Parkinson ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, von der in Deutschland etwa 400.000 Menschen betroffen sind. Die Erkrankung manifestiert sich meist zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr und betrifft bis zu 2 % der über 65-Jährigen. Die Ursachen sind noch nicht vollständig geklärt, aber die Krankheit wird hauptsächlich durch das Absterben von Dopamin produzierenden Neuronen in der Substantia nigra verursacht. Dies führt zu einem Dopaminmangel, der die Signalübertragung an die für die Bewegungssteuerung zuständigen Hirnbereiche beeinträchtigt. Die Behandlungsmöglichkeiten mit Parkinson-Medikamenten wie Levodopa zielen in erster Linie darauf ab, die Symptome zu lindern. Mitunter können diese oder andere Wirkstoffe jedoch auf Dauer schwere Nebenwirkungen hervorrufen. Einige Patient:innen verweigern daraufhin, die Behandlung fortzusetzen.
Die Parkinson-Krankheit äußert sich durch motorische Symptome wie Zittern in Ruhe (Ruhetremor), das sich durch körperliche Aktivität verschlimmert, Bradykinesie (langsame Bewegungen) und Muskelsteifheit. Neben den körperlichen Symptomen äußert sich Parkinson auch in Veränderungen der Psyche.
Mittlerweile gibt es wissenschaftliche Hinweise darauf, dass medizinisches Cannabis eine Alternative zu traditionellen Parkinson Medikamenten sein könnte. In diesem Artikel beleuchten wir, was Parkinson ist und wie die Krankheit entsteht, betrachten derzeitige Standardtherapien und gehen im Anschluss auf Cannabis als mögliche Alternative ein.
Standardtherapien bei Parkinson
Einen speziellen Test für Parkinson gibt es bisher nicht. Besteht der Verdacht auf Parkinson, wird ein Arzt oder eine Ärztin die Krankheit anhand verschiedener Untersuchungen und Laboranalysen diagnostizieren können. Dazu gehören meist eine körperliche Untersuchung und neurologische Tests. Die Untersuchung des Gehirns bzw. Je früher eine Diagnose gestellt werden kann, desto höher sind die Chancen auf den Erfolg einer medikamentösen Behandlung. Eine Heilung ist durch die Medikamente gegen Parkinson allerdings nicht möglich.
Zur langfristigen Kontrolle der Symptome werden Medikamente wie Levodopa, Dopaminagonisten, COMT-Hemmer, MAO-B-Hemmer und Amantadin im Rahmen einer Standardtherapie eingesetzt:
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- Levodopa (L-Dopa): Ein wirksames Medikament, das im Gehirn zu Dopamin umgewandelt wird. Es wird häufig mit anderen Medikamenten kombiniert.
- Dopaminagonisten: Diese wirken direkt auf die Dopamin-Rezeptoren im Gehirn und werden meistens über einen längeren Zeitraum „einschleichend“ dosiert. Sie haben den Vorteil, dass sie bei langjähriger Einnahme seltener zu Wirkungsschwankungen führen.
- COMT-Hemmer: Werden oft gemeinsam mit L-Dopa verabreicht, um den Abbau von L-Dopa zu verlangsamen. Entacapon ist der gebräuchlichste COMT-Hemmer, während Tolcapon nur eingesetzt wird, wenn Entacapon nicht wirksam genug ist oder nicht vertragen wird. Normalerweise sind die Nebenwirkungen harmlos.
- MAO-B-Hemmer: Wirken dem Abbau von Dopamin im Gehirn entgegen. Es gibt verschiedene Arten von MAO-B-Hemmern mit unterschiedlichen Wirkstoffen.
- Amantadin: Wirkt sich nicht auf den Dopaminspiegel aus, sondern auf den Botenstoff Glutamat. Das Medikament wird eingesetzt, um Hyperkinesen zu behandeln.
- Anticholinergika: Dies sind Parkinson Medikamente der älteren Generation, die durch die Blockierung des Botenstoffs Acetylcholin wirken.
- Budipin: Wirkt auf verschiedene Botenstoffe im Gehirn und wird ebenfalls zur Behandlung von Tremor eingesetzt.
Wird Parkinson jedoch nicht frühzeitig behandelt, kann das Fortschreiten der Symptome die Lebensqualität der Patient:innen und der pflegenden Angehörigen stark beeinträchtigen.
