Wenn von Epilepsie die Rede ist, haben viele Menschen das Bild eines Grand-mal-Anfalls vor Augen: ein Mensch stößt einen Schrei aus, fällt bewusstlos zu Boden und der ganze Körper verkrampft und zuckt. Dieses Bild entspricht jedoch nur einer bestimmten Anfallsform, die vergleichsweise selten ist. Epilepsie kann sich vielfältig äußern, von kurzen Bewusstseinspausen bis hin zu Muskelkrämpfen und Bewusstseinsverlust. In diesem Artikel werden die Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten der myoklonischen Epilepsie beleuchtet.
Was ist Epilepsie?
Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle entstehen durch eine plötzliche, abnorme elektrische Aktivität im Gehirn, eine sogenannte neuronale Netzstörung. Ein epileptischer Anfall äußert sich als ein vorübergehendes Auftreten von subjektiven Zeichen und/oder objektivierbaren Symptomen aufgrund einer pathologisch exzessiven und/oder synchronisierten neuronalen Aktivität im Gehirn.
Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) definiert Epilepsie als das Auftreten von mindestens zwei unprovozierten Anfällen im Abstand von mehr als 24 Stunden oder das Vorliegen eines einzelnen Anfalls mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für weitere Anfälle in den nächsten 10 Jahren. Ein einmaliger Krampfanfall bedeutet also nicht zwangsläufig, dass eine Epilepsie vorliegt, die behandelt werden muss.
Ursachen der Epilepsie
Bei einer Epilepsie kommt es durch unterschiedlichste Ursachen und Auslöser zu einer übermäßigen elektrischen Entladung von Nervenzellen im Gehirn. Die Ursachen der Epilepsie sind vielfältig und oft nicht vollständig geklärt. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen:
- Strukturelle Ursachen: Umschriebene pathologische Hirnveränderungen, die erworben oder genetisch bedingt sein können, wie z.B. Hirntumore, Hirninfarkte, Kontusionsdefekte, vaskuläre Malformationen, Enzephalozelen, fokale kortikale Dysplasien, Polymikrogyrie der kortikalen Neurone, hypothalamische Hamartome oder eine Hippocampussklerose. Auch eine perinatale Hirnschädigung kann eine Epilepsie verursachen.
- Genetische Ursachen: Mehrere hundert Gene und Gen-Veränderungen wurden identifiziert, die vermutlich oder sicher eine Epilepsie (mit)verursachen. Die Mehrzahl der Fälle der idiopathischen generalisierten Epilepsien (IGE) sind polygenetische Erkrankungen. Das Erkrankungsrisiko hängt von verschiedenen genetischen Suszeptibilitätsfaktoren und Umwelteinflüssen ab.
- Infektiöse Ursachen: Infektionen sind die weltweit häufigste Ursache von Epilepsie. Eine infektiöse Ätiologie bezieht sich auf Patienten mit Epilepsie und nicht auf Patienten, die Anfälle im Verlauf einer akuten Infektion erleiden.
- Metabolische Ursachen: Eine metabolisch verursachte Epilepsie ist direkte Folge einer Stoffwechselstörung, die epileptische Anfälle als Kernsymptomatik aufweist.
- Immunologische Ursachen: Eine immunologische Epilepsie ist auf eine autoimmun vermittelte Entzündung des ZNS zurückzuführen.
- Unbekannte Ursachen: Bei einigen Epilepsieformen ist die Ursache (noch) nicht bekannt.
Konkret können folgende Faktoren eine Rolle spielen:
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- Stoffwechselstörungen: Veränderungen im Stoffwechsel können die Erregbarkeit der Nervenzellen beeinflussen.
- Genetische Faktoren: Eine familiäre Veranlagung kann das Risiko für Epilepsie erhöhen. Neuere Untersuchungen zeigen, dass es auch genetische Risikofaktoren für die Entwicklung einer Epilepsie gibt.
- Kopfverletzungen: Traumatische Hirnverletzungen können zu strukturellen Veränderungen im Gehirn führen, die epileptische Anfälle begünstigen.
- Gutartige und bösartige Tumore: Tumore im Gehirn können das umliegende Gewebe reizen und Anfälle auslösen.
- Hirnhautentzündungen: Entzündungen des Gehirns können die Funktion der Nervenzellen beeinträchtigen.
