Seelsorger sind gerne bereit mit Gesprächen bei der Trauerarbeit zur Seite zu stehen.
- Gespräche mit dem behandelnden Arzt: Wünschenswert ist auch ein Gesprächsangebot des behandelnden Arztes für die Angehörigen, um eventuelle Fragen zu beantworten. Das ist insbesondere dann hilfreich, wenn noch jemand in der Familie von Epilepsie betroffen ist.
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