Cannabis als mögliche Alternative bei Parkinson
Das Endocannabinoid-System und seine Rolle
Der menschliche Körper produziert sogenannte Endocannabinoide, die unter anderem zur Regulierung von Gedächtnis, Stimmung, Konzentration, Denken, Bewegung, Konzentration, Sinnes- und Zeitwahrnehmung sowie Appetit und Schmerz beitragen. Die wichtigsten Endocannabinoide sind Anandamid und 2-Arachidonoylglycerin. Sie wirken hauptsächlich an den CB1 und CB2 Rezeptoren im Globus pallidus und der Substantia nigra.
Auch die Cannabis Pflanze enthält sogenannte Cannabinoide. Diese chemischen Verbindungen, etwa Cannabidiol (CBD) und Tetrahydrocannabinol (THC), sorgen für ihre medizinische Wirkung. CBD wirkt in erster Linie anxiolytisch, antipsychotisch und neuroprotektiv. THC hingegen ist für die psychotrope Wirkung von Cannabis verantwortlich.
THC kann über zwei Arten von Rezeptoren wirken: CB1 und CB2 Rezeptoren. CB1 Rezeptoren befinden sich primär im zentralen Nervensystem, während CB2 Rezeptoren in Organen und Zellen des Immunsystems zu finden sind. Während THC teilweise als Agonist an CB1 und CB2 Rezeptoren bindet, kann CBD indirekt antagonistisch wirken und durch eine Erhöhung der CB1 Rezeptordichte die Nebenwirkungen von THC ausgleichen. Das bedeutet, dass CBD die psychotropen Wirkungen von THC hemmen und somit dessen Verträglichkeit verbessern kann.
Studien deuten außerdem darauf hin, dass Cannabinoid-Antagonisten (CBD) gegen Parkinson wirken können. In einer 2004 veröffentlichten Studie an Mäusen führte der Verlust von CB1 Rezeptoren zu einer signifikanten Verringerung der motorischen Fähigkeiten. Diese Ergebnisse scheinen die Bedeutung der Cannabinoide bei der Steuerung der Bewegung durch die Basalganglien im Gehirn zu belegen.
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Forschungsergebnisse zur Anwendung von Cannabis bei Parkinson
In einem Literatur-Review aus dem Jahr 2021 betrachteten Forscher:innen 5 randomisierte, kontrollierte Studien und 18 nicht randomisierte Studien zur Behandlung von Parkinson-Patient:innen mit Cannabis. Auch wenn in diesem Literatur-Review keine zwingenden Beweise für den Nutzen einer Behandlung mit Cannabis gefunden wurden, wird ihr potenzieller Nutzen dennoch hervorgehoben. In einer jüngeren Studie aus dem Jahr 2016 kamen Forscher:innen zu ähnlichen Schlüssen. Etwa 46 % der Studienteilnehmer:innen einer Untersuchung aus dem Jahr 2016 berichteten über eine allgemeine Linderung ihrer Symptome und der durch Levodopa induzierten Dyskinesie. Diese Linderung trat im Durchschnitt 1,7 Monate nach der ersten Einnahme von Cannabis ein.
Depressionen kommen bei Parkinsonkranken recht häufig vor. Es wird angenommen, dass Endocannabinoide die Stimmungslage regulieren und somit einer Depression entgegenwirken können. Hinzu kommt, dass die neuroprotektiven Eigenschaften von CBD das Fortschreiten der Krankheit unter Umständen verzögern könnten.
Erfahrungen von Patienten und Studien
Cannabinoide scheinen in der Selbstbehandlung von Symptomen des M. Parkinson schon länger in Gebrauch zu sein. Eine 2004 veröffentlichte Umfrage unter Parkinson-Patienten in Prag ergab, dass 25 % der 339 Teilnehmer bereits Cannabis zu sich genommen hatten. Fast die Hälfte (46 %) berichtete, eine positive Wirkung auf Krankheitssymptome erlebt zu haben (31 % Verbesserung Ruhetremor, 45 % Verbesserung der Bradykinese, 38 % Rückgang der Muskelrigidität, 14 % Reduktion von Levodopa-induzierten Dyskinesien). Lediglich 5 % der Patienten bemerkten eine Verschlechterung der Symptome durch die Cannabis-Einnahme. Auch neuere, Internet-basierte Umfragen bestätigen den hohen Anteil von aktuell Cannabis-konsumierenden Parkinson-Patienten (37 %), die meisten nahmen bereits über ein Jahr Cannabis ein (70 %). Zumeist wurde Cannabis geraucht (41 %), oral eingenommen (6 %) oder beides (20 %). Fast die Hälfte der Patienten (48 %) berichtete, dass sie die verschriebene Medikation unter der Selbstmedikation mit Cannabis reduzieren konnten.