- Schlaganfälle: Durchblutungsstörungen im Gehirn können zu Schäden führen, die epileptische Anfälle verursachen.
- Schwangerschaftskomplikationen oder eine Störung der Entwicklung des Gehirns bei Säuglingen und Kleinkindern.
Ein wichtiger Unterschied zwischen Epilepsie und Krampfanfall ist, dass es bei Epilepsie keinen akuten Auslöser gibt, sondern eine dauerhafte Ursache wie eine strukturelle Veränderung im Gehirn oder eine chronische Grunderkrankung, die immer wieder zu Anfällen führt.
Myoklonische Anfälle
Ein myoklonischer Anfall ist durch plötzliche, kurze, unwillkürliche Muskelzuckungen (Myoklonien) gekennzeichnet. Diese Zuckungen können einzelne Muskeln oder ganze Muskelgruppen betreffen. Im Gegensatz zu anderen Anfallsformen verursachen myoklonische Anfälle in der Regel keine Bewusstseinsstörungen. Die Zuckungen sind weniger regelmäßig und dauern kürzer als klonische Zuckungen.
Familiäre adulte myoklonische Epilepsie (FAME)
Die Familiäre adulte myoklonische Epilepsie (FAME) ist eine seltene Erkrankung, bei der Betroffene unter Muskelzuckungen (Myoklonien) und epileptischen Anfällen leiden. Die ersten Symptome zeigen sich meist im Erwachsenenalter, etwa in der dritten Lebensdekade. Der Verlauf ist in der Regel gutartig, aber die Anfälle und das Zittern bzw. die Myoklonien können die Lebensqualität beeinträchtigen. Wissenschaftler haben im Rahmen internationaler Studien genetische Ursachen für die Erkrankung entdeckt.
Juvenile myoklonische Epilepsie (JME)
Die juvenile myoklonische Epilepsie (JME), auch Janz-Syndrom genannt, ist eine häufige Form der Epilepsie, die typischerweise im Jugendalter zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr auftritt. Charakteristisch sind mehr oder weniger stark ausgeprägte Muskelzuckungen (Myoklonien), die vor allem morgens nach dem Aufwachen auftreten. Während des Anfalls bewegen sich die Arme heftig und unkoordiniert, wodurch Gegenstände, die der Patient in der Hand hält, unwillentlich fortgeschleudert werden können. Manchmal knicken auch die Beine ein. Viele Betroffene entwickeln im Verlauf generalisierte Krampfanfälle oder Bewusstseinstrübungen (Absencen).
Symptome der Epilepsie
Die Symptome einer Epilepsie können sehr vielfältig sein und hängen von der Art des Anfalls und der betroffenen Hirnregion ab. Nicht jeder Anfall äußert sich durch das typische Bild der verkrampfenden und zuckenden Muskulatur. Manche Anfälle werden von den Betroffenen und ihren Angehörigen kaum wahrgenommen, während andere zu Bewusstlosigkeit, Muskelkrämpfen, Stürzen und Zittern führen können. Auch Störungen des Geruchssinns, Halluzinationen, Wutausbrüche, Migräne und Übelkeit können auftreten.
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Allgemeine Symptome bei epileptischen Anfällen können sein:
- Bewusstseinsveränderungen: Geistige Abwesenheit (Absence), Bewusstseinsverlust
- Wahrnehmungsstörungen: Sehstörungen, Geschmacks- und Geruchshalluzinationen
- Schwindelgefühle
- Übelkeit und Unwohlsein
- Kribbeln in den betroffenen Körperteilen
- Ungewöhnliche Muskelaktivität: Muskelzuckungen und Krämpfe
- Unwillkürliche Laute
Je nach Art des Anfalls sind die Betroffenen in der Regel zwischen den Anfällen beschwerdefrei und weisen keine neurologischen Symptome auf.
Klassifikation epileptischer Anfälle
Um die verschiedenen Formen epileptischer Anfälle zu ordnen, hat die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) ein Klassifikationssystem entwickelt, das die Anfallsformen nach ihren Merkmalen unterscheidet. Im ersten Schritt wird nach dem Beginn des Anfalls unterschieden:
- Fokaler Beginn: Der Anfall findet in einer Hirnhälfte statt.
