Progressive Myoklonusepilepsien: Ein Überblick über Ursachen, Diagnose und Therapie

Progressive Myoklonusepilepsien (PME) bilden eine vielgestaltige Gruppe von Erkrankungen. Kennzeichnend für diese Gruppe ist das Auftreten von zunehmenden, meist therapieresistenten Myoklonien und anderen epileptischen Anfällen bei zuvor normal entwickelten Kindern, Jugendlichen und in seltenen Fällen auch Erwachsenen. Zusätzlich zu den epileptischen Symptomen entwickeln die Betroffenen fortschreitende Ataxie und kognitive Beeinträchtigungen, die bis zur Demenz reichen können.

Definition und Historischer Hintergrund

Die Bezeichnung "Progressive Myoklonusepilepsie" (PME) wurde erstmals 1903 von dem schwedischen Neurologen und Psychiater Herman Lundborg vorgeschlagen. Sie umfasst heute eine heterogene Gruppe von Epilepsiesyndromen, die durch zunehmende myoklonische und bilaterale (generalisierte) tonisch-klonische Anfälle, Ataxie und meist kognitiven Abbau bis hin zur Demenz gekennzeichnet sind. Bereits 1891 erfolgte eine erste Beschreibung durch den deutschen Internisten und Neurologen Heinrich Unverricht und Herman Lundborg.

Genetische Grundlagen

Bislang sind 12 genetisch differenzierte Formen der PME bekannt. Darüber hinaus gibt es weitere Erkrankungen und Gene, die mit PME assoziiert sind.

Bekannte Formen der PME:

  • EPM1A (Unverricht-Lundborg-Krankheit): Mutationen im Gen CSTB.
  • Lafora-Krankheit (EPM2A): Mutationen in den Genen EPM2A oder NHLRC1. Pathogenese: Polysaccharid-Stoffwechselstörung mit Ablagerung von aus Polyglucosanen bestehenden „Lafora-Körperchen". Klassischer Beginn bei Schulkindern und Jugendlichen (6 bis 19 Jahre; Gipfel um das 15. Lebensjahr) mit reizabhängigen generalisierten tonisch-klonischen Anfällen, Absencen und myoklonischen Anfällen (perioral in der Regel ausgespart!), gelegentlich auch fokale (okzipitale) Anfälle mit visuellen Halluzinationen (besonders bei Patienten mit EPM2A-Mutationen) oder Status epileptici, gefolgt von demenziellem Abbau und neurologischer Verschlechterung. EEG: schon präklinisch verlangsamte Grundaktivität, zunehmend häufige, paroxysmale irreguläre Spike-Wave-Aktivität, häufig auch Photosensibilität (EEG-Veränderungen sind evtl.
  • PME 3: Ursächliche Mutationen des Gens PRICKLE1. Das klinische Bild bei einer arabischen Familie war mit demjenigen einer PME 1A kompatibel, aber keine Mutationen des Gens CSTB waren nachweisbar. Beginn mit myoklonischen oder tonisch-klonischen Anfällen im Alter von durchschnittlich 7,5 Jahren, Zunahme der Myoklonien im Verlauf und zusätzliche Ataxie bei allen. Einige Patienten wurden rollstuhlpflichtig, anderen konnten ohne Hilfe gehen. Kognitive Einschränkungen wurden nicht beschrieben.
  • PME 4: Ursächliche Mutationen des Gens KCTD7, klinisch bei den 3 Mitgliedern der blutsverwandten marokkanischen Familie nach zunächst normaler Entwicklung Beginn epileptischer Anfälle zwischen dem 16. und 24. Lebensmonat; dabei handelte es sich um multifokale Myoklonien, die durch Bewegungen verschlimmert wurden, und generalisierte tonisch-klonische Anfälle; alle 3 Patienten waren dement. Die 8 Patienten einer späteren Publikation präsentierten sich ebenfalls mit Myoklonien und anderen epileptischen Anfällen sowie einer Ataxie, das mittlere Erkrankungsalter betrug 19 Monate, und innerhalb von 2 Jahren kam es zu einem fortschreitenden Verlust der intellektuellen und motorischen Fähigkeiten
  • PME 5: Reklassifiziert als sensorische ataktische Neuropathie, Dysarthrie und Ophthalmoparese (SANDO). Ursächliche Mutationen des Gens POLG.
  • PME 6: Ursächliche Mutationen des Gens SCARB. Klinisch Beginn in der zweiten oder dritten Lebensdekade mit progredientem Nierenversagen in Verbindung mit Tremor, Kleinhirnzeichen und seltenen bilateral tonisch-klonischen Anfällen. Andere, frühere Bezeichnungen: Aktionsmyoklonien-(progredientes) Nierenversagen-Syndrom, Andermann-Syndrom II, Myoklonus-Nephropathie-Syndrom.
  • PME 8: Ursächliche Mutationen des Gens GOSR2. Klinisch durchschnittlich im Alter von 2 Jahren auftretende Ataxie, gefolgt von myoklonischen Anfällen im Durchschnittsalter von 6,5 Jahren und im weiteren Verlauf mehreren Anfallstypen einschließlich bilateraler tonisch-klonischer Anfälle, Absencen und Sturzanfällen. Stets Entwicklung einer Skoliose im Jugendalter, teilweise auch zusätzliche Skelettdeformitäten (Pes cavus und Syndaktylie). Ebenfalls stets erhöhte Serumkreatinkinasewerte (Median über 700 IE) bei normalen Muskelbiopsien. Im EEG ausgeprägte generalisierte Spike-und-Wave-Entladungen mit posteriorer Dominanz und Fotosensibilität, häufiger zusätzlich auch fokale EEG-Auffälligkeiten. Im weiteren Verlauf mit durchschnittlich 13 Jahren Rollstuhlpflicht und häufiger Todesfälle schon im dritten oder frühen vierten Jahrzehnt. Frühere Bezeichnung: Nordsee-progressive Myoklonus-Epilepsie (NPME).
  • PME 9: Ursächliche Mutationen des Gens KCNC1. Klinisch ähnliches Bild wie bei der EPM1A mit zunächst normaler Entwicklung, Beginn der Myoklonien um das 10. Lebensjahr herum, dann Hinzutreten seltener bilateral (generalisierter) tonisch-klonischer Anfälle, nur milde kognitive Störungen und im EEG Nachweis generalisierter epileptiformer Entladungen. Klinisch auffällig ist eine signifikante Besserung der Symptome bei Fieber. Frühere Bezeichnung: Myoklonusepilepsie und Ataxie aufgrund einer Kaliumkanalmutation (MEAK).