Eine retrospektive Auswertung von 47 Patienten, die im Mittel 19,1 Monate mit Cannabinoiden behandelt wurden, ergab eine deutliche Verbesserung von motorischen und nichtmotorischen Symptomen wie Reduktion von Stürzen, Tremor und Muskelrigidität sowie eine Verbesserung des Schlafs, der Stimmung und von Schmerzen. Als Nebenwirkungen der zumeist durch Rauchen (81 %) zugeführten Medikation wurden Verwirrung (17 %) und Halluzinationen (17 %) berichtet.
In zwei Fallserien wurde der Effekt von Cannabinoiden auf motorische Symptome untersucht. Bei fünf Parkinson-Patienten, die nach der nächtlichen Medikationspause eine Zigarette mit 1 g Marihuana (2,9 % THC) rauchten, konnte keine Reduktion des Tremors festgestellt werden. Hingegen wurde in einer Untersuchung von 22 Patienten nach Rauchen von 0,5 g Cannabis (unbekannter THC/CBD-Gehalt) eine signifikante Verbesserung des Scores im motorischen Teil der MDS-UPDRS (33,1 ± 13,8 vs. 23,2 ± 10,5) mit ebenfalls signifikanter Reduktion der Subscores für Tremor, Rigidität und Bradykinese festgestellt. Zusätzlich wurden eine signifikante Reduktion von Schmerzen und eine verbesserte Schlafqualität beschrieben.
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Nichtmotorische Parkinson-Symptome wurden in zwei weiteren unkontrollierten Studien untersucht. Bei sechs Patienten mit Parkinson-assoziierter Psychose wirkten sich 400 mg CBD/Tag positiv auf psychiatrische Positiv- und Negativsymptome gemäß Brief Psychiatric Rating Scale aus. Mit REM-Schlafverhaltensstörungen assoziierte Symptome wie Agitation, Schlagen, Treten und Albträume verschwanden bei vier Patienten, die 75 oder 300 mg CBD pro Tag einnahmen.
Es existieren drei höherwertige, Placebo-kontrollierte Studien, in denen die Wirkung von Cannabinoiden auf motorische und nichtmotorische Symptome untersucht wird. Sieradzan und Kollegen setzten Nabilon ein, um dessen Effekt auf Levodopa-induzierte Dyskinesien (LID) bei einem Levodopa-Test bei sieben Patienten zu untersuchen. Zwar fand sich eine signifikante Reduktion der Schwere, nicht jedoch der Dauer der LID. Caroll und Kollegen untersuchten den Effekt einer THC/CBD-(2 : 1)-Mischung auf LID bei 17 Patienten über vier Wochen. Weder konnte eine Verbesserung von LID noch von sekundären Outcome-Kriterien wie dem motorischen Teil der MDS-UPDRS, der Lebensqualität, Schmerzen oder Schlafqualität nachgewiesen werden. Chagas und Kollegen untersuchten den motorischen Teil der MDS-UPDRS und die Lebensqualität sechs Wochen nach Behandlung mit 75 oder 300 mg CBD (oder Placebo) bei sieben Patienten pro Behandlungsarm. Zwar konnte eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität in der 300-mg-CBD-Gruppe gefunden werden, der MDS-UPDRS-Score unterschied sich jedoch nicht zwischen den Gruppen. Kürzlich wurde das Studienprotokoll für die österreichische, qualitativ hochwertige „The NMS-Nab Study“ veröffentlicht, welche die Wirkung von Nabilon auf nichtmotorische Symptome bei M. Parkinson (gemessen an der MDS-UPDRS Teil 1) über vier Wochen untersuchen wird.
Interessanterweise wurde neben den genannten CB1- und CB2-Agonisten auch der Effekt eines selektiven CB1-Antagonisten, Rimonabant, auf motorische Parkinson-Symptome inklusive LID untersucht. Hier zeigte sich bei vier Patienten nach einem Levodopa-Test keine zusätzliche Wirkung des Rimonabants auf den motorischen Teil der MDS-UPDRS oder auf LID.
Risiken und Nebenwirkungen
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass tendenziell positive Ergebnisse erzielt werden können. Auch wenn diese definitiv nicht bei allen Patienten auftreten muss. Wie bei allen Medikamenten gibt es auch bei der Verwendung von medizinischem Cannabis zur Behandlung von Parkinson potenzielle Risiken.