- Generalisierter Beginn: Der Anfall geht von beiden Hirnhälften aus.
- Unbekannter Beginn: Es ist nicht bekannt, wie der Anfall angefangen hat.
Anfälle mit fokalem Beginn werden danach unterschieden, ob der Betroffene sie bewusst oder nicht bewusst erlebt. Anschließend werden sie nach ihrem anfänglichen Erscheinungsbild klassifiziert (motorisch oder nicht-motorisch).
Motorischer Beginn
Unter dem Begriff "motorisch" fasst man Muskelaktivitäten zusammen, wie beispielsweise Muskelzuckungen oder -krämpfe, aber auch eine Muskelerschlaffung (Atonie, atonisch). Die verschiedenen motorischen Symptome bei einem epileptischen Anfall werden mit spezifischen Fachbegriffen beschrieben:
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- Klonisch: Symmetrische oder asymmetrische Zuckungen, die rhythmisch sind und identische Muskelgruppen betreffen.
- Myoklonisch: Plötzliche, sehr kurze, einzelne oder mehrfache unrhythmische Muskelzuckungen, die weniger regelmäßig sind und kürzer andauern als klonische Zuckungen.
- Tonisch: Eine zunehmende Muskelanspannung (Kontraktion), die einige Sekunden bis Minuten anhält.
- Epileptische Spasmen: Plötzliche Muskelaktivität, die anfallsweise häufig wiederholt werden kann (Cluster).
- Automatismus: Bewegungen, die aussehen wie alltägliche koordinierte Handlungen, die die Betroffenen jedoch nicht willentlich steuern.
- Hyperkinetisch: Die Betroffenen bewegen sich sehr stark, sie strampeln beispielsweise.
Nicht-motorischer Beginn
Hierunter fallen beispielsweise Symptome während eines Anfalls wie:
- Innehalten: Aktivitätspause, Erstarren, Bewegungslosigkeit
- Kognitive Einschränkungen: Sprach- und Sprechstörungen (Aphasie, Apraxie), Wahrnehmungsstörungen oder Halluzinationen
- Emotionales Verhalten: Angst, Furcht, Wut sowie Lachanfälle oder Weinen
- Autonome Reaktionen: Erröten, Blässe, Gänsehaut, Erektion, Veränderungen des Herzschlags oder der Atmung, Übelkeit
- Sensible/sensorische Störungen (Sinnesstörungen): Störungen des Hör-, Geschmacks- oder Geruchssinns, Gleichgewichtsstörungen oder Sehstörungen
Diagnose der Epilepsie
Die Diagnose der Epilepsie basiert auf einer sorgfältigen Anamnese (Krankengeschichte) und neurologischen Untersuchung. Wichtig ist die genaue Beschreibung der Anfälle durch den Patienten oder Angehörige. Zur weiteren Diagnostik gehören:
- Elektroenzephalogramm (EEG): Das EEG misst die elektrische Aktivität des Gehirns und kann epilepsietypische Veränderungen aufzeigen.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Die MRT ist ein bildgebendes Verfahren, das detaillierte Aufnahmen des Gehirns liefert und strukturelle Veränderungen wie Tumore oder Narben sichtbar machen kann.
- Blutuntersuchungen: Blutuntersuchungen können Stoffwechselstörungen oder andere Erkrankungen aufdecken, die als Ursache für die Epilepsie in Frage kommen.
Behandlung der Epilepsie
Ziel der Behandlung ist es, die Anfälle zu kontrollieren und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Die medikamentöse Therapie mit Antiepileptika (Anfallssuppressiva) ist die wichtigste Säule der Behandlung.
Medikamentöse Therapie
Es gibt eine Vielzahl von Antiepileptika, die unterschiedlich wirken und unterschiedliche Nebenwirkungen haben. Die Wahl des Medikaments richtet sich nach der Art der Epilepsie, dem Alter des Patienten und anderen individuellen Faktoren. Oft ist eine lebenslange Einnahme der Anfallssuppressiva notwendig, um Anfallsfreiheit zu erreichen.
Bei der juvenilen myoklonischen Epilepsie (JME) ist Valproat meist die Therapie der ersten Wahl, da es oft ein gutes Ansprechen zeigt. Alternativ können Lamotrigin, Ethosuximid, Levetiracetam, Topiramat, Primidon, Clonazepam und Acetazolamid eingesetzt werden. Die Medikation sollte immer individuell gewählt werden.