  • PME 10: Ursächliche Mutationen des Gens CERS1. Krankheitsbeginn bei einer Familie algerischer Herkunft zwischen dem 6. und 16. Lebensjahr, ungewöhnlich schwerer Verlauf mit Myoklonien, bilateral tonisch-klonische Anfällen und mäßiger bis schwerer kognitiver Beeinträchtigung.
  • PME 11: Ursächliche Mutationen des Gens LMNB2. Klinisch bei 2 Geschwisterkindern einer arabisch-palästinensischen Familie nach bis zum Alter von 6 bis 7 Jahren normaler Entwicklung myoklonische Anfälle mit Stürzen, im weiteren Verlauf Verschlechterung des Gehens bis zur Rollstuhlpflichtigkeit und Hinzutreten tonisch-klonischer Anfälle. Außerdem die Gliedmaßen und die bulbären Muskeln betreffender Aktionsmyoklonus, keine Beeinträchtigung kognitiver Funktionen trotz sich verschlechternder Epilepsie. Im MRT bei einer Patientin komplette Agenesie des Corpus callosum, Ventrikelvergrößerung sowie eine linksseitige interhemisphärische Zyste und vereinfachte frontale Gyrierung.
  • PME 12: Ursächliche Mutationen des Gens PRDM8. Klinisch bei 2 der 3 erstbeschriebenen Patienten früh, mit 5 bis 7 Jahren beginnende Krankheit mit Dysarthrie, Myoklonien und Ataxie. Die Kombination aus frühem Beginn und früher Dysarthrie lässt an eine spätinfantile Variante der neuronalen Zeroidlipofuszinose denken, pathologisch finden sich aber Lafora-Körper und der weitere Verlauf entspricht einer typischen PME mit zunehmenden Gangstörungen, häufigen Stürzen und schließlich Rollstuhlpflicht oder sogar Bettlägerigkeit, teilweise Sprachverlust. Außerdem im Verlauf auch bilaterale tonisch-klonische Anfälle sowie psychiatrische Störungen. Bei der dritten bislang beschriebenen Patientin Beginn erst im Erwachsenenalter und keine generalisierten tonisch-klonischen Anfälle
  • PME 13: Ursächliche Mutationen des Gens SEMA6B. Klinisch waren die kindlichen Entwicklungsmeilensteine bis zum Alter von 2 Jahren überwiegend normal, Beginn der Epilepsie im Alter zwischen anderthalb und etwa 6 Jahren, Beginn einer Regression im Alter von 2 bis 4 Jahren. Im Alter von 10 bis 14 Jahren meist Rollstuhlpflicht, sprachliche Kommunikation nur mit wenigen Wörtern bis zu Zwei-Wort-Sätzen oder auch nicht mehr möglich. Häufig Mikrozephalie, bei den epileptischen Anfällen handelte es sich um (bilaterale) generalisierte tonisch-klonische Anfälle, Absencen und atonische Anfälle, zusätzlich Rigidität und/oder Myoklonien sowie Ataxie und Intentionstremor, im MRT leichte zerebelläre Atrophie.
  • PME 14: Ursächliche Mutationen des Gens SLC7A6OS. Klinisch bei den 6 Patienten im Alter von 22 bis 43 Jahren aus 2 nicht verwandten Familien portugiesischer bzw. türkischer Herkunft Beginn zwischen dem 11. und 21. Lebensjahr; bei 4 Patienten mit bilateralen (generalisierten) tonisch-klonischen Anfällen, bei den beiden anderen mit Myoklonien. Im Verlauf entwickelten alle Myoklonien und alle außer einem bilaterale tonisch-klonische Anfälle. Zusätzliche Merkmale waren eine zerebelläre Ataxie, oft mit Dysarthrie oder Dysmetrie, und eine Abnahme der Selbstständigkeit beim Gehen, bei 4 Patienten im Alter von 17 bis 30 Jahren Rollstuhlpflicht. Drei Patienten hatten eine leichte kognitive Beeinträchtigung, die sich hauptsächlich als Aufmerksamkeitsstörung manifestierte, und mehrere hatten komorbide psychiatrische Störungen einschließlich Depression, Angst, Aufmerksamkeitsdefizitstörung und Suchterkrankungen. Im EEG generalisierte Polyspike‑, Polyspike-Wave- und manchmal Spike-Wave-Entladungen, in der Bildgebung des Gehirns bei einer der beiden Familien progediente zerebelläre und zerebrale Atrophie.