In den Studien sind bei einigen Patienten Halluzinationen aufgetreten. Das ist nicht verwunderlich, weil Halluzinationen bei Parkinson nicht selten sind und halluzinogene Medikamente wie Cannabis das noch verstärken können. Außerdem leiden Parkinsonpatienten oft unter Kreislaufschwäche und sehr niedrigem Blutdruck. Das kann ebenfalls durch THC noch verstärkt werden. Weiterhin gibt es Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte. Insgesamt sind diese Nebenwirkungen nicht zu vernachlässigen.
Rechtliche Situation und Verschreibung in Deutschland
Bisher gibt es in Deutschland kein zugelassenes Parkinson Medikament, das Cannabis enthält. Mögliche Darreichungsformen sind Rezepturarzneimittel (etwa Tinkturen und Öle) oder Cannabisblüten. Ärzte und Ärztinnen können medizinische Cannabis verschreiben, wenn sie die Therapie - etwas als Zusatztherapie - als sinnvoll ansehen.
In Deutschland können schwerkranken Patienten, unabhängig von der Grunderkrankung, Cannabisblüten und -extrakte bzw. synthetische Cannabinoide zulasten der Krankenkassen verordnet werden, sofern keine geeigneten Therapien zur Verfügung stehen oder diese aufgrund von Kontraindikationen oder schweren Nebenwirkungen nicht zur Anwendung kommen können. Laut Gesetzgeber ist eine Verordnung bereits dann gestattet, wenn „eine nicht ganz entfernte Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf schwerwiegende Symptome“ besteht. Dem verschreibenden Arzt obliegt nun also, die Wirksamkeit des medizinischen Cannabinoids bei der Vielfalt der möglichen Indikationen und Grunderkrankungen oder bestimmten Symptomen des individuellen Patienten einzuschätzen.
Empfehlungen und Ausblick
Wenn ein Familienmitglied oder du selbst eine Behandlung deiner Erkrankung mit medizinischem Cannabis in Betracht ziehst, empfehlen wir dir, einen spezialisierten Cannabis Arzt oder eine Cannabis Ärztin aufzusuchen. Er oder sie sollte - falls eine Behandlung mit Cannabis als Medizin in Betracht kommt - die Behandlung so abstimmen, dass ungewünschte Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten vermieden werden.
Insgesamt ist die Datenlage für Cannabinoide im Hinblick auf motorische und nichtmotorische Symptome beim M. Parkinson sehr dünn. Neben der Vielzahl von untersuchten Zielsymptomen sind auch die angewendeten Cannabis-Präparate sehr heterogen, sodass letztlich keine evidenzbasierte Empfehlungen ausgesprochen werden können. Aufgrund dessen sollten Cannabinoide erst nach Ausschöpfung der leitliniengerechten Therapie und am ehesten bei schwer behandelbaren Symptomen wie Levodopa-induzierten Dyskinesien, Schmerzen oder Schlafstörungen eingesetzt werden. Es empfiehlt sich, den Therapieerfolg mittels objektiver Skalen zu verifizieren.
Eine wachsende Zahl von Hinweisen aus der Wissenschaft legt nahe, dass Cannabis bei der Behandlung von Parkinson helfen könnte. Es sind jedoch weitere Forschungsarbeiten erforderlich - allen voran doppelblinde, randomisierte und kontrollierte Studien an Menschen mit Parkinson, um die langfristige Wirksamkeit von Cannabis als Therapie und Ergänzung zu zugelassenen Parkinson Medikamenten zu bestätigen.
Fazit
Die Frage, ob Cannabis eine sinnvolle Alternative zur Therapie von Parkinson darstellt, lässt sich derzeit nicht eindeutig beantworten. Die Forschungsergebnisse sind widersprüchlich, und die Erfahrungen der Patienten sind vielfältig. Während einige Patienten von einer Linderung ihrer Symptome berichten, treten bei anderen keine oder sogar negative Effekte auf. Es ist wichtig zu betonen, dass Cannabis kein Allheilmittel ist und die Behandlung von Parkinson immer individuell auf den Patienten abgestimmt sein sollte.
Die Entscheidung für oder gegen eine Cannabis-Therapie sollte in enger Absprache mit einem Arzt getroffen werden, der über Erfahrung mit der Behandlung von Parkinson und mit medizinischem Cannabis verfügt. Dabei sollten die potenziellen Vorteile und Risiken sorgfältig abgewogen werden.
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