Nicht-medikamentöse Therapien
In einigen Fällen können auch nicht-medikamentöse Therapien in Betracht gezogen werden:
- Chirurgische Therapie: Wenn die Anfälle von einem bestimmten Bereich im Gehirn ausgehen, der operativ entfernt werden kann, kann eine Operation eine Option sein.
- Ketogene Diät: Diese spezielle Diät kann bei manchen Epilepsieformen die Anfallshäufigkeit reduzieren.
- Vagusnervstimulation: Bei dieser Methode wird ein Nerv im Halsbereich stimuliert, um die Anfallshäufigkeit zu verringern.
Verhalten bei einem epileptischen Anfall
Wenn man Zeuge eines epileptischen Anfalls bei einer anderen Person wird, ist es wichtig, ruhig und besonnen zu bleiben. Vor allem sollte man überlegen, wie man die Person vor Verletzungen schützt. Alles andere hängt von der Stärke und der Art der Anfälle ab.
Leichte epileptische Anfälle mit wenigen Symptomen: Bei kurzen Absencen oder Muskelzuckungen besteht keine unmittelbare Gefahr. Danach können sich die Betroffenen unsicher fühlen und Unterstützung benötigen.
Anfälle mit eingeschränktem Bewusstsein oder Verhaltensänderungen: Wenn Menschen mit einem epileptischen Anfall verwirrt wirken, ist es wichtig, sie vor Gefahren zu schützen (z. B. im Straßenverkehr). Gehen Sie dabei mit der Person ruhig um und fassen Sie sie nicht hart an. Hektik, Zwang oder Gewalt können zu starken Gegenreaktionen führen. Versuchen Sie dem oder der Betroffenen Halt und Nähe zu vermitteln.
Große generalisierte epileptische Anfälle: Bei einem großen generalisierten Anfall verkrampft der ganze Körper und die Person verliert das Bewusstsein. In diesen Fällen sollten Sie:
- Den Notruf 112 rufen, da ein epileptischer Anfall verschiedene Ursachen haben und das Symptom eines lebensbedrohlichen Notfalls sein kann.
- Für Sicherheit sorgen, indem Sie z. B. gefährliche Gegenstände beiseite räumen.
- Den Kopf des Betroffenen abpolstern.
- Seine/ihre Brille abnehmen.
- Enge Kleidung am Hals lockern, um die Atmung zu erleichtern.
- Menschen, die in der Situation nicht helfen können, bitten, weiterzugehen.
- Nach dem Anfall bei der Person bleiben und Ihre Unterstützung anbieten.
- Wenn die Person nach dem Anfall erschöpft ist und einschläft, sie in die stabile Seitenlage bringen.
Was Sie in keinem Fall tun sollten:
- Die/den Betroffene/n festhalten oder zu Boden drücken.
- Der betroffenen Person etwas in den Mund schieben - auch wenn sie sich in die Zunge beißt.
Leben mit Epilepsie
Mit einer gut eingestellten medikamentösen Therapie können viele Menschen mit Epilepsie ein uneingeschränktes und selbstständiges Leben führen. Wichtig ist eine konsequente Einnahme der Medikamente und die Vermeidung von Auslösern, die Anfälle provozieren können. Dazu gehören beispielsweise Schlafmangel, Stress, Alkohol und flackerndes Licht.
Die Angst vor einem Anfall kann Betroffene psychisch belasten. Daher ist es wichtig, sich mit der Erkrankung auseinanderzusetzen und Unterstützung bei Ärzten, Therapeuten oder Selbsthilfegruppen zu suchen.
Prognose der Epilepsie
Die Prognose bezüglich Anfallsfreiheit variiert stark. Bis zu zwei Drittel der Patientinnen und Patienten werden durch die medikamentöse Therapie mit Antikonvulsiva anfallsfrei. Da Epilepsie jedoch nicht heilbar ist, gilt die Anfallskontrolle als wichtigstes Ziel.
Im Kindesalter ist die Prognose oft sehr gut, sodass nicht jeder einmalige Anfall sofort zu einer dauerhaften Therapie führen muss.
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