Klinik und Diagnose

Neben den genetischen Ursachen spielen klinische Symptome und diagnostische Verfahren eine wichtige Rolle bei der Identifizierung von PME.

Klinische Merkmale

  • Myoklonien: Unwillkürliche, kurze Muskelzuckungen, die sich im Verlauf verstärken.
  • Epileptische Anfälle: Verschiedene Anfallstypen, einschließlich generalisierter tonisch-klonischer Anfälle, Absencen und fokaler Anfälle.
  • Ataxie: Koordinationsstörungen, die zu unsicherem Gang und Schwierigkeiten bei feinmotorischen Aufgaben führen.
  • Kognitive Beeinträchtigungen: Fortschreitender Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit bis hin zur Demenz.
  • Weitere Symptome: Dysarthrie,Tremor, Kleinhirnzeichen, Nierenversagen.

Diagnostische Verfahren

  • EEG (Elektroenzephalogramm): Zum Nachweis von epileptiformen Entladungen und zur Beurteilung der Hirnaktivität.
  • MRT (Magnetresonanztomographie): Zur Darstellung von strukturellen Veränderungen im Gehirn.
  • Genetische Tests: Zur Identifizierung von ursächlichen Mutationen.
  • Biopsien: In einigen Fällen zur Untersuchung von Gewebeproben (z.B. Hautbiopsie bei Verdacht auf Lafora-Krankheit).

Therapie

Die Behandlung von PME ist oft schwierig und zielt in erster Linie auf die Linderung der Symptome ab.

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  • Antiepileptische Medikamente: In der Regel wird eine Kombinationstherapie eingesetzt. Kasuistisch bewährt haben sich Valproat bzw. Valproinsäure, Levetiracetam und Perampanel. Phenytoin sollte vermieden werden, da es sich ungünstig auf die Ataxie auswirken kann.
  • Valproat bzw. Valproinsäure, Levetiracetam
  • Weitere Therapien: Physio-, Ergo- und Sprachtherapie zur Unterstützung der motorischen und kognitiven Fähigkeiten.*Metformin.

Aktuelle Forschung und Ausblick

Die Forschung im Bereich der PME konzentriert sich auf die Identifizierung neuer Gene und Krankheitsmechanismen sowie auf die Entwicklung verbesserter Therapieansätze. Ein vielversprechender Ansatz ist die Gentherapie, die in Zukunft möglicherweise eine ursächliche Behandlung dieser schweren Erkrankungen ermöglichen könnte.

Bedeutung von Fachzeitschriften und "Impact Factor"

Um auf dem neuesten Stand der Forschung zu bleiben, ist die Lektüre von Fachzeitschriften unerlässlich. Das "New England Journal of Medicine" (NEJM) gilt als eines der renommiertesten medizinischen Fachmagazine. Die Wichtigkeit und das Ansehen einer Fachzeitschrift werden unter anderem durch den "Journal Impact Factor" (JIF) ausgedrückt. Dieser Wert gibt an, wie oft Artikel einer Zeitschrift in anderen Fachmagazinen zitiert werden. Ein hoher Impact Factor deutet auf einen großen Einfluss und eine hohe Relevanz der Zeitschrift hin.

Epileptologie und Fachzeitschriften

Auch im Bereich der Epileptologie gibt es spezialisierte Fachzeitschriften, die eine wichtige Rolle bei der Verbreitung neuer Erkenntnisse spielen. Die "Zeitschrift für Epileptologie" ist eine deutschsprachige Fachzeitschrift, die sich mit allen Aspekten der Epileptologie befasst.

Relevanz von Zitierungen in der Wissenschaft

Zitierungen sind ein wichtiger Indikator für den Einfluss und die Bedeutung wissenschaftlicher Arbeiten. Je häufiger die Publikationen eines Forschers zitiert werden, desto größer ist sein Einfluss auf das jeweilige Forschungsgebiet. Die Liste der "Highly Cited Researchers" von Clarivate Analytics führt die Wissenschaftler auf, deren Publikationen zu den am häufigsten zitierten gehören.

Epilepsie und besondere Lebensphasen

Epilepsie und Kinderwunsch

Die Thematik "Anfallssuppressive Behandlung und Kinderwunsch" betrifft sowohl Frauen als auch Männer mit Epilepsie. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem teratogenen Potenzial von Valproinsäure, einem Antiepileptikum, das seit vielen Jahren erfolgreich in der Behandlung idiopathisch generalisierter Epilepsien eingesetzt wird